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Von Füchsen, Checkern und Helden

Aus dem profil 37/2015

Wie Österreichs unübersichtliches Mietrecht eine neue Branche hervorbringt.

Von Joseph Gepp und Christina Hiptmayr

Mieterschutz in Österreich ist traditionell Sache der Politik. Speziell einer Partei: der SPÖ. Seit den Tagen des Roten Wien setzt sich die traditionsreiche „Mietervereinigung Österreichs“ (MVÖ) für die Belange der Mieter ein – offiziell ein privater Verein, der jedoch kein Geheimnis daraus macht, eine sozialdemokratische Vorfeldorganisation zu sein. MVÖ-Chef Georg Niedermühlbichler ist zugleich Landesparteisekretär der SPÖ-Wien.

Es wäre nicht Österreich, gäbe es nicht auch ein schwarzes Pendant: den Mieterbund. Er ist deutlich kleiner als die MVÖ, versteht sich die ÖVP doch als die Partei der Eigentümer. Der Mieterbund betont auf seiner Website, die Interessen der Mieter „auch gegenüber der (roten, Anm.) Stadt Wien“ zu vertreten. Die Wiener ÖVP-Granden Manfred Juraczka und Alfred Hoch sitzen im Präsidium der Organisation. Das Thema Mieten ist also auch im Jahr 2015 eine hochpolitische Angelegenheit. Zumindest bisher.

Denn nun steigen erstmals auch private Unternehmen groß in das Betätigungsfeld „Mieterschutz“ ein. In den vergangenen Jahren ist eine neue, vorläufig völlig unregulierte Branche entstanden. Zu finden ist sie im Internet. Dort bieten Websites wie mieterunter.at, mietheld.at, mietfuchs.at und mietenchecker.at ihre Dienste an. Sie überprüfen, ob die Höhe der Miete gerechtfertigt ist und gehen gegebenenfalls gerichtlich gegen die Vermieter vor. „Natürlich arbeiten wir profitorientiert“, sagt Christian Pultar, ein 58-jähriger Steuerberater aus Niederösterreich und Geschäftsführer von mieterunter.at, dem größten der Portale. Im Jahr 2013 gegründet, betreut mieterunter.at mittlerweile laut eigenen Angaben Hunderte Mietstreitsfälle und beschäftigt vier Vollzeitkräfte.

Das Geschäftsmodell: Die Firmen analysieren – üblicherweise gratis -, ob eine Anfechtung der Miethöhe Erfolg verspricht. Wenn ja, finanzieren sie den betroffenen Mietern den Rechtsbeistand. Oder sie organisieren selbst Anwälte für ein etwaiges Verfahren bei der zuständigen Schlichtungsstelle oder vor Gericht.

Muss der Vermieter am Ende tatsächlich Geld an den Mieter zurückzahlen, erhält die jeweilige Firma daran einen Anteil. Bei mieterunter.at zum Beispiel beträgt der Standardsatz laut Pultar 30 Prozent.

„Prozessfinanzierung“ nennt sich diese Dienstleistung, die in den 1990er-Jahren in den USA entstand – anfänglich kam sie dort nur bei teuren und aufwendigen Gerichtsverfahren aller Art zur Anwendung. Der Gedanke dahinter: Wenn der Kläger sämtliche Kosten, etwa für Anwälte und Sachverständige, alleine tragen müsste, würde er wohl vor einem Verfahren zurückscheuen. Nun aber hat er den Prozessfinanzierer im Rücken -gegen die nachträgliche Bezahlung im Erfolgsfall. Eine Art Versicherung für Nichtversicherte.

Logo von mietheld.at

Logo von mietheld.at

Inzwischen ist die Prozessfinanzierung auch nach Europa geschwappt. Und immer häufiger kommt sie auch bei kleinen Streitfällen zur Anwendung. Wer Fluglinien aufgrund von Verspätungen auf Rückzahlung des Ticketpreises klagen will, kann die Hilfe der deutschen Website refund.me in Anspruch nehmen. Eine andere (geblitzt.de) bietet sogar an, Strafzettel für zu schnelles Autofahren auf Unregelmäßigkeiten zu überprüfen. Vielleicht zahlt sich ja der Versuch aus, die Geldstrafe anzufechten.

Einen Befähigungsnachweis braucht es für die Karriere als Prozessfinanzierer nicht. Jedem steht sie offen, sofern er eine ansprechende Website gestalten kann und über juristisches und kaufmännisches Wissen verfügt. Zudem unterstehen die Prozessfinanzierer keinerlei staatlichen Kontrolle.

Dementsprechend schießen diese Plattformen derzeit wie die sprichwörtlichen Schwammerln aus dem Boden. In Österreich widmen sie sich bislang ausschließlich dem komplexen Thema Mieten. Das Mietrecht mit seinen immensen Interpretationsspielräumen bietet ein breites Betätigungsfeld. „Marktübliche Mieten im Altbau sind in der Regel gesetzeswidrige Mieten“, stellt etwa die Mietervereinigung fest. Guter Boden also für Prozessfinanzierer.

Sie kontrollieren etwa, ob bei befristeten Mieten auch der sogenannte Befristungsabschlag von 25 Prozent abgezogen wurde. „Auf den vergessen die Vermieter besonders gern“, sagt der 29-jährige Michael Auttrit, studierter Jurist und Betriebswirt und einer der Gründer der Plattform mietfuchs.at. Dafür werde häufig ein höherer Lagezuschlag als rechtlich zulässig verrechnet. Auch überhöhte Maklerrechungen würden ahnungslosen Mietern oft in Rechnung gestellt.

„Plattformen wie unsere sind eine unkomplizierte Alternative zu den parteinahen Mieterschutzorganisationen“, sagt Auttrit. „Dort muss man jahrelang Mitgliedsbeiträge zahlen und mit Wartezeiten rechnen, bei uns nicht.“

Doch wie hoch die Provision ist, die der Prozessfinanzierer am Ende tatsächlich kassiert, das ist aufgrund des Dickichts an Tarifen oft nicht viel weniger kompliziert als das heimische Mietrecht, dessen Finten es zu bekämpfen gilt.

MVÖ-Präsident Niedermühlbichler entgegnet, es gebe zwar Mitgliedsbeiträge, zugleich bleibe aber auch der gesamte erstrittene Betrag beim Mieter. Außerdem verweist er auf die langjährige Erfahrung der MVÖ-Experten und ihre zahlreichen Kontakt, etwa zu Hausverwaltungen.

Das Mietrecht hat jedenfalls dafür gesorgt, dass eine gänzlich neue Branche entstanden ist, die bei Streitigkeiten zwischen Mietern und Vermietern mitzuschneiden hofft. Mietfuchs.at-Gründer Auttrit glaubt allerdings, dass viele der neuen Unternehmen bald wieder verschwinden werden. Manche der jungen Projekte würden nicht über genug juristisches Know-how verfügen. „Und es braucht auch einiges an Kapital. Weil für Verfahren, die nicht im Sinn des Mieters ausgehen, muss man ja bezahlen“, so Auttrit.

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Nullsummenspiel

Aus dem profil 37/2015

Eine Stadt, zwei Wahrnehmungen: Die einen klagen über zu hohe Mieten in Wien, die anderen über mickrige Renditen bei Eigentumswohnungen. Taugt die Immobilie noch als Anlageobjekt?

Von Joseph Gepp und Christina Hiptmayr

Als Richard Totzer* im Jahr 2011 die Entscheidung traf, hielt er sie für die beste seines Lebens. Um etwas mehr als 200.000 Euro kaufte er eine Eigentumswohnung, um sie anschließend zu vermieten. Totzer kratzte seine Ersparnisse zusammen, legte einen Bankkredit oben drauf, und fertig war das Investment. Ein ruhiges Eck in einem quirligen Teil Wiens, 6. Bezirk, 90 Quadratmeter. Sogar eine Gartenparzelle ist dabei. „Trotzdem stelle ich heute fest“, so der Mittvierziger, „dass ich fast nichts an der Wohnung verdiene.“

Hanna Maurer* kann das nicht nachvollziehen. Sie ist seit ein paar Jahren auf der Suche nach einer größeren Wohnung. Genau genommen, seit sich Nachwuchs angekündigt hat. Mittlerweile steht die kleine Tochter knapp vor ihrem vierten Geburtstag. Und schläft immer noch im Zimmer der Eltern. Dabei sind die Ansprüche der Familie nicht hoch: „Anna soll ihr eigenes Kinderzimmer haben. Wünsche, wie einen kleinen Balkon, haben wir uns längst abgeschminkt“, sagt die junge Frau. Die Maurers, beide berufstätige Akademiker, haben eine absolute Schmerzgrenze: 950 Euro. Eine höhere Miete können sie sich nicht leisten. Doch erschwingliche Objekte seien nicht zu finden. Und wenn, sind sie schnell vergeben. „Die Eigentümer verlangen Wuchermieten“, ist Maurer deshalb überzeugt.

Eine Stadt, zwei Wahrnehmungen: Mieter klagen über enorm gestiegene Mieten – in Wien genauso wie in anderen Ballungsräumen Österreichs. Wohnungseigentümer hingegen behaupten, sie könnten mit dem Vermieten kaum noch Erträge generieren. Ein Paradoxon, so scheint es. Wie ist diese Diskrepanz möglich?

Wer das wissen will, muss seinen Blick weit über Österreich hinaus richten, auf die Lage der Weltwirtschaft: Seit der Finanzkrise ist die Nachfrage nach Immobilien als Kapitalanlage groß wie nie zuvor. Die Achterbahnfahrten auf den Aktienmärkten (wie zuletzt die Börsenturbulenzen in China), Sparbuchzinsen, die entlang der Nulllinie grundeln, die Angst vor massiver Inflation, trieben Anleger in ein Investment, von dem sie sich Stabilität erhofften. „Immobilien gehören in jedes Portfolio“, bekamen sie von ihren Beratern zu hören. Immerhin werden dem Grundeigentum Eigenschaften zugeschrieben, die keine andere Investition zu bieten vermag: Es soll den Wert des investierten Kapitals erhalten, Schutz vor Inflation bieten und gleichzeitig in Form von Mieten regelmäßig Erträge abwerfen. Doch sind Immobilien tatsächlich der sichere Hafen, als der sie angepriesen werden? Und: Kann man mit ihrer Hilfe sein Vermögen nicht nur erhalten, sondern in Form von Mieterträgen auch vermehren?

Zweifel an der Sinnhaftigkeit von Immobilieninvestments scheinen die Anleger jedenfalls nach wie vor nicht zu plagen. Das belegen die Zahlen der Grundbuchauswertung durch das Maklernetzwerk Remax: Rund 21.500 Wohnungsverkäufe wurden von Jänner bis Juni 2015 in ganz Österreich verbüchert. Um 36 Prozent mehr als noch im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Ein Drittel aller Wohnungen wechselte in Wien den Besitzer -so viele wie nie zuvor.

Die enorme Nachfrage der vergangenen Jahre trieb die Preise in schwindelerregende Höhen. Von 2010 bis 2014 stiegen sie für gebrauchte Eigentumswohnungen in Wien um fast 60 Prozent, jene für neu errichtete um 25 Prozent. Die Inflationsrate belief sich im selben Zeitraum auf rund zwei Prozent jährlich.

Zwar ist der rasante Preisanstieg mittlerweile vorüber, „mit einem Fallen der Preise ist aber nicht zu rechnen“, meint Sandra Bauernfeind von EHL Immobilien. In Wien liegt der Durchschnittspreis derzeit bei rund 3500 Euro pro Quadratmeter. Auch Salzburg und Innsbruck erreichen in guten Lagen diese Werte.

Trotzdem folgt bei Richard Totzer auf die Euphorie langsam die Ernüchterung – genauso wie bei Tausenden anderen Anlegern, die dieselbe Erfahrung machen wie er: Die Zeiten, in denen regelmäßige Mieteinnahmen das Vermögen stetig in die Höhe trieben, sind eindeutig vorbei. Dafür sind die Anschaffungskosten für Immobilien schlicht zu teuer geworden. Denn für Immobilien gilt, wie für jedes andere Investment: Wer (zu) spät in einen boomenden Markt einsteigt, hat seine Chance auf Gewinne verpasst.

Noch vor zehn Jahren wurde etwa bei Vorsorgewohnungen – das sind Neubauwohnungen, die direkt vom Bauträger gekauft und dann weitervermietet werden – eine Rendite von sechs oder sogar sieben Prozent erreicht. „Manche Immobilienentwickler vermarkten ihre Wohnungen noch immer mit solchen Zahlen. Das ist eine Illusion“, ärgert sich Friedrich Noszek, Präsident des Zentralverbands Haus und Eigentum. Die Erträge sanken über die Jahre. Heute liege die mit Eigentumswohnungen in Wien erzielbare Rendite zwischen zwei und höchstens vier Prozent -in sehr guten Lagen, wie Richard Buxbaum von Otto Immobilien erklärt.

Brutto, wohlgemerkt. Bezieht man jedoch die Erwerbsnebenkosten, Instandhaltungsaufwand und sonstige Ausgaben mit ein, sieht die Rechnung gleich anders aus. Mehr als ein bis zwei Prozent Nettorendite braucht man dann nicht zu erwarten. Immer noch besser als derzeit etwa Anleihen abwerfen, die in puncto Sicherheit aber längst nicht mithalten können. Außerdem: Zur Werterhaltung über lange Zeit eignet sich eine Immobilie immer noch bestens. Allein die große Wertsteigerung sorgt dafür, dass man sich um eine Verarmung von Immobilienbesitzern keine Sorgen machen muss. Nur: Durch Vermietung kommt heutzutage nicht mehr viel herein.

Paradoxerweise stimmt gleichzeitig aber auch
die Wahrnehmung der Wohnungssuchenden Hanna Maurer. Denn nicht nur die Immobilienpreise, auch die Mieten sind empfindlich gestiegen. Zwischen 2010 und 2014 kletterten sie im gesamtösterreichischen Durchschnitt um rund 15 Prozent, in Wien sogar noch höher. Maurer spürt diesen Anstieg empfindlich, genauso wie viele andere Mieter. Immerhin ist man in Österreich wegen des Sozialen Wohnbaus und strenger Mietgesetze an Mieten gewöhnt, die im internationalen Vergleich immer noch niedrig ausfallen. Dass die Österreicher fürs Mieten rund ein Drittel des Haushaltseinkommens aufwenden müssen, ist ihnen neu.

Doch der Preisanstieg bei den Mieten fiel trotz aller Sprünge nicht so rasant aus wie der beim Eigentum. Deshalb schnellen die Mieten zwar in die Höhe, gleichzeitig nehmen die Renditen der Vermieter ab.

Der Umkehrschluss, dass jene, die ihr Eigentumsobjekt schon lange besitzen, das große Geld abschöpfen könnten, lässt sich aber auch nicht ziehen. Das zeigt das Beispiel von Peter Brandner*. Der Wiener nennt das sein Eigen, was viele Österreicher wohl für eine Art Lottosechser halten würden: ein Zinshaus in Wien-Ottakring. Er hat das 1910 erbaute Gebäude geerbt. Insgesamt 16 Wohnungen enthält es. Das Objekt gehört seit jeher seiner Familie. „Es hat einen hohen sentimentalen Wert für mich“, erklärt er.

Finanziell allerdings eher weniger. Im Durchschnitt komme er auf 3,90 Euro Miete pro Quadratmeter und Monat, rechnet Brandner vor. Als Wiens grüne Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou im Jahr 2012 eine Mietpreisbegrenzung auf sieben Euro forderte und dafür Proteste erntete, ließ ihn das kalt. Denn von Mieteinnahmen in dieser Höhe kann Brandner nur träumen.

Schuld daran trägt das sowohl bei Mietern wie Vermietern umstrittene Mietrechtsgesetz (MRG), das in seinen wesentlichen Eckpunkten fast 100 Jahre alt ist.

Bei den begehrten Altbauwohnungen gilt seit 1994 das Richtwertsystem, das den maximalen Preis pro Quadratmeter festlegt. Zu diesem Basiszins (in Wien aktuell 5,39 Euro pro Quadratmeter) kommen allerdings meist noch eine Reihe von Zuschlägen, etwa für die Lage des Hauses. Diese sind häufig höher als der Richtwert selbst. „Freie Mietzinsbildung“ ohne jegliche rechtliche Beschränkung gilt etwa für vermietete Eigentumswohnungen mit Baujahr nach 1945.

Wer das Glück hatte, seinen Mietvertrag vor 1994 abgeschlossen zu haben, unterliegt zudem der sogenannten Kategoriemiete. Deshalb gibt es nach wie vor Mieter, die im parkettgeschmückten Altbau wohnen und dafür pro Quadratmeter weniger zahlen als die Bewohner eines Gemeindebaus. Aufgrund großzügiger Eintrittsrechte laut MRG können längst erwachsene Kinder und Enkel die günstigen Verträge ihrer Verwandtschaft übernehmen. Der Vermieter darf dann zwar den Zins erhöhen, aber auf höchstens 3,43 Euro pro Quadratmeter. Unbefristet.

Brandners Pech: Ein Drittel seiner Wohnungen unterliegen der Kategoriemiete. „Meine Mieteinnahmen sind so gering, dass ich die vergangenen sechs Jahre sparen musste, um 8000 Euro für das Ausmalen des Stiegenhauses zusammenzubekommen“, erklärt er. Ein Immobilienhai sieht anders aus.

Wer trotz allem versucht, an seinem Wohneigentum
zu verdienen, bewegt sich häufig am Rande der Legalität – und wird, wenn man so will, zum Immobilienhai. Dass die Richtwertmieten mittlerweile ein höheres Niveau als freie Mieten haben, wie aus einer Untersuchung des Wifo hervorgeht, liegt an dem komplizierten System von Zu-und Abschlägen. Das gibt Raum für Tricksereien. Der, wie die Wiener Arbeiterkammer erhoben hat, auch weidlich genutzt wird. Sie überprüfte im Jahr 2013 150 Mietangebote in Wien. Ergebnis: Die geforderten Mieten lagen durchwegs weit über dem gesetzlich zulässigen Rahmen, bei unbefristeten Verträgen gar um 81 Prozent.

Die Tücken des MRG treffen Mieter wie Vermieter. Dass es entrümpelt gehört, darüber sind sich Experten aller Couleurs einig. Doch wie, darüber gehen die Vorstellungen auseinander. ÖVP-Justizminister Wolfgang Brandstetter kündigte nach seinem Amtsantritt einen „größeren Wurf“ an. Inzwischen scheint das Projekt sanft entschlafen.

Wohnen ist ein Grundrecht. Die Preisgestaltung sollte also nicht einzig und allein den Gesetzen von Angebot und Nachfrage unterliegen. Andererseits: Dass Immobilienbesitzer nicht nur für Gotteslohn arbeiten wollen, sollte auch außer Streit stehen.

Solange die Immobilienpreise nicht wieder sinken und das Mietrecht nicht entrümpelt wird, werden beide Gruppen weiter klagen: die Mieter über hohe Mieten, die Vermieter über mickrige Renditen. Letztere können sich einstweilen mit der beachtlichen Wertsteigerung ihrer Objekte trösten. Brandner etwa könnte mit dem Verkauf seines Zinshauses ein mittleres Vermögen lukrieren. „Ich bekomme etwa 15 Anfragen pro Jahr.“ Auch Richard Totzer, der Wohnungskäufer aus Wien-Mariahilf, hat sich damit abgefunden, dass ihm die Vermietung nur wenig Geld einbringt. Dafür verfügt er über ein Anlageobjekt, dessen Wert wohl weiterhin steigen wird – noch dazu über eines, das etwa im Vergleich mit Wertpapieren ziemlich sicher ist. „Es ist eine Investition, von der später meine Kinder profitieren werden.“

*Namen geändert

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Mieter gegen Eigentümer

Aus dem FALTER 14/2013

Immobilien sind teuer wie nie. SPÖ und ÖVP holen ihre wohnpolitischen Ideologien aus dem Keller. Bringt das was?

Bericht: Ingrid Brodnig, Joseph Gepp
Foto: Heribert Corn

Martin Richardi (Name geändert) hat in seinem Leben bisher alles richtig gemacht. Der Sohn eines Eisenbahners und selbstständiger Unternehmensberater hat im Sommer immer gejobbt, um sich sein Studium zu finanzieren. Er hat einen MBA in Bologna drangehängt. Er hat vor seinem 40. Geburtstag eine Familie mit zwei Kindern gegründet. Der nächste Schritt wäre nun der Erwerb einer Eigentumswohnung. Vor zehn Jahren hätte er sie noch leicht gefunden. Heute sucht er vergeblich.

Richardi wird nichts erben, Erspartes hat er kaum. In einer Genossenschaftswohnung am Stadtrand wohnen will er nicht, dort ist er als Kind im Gemeindebau aufgewachsen. In den innerstädtischen Bezirken sind inzwischen Quadratmeterpreise bis zu 3000 Euro durchaus üblich. Richardi wird sich für die nächsten 25 Jahre verschulden müssen, um sich den Traum vom Eigenheim in der Innenstadt erfüllen zu können.

Immerhin. Menschen im gehobenen Mittelstand wie Richardi können über einen Immobilienkauf noch nachdenken. Für andere ist er längst völlig unerreichbar geworden. In noch nie dagewesenem Ausmaß steigen in Österreich Wohnungsmieten und Eigentumspreise. In Wien, Spitzenreiter bei der Teuerung, stiegen die privaten Wohnungsmieten von 2005 bis 2011 nicht inflationsbereinigt um 37 Prozent, die Preise für Eigentum gar um 49 Prozent. Das hat zahlreiche Ursachen: Bauliche Ansprüche haben sich verändert, viele Leute flüchten ins Betongold als Anlage, die Zuwanderung in Ballungsräume ist massiv, und in den vergangenen Jahren wurden vergleichsweise wenige neue Wohnungen errichtet.

Immer teurer: Miet- und Eigentumswohnungen in Wien (Foto: Heribert Corn)

Immer teurer: Miet- und Eigentumswohnungen in Wien (Foto: Heribert Corn)

Jetzt ist die Politik gefordert. Denn je knapper der Wohnraum wird, desto mehr wird Wohnen zu dem, was es früher einmal war: eine politisch-ideologische Frage. Wohnpolitik gibt es in Österreich bereits seit dem Ersten Weltkrieg. Ein strenges Mietrecht sollte Soldaten sowie ihren zurückbleibenden Familien die Wohnung sichern. Später entwickelte sich die ÖVP zur Partei der Eigentümer und die SPÖ zu der der Mieter. Der Bausparer am Land, der Gemeindebaubewohner in der Stadt, das waren lange zwei Lebensentwürfe, die sich an den Großparteien orientierten. Jetzt kehrt die klassenkämpferische Anordnung zurück, angesichts des nahenden Wahlkampfes inmitten von Krisennachrichten, die von Verteilungsfragen dominiert werden.

Mit Obergrenzen für private Mieten preschte Wiens grüne Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou schon im November vor. Die SPÖ fordert die Wiedereinführung der Zweckwidmung bei der Wohnbauförderung und Reformen im Mietrecht. Die ÖVP will Eigentümer entlasten und Vergaben im Gemeindebau strenger kontrollieren.

Aber kann der Staat die immense Preisdynamik am Wohnmarkt überhaupt bändigen? Wird Wien auch künftig billiger sein als andere europäische Metropolen? Oder ist das alles nur Wahlkampfgetöse?

In den War Rooms von SPÖ und ÖVP wirkt es so. Hier hat man erkannt, wie viel Sprengkraft in dem Thema steckt. „Wir waren von Anfang an in der Offensive“, rühmt sich ÖVP-Generalsekretär Hannes Rauch. Sein Gegenüber Norbert Darabos hat eine Studie bei der Motivforscherin Sophie Karmasin in Auftrag gegeben. Sie ermittelte die SPÖ als jene Partei, die sich am stärksten um „leistbares Wohnen“ kümmert (38 Prozent). Hinter dem kindischen Rasseln steckt Kalkül. Wie an kaum einem anderen Thema lässt sich am Wohnen das Profil schärfen. Die Frage „Wie wohnst du?“ betrifft jeden im Land – und das immer stärker.

Am teuersten sind Österreichs Mietwohnungen im platzarmen Inntal in Tirol, wo sie laut dem Anbieter immobilien.net 10,95 Euro pro Quadratmeter kosten. Unter den Regionen mit dem schnellsten Zuwachs bei der Miethöhe rangiert jedoch Wien, wo die Mieten im Schnitt 10,43 Euro betragen, weit vorne. Ein Grund ist auch das schnelle Wachstum der Hauptstadt, die Mitte der 2030er-Jahre die 2-Millionen-Menschen-Marke knacken soll.

All dies wirft die Frage auf, ob die Gemeinde halten wird können, was sie als Teil ihrer Identität begreift: den kommunalen Wohnbau und den hohen Grad an sozialer Durchmischung. Einst verhalfen die mächtigen Gemeindebauten des Roten Wien hunderttausenden Arbeitern aus dem Elend. Als Bürgermeister Karl Seitz im Jahr 1930 den Karl-Marx-Hof eröffnete, sagte er: „Wenn wir einst nicht mehr sind, werden diese Steine für uns sprechen.“

Bis heute ist viel von diesem Erbe geblieben. Der Wohnsektor ist, auch trotz derzeitiger Preissteigerungen, einer der sozial ausgewogensten weltweit. Ganze zwei Drittel der Städter wohnen im geförderten Sektor, also im Gemeinde- oder kommunal gestützten Genossenschaftsbau. Wer das Wohnen politisch verantwortet, dem blüht oft eine große Zukunft – wie zuletzt Bundeskanzler Werner Faymann, der von 1996 bis 2007 Wiener Wohnbaustadtrat war.

Das massive Eingreifen der Stadtregierung in den Wohnmarkt drückt die Preise – nicht nur im geförderten, auch im privaten Sektor. So betrug die monatliche Nettomiete für eine privat vermietete 70-Quadratmeter-Wohnung im Jahr 2011 in Wien im Schnitt 600 Euro. Zum Vergleich: In Madrid und München lag sie bei 850, in Amsterdam bei 900, in Paris bei 1600 Euro. In Wien zahlt man für die gleiche Wohnung im geförderten Sektor gar nur 300 Euro.

Jetzt will die Stadt ihre Standards verteidigen. Denn wenn eine Genossenschaft heute geförderte Wohnungen errichtet, ist sie an preisliche Obergrenzen gebunden, bei Grundstücks- wie Baukosten. Das führt dazu, dass Projekte oft nur weit außerhalb des Stadtkerns entstehen können, wo Grundstücke leistbar sind, etwa auf dem Flugfeld Aspern. „Die Durchmischung funktioniert nicht mehr so gut wie einst“, sagt der Wohnbauforscher Robert Temel. „Es ist heute zu teuer geworden, Genossenschaftswohnungen zwischen die Villen von Döbling oder die Gründerzeithäuser von Mariahilf zu stellen.“

Mit einem Bündel aus Gesetzesänderungen und neuen Wohnbauformen will die Gemeinde gegen diese Tendenzen ansteuern. Sie sollen dafür sorgen, dass weiterhin billige Grundstücke für Genossenschaftsbauten zur Verfügung stehen und die Beiträge leistbar bleiben. Neben den Maßnahmen im geförderten Sektor fordert die Gemeinde aber auch eine Entlastung am privaten Mietmarkt.

Dort schnellen die Preise in teils unvorstellbarem Ausmaß hoch. So kostet, wie ein Blick in ein Immobilienportal zeigt, eine unspektakuläre 52-Quadratmeter-Altbauwohnung im einst billigen Rudolfsheim-Fünfhaus heute 659,99 Euro, exklusive Strom und Heizung. Möglich sind solche Mieten, weil das Mietrecht etliche schwammige Formulierungen und Ausnahmen beinhaltet.

Generell gilt: Für Altbauwohnungen von vor 1945 gilt der Richtwert, eine gesetzliche Mietbeschränkung. Mietverträge, die vor dem Jahr 1994 abgeschlossen wurden, sind hingegen als sogenannte „Kategorie-Wohnungen“ deutlich günstiger. In Wien beispielsweise unterliegen fast 95 Prozent der privaten Mietwohnungen dem Richtwert oder der Kategoriemiete. Nur beim kleinen Rest, etwa Dachgeschoßwohnungen, gestaltet allein der freie Markt den Preis.

Dieses System soll Mieter schützen, aber es schafft auch Probleme. Meist drehen sie sich um Zuschläge, die Vermieter auf den Richtwert schlagen. Manche sind dabei kreativ und definieren gar die Zentralheizung als „besondere Ausstattung“. Ein rechtlicher Graubereich. Am Ende ist die Wohnung oft doppelt so teuer, wie es der Richtwert vorsieht. Deshalb appelliert die rot-grüne Stadtregierung nun an den Bund, ein strengeres Mietrecht einzuführen.

Zuschläge sollen streng definiert werden und insgesamt nicht mehr als 25 Prozent des Richtwerts ausmachen. Die Folge wären Mieten unter zehn Euro pro Quadratmeter – eine Horrorvorstellung für viele Vermieter. Für sie sind die Richtwerte in Wien viel zu niedrig. Würde man auch noch Zuschläge begrenzen, glauben viele Vermieter, würden sich Sanierungen schlicht nicht mehr rechnen – und manche haben damit wohl recht.

Einig sind sich Mieter wie Vermieter, linke wie konservative Wohnpolitiker nur in einem: Das Mietrecht ist ein Dschungel. Es führt zu einer unglaublichen Ungleichheit am Mietmarkt. „Oft zahlt ein Mieter im selben Haus für eine ähnliche Wohnung fünfmal so viel wie sein Nachbar“, sagt Wohnbauforscher Temel. „Aber der Nachbar wohnt halt schon ewig drin.“

Die SPÖ will solchen Ungleichheiten entgegentreten, indem sie sich auf ihr Kernthema konzentriert: den geförderten Wohnbau. Neben dem Ausbau des kommunalen Sektors in Wien fordern die Sozialdemokraten vor allem die Wiedereinführung der Zweckbindung bei der Wohnbauförderung. Dabei handelt es sich um 1,78 Milliarden Euro, die der Bund jedes Jahr an die Länder überweist. Früher durften die Länder diese Summe ausschließlich für den geförderten Wohnbau nutzen, seit 2009 können sie das Geld nach freiem Gutdünken verwenden.

Ergebnis: Wohnbaugelder dienen zum Stopfen von Budgetlöchern oder zur Spekulation, wie in Niederösterreich. Mit einem „üppigen Schub für den Wohnbau“ rechnet Walter Rosifka, Wohnbauexperte der Arbeiterkammer, würde man die Wohnbauförderung wieder zweckwidmen. Allerdings bleiben Fragen offen. „Bisher haben die Parteien nicht präzisiert, was sie mit ‚Wiedereinführung‘ meinen“, sagt Rosifka. So müsste man die 1,78 Milliarden auch an die Inflation anpassen, damit sich die Maßnahme im großen Stil auswirkt. Der Betrag wurde seit 1996 nicht mehr erhöht.

Grundsätzlich bekennen sich zwar SPÖ wie auch ÖVP zur Wiedereinführung der Zweckwidmung – aber die Länder blockieren. Vor allem Niederösterreich pocht auf seine Finanzautonomie. Zudem könnte eine etwaige Wiedereinführung erst ab 2015 gelten, wenn der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern ausverhandelt wird.

In der Zwischenzeit betont vor allem die ÖVP ihr Leibthema: die Förderung der Eigentümer. Junge Österreicher, forderte kürzlich der Chef der Jungen ÖVP, Sebastian Kurz, sollen durch die Abschaffung der Grunderwerbsteuer für das erste Eigenheim günstig zu Eigenheimen kommen. Dazu verlangen Kurz und Justizministerin Beatrix Karl Gehalts-Checks für Gemeindebaumieter. Wer zu gut verdient, sollte die steuerlich begünstigte Wohnung verlieren – gern wird bei solchen Vorschlägen auf den Grünpolitiker Peter Pilz verwiesen, der im Kaisermühlner Goethehof wohnt. Die SPÖ kontert: Die Idee des Gemeindebaus sei ja eben die soziale Mischung, in der auch Besserverdienende Platz haben sollten. Und Steuererleichterungen für Häuslbauer würden vor allem jene treffen, die das Geld für ein Haus ohnehin schon haben.

So wogt die Debatte hin und her, während nur in einer Frage Einigkeit besteht: Wohnen ist eine Frage politischer Gestaltung. Der freie Markt allein verhindert keine Ghettobildung, sorgt nicht für leistbares Wohnen und gesellschaftliche Aufwärtsmobilität. Das zeigen andere Staaten und Städte, in denen der kommunale Wohnbausektor nicht so ausgeprägt ist wie in Wien und Österreich.

Und wie wäre Martin Richardi von den Maßnahmen, die Politiker derzeit diskutieren, betroffen? Der ÖVP-Vorschlag einer Steuerbefreiung für das Eigenheim brächte ihm vielleicht einen Hauch von Erleichterung, er würde sich Gebühren und Steuern in der Höhe von 4,6 Prozent des Kaufpreises ersparen. Natürlich könnte er sich auch ein Haus in Niederösterreich oder im Burgenland bauen, er würde dann durch die wieder zweckgewidmete Wohnbauförderung unterstützt. Oder doch in eine günstigere Genossenschaftswohnung an den Stadtrand ziehen. Was immer er tut, eines zeigt sein Beispiel: In Wiens schöneren Bezirken zu wohnen, egal, ob in Miete oder Eigentum, selbst als Gutverdiener, das wird nicht einfacher werden.

Mitarbeit:
Benedikt Narodoslawsky, Barbara Tóth

Ein Kommentar

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Mietpreisdeckel oder Marktwirtschaft?

Aus dem FALTER 47/2012

Gespräch: Joseph Gepp

Georg Niedermühlbichler, Wiener SPÖ-Gemeinderat, ist Präsident der Mietervereinigung.

Falter: Herr Niedermühlbichler, was sind klassische Probleme, die Mieter mit Hausbesitzern haben?

Georg Niedermühlbichler: Zu hohe Betriebskosten sind der Klassiker. Zudem passiert es vor allem bei privaten Neuvermietungen häufig, dass Mieten über dem gesetzlichen Richtwert liegen. Ein weiterer Streitpunkt ist die Kaution. Wenn Mieter ausziehen, machen Vermieter oft ungerechtfertigte Ausgaben für Sanierung oder Reparatur geltend.

Schützen die derzeitigen Gesetze die Hausbesitzer zu sehr?

Niedermühlbichler: Das Problem ist, dass Verfehlungen keine Sanktionen nach sich ziehen. Bei falschen Betriebskosten etwa müssen sie lediglich zurückzahlen. Deswegen gibt es Hausverwaltungen, die immer wieder tricksen. Wenn’s durchgeht, haben sie ein Körberlgeld.

Sind Sie für eine Mietpreisdeckelung?

Niedermühlbichler: Das ist eine uralte Idee – und in Form der Kategorie- und Richtwertmiete über weite Strecken bereits Realität. Den Vorschlag, die Miethöhe generell bei sieben Euro zu deckeln, halte ich für problematisch. Denn wenn auch bei Neuvermietungen im Privatbereich Handlungsbedarf besteht, so muss man auf Unterschiede eingehen: Im ersten Bezirk wird man höhere Mieten akzeptieren müssen als draußen.

Kritiker nennen Vassilakous Vorschlag „Steinzeitkommunismus“. Was meinen Sie dazu?

Niedermühlbichler: Wohnen zu fairen Preisen ist ein Grundrecht. Alle, die damit befasst sind, tragen Verantwortung für die Gesellschaft. Am internationalen Immobilienmarkt kaufen Investoren Zinshäuser nicht mehr wegen der Mieteinnahmen, sondern wegen erhoffter Wertsteigerungen der Objekte. Wie das ausgeht, hat man ja bei der US-Immobilienkrise gesehen.

Die privaten Wohnungsmieten in Österreich sind im letzten Jahrzehnt um rund 40 Prozent gestiegen. Ist das gerecht?

Niedermühlbichler: Nein, aber hier muss man unterscheiden: Wohnungen jener, die bereits im Mietobjekt leben, dürfen sich nur um die Inflationsrate verteuern. Das Problem sind Neuvermietungen im Privatbereich, wo die Mieten massiv steigen. F

Die Gegenposition? Ruth Eisenreich interviewt Friedrich Noszek, Präsident des Zentralverbands Haus und Eigentum

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