25. April 2013 · 12:15
Aus dem FALTER 17/2013
Vor genau 140 Jahren eröffnete Wiens pompöse Weltausstellung. Heute sind ihre Hinterlassenschaften aus dem Stadtbild verschwunden. Bis auf wenige Ausnahmen
Spurensuche: Joseph Gepp
Man muss schon wissen, was sich hier befand, um an diesem Ort irgendetwas Interessantes zu finden. Der Rotundenplatz im zweiten Bezirk ist grau, unauffällig und schmucklos. Das Gelände hinter dem Prater wirkt vorstädtisch und verloren, trotz seiner zentralen Lage. Zur Linken erhebt sich der fast fertige Neubau der Wirtschaftsuniversität. Rechts liegt etwas verwaist die Trabrennbahn Krieau. Dazwischen wirbeln Autos Baustellenstaub auf, wo einst die höchste Kuppel der Welt stand.
„Rotunde“ hieß das Gebäude, das diesen Platz einst prägte, 108 Meter ragte die Kuppel in den Himmel. Im Herbst 1937 brannte die Rotunde nieder. Zuvor hatte der 1873 eröffnete Bau als eines der Wahrzeichen von Wien gegolten. Nach dem Brand sollte es immerhin ganze zwei Jahrzehnte dauern, ehe ein Gebäude mit höherer Kuppel errichtet wurde, die Messehalle von Belgrad.
Die Rotunde, entworfen vom Briten John Scott Russell und dem Österreicher Carl Hasenauer, bildete das Kernstück einer Veranstaltung, wie sie Wien davor und danach nie wieder erlebt hat. Vor genau 140 Jahren, am 1. Mai 1873, eröffnete in Wien mit Pomp und Trara die fünfte internationale Weltausstellung.

Die Wiener Rotunde 1873 (Foto: Bezirksmuseum Leopoldstadt)
Weltausstellungen würdigten die industriellen und kulturellen Errungenschaften der damaligen Zeit. Die erste fand 1851 in London statt. Mit jener von 1873 in Wien – der bislang größten und der ersten im deutschsprachigen Raum – befassen sich heuer anlässlich des Jubiläums zwei Ausstellungen, eine im Bezirksmuseum Leopoldstadt und eine im Wien Museum am Karlsplatz. Die Weltausstellung sollte Wien als internationale Metropole mit Paris und London gleichstellen. Sie symbolisierte die Wucht der industriellen Revolution ebenso wie die Macht der österreichisch-ungarischen Monarchie. Heute jedoch erinnern nur wenige unauffällige Reste an die Wiener Weltausstellung. Sie liegen verstreut im Prater, im restlichen Wien und sogar in Graz.

(Foto: Bezirksmuseum Leopoldstadt)
Zwei davon sind gar nicht weit weg vom Rotundenplatz. Direkt an der Hauptallee gelegen, kennt sie fast jeder Wiener, obwohl sie kaum jemand mit der Weltausstellung assoziiert. Das heutige Restaurant Meierei war einst die „Amerikanische Trinkhalle von Benford“, Teil der US-amerikanischen Sektion der Weltausstellung. Die Bar im US-Stil sollte den Ausstellungsgästen das Flair der Neuen Welt näherbringen. Unweit davon liegt der Konstantinhügel, ein künstlich angelegter Spazierhügel, benannt nach einem Bauleiter der Weltausstellung. Der Berg, von dem heute im Winter die Kinder rodeln, stammt vom Aushub der Rotunde. Oben betrieb Eduard Sacher zur Zeit der Ausstellung ein Kaffeehaus. Das Gebäude brannte allerdings im Jahr 1977 ab, heute steht nur noch die Umfassungsmauer.
Die Amerikanische Trinkhalle und der Konstantinhügel lagen ganz am Rand eines riesigen Ausstellungsgeländes, das ungefähr vom Wurstelprater bis zum heutigen Ernst-Happel-Stadion reichte. Wer Fotos und Pläne von damals sieht, dem offenbart sich eine richtiggehende Parallelwelt, die vor 140 Jahren dem Prater entwuchs. Im Zentrum des Areals standen die Rotunde und der „Industriepalast“, eine große, vielflügelige Ausstellungshalle, in der einzelne Länder ihre neuesten technischen Erzeugnisse vorführten. Rundherum wurden rund 200 exotisierende und eklektizistische Bauten hochgezogen. Sie sollten die Welt nach Wien holen. Die Elsässer Farm, das ungarische Csárdás-Weinhaus, die ägyptische Moschee samt Wohnhaus, der nachgebaute Ahmed-Brunnen von Konstantinopel oder eben die Amerikanische Trinkhalle – all das und noch viel mehr hatte sich im Prater zusammengefunden.

(Foto: Bezirksmuseum Leopoldstadt)
Heute erinnern nur einige Straßennamen an die einstige Größe der Weltausstellung. Die Rotundenallee und die Südportalstraße führen zum einstigen Haupteingang des Geländes. Eine Station der Lilliputbahn im Prater heißt bis heute „Rotunde“. Nicht zuletzt ist es auch der Weltausstellung zu verdanken, dass die heutige Straßenbahnlinie 1 bis an die Hauptallee führt, erklärt Gertraud Rothlauf, Kuratorin im Leopoldstädter Bezirksmuseum. „Die Straßenbahntrasse verband damals die Innenstadt mit dem Ausstellungsgelände.“ Abgesehen davon wurden jedoch die meisten Gebäude der Weltausstellung bald nach 1873 wieder abgerissen. Sie waren überflüssig geworden, ihre Erhaltung wäre teuer gekommen. Was überlebte, bestand oft nur deshalb fort, weil es später bei anderen Gebäuden Verwendung fand. So wie der Minervabrunnen.

Minervabrunnen (Foto: Gepp)
Der Wandbrunnen findet sich nicht im Prater, sondern am Stubenring, zwischen Universität und dem Museum für angewandte Kunst. Auch ihn kennen viele vom Sehen. Einst hatte der marmorne Brunnen ein Gebäude der Weltausstellung geziert. Nach deren Ende erwarb ihn Rudolf Eitelberger, damals Direktor des k.k. Österreichischen Museums für Kunst und Industrie, für sein Haus. Schließlich passte das dazugehörige Mosaik aus venezianischem Glas auch gut zu Eitelbergers Museum: Es stellt Minerva dar, die römische Göttin für Handwerk und Gewerbe.

Pavillon im Schulgarten Kagran (Foto: Wiener Stadtgärten)
Mehrere Artefakte von der Weltausstellung wanderten wie der Minervabrunnen durch die Stadt. So stieß im Jahr 1998 ein Gärtner der Wiener Stadtverwaltung hinter einer Villa in der Döblinger Cobenzlgasse – er nahm hier an einer Baumentfernung teil – auf einen kleinen Pavillon. Ein Oberst aus dem Ersten Weltkrieg hatte ihn einst aus Beständen der Weltausstellung gekauft. Das gusseiserne, reich verzierte Salettl, das inzwischen längst baufällig und vergessen war, hatte nahe der Rotunde wohl als Unterstand für ein Orchester oder eine Kaffeebar gedient. Die Erben des Obersts vermachten den Pavillon der Gemeinde Wien. Heute steht er im Schulgarten Kagran im 22. Bezirk. Zwischen Gewächshäusern und angehenden Floristen, die Beete beackern, wird er gern für Hochzeiten genutzt.

Grazer Stadtparkbrunnen (Foto: Wikipedia)
Ein anderer Restbestand der Weltausstellung schaffte es sogar bis in die steirische Hauptstadt. Der Grazer Stadtparkbrunnen stand einst im Inneren der Rotunde, direkt unter der Kuppel. Dort markierte das filigrane Werk eines französischen Erzgießers den Mittelpunkt des Prachtbaus. Als die Weltausstellung zu Ende ging, hatten die Grazer gerade ihren Stadtpark angelegt, der mondäne Brunnen kam ihnen gerade recht. Gleich nach dem Ende der Weltausstellung 1873 erwarb ihn die Stadt Graz für 31.000 Gulden, nach heutiger Kaufkraft ca. 360.000 Euro.
Die Veranstalter der Weltausstellung konnten das Geld gut brauchen. Denn ihr Event hatte sich, kaum eröffnet, als beispielloses Desaster erwiesen. Am 9. Mai 1873, nur eine Woche nach der pompösen Eröffnung, stürzten an der Wiener Börse die Aktienkurse ab. Wiens „Schwarzen Freitag“ nennt man den Börsenkrach heute. Schuld daran war nicht zuletzt die ambitionierte und teure Weltausstellung selbst: Sie hatte zu einem Bauboom in Österreich-Ungarn geführt, der die Börsenkurse und Immobilienpreise explodieren ließ. Nun läutete der Schwarze Freitag von 1873 eine jahrelange Wirtschaftskrise in ganz Europa ein, die viele Parallelen zur heutigen aufweist.
Die Flaute traf die Weltausstellung empfindlich. Als sie im November 1873 zu Ende ging, waren statt der erwarteten 20 Millionen Besucher nur 7,2 Millionen gekommen. Das Defizit war so riesig, dass das Geld nicht einmal reichte, um die Rotunde wie geplant wieder abzureißen.
So endete das repräsentative Großereignis eher sang- und klanglos. Viele Wiener waren wohl froh darüber. Während der Weltausstellung hatten Zeitungen immer wieder über Wucherpreise in Restaurants und für Fiakerfahrten geklagt. Nun verschwanden die internationalen Gäste ebenso wie die künstliche Welt im Prater.
Neben der Rotunde und der heutigen Meierei blieben lediglich zwei Gebäude bis heute stehen. Sie liegen versteckt zwischen der Trabrennbahn Krieau und dem Stadion. Die beiden gegenüberliegenden „Pavillons des amateurs“, wie man sie damals nannte, lagen am Rand des Weltausstellungsgeländes. In ihnen gab es Kunst und Kunsthandwerk zu sehen.
Der nördliche Pavillon wurde im Zweiten Weltkrieg bombardiert und stark verändert wiedererrichtet. Der südliche hingegen steht immer noch da wie im Jahr 1873. Hinter einem Zaun, mitten im wuchernden Grün, liegt ein Prachtbau mit hohen Fenstern und Doppeladlern auf der Fassade.

Foto: J. Gepp
„Der Kunst“ steht bis heute über den Säulen des Portals. Nach der Weltausstellung riss man die Pavillons im Gegensatz zu anderen nicht ab. Sie sollten Künstlern als Ateliers dienen. Das Unterrichtsministerium vermietet die etwas heruntergekommenen Gebäude an Bildhauer, unter anderem wirkten hier Alfred Hrdlicka und Anton Hanak.
Der Architekt Carl Hasenauer, der die beiden Gebäude entworfen hatte, setzte sein dafür entworfenes Gebäudearrangement sowie das Lichtkonzept Jahre später erneut bei einem Gebäudeensemble ein: dem Kunst- und dem Naturhistorischen Museum am Ring. Im Gegensatz zum Gesamtkunstwerk Ringstraße ist den Praterpavillons jedoch ihr Umfeld abhanden gekommen.
Ziemlich deplatziert stehen sie heute in der Brache zwischen Prater und Stadion. Wenn man es nicht weiß, dann fragt man sich, was diese Bauten hier wohl zu suchen haben. Wenn man es aber weiß, dann ahnt man, welch enorm große Veranstaltung die Wiener Weltausstellung einmal war.
Wo man Reste der Weltausstellung findet
Standort der Rotunde 2., Rotundenplatz
Amerikanische Trinkhalle Meierei im Prater, 2., Hauptallee 3
Konstantinhügel gegenüber 2., Hauptallee 24
Minervabrunnen 1., Stubenring 5
Pavillon Schulgarten Kagran, 22., Donizettiweg 29 (Öffnungszeiten: siehe wien.gv.at)
Praterateliers 2., Meiereistraße 3
Stadtparkbrunnen Stadtpark, Graz
Ausstellungen
„Die Rotunde“: Bis 30.6. im Bezirksmuseum Leopoldstadt, 2., Karmelitergasse 9, Mi 16-18.30, So 10-13 Uhr
„Experiment Metropole“: ab November im Wien Museum, 4., Karlsplatz 8, Di-So 10-18 Uhr
Die Praterateliers: Streit um den Ruhepol in der dynamischen Leopoldstadt
:: Im Viertel nördlich des Praters hat sich in den vergangenen Jahren viel getan. Die Fußball-EM im Jahr 2008 brachte die Erschließung durch die U2. Gleich daneben entstanden die Neubauten des sogenannten Viertel Zwei samt OMV-Hauptquartier. Unweit davon soll im Wintersemester die neue Wirtschaftsuniversität eröffnen.
Inmitten dieser Dynamik schweben die beiden letzten Pavillons der Weltausstellung wie in einer Zeitkapsel. Bereits seit dem Jahr 1876, also kurz nach der Ausstellung, stehen sie Künstlern als Ateliers zur Verfügung. Die Bundesimmobiliengeschäft (BIG), die die Bauten im Jahr 2001 von der Republik übernahm, hatte jedoch damit ihre liebe Not. Denn allein mit den – preisreduzierten – Mieten der Bildhauer ließen sich die Ateliers weder erhalten noch sanieren, was immer notwendiger wurde.
„Wir sind verpflichtet, wirtschaftlich zu denken und zu agieren“, ließ die BIG in ihrem Kundenmagazin Big Business im Jahr 2008 wissen. Künstler wie die Bildhauerin Ulrike Truger wehrten sich gegen angebliche Pläne der BIG, Ateliers für Wirtschaftsseminare zu nutzen.
Im Jahr 2010 schließlich wurde der Konflikt gelöst, indem das Unterrichtsministerium auf 33 Jahre die wildromantischen, aber unrentablen Gebäude von der BIG übernahm. „Es war mein bildungspolitischer Wunsch, dass die Ateliers weiterhin der Kunst zur Verfügung stehen“, sagt SPÖ-Kulturministerin Claudia Schmied zum Falter. Seither gibt es Sanierungsarbeiten, neue Künstler sind eingezogen. In den kommenden Jahren sollen laut Bildungsministerium die Ateliers im Zug von Neuvermietungen nach und nach saniert werden.