19. Dezember 2012 · 11:19
Aus dem FALTER 51-52/2012
Im Salzburger Finanzskandal hat keiner den Überblick. Versuch einer Erklärung in 15 Antworten
Fragen: Joseph Gepp
Was wird Monika R. vorgeworfen?
Sie wurde vom Land Salzburg wegen Untreue, Amtsmissbrauchs und Urkundenfälschung angezeigt. Die Leiterin des Budgetreferats der Finanzabteilung des Landes bestreitet alle Vorwürfe. Seit 2003 führte Monika R. für ihren Dienstgeber risikoreiche Spekulationsgeschäfte durch. Lange ging das gut, das Land verdiente ungefähr 150 Millionen Euro durch R.s Geschäfte. Ungefähr ab 2007 entstanden laut Landesregierung aber hohe Verluste. R. versuchte sie durch immer neue Geschäfte auszugleichen. Dabei überging sie, so der Vorwurf, alle Kontrollinstanzen und baute ein „Schattenportfolio“ auf, das Salzburgs offizielle Finanzgeschäfte vielfach überstieg. Am 26. November legte R. laut dem Land ein „Geständnis“ bei SPÖ-Vizelandeshauptmann David Brenner ab. Dabei nannte sie den Verlust von 340 Millionen Euro. R.s Anwalt bestreitet, dass seine Mandantin ein Geständnis ablegte.

Monika R. soll 340 Millionen Euro verspekuliert haben
Wie konnte R. Geld zum Spekulieren auftreiben?
Ein Land wie Salzburg ist ein Schuldner mit Top-Bonität, dem Banken gerne Kredit geben. R. war für sie die erste Ansprechpartnerin. Sie galt als hochkompetent und verfügte seit Jahren über Vollmachten ihres Dienstgebers. Wahrscheinlich spekulierte sie nicht mit Geld aus dem Landesbudget, sondern mit Bankkrediten.
Vergangenes Wochenende wurde allerdings auch bekannt, dass Salzburg rund 1,8 Milliarden Euro bei der Österreichischen Bundesfinanzierungsagentur (OeBFA) aufgenommen hat. Das ist rund doppelt so viel wie andere Bundesländer. Wofür das Geld verwendet wurde, ist bislang völlig unklar.
Was hat es mit der Vollmacht auf sich?
Die Vollmacht berechtigte R. zum Abschluss praktisch aller risikoreichen Geschäfte, etwa Zins-Swaps (siehe Antwort unten). Sie wurde 2003 vom damaligen ÖVP-Finanzlandesrat Wolfgang Eisl ausgestellt und danach von allen seinen Nachfolgern verlängert, auch von SP-Mann Brenner 2007. Grundsätzlich sei an einer solchen Vollmacht nichts Anrüchiges, sagen Experten dem Falter. In vielen Organisationen, die risikoreiche Geschäfte tätigen, würden zuständige Personen über ähnliche Rechte verfügen.

Wie beschreiben Bekannte Monika R.?
Einer beschreibt die gebürtige Braunauerin als „extrem eifrige, blitzg’scheite Frau, die aufgrund ihres Wissens alle sehr beeindruckt hat“. Am glücklichsten sei sie am Computer und Telefon gewesen. Im Jahr 2000 wird R., gerade 29 Jahre alt, Referatsleiterin. Laut Gerüchten bemühte sich die Deutsche Bank intensiv um eine Abwerbung der erfolgreichen Beamtin. Anfang Juli referierte R. laut Website des Landes Salzburg noch vor dem Landtag über die Rolle des Spekulantentums in der Krise. Nur zwei Wochen später wurde sie wegen aufgetauchter Unregelmäßigkeiten zwangsbeurlaubt.
Welche Geschäfte hat R. gemacht?
Zum Beispiel Zins-Swaps, eine Untergruppe der sogenannten Derivate. Dabei handelt es sich um Zinstauschgeschäfte. Mit ihnen will man von Zinsentwicklungen profitieren. Das geht so: Kredite können fixe oder variable Zinsen haben. Fixe bleiben immer gleich, variable verändern sich je nach Entwicklung des Leitzinses. Bei einem Zins-Swap tauschen nun die Halter eines fixen und eines variablen Kredits ihre Zinszahlungen. Der Kredit bleibt derselbe, aber man berappt die Zinsen des anderen. Zweck: Wenn man beispielsweise einen Fixzinskredit hat, aber glaubt, dass sich variable Zinsen nach unten entwickeln werden, dann tauscht man seine Zinsen mit jemandem, der gegenteiliger Meinung ist.
Bei Institutionen, die viele Kredite zugleich laufen haben, sind Zins-Swaps gang und gäbe. Mit ihrer Hilfe wird das Verhältnis zwischen fixen und variablen Zinszahlungen derart gestaltet, dass Kosten und Risiko möglichst gering sind. Das sind übliche, eher harmlose Geschäfte.
Und wo liegt dann das Problem?
Gefährlich – und komplizierter – wird es, wenn dem Zins-Swap gar kein echter Kredit mehr zugrunde liegt. In diesem Fall zahlt man seinem Vertragspartner über eine bestimmte Dauer Zinsen – zum Beispiel fixe – einfach so, ohne Kredit. Er seinerseits überweist variable, die sich etwa am Leitzins orientieren. Wer die Zinsentwicklung richtig eingeschätzt hat, dem gehört am Ende die Differenz. Eine tatsächliche Wette also, die sich übrigens auch auf Währungsentwicklungen eingehen lässt. Diese Art der Zins-Swaps ist eine reine Spekulation, die nichts mehr mit der Finanzierung von Krediten zu tun hat. Sie gilt als Mitverursacher der Bankenkrise 2008.
Swap-Vertragspartner finden einander an Derivat-Börsen, Banken vermitteln die Swaps weiter. Swap-Kunden sind gemeinhin große Organisationen, Swaps gehen oft über eine Dauer von vielen Jahren. In der Praxis läuft es so ab, dass man sich im Internet für ein bestimmtes Swap-Geschäft entscheidet und dieses anschließend telefonisch bei der Bank bestellt. Diese schickt dann den Vertrag, der unterschrieben und an die Bank zurückgesandt wird.
Wie viel verdienten die Banken an R.s Geschäften in Salzburg?
Das lässt sich derzeit kaum sagen. Normalerweise fällt je Derivatgeschäft rund ein Prozent vom eingesetzten Geld an Bankgebühren an. Der Derivat-Sachverständige Sascha Stadnikow rechnet – sehr grob geschätzt – mit einem Gewinn der Banken von rund 39 Millionen Euro.
Scheinen Monika R.s Verluste in der Buchhaltung des Landes auf?
Bislang wohl nicht. Sie finden sich lediglich in den Wertpapier-und Derivatportfolios des Landes Salzburg. Erst bei Auflösung der Geschäfte werden Gewinne oder Verluste „realisiert“. Damit kommen sie in die Buchhaltung und ins Budget. Länder und Gemeinden müssen in Österreich nicht realisierte Spekulationsverluste nicht ausweisen, erklärt Peter Biwald vom Wiener Zentrum für Verwaltungsforschung – im Gegensatz zu Unternehmen, die anderen Bilanzierungsvorschriften unterliegen.
Ein Indiz deutet allerdings auch darauf hin, dass Teile der Verluste durchaus bereits realisiert sind. Monika R. selbst sagte laut Land Salzburg in ihrem „Geständnis“, dass sie Verluste in der „durchlaufenden Gebarung“ versteckt habe. Das ist ein Posten in der Buchhaltung, in dem normalerweise fremde Gelder zwischengeparkt werden, etwa die Umsatzsteuerabfuhr oder Lohnabgaben an den Bund. Deshalb wird die durchlaufende Gebarung kaum jemals überprüft.

Salzburgs SPÖ-Landeshauptfrau Gabi Burgstaller (Foto: SPÖ Salzburg)
Was wusste der Rechnungshof?
Noch im Jahr 2009 prüfte der Rechnungshof, die Kontrollbehörde des Nationalrats, das Bundesland Salzburg. Er kritisierte die Veranlagungsstrategien als zu risikoreich. In der Folge verstärkte das Land die Kontrollmechanismen: Ein „Finanzbeirat“ aus zwei externen Experten wurde installiert, der jedes Geschäft absegnen sollte. Außerdem beauftragte das Land die Deutsche Bank, alle Geschäfte Salzburgs laufend zusammenzufassen und das Land über ihren Stand zu informieren. Der Rechnungshof zeigte sich dann im Dezember 2012 mit diesen Maßnahmen weitgehend zufrieden.
Allerdings ist er wohl die ganze Zeit über von falschen Angaben ausgegangen. Denn so wie die Salzburger Opposition und die Öffentlichkeit hatte der Rechnungshof nur von den offiziellen Geschäften Salzburgs erfahren – nicht aber von Monika R.s Schattenportfolio.
Was waren offizielle Geschäfte und was war das Schattenportfolio?
Im November 2012 bestanden die offiziellen Geschäfte des Landes aus 50 Derivatverträgen im Ausmaß von 1,8 Milliarden Euro. Sie wurden mit 16 Partnerbanken gehandelt, von der Sparkasse Oberösterreich bis zur Royal Bank of Scotland.
Monika R. soll darüber hinaus mit 18 weiteren Banken Geschäfte gemacht haben. Neben den 50 offiziellen Derivatgeschäften gab es außerdem 253 inoffizielle – also fünfmal so viele. Das beweist ein Gesprächsprotokoll von Mitte Oktober, das der ÖVP Salzburg zugespielt wurde. Darin berichten Mitarbeiter des Budgetreferats Landesvize Brenner von den bislang unbekannten Derivaten. Der Finanzbeirat und die Deutsche Bank – also die Kontrollinstanzen, die auf Empfehlung des Rechnungshofs eingesetzt wurden – hätten bislang nicht davon gewusst, heißt es im Protokoll. Der volle Umfang von R.s Schattengeschäften ist noch nicht bekannt.

Hat seinen Rücktritt angekündigt: SPÖ-Vizelandeshauptmann David Brenner (Foto: SPÖ Salzburg)
Was wussten Salzburgs Landespolitiker?
Monika R. habe ausschließlich im Auftrag des Landes Salzburg gehandelt, sagt ihr Anwalt Herbert Hübel. SPÖ-Landeshauptfrau Gabi Burgstaller und ihr Vize Brenner hingegen wollen erst mit R.s „Geständnis“ Ende November vom Desaster erfahren haben. Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen.
So lässt sich etwa das besagte Gesprächsprotokoll über die 253 Zusatzderivate vom Oktober kaum mit der Darstellung des Anwalts vereinbaren. Denn darin ist von Geschäften die Rede, die eigenmächtig an Kontrollinstanzen vorbei gemacht wurden.
Dasselbe Protokoll bringt aber auch Brenner in Erklärungsnot. Es beweist, dass Burgstallers Vize schon Mitte Oktober über riesige Schattengeschäfte informiert wurde. Als er jedoch zwei Wochen später im Landtag den Salzburger Grünen über Derivate Auskunft gab, erwähnte er Unregelmäßigkeiten mit keinem Wort. Brenner rechtfertigt dies heute damit, dass er zu diesem Zeitpunkt das volle Ausmaß der Causa noch nicht abschätzen konnte.
Auch andere Dokumente belasten die Landespolitik. So schrieb R. bereits Mitte September ein E-Mail an Burgstaller, in dem sie sich beschwerte, dass ihr Computerzugang gesperrt worden sei. Nebenher erwähnt R. quasi als Warnung, dass dem Land 130 Millionen Euro Verluste drohten – falls man ihr nicht schnell ermögliche, die Sache in Ordnung zu bringen.
Die Salzburger Nachrichten zitieren darüber hinaus anonyme Quellen, wonach misstrauische Banken schon 2008 Kredite fällig stellten. Außerdem habe damals eine Bankdelegation bei Eduard Paulus, dem Vorgesetzten von R., auf drohende Verluste hingewiesen. Paulus, über dessen Suspendierung bei Redaktionsschluss gerade gestritten wurde, will sich daran nicht erinnern.
Fazit: Monika R. scheint nicht, wie ihr Anwalt behauptet, im Auftrag des Landes gehandelt zu haben. Allerdings haben die Politiker wohl auch nicht erst beim „Geständnis“ Ende November vom Desaster erfahren – sondern schrittweise Monate zuvor, wenn nicht bereits Jahre.
Seit wann spekulieren Länder und Gemeinden in Österreich?
Länder und Gemeinden spekulieren in Österreich vor allem auf zwei Arten: mit Fremdwährungskrediten und Derivaten.
Das Geschäft mit den Währungsschwankungen begann in den frühen 1990er-Jahren, erklärt der WU-Bankenexperte Stefan Pichler. In Vorarlberg entdeckten Bankberater und Kunden, dass sich mit Frankenkrediten aus der nahen Schweiz Geld sparen ließe. Bald drang das Geschäftsmodell bis nach Wien vor und verbreitete sich dann von heimischen Banken aus nach Osteuropa. Die Derivatspekulationen begannen zehn Jahre später, nach 2000. Sie sind komplizierter als Fremdwährungsgeschäfte. Vor der Krise wurde in Salzburg und anderswo viel Geld mit Derivaten verdient. Heute sollen rund 300 Gemeinden in Österreich von Spekulationsverlusten betroffen sein.
Die bekanntesten Fälle sind die Stadt Linz, der aus Swap-Geschäften Verluste von 417 Millionen Euro drohen. Viele Gemeinden in Niederösterreich und Burgenland leiden unter den Frankenkrediten. Das Land Niederösterreich hat sich mit dem Verkauf von Wohnbaudarlehen verspekuliert – ein Befund des Rechnungshofs, den ÖVP-Landeshauptmann Pröll mit dem Verweis auf die „Herren im Glaspalast“ wegwischte.
Spekuliert auch die Gemeinde Wien?
Wien hält 1,65 Milliarden Euro seiner Schulden in Franken – mit hohem Verlustpotenzial, weil der Franken aufgrund der Eurokrise an Wert gewonnen hat. SPÖ-Bürgermeister Häupl beteuert, dass Wien keine Derivatgeschäfte mache.
Wie geht es nun in Salzburg weiter?
Landesvize Brenner gab vergangenen Freitag seinen Rücktritt bekannt. Neuwahlen für Mai 2013 sind praktisch fix. Landeshauptfrau Burgstaller weiß laut eigener Aussage noch nicht, ob sie erneut kandidieren möchte. Die Aufarbeitung der Landesfinanzen hat indes ein Team um den Ex-Banker Harald Kutschera übernommen. Sollten die 340 Millionen Euro Verluste voll schlagend werden, würde dies den Schuldenstand Salzburgs auf einmal um knapp 40 Prozent erhöhen.
Welche Folgen hat der Skandal für Österreich?
Bislang führte er vor allem zu einem innerkoalitionären Kleinkrieg. ÖVP-Finanzministerin Maria Fekter etwa provozierte mit der Aussage, sie wolle eine „Troika“ à la Griechenland nach Salzburg schicken.
Für Jänner hat sich die Regierung dennoch vorgenommen, „Hochrisikogeschäfte mit Steuergeld“ zu verbieten, wie ÖVP-Vizekanzler Spindelegger sagt. Das Schuldenmanagement der Länder könnte dann die Bundesfinanzierungsagentur übernehmen.
Fraglich bleibt, ob sich die Bundesländer das gefallen lassen: Tirols ÖVP-Landeshauptmann Günther Platter hat schon Widerstand angekündigt.