Aus dem FALTER 17/2014
…gute Ideen aus Brüssel bleiben regelmäßig auf der Strecke. Warum nur? Sechs Fallbeispiele von Bankenregulierung bis Datenschutz
Hier geht’s zu den anderen 4 anderen geilen EU-Ideen
Die europaweite Arbeitslosenversicherung
Im Jahr 2012 wurde in Brüssel ein geradezu revolutionärer Plan präsentiert: eine europaweite Arbeitslosenversicherung. Das Projekt, so der Gedanke, könnte die soziale Gerechtigkeit fördern und nebenher auch der Wirtschaft dienen. Doch seither sind die Pläne wieder in Brüssels Schubladen verschwunden.
Im Dezember 2012 – die Euro-Krise hatte gerade ihren Höhepunkt überschritten – präsentierten EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy, EZB-Chef Mario Draghi, Kommissionspräsident José Manuel Barroso und der damalige Euro-Gruppen-Chef Jean-Claude Juncker das „Versicherungssystem auf zentraler Ebene“. Inhalt: Bis zu einem Jahr lang sollen Arbeitslose zentral von der EU unterstützt werden. Das Geld soll die nationalstaatliche Zuwendung für Jobsuchende wahlweise ergänzen oder ersetzen.
Hintergedanke: In der Krise sind manche Nationalstaaten, vor allem in Südeuropa, kaum noch in der Lage, ihre Arbeitslosen ausreichend zu unterstützen -und das schürt nicht nur Elend, es schwächt auch die Wirtschaft. Denn was Arbeitslose an Unterstützung erhalten, fließt normalerweise direkt in den Konsum. Der deutsche Ökonom Sebastian Dullien etwa errechnete, dass der krisenbedingte Wirtschaftseinbruch in Spanien mithilfe einer europaweiten Arbeitslosenversicherung um rund 25 Prozent geringer ausgefallen wäre.
Aus diesem Grund brachte der eher europafreundliche französische Präsident François Hollande die Idee als Erster aufs Tapet. Die Versicherung, so Hollande, solle sich aus einem eigenen, neu zu gründenden Haushalt aller Euro-Staaten speisen. Diesen Vorschlag griffen schließlich die Präsidenten Van Rompuy, Draghi, Barroso und Juncker auf. Vor allem der ungarische EU-Sozialkommissar László Andor gilt seither als Befürworter des Projekts, während sonst die Haltung in der EU-Kommission dazu eher geteilt sein soll. László Andor jedoch betont, dass mit der europaweiten Arbeitslosenversicherung auch das Gefühl entstehen würde, dass sich Europa der Nöte seiner Bürger annimmt. Und nicht zuletzt stünde die EU plötzlich direkt auf dem Kontoauszug.
Nach der Präsentation der Idee 2012 wurde es trotzdem bald still um den Plan. Grund: Vor allem der Widerstand aus Deutschland ist massiv. Das wirtschaftsstarke Land fürchtet, zum Zahlmeister für Millionen Arbeitslose im Süden zu werden. Dass Deutschland in schwachen wirtschaftlichen Phasen – wie zuletzt vor einem Jahrzehnt – ebenfalls vom Versicherungssystem profitieren würde, gerät darüber aus dem Blick. Angela Merkel äußerte sich wiederholt kritisch über das Projekt.
Die Welt zitierte vergangenen Oktober Stimmen aus der deutschen Regierung mit den unmissverständlichen Worten: „Wir sind dagegen.“
JOSEPH GEPP
Das EU-Kindergeld
Diese Idee steht noch ganz am Anfang – und hat eigentlich nur einen echten Befürworter in Brüssel: EU-Sozialkommissar László Andor, ein Ungar, ist bekannt dafür, dass er gern mit mutigen Projekten vorprescht. So auch im November 2012. Damals ließ Andor von drei Sozialexperten aus Großbritannien und Griechenland eine Idee ausarbeiten, die nicht besonders viel Geld kosten würde -und einiges Elend in Europa massiv lindern könnte.
Es geht um ein europaweites Kindergeld, eine Art Grundeinkommen für Kinder unter fünf Jahren. Es soll 50 Euro pro Kind und Monat betragen. 800.000 europäische Kinder samt deren Familien könnte man mit dieser Maßnahme aus der Armut holen, errechnen die Experten. Auch die Situation derjenigen, die in Armut verbleiben, würde sich erheblich verbessern. Finanziert werden könnte die Sozialhilfe mit einer Steuer von 0,2 Prozent auf alle europäischen Haushaltseinkommen, die auf nationalstaatlicher Ebene eingehoben werden sollte.
Mit einem derartigen Kindergeld, so die Experten, ließen sich zahlreiche positive Effekte erzielen. Nicht nur das Elend, vor allem in Teilen Osteuropas, würde gelindert. Die Sozialhilfe würde auch den Konsum ankurbeln. Und: Die Armutseinwanderung nach Westeuropa würde gedrosselt, weil die Armen ja nunmehr in ihren jeweiligen Ländern das Kindergeld erhalten würden. Damit würde das Geld auch zur besseren Integration von Randgruppen beitragen, vor allem von Roma in Osteuropa.Freilich: Im Plan von Andor gibt es eindeutige Nettozahler und -empfänger. Kinderreiche, arme Staaten wie Bulgarien und Rumänien würden stark profitieren. Reiche, kinderarme Staaten wie Dänemark, Deutschland und auch Österreich würden draufzahlen. Damit sind Konfliktlinien bereits vorgezeichnet, sollte das Projekt einmal mehr sein als nur eine vage Idee des EU-Sozialkommissars. Dass es jedoch jemals so weit kommen wird, scheint momentan ohnehin eher unwahrscheinlich.
Denn nicht einmal die Kommission selbst steht hinter dem Plan: Der Expertenbericht aus dem Ressort Andor spiegle „nicht die Meinung der ganzen Kommission wider“, sagt Andors Pressesprecherin auf Falter-Nachfrage. Er sei lediglich ein Szenario.
Zwar gibt es einen Gesetzesvorschlag der EU-Kommission mit ähnlicher Stoßrichtung, das sogenannte „Social Investment Package“ vom Februar 2013. Dieses Paket allerdings definiert nur vage Zielvorstellungen beim Kinderwohlstand -ohne das Kindergeld im Konkreten auch nur zu nennen.
JOSEPH GEPP