Aus dem FALTER 42/2014
Wie viel Politik braucht die Verstaatlichte? Soll man weiter privatisieren? Oder feiert der Staat sein Comeback? 18 Antworten rund um die ÖIAG
Fragen und Antworten:
Joseph Gepp,
Wolfgang Zwander
WIRTSCHAFT
Jeder österreichische Staatsbürger ist Unternehmenseigentümer. Zumindest formell. Vielen ist das Ausmaß dieses Hab und Guts gar nicht klar, aber die Republik besitzt, verwaltet und betreibt auch im Jahr 2014 noch zahllose Wirtschaftsbetriebe.
Wie kommt es dazu?
Das ist eine lange Geschichte, sie reicht zurück bis zum Zweiten Weltkrieg. Aber Sie haben sicher vom Kürzel ÖIAG gehört.
Ja, davon liest man doch oft in den Medien. Meistens im Zusammenhang mit Streit und Chaos. Was hat es damit auf sich?
Die Österreich Industrieholding AG verwaltet im Namen der Republik Staatsanteile an Betrieben wie etwa der OMV oder der Telekom. Ihre Zentrale liegt in der Wiener Brigittenau, ihr Chef heißt derzeit noch Rudolf Kemler, Ablösegerüchte wurden in den vergangenen Tagen aber immer lauter. Der Eindruck ist durchaus richtig, dass der Name ÖIAG oft in einem Satz mit Zwist und Zank fällt. Eigentlich wird um die ÖIAG gestritten, seit es sie unter ihrem heutigen Namen gibt. Und auch als sie noch ÖIG hieß oder man schlicht von „der Verstaatlichten“ sprach, war sie fast immer Gegenstand heftiger Konflikte.
Worüber wird denn jetzt gerade gestritten?
Puh, da wären wir gleich mehrere Dinge. Beginnen wir einmal bei der derzeit aktuellsten Causa, dem Energieriesen OMV. In Österreichs größtem und wichtigstem Industriebetrieb, an dem die ÖIAG ein Drittel hält, toben schon seit längerem Kämpfe um die künftige Konzernausrichtung. Prestigeprojekte wie die Pipeline Nabucco sind gescheitert, ehemals hochlukrative Sparten wie der Gashandel entwickeln sich aufgrund der Weltmarktlage zu Problemkindern. Nun hat der Konflikt Generaldirektor Gerhard Roiss und Gasvorstand Hans-Peter Floren die Jobs gekostet. Nachfolger sind noch keine in Sicht. ÖVP-Finanzminister Hans Jörg Schelling stellte der OMV nun gar ein Ultimatum, er wolle endlich wissen, wie es mit dem Konzern weitergehen wird.
Warum mischt sich die Politik in diesen Konflikt so direkt ein?
Na ja, 31,5 Prozent der OMV gehören den Österreicherinnen und Österreichern, weshalb die Politik nicht einfach zusehen kann, wenn dort Chaos herrscht. Die OMV-Aktie hat jüngst um ein Viertel nachgegeben. Damit sinkt natürlich auch der Wert des ÖIAG-Anteils. Leider ist die OMV auch nicht das einzige Problem, mit dem sich die ÖIAG derzeit herumschlagen muss.
Wo brennt’s noch?
Auch bei der Telekom Austria gibt’s schlechte Stimmung. Hier liegt der Anteil der ÖIAG bei 28,42 Prozent. Dies aber möglicherweise nicht mehr lange, wie im vergangenen April vielfach und scharf in der Öffentlichkeit kritisiert wurde. Der mexikanische Milliardär Carlos Slim stieg bei der Telekom ein; die ÖIAG-Führung habe für den Investor aus Übersee viel zu günstige und zu schwammige Bedingungen geschaffen, die den Standort Österreich mittelfristig gefährden, lautete der Vorwurf. Der Deal mit Slim fiel noch dazu in einer höchst chaotischen Aufsichtsratssitzung, zu der eigens Mitglieder eingeflogen werden mussten, um die Beschlussfähigkeit des Gremiums sicherzustellen.
Was sagt die ÖIAG zu alldem?
Diese Frage führt uns auch schon zum nächsten Problem. Das Gesprächsklima zwischen Politik und ÖIAG ist aktuell vergiftet. Im Aufsichtsrat der Holding hat eine Clique von Millionären rund um die Industriellenvereinigung die Kontrolle erlangt, die womöglich weniger auf die Interessen der Republik achten als auf ihre eigenen. Diese Kritik kommt nicht nur von Kritikern aus der linken Reichshälfte, also etwa von SPÖ und Arbeiterkammer, sondern auch beispielsweise vom ÖVP-nahen Nationalbankpräsidenten Claus Raidl, der von einer Insiderclique und „einer Art Selbstbedienung“ im ÖIAG-Aufsichtsrat spricht. Im Sommer wählte der ÖIAG-Aufsichtsrat den Manager Siegfried Wolf zum Chef, der wegen seiner Nähe zu Frank Stronach und Wladimir Putin umstritten ist. Eine Personalentscheidung gegen den Willen der Regierungsparteien.
Warum schaut die Politik dabei zu?
Die Regierung hat formal keinen Einfluss auf die Besetzung des Aufsichtsrats. Denn auf Basis des in der schwarz-blauen Ära novellierten ÖIAG-Gesetzes erneuert sich der Aufsichtsrat aus sich heraus; soll heißen, die Mitglieder nominieren ihre eigenen Nachfolger. „Einen Fehler“ nennt diesen Modus etwa Karl Aiginger, Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts. „Die Republik als Eigentümer delegiert Entscheidungen an eine Personengruppe und verliert durch die Selbsterneuerung immer mehr die Möglichkeit, Ziele festzusetzen.“ Den Fehler will die jetzige Regierung korrigieren: Jüngst beschlossen SPÖ und ÖVP, dass sie als ÖIAG-Eigentümer nicht auf eine Repräsentanz im Aufsichtsrat verzichten können. Die Regierungsparteien wollen also in Zukunft bei der Bestimmung der ÖIAG-Aufsichtsräte wieder entscheidend mitbestimmen.
Was ist von dieser Repolitisierung zu erwarten?
Es bedeutet, dass die gesamte ÖIAG neu aufgestellt werden könnte. Während der Amtszeit von ÖVP-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel wurde die ÖIAG von der Politik als reine Ausverkaufsgesellschaft verstanden, das oberste Credo lautete Privatisierung. Es gibt mittlerweile aber auch wieder andere Ideen, was die ÖIAG leisten könnte: Zum Beispiel kann sie als Instrument dafür dienen, dass der Staat auch künftig als Unternehmer auftritt und im Sinne seiner Bürger und des Allgemeinwohls handelt und wirtschaftet.
Der Staat als Unternehmer, ist das nicht ein Konzept von vorgestern?
Ganz so einfach ist es nicht. Es ist richtig, dass die verstaatlichte Industrie in den 70er-Jahren unter SPÖ-Bundeskanzler Bruno Kreisky in eine massive Krise geriet. Als Reaktion folgte eine Privatisierungswelle, die auch von vielen Linken als alternativlos betrachtet wurde und die bis heute nicht verebbt ist. Doch spätestens seit der Finanzkrise 2008 gilt auch die Politik der Liberalisierung und Privatisierung in einigen Bereichen als gescheitert. Denn als die Wirtschaft in der Krise krachte, waren es erst wieder die Staaten, die für die Crashfolgen bezahlen mussten. Dass also der Staat unter allen Umständen ein schlechterer Eigentümer ist als ein Privater und dass die Masse von Privatisierungen ausnahmslos profitiert, dieses Dogma steht nun wieder infrage.
Was waren denn die Probleme der verstaatlichten Industrie in den 70er-Jahren?
Um das zu verstehen, muss man begreifen, was in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg geschah. Damals wurden in Österreich Industriebetriebe im heute unvorstellbaren Ausmaß verstaatlicht, vor allem um einer Enteignung durch die Sowjets zuvorzukommen. Noch 1957 arbeitete fast ein Drittel der österreichischen Beschäftigten in Unternehmen, die direkt oder indirekt Staatsbetriebe waren – indirekt heißt, dass sie beispielsweise im Besitz verstaatlichter Banken waren. Ein Viertel der heimischen Exporte und ein Drittel der Industrieproduktion stammte von Staatsbetrieben.
Das waren ja sozialistische Verhältnisse.
Aus heutiger Sicht wirkt das so. Doch damals entsprach es dem Geist der Zeit, auch vonseiten vieler Konservativer. Der österreichische Staat war ihnen als Besitzer willkommener als etwa die Sowjetunion. Außerdem hatten die Menschen noch die Weltwirtschaftskrise von 1929 im Hinterkopf, die von Exzessen auf weitgehend unregulierten Märkten ausgelöst worden war.
Nun, offenbar hat dieses Konzept nicht funktioniert.
Lange Zeit funktionierte es durchaus. Bis in die 1970er-Jahre arbeiteten Österreichs Staatsbetriebe profitabel und spülten sogar Geld in die Staatskassen. Danach jedoch häuften sich die Probleme. Dafür gab es mehrere Ursachen: zunächst ein internationaler Strukturwandel, der dazu führte, dass große Grundstoffindustrien wie der Stahlmarkt weniger bedeutend und profitabel wurden – also genau jene Bereiche, auf die sich die Verstaatlichte spezialisiert hatte. Andererseits durften Staatsbetriebe aber auch nicht immer im Sinne ihrer Wirtschaftlichkeit arbeiten. Zu oft wollten die Parteien auf den Kommandobrücken der Betriebe mitregieren. Landesregierungen blockierten Reformen, oft mit Unterstützung der Betriebsräte; es gab Kompetenzstreitereien zwischen ÖIAG (vormals ÖIG), Bundespolitikern und Landesfürsten. Hinzu kommt, dass die Regierung mithilfe der verstaatlichten Betriebe begann, Arbeitsmarktpolitik zu betreiben, um die Arbeitslosenzahlen in der Krise in den 1970er-Jahren nicht in die Höhe schnellen zu lassen.
Das klingt, als ob das alles nicht lange gutgehen konnte.
Genau. Aus all diesen Gründen verloren die Betriebe an Wettbewerbsfähigkeit, ihr Eigenkapital schrumpfte. Dies führte zu großen Pleiten, etwa der des damals staatlichen Stahlriesen Voest in den 1980er-Jahren.
Woraufhin die Privatisierungen begannen …
Richtig. Unternehmen von Simmering-Graz-Pauker über Böhler-Uddeholm bis zur AUA wurden verkauft. Im großen Ausmaß wurden die Privatisierungen zuletzt von der schwarz-blauen Regierung Schüssel betrieben. Die ÖIAG wurde unter Schüssel sogar per Gesetz als Privatisierungsagentur definiert. „Das Privatisierungsmanagement ist eine wesentliche Aufgabe der Gesellschaft“, steht auf ihrer Website.
Sind die Privatisierungen denn erfolgreich gewesen?
Hier lässt sich schwer ein Gesamtbefund erstellen. Betriebe wie Voest-Alpine, Vamed oder die teilprivatisierte OMV konnten als wichtige Player am internationalen Markt reüssieren. Bei ihnen wurde darauf geachtet, dass die Wertschöpfung weiterhin in Österreich stattfindet. Andere wanderten aus Österreich ab oder wurden unter ihrem Wert verscherbelt, etwa der Reifenhersteller Semperit oder die Austria Tabak. Privatisierungsskeptische Organisationen wie die Arbeiterkammer weisen darauf hin, dass dem Staat durch Privatisierungen Milliarden an Konzerngewinnen entgangen seien. Dem jedoch kann man entgegenhalten, dass man ja nicht weiß, wie sich Gewinne entwickelt hätten, wären die Betriebe nicht privatisiert worden. Außerdem zahlen lukrative Betriebe ja Steuern auf ihre Gewinne – sofern sie in Österreich bleiben.
Gehören heute alle Betriebe, die noch in Staatshand sind, zur ÖIAG?
Wenn es so einfach wäre. Wichtige Betriebe wie die Casinos Austria, die ÖBB und die Bundesforste gehören etwa zur Nationalbank oder zu Ministerien, etwa dem für Infrastruktur oder dem für Landwirtschaft. Und auch die Länder besitzen noch große Unternehmen, vor allem im Energieund Finanzbereich. Welcher Betrieb zu welchem Bereich des Staates gehört, das hat jeweils spezifische historische und politische Gründe. Als quasi unfreiwilliger Staatsbesitz gehört zur ÖIAG die Fimbag, die Finanzmarktbeteiligungsgesellschaft. Diese enthält etwa die Hypo Alpe Adria und die Kommunalkredit, also jene Banken, die in der Krise notverstaatlicht wurden.
Wie geht ’s jetzt weiter mit der ÖIAG?
Ihre Zukunft ist unklar. Von einer Auflösung bis zu einer Vergrößerung, etwa durch die Einbeziehung von Betrieben wie Verbund und ÖBB, ist alles denkbar. Auch eine Fusion von Verbund und OMV haben einige im Hinterkopf. Die Regierung plant seit 2006 eine ÖIAG-Reform. Klar scheint jedenfalls, dass der Staat weiterhin die strategische Hoheit über Kernbereiche wie Energie, Verkehr und Wasser behalten muss.
Und wo steht sie derzeit?
Bei der jüngsten Regierungsklausur hat man sich auf besagte Repolitisierung des ÖIAG-Aufsichtsrates geeinigt. Weiters wird in einer regierungsinternen Arbeitsgruppe an weiteren ÖIAG-Reformen gearbeitet. Es gibt Pläne, die ÖIAG in zwei Gesellschaften zu teilen: eine für Infrastruktur wie ÖBB und Asfinag, die zweite für andere Unternehmen. Dann hätte nicht nur das (schwarze) Finanzministerium auf die ÖIAG Einfluss, sondern auch das (rote) Infrastrukturministerium. Auch soll laut Kurier der derzeitige Verbund-Finanzvorstand Peter Kollmann als neuer ÖIAG-Chef im Gespräch sein. All diese Reformen stehen jedenfalls im Zeichen der Frage, inwieweit sich der Staat künftig noch als Unternehmer betrachtet – oder eben nicht.
Was gehört alles zur ÖIAG?
OMV 31,5 %
Telekom Austria 28,42 %
Post 52,85 %
IMIB Immobilien- und Industriebeteiligungen 100 %
FIMBAG Beteiligungen an Problembanken 100 %
GKB stillgelegte Bergbaureviere 100 %
APK Pensionskassa 29,95 %