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WU: eine Sondersammlung für zwei große Austro-Ökonomen

Aus dem FALTER 42/2014

Bericht: Joseph Gepp

Kurt W. Rothschild und Josef Steindl zählen zu den großen keynesianischen Ökonomen der Zweiten Republik. Beide leisteten zum Aufbau der ökonomischen Lehre in Österreich einen großen Beitrag, nachdem sie die Zeit des Zweiten Weltkriegs im englischen Exil verbracht hatten. Steindl starb 1993, Rothschild 2010.

Zum 100. Geburtstag von Rothschild macht nun die Wiener Wirtschaftsuniversität die Privatbibliotheken der beiden Ökonomen der Öffentlichkeit zugänglich. Die umfangreichen und wertvollen Sammlungen wurden heuer der Uni übertragen, jetzt haben sie einen eigenen Raum in der WU-Bibliothek bekommen. Am 21. Oktober feiert man Eröffnung.

Nach einer Eröffnungsrede von WU-Rektor Christoph Badelt werden die Ökonomen Wilfried Altzinger (WU) und Alois Guger (Wifo) über das Wirken von Kurt Rothschild und Josef Steindl sprechen. Deren Bibliotheken stehen künftig allen Studenten und Bibliotheksbesuchern offen.

Um Anmeldung wird gebeten, am besten auf der Website der Wirtschaftsuni wu.ac.at (und dann das Wort „Rothschild“ in die Suchmaske tippen).

21.10., 19 Uhr: neuer WU-Campus, Festsaal 2 (LC), 2., Welthandelsplatz 1

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Eingeordnet unter Wien, Wirtschaft

Die Wirtschaft braucht mehr Wirklichkeit!

Aus dem FALTER 23/2014

Die moderne Volkswirtschaftslehre ist viel zu formalistisch, sagt WU-Professor Wilfried Altzinger

Interview: Joseph Gepp

Wer heutzutage Ökonomie studiert, muss hauptsächlich Formeln ableiten und Kurven zeichnen können. Die Wirtschaftswissenschaften leiden unter einem viel zu mathematisierten und formalisierten Zugang, kritisiert eine Initiative aus Ökonomen aus 19 Ländern. Statt echtes menschliches Verhalten und gesellschaftliche Bedingungen zu erforschen, konzentriere sich die Lehre auf den fiktiven Homo œconomicus, dessen Entscheidungen in abstrakten Modellen berechnet werde. Im Mai haben die Kritiker deshalb eine Petition verfasst. Ein Unterzeichner aus Wien: WU-Professor Wilfried Altzinger.

Falter: Herr Altzinger, was läuft schief im VWL-Hörsaal?

Wilfried Altzinger: In einer standardmäßigen volkswirtschaftlichen Grundausbildung wird viel Wert auf die formale Herleitung von Theorien gelegt. Das ist zweifelsohne wichtig. Aber ich würde mir auch mehr Aspekte in Richtung einer politischen Ökonomie wünschen. Zum Beispiel Wirtschaftsund Dogmengeschichte sowie Wirtschaftspolitik und ihr institutioneller Rahmen – all das kommt derzeit zu kurz. Wir brauchen eine realitätsbezogenere Ausbildung.

Was kann man sich unter der formalen Herleitung von Theorien vorstellen?

Altzinger: Wer eine Theorie herleitet, geht mathematisch und formal vor. Das allein reicht aber nicht, um ökonomische Zusammenhänge zu verstehen. Teilweise hat man den Eindruck, das zentrale Kriterium sei heute die formale Korrektheit. Der britische Ökonom John Maynard Keynes hat einmal geschrieben, ein zu hoher Anteil an Mathematik in der Ökonomie lenke die Wissenschaft nur von der Komplexität und den Abhängigkeiten der realen Welt ab – und führe sie in ein Labyrinth aus hochtrabenden und wenig hilfreichen Symbolen.

Wie kam es zu dieser Entwicklung?

Altzinger: Wissenschaftliche Karrieren werden stark über die Anzahl der Publikationen bestimmt – und in international wichtigen Journals der Mainstream-Ökonomie ist der formalistische Zugang das Um und Auf. Deshalb entsteht Anpassungsdruck. Dadurch lassen die Ökonomen wichtige Dinge außer Acht. Ein Beispiel: In Österreich braucht man fundierte Kenntnisse des Systems der Sozialpartnerschaft, um etwa Lohnabschlüsse bewerten zu können. Diese werden zumeist in einem Gesamtpaket der Sozialpartner geregelt, gemeinsam mit Mindestlöhnen, Arbeitszeitregelungen und anderem. Solche institutionellen Aspekte sind entscheidend für Ökonomen, kommen aber in unserer Ausbildung viel zu kurz.

Sie gehen anscheinend davon aus, dass Ihre Studenten später in der Wirtschaftspolitik oder im Wissenschaftsbetrieb landen – tatsächlich gehen sie aber oft in Banken oder andere Unternehmen. Wird nicht genau dieser Zugang dort gefordert? Sonst hätte er sich wohl nicht derart durchgesetzt.

Altzinger: Mein Anspruch an die Ausbildung lautet, Erkenntnisse über ökonomische Gesamtzusammenhänge zu gewinnen. Natürlich – wenn man im Bankensektor Derivatgeschäfte durchführt und Computerprogramme dafür schreibt, war die Ausbildung goldrichtig. Dafür braucht man aber keine Ökonomen, dafür gibt es echte Mathematiker und Statistiker. Sobald ich mich als Ökonom mit der realen Wirtschaft auseinandersetze, brauche ich zwangsläufig Kenntnisse über Institutionen, über Historie, Psychologie und Soziologie. Das gilt im Übrigen auch für jene Ökonomen, die in den volkswirtschaftlichen Abteilung von Banken oder Großunternehmen arbeiten.

Wilfried Altzinger, 55, ist Makroökonom an der Wiener Wirtschaftsuni. Er befasste sich unter anderem mit Österreichs Außenhandel und der Wirksamkeit von Direktinvestitionen im Ausland (Foto: WU)

Wilfried Altzinger, 55, ist Makroökonom an der Wiener Wirtschaftsuni. Er befasste sich unter anderem mit Österreichs Außenhandel und der Wirksamkeit von Direktinvestitionen im Ausland (Foto: WU)

Wann hat die Mathematisierung der ökonomischen Lehre begonnen?

Altzinger: Schon sehr früh, um das Jahr 1870. Damals hat sich mit der Entwicklung der Grenzproduktivitätstheorie die volkswirtschaftliche Lehre sehr stark an den Naturwissenschaften orientiert und stärker formalisiert. Zuvor haben Ökonomen – zum Beispiel Adam Smith, John Stuart Mill oder Karl Marx – viel juristisches und historisches Wissen in ihre Werke einfließen lassen. Diese Klassiker sind bis heute spannend zu lesen. Sie zeigen uns, was Ökonomen alles wissen sollen, um seriöse Aussagen über mittel-und langfristige Entwicklungsperspektiven treffen zu können.

Hat die formalistische Ausbildung, die Sie kritisieren, auch etwas mit der Ausbreitung des berühmten Neoliberalismus zu tun, der vor rund 30 Jahren eine Ära des strikten Marktglaubens einläutete?

Altzinger: Nein, der Prozess der Formalisierung dauert schon länger, mehr als 100 Jahre. In den vergangenen Jahrzehnten hat er sich zwar intensiviert – doch dies ist vor allem auf die Digitalisierung zurückzuführen. Auch keynesianische Theoretiker arbeiten heute häufig extrem formal. Es gibt jedoch auch positive Beispiele gegen diesen Trend. Das neue Buch von Thomas Piketty etwa, „Das Kapital im 21. Jahrhundert“, ist ein Musterbeispiel für politische Ökonomie: ein einfaches und interessantes theoretisches Konzept, unterfüttert mit umfassender Empirie, und all das wird interpretiert im Rahmen einer großen wirtschaftshistorischen Abhandlung. Echt fesselnd!

Auch an der WU, an der Sie unterrichten, klagen Studenten über die formalistische Ausbildung. Das Institut für heterodoxe Ökonomie etwa, das als kritisch gilt, wird langsam abgedreht. Wie ist es in der heimischen Uni-Landschaft um die ökonomische Lehre bestellt?

Altzinger: Mein Befund gilt durchaus auch für Österreich, wobei aber auch Verbesserungen in Richtung Diversifizierung der Lehrpläne erkennbar sind. An der WU zum Beispiel besteht durch das System der Wahlpflichtfächer eine große Wahlfreiheit. Wenn Sie allerdings Studenten fragen, ob sie Werke John Stuart Mills kennen, werden das 95 Prozent trotzdem verneinen. Denn es steht schlicht nicht in ihren Lehrplänen.

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