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Wien: das mehrheitsfreundlichste unter Österreichs Bundesländern

Aus dem FALTER 33/2014

Bericht: Joseph Gepp

Dieses Wahlversprechen soll – im Gegensatz zu so vielen anderen – nicht gebrochen werden. Das war das Motiv hinter einer Maßnahme, zu der sich im Mai 2010 die damaligen Wiener Oppositionsparteien ÖVP, FPÖ und Grüne entschlossen: Mittels hochformellen Notariatsakts verpflichteten sie einander, sich dafür einzusetzen, dass die „Anzahl der Mandate einer Fraktion im Wiener Gemeinderat möglichst genau ihrem prozentuellen Stimmenergebnis entspricht“.

Denn bis heute ist Wiens Wahlrecht so gestaltet, dass es die stärkste Partei ziemlich stärkt – traditionellerweise die Wiener SPÖ. Schon bei 44 Prozent der Stimmen gewinnt sie unter Umständen die absolute Mandatsmehrheit. Dementsprechend begannen die Grünen, kaum waren sie 2010 in die Regierung gekommen, mit Verhandlungen über ein neues Wahlrecht. Ziel: Es sollte möglichst ausschauen wie jenes auf Bundesebene.

Erwartungsgemäß gestalteten sich die Verhandlungen zäh. Erst jetzt liegt – vorerst informell – ein Kompromissvorschlag auf dem Tisch. Demnach soll bei 47 Prozent der Stimmen eine absolute Mehrheit in Wien winken.

Die Grünen freuen sich, dass ihnen damit der „Abbau des Verzerrers“ zumindest teilweise gelungen sei und betonen, dass es in der Politik Kompromisse brauche. Die SPÖ wiederum freut der Erhalt der „mehrheitsfördernden Komponente“.

Die Oppositionsparteien ÖVP und FPÖ hingegen werfen den Grünen lautstark vor, umgefallen zu sein. Das Wahlrecht in der derzeit geplanten Form ist zwar weniger mehrheitsfördernd als zuvor, aber immer noch das mehrheitsförderndste unter Österreichs Bundesländern.

Im Herbst soll nun die definitive Entscheidung über die Reform fallen. Wie das Endergebnis ausfallen wird, sei noch offen, betonten sowohl der grüne Landessprecher Georg Prack als auch SPÖ-Klubchef Rudolf Schicker in den vergangenen Tagen. Sicher scheint nur: Ein klein wenig Mehrheitswahlrecht wird Wien wohl erhalten bleiben.

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Kommentar: Mehrheitsfördernd, warum nicht – aber ohne Parteitaktik!

Aus dem FALTER 33/2014

Kommentar: Joseph Gepp

Immer wieder betonen Politik-Beobachter in Österreich die Vorzüge eines Mehrheitswahlrechts. Der Zwang zum großkoalitionären Pakt nähme ab, die Reformfähigkeit zu. Die Parteien könnten stärker ihre Projekte verwirklichen und gewännen an Profil.

Nicht umsonst haben etwa die Neos gerade ein Konzept für ein stärker mehrheitsförderndes Wahlrecht vorgelegt – eines von vielen. Es ist zwar etwas verwaschen ausgefallen, doch insgesamt ist der Handlungsdruck in Richtung stärkeres Mehrheitswahlrecht unverkennbar.

Anders die Situation in Wien: Hier ist das Wahlrecht bereits mehrheitsfördernd. Unter gewissen Umständen winkt dem Sieger schon bei 44 Prozent der Stimmen eine absolute Mehrheit. Seit Jahren verspricht die Opposition deshalb, sich für mehr Verhältnismäßigkeit einzusetzen. Nun scheint Wiens rot-grüne Regierung einen mauen Kompromiss gefunden zu haben: rund 47 Prozent für die Absolute. Wien wäre damit immer noch das mehrheitsfreundlichste Bundesland.

Lassen sich aus all dem Erkenntnisse ableiten, wie ein gutes Wahlrecht ausschauen soll? Wohl kaum: Wiens Handlungsfähigkeit resultiert aus der traditionell mächtigen SPÖ – ebenso wie etwa in Niederösterreich die ÖVP die Politszene dominiert. Plus oder minus wenige Prozent machen da kaum etwas aus. Nach der Wienwahl nächstes Jahr wird sich die SPÖ wohl wieder einen Partner suchen müssen, Wahlrecht hin, Wahlrecht her. Denn nicht nur die FPÖ ist stark, auch Grüne und Neos sind derzeit erfolgreich.

Als einzige Erkenntnis aus Wiens Reformbemühung bleibt also: Ob nun Verhältnis- oder Mehrheitswahlrecht – es sollte jedenfalls nicht mit Blick auf ein besseres Ergebnis für die eigene Partei gestaltet werden.

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