Aus dem FALTER 23/2013
Im Internet fordern zehntausende die Wiedereinführung eines Eskimo Kulteises. Angeblich
Bericht: Joseph Gepp
Es gibt Geschichten, die lassen die Herzen von Marketingmenschen höher schlagen. Zum Beispiel die folgende.
Aus privater Leidenschaft gründet ein Mann eine Facebook-Gruppe, um sich für die Wiedereinführung seines Lieblingsprodukts aus der Kindheit einzusetzen. Innerhalb weniger Wochen unterstützen ihn wider Erwarten zehntausende Menschen. Doch der Konzern, an den sich die Appelle richten, ziert sich. Die alten Produktionsanlagen würden nicht mehr existieren, heißt es in Presseaussendungen. Zudem gebe es die Originalrezepte nicht mehr, und überhaupt sei im Supermarktregal wenig Platz. Schließlich jedoch gibt der Konzern klein bei. Er verkündet die Wiedereinführung des Produkts; die Fans jubeln.
Genau das ist Anfang des Jahres beim „Tschisi“ geschehen, einem Eis am Stiel mit Vanillegeschmack aus den 90er-Jahren. Es sieht aus wie ein Schweizer Käse. Fans schreiben dem Tschisi gerne einen gewissen Kultcharakter zu.
Protagonisten der Geschichte: Peter Brandlmayer, Salzburger, Graswurzelkämpfer für die Rückkehr von Tschisi und im Zivilberuf Moderator bei einem kleinen Privatradio. Dazu Eskimo, das österreichische Tochterunternehmen des multinationalen Lebensmittelriesen Unilever. Und schließlich 80.000 Österreicher, die auf Brandlmayers Facebook-Seite erklärten, sie wollten das Tschisi-Eis zurück – also jeder Hundertste im Land.
Mitte Oktober 2012 begann Brandlmayer seine Initiative. Im Februar 2013 schließlich kapitulierte Eskimo aufgrund des regen Zulaufs. Man sei „weichgeklopft worden“, hieß es in einer Aussendung.
Zu diesem Zeitpunkt war die Tschisi-Geschichte bereits eine Art Schulbuchbeispiel in Sachen Markenbindung geworden. Es zeigt, wie viel Wucht und Dynamik Konsumenten entfalten können, wenn sie sich in sozialen Netzwerken im Internet organisieren. Und es zeigt, wie emotional Kunden an Produkten aus ihren Kindheitstagen hängen. Ganz so wie bei einer zweiten Süßigkeit mit Retrocharme, die es zurzeit häufig in die Schlagzeilen schafft: den Schwedenbomben der insolventen Wiener Firma Niemetz.
Im Fall Tschisi stellt sich jetzt aber heraus: Die Sache war wohl ein großer Schmäh. Peter Brandlmayer, Anführer von „Wir wollen das Tschisi-Eis zurück“, fungierte wohl als Frontmann eines äußerst geschickten Marketingcoups. Darauf deutet zumindest ein schwerwiegendes Indiz hin.
Am 18. Oktober 2012 gründet Brandlmayer seine Tschisi-Gruppe. „Bei einem Glaserl Wein“, schreibt er, sei er auf die Idee gekommen, 100.000 Unterstützer für die Wiedereinführung seines Lieblingseises zusammenzubekommen.
Am 4. Oktober jedoch, zwei Wochen vor Gründung der Gruppe, hinterlässt Brandlmayer eine verräterische Spur im Internet. Im Onlinedienst Twitter schreibt er: „I’m at Spinnwerk, Wien.“ So heißt jene Werbeagentur im fünften Bezirk, die die Social-Media-Agenden von Unilever betreut.
Hintergrund des Tweets: Brandlmayer verwendet Foursquare, eine Internetspielerei. Dabei loggt man sich an Orten ein, die man gerade frequentiert. Solcherart sammelt man Punkte und konkurriert mit anderen Usern von Foursquare.
War die Tschisi-Kampagne also ein abgekartetes Spiel? Eine inszenierte Werbeaktion, die nostalgischen Kunden weismachte, sie würden ihre Wünsche gegen einen Konzern durchsetzen – dabei ließen sie sich von genau diesem als Werbeträger und Mundpropagandisten einspannen?
Nein, sagt Brandlmayer auf Falter-Nachfrage. Zwar leugnet er nicht, Anfang Oktober bei Spinnwerk gewesen zu sein – doch alles sei reiner Zufall. „Der Kreativchef von Spinnwerk ist ein alter Schulfreund von mir, den ich immer wieder mal in Wien besuche“, sagt Brandlmayer, „über Tschisi haben wir nicht gesprochen.“ Der ange-sprochene Werbemann, Roland Trnik, bestätigt Brandlmayers Angaben, räumt aber auch ein: „Von der Optik her verstehe ich, dass die Angelegenheit nicht gut ausschaut.“
Auch bei Eskimo beharrt man darauf: Die Aktion entstand aus privater Leidenschaft, die Verbindung ihres Initiators zur zuständigen Werbeagentur sei Zufall. „Wir haben weder die Facebook-Seite gestartet, noch waren wir auf ihr tätig“, sagt Rebecca Widerin, die strategische Leiterin bei Eskimo. „Und auch in unserem Auftrag hat das niemand getan.“ Widerin betont auch, dass Konsumenten bereits seit der Abschaffung des Tschisi im Jahr 1999 immer wieder dessen Wiedereinführung verlangten, „die aktuelle Facebook-Kampagne ist da nur ein Teil davon“.
Wie auch immer: Der Erfolg der Tschisi-Aktion war überwältigend. Zeitungen porträtierten den beherzten Eisfan Brandlmayer. Im Internet feierten tausende User ihren Sieg über den Konzern. Eine Tschisi-Comeback-Party im Volksgarten Ende Februar steigerte zusätzlich die Bekanntheit des Produkts. Die Verkaufszahlen übertrafen schließlich alle Erwartungen: Seit Saisonbeginn im März hat Eskimo laut eigenen Angaben fünf Millionen Tschisi verkauft. Diese Menge geht beispielsweise bei Magnum in über einem Jahr über den Ladentisch.
Es war übrigens nicht das erste Mal, dass sich Eskimo bei der Wiedereinführung alter Eissorten vom vorgeblichen Druck der Konsumenten leiten ließ. In den 90er-Jahren führte das Buch „Wickie, Slime & Paiper“ zu einem Hype um das Paiper, ein Fruchteis aus den 70er-Jahren. Nicht Facebook, sondern Unterschriftenlisten führten damals dazu, dass Eskimo im Jahr 2000 das Paiper wieder einführte.
Vier Jahre darauf wurde es allerdings zum zweiten Mal abgeschafft. Das Interesse war rasch wieder abgeklungen.
ANMERKUNG: Der Mann heißt Peter Brandlmayr, nicht Brandlmayer. Ich bedaure den Fehler.