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Die dreisten Drei

Aus dem profil 25/2019 vom 16.6.2019

Nach dem Ibiza-Skandal ermitteln die Korruptionsstaatsanwälte. Im Fokus steht das FPÖ-Trio Heinz-Christian Strache, Johann Gudenus und Markus Tschank. Ein profil-Überblick zu Verdachtsmomenten und Ermittlungsstand.

Von
Joseph Gepp und Jakob Winter

Für ausreichend Gesprächsstoff war gesorgt, als am vergangenen Donnerstag der alte und neue FPÖ-Chef zusammentrafen – Heinz-Christian Strache und Norbert Hofer. Eigentlich wollten die beiden bei ihrem diskreten Plausch an einem geheimen Ort über die alles beherrschende Frage diskutieren: Wird Ex-Vizekanzler Strache trotz Ibiza-Skandals sein EU-Parlamentsmandat annehmen? Dann platzte ein profil-Onlinebericht in die Unterredung. Die Korruptionsstaatsanwaltschaft bestätigte, dass nach dem Ibiza-Video auch Ermittlungen gegen Strache eingeleitet wurden.

Die juristische Aufarbeitung kam für Hofer genau zur rechten Zeit. Er will Straches Polit-Comeback aus Sorge um das Image der Partei verhindern. Mit der am Freitag bekannt gegebenen Kandidatur von Straches Ehefrau Philippa für ein Nationalratsmandat hat Hofer der Familie zudem eine existenziell komfortable Lösung für Straches Verzicht auf Brüssel gezimmert.

Die FPÖ geht gerade voll in den Wahlkampfmodus – lieber als über Straches Affäre würden die Blauen etwa über ein „schwarzes Netzwerk“ im Innen-und Justizministerium sprechen. Dazu lud Ex-Innenminister Herbert Kickl am Freitag zu einer Pressekonferenz: Angeblich werde gegen Spitzenbeamte des Innenministeriums wegen Amtsmissbrauchs ermittelt, Bestätigungen stehen aus.

So schnell wird die FPÖ den Schatten ihres Ex-Chefs allerdings nicht los. Die Ermittlungen der Wirtschafts-und Korruptionsstaatsanwalt in Wien (WKSta) bergen einiges an Brisanz: Unter der Aktenzahl 17 St 2/19p nimmt die Justiz ein blaues Trio ins Visier. Neben Strache werden auch der blaue Ex-Klubobmann Johann Gudenus und FPÖ-Nationalrat Markus Tschank als Verdächtige geführt; dazu mögliche Täter in den Reihen von Unternehmen, von denen Strache im Ibiza-Video behauptete, sie hätten gespendet. Strache hat bekanntlich angedeutet, dass über „gemeinnützige Vereine“ mutmaßlich illegale Parteispenden an die FPÖ fließen würden.

profil kennt die zentralen Verdachtsmomente und den Ermittlungsstand – ein Überblick über die Akteure in einem Verfahren mit Sprengkraft. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung.

Heinz-Christian Strache

Die Ermittlungen, die jetzt bekannt wurden, laufen bereits seit 20. Mai. Die Staatsanwälte sind also rasch auf den Plan getreten – nur drei Tage zuvor, am 17. Mai, war das Ibiza-Video bekannt geworden. Der genaue Vorwurf gegen Strache und Co.: Untreue, Anstiftung zur Untreue und Vorteilsannahme zur Beeinflussung. Letztgenanntes Delikt betrifft Amtsträger, die sich in ihren Amtsgeschäften beeinflussen lassen und im Gegenzug Vorteile lukrieren oder sich solche versprechen lassen. Strafrahmen: bis zu fünf Jahre Haft.

Und was sagt Strache dazu?“Ich bitte um Verständnis, dass ich mich zu laufenden Strafverfahren nicht äußern kann“, erklärt Anwalt Johann Pauer. Dafür hat der Ex-Politiker selbst bereits Tage nach Bekanntwerden des Videos Stellung bezogen – unter seiner Obmannschaft habe es „keinerlei solcher Zuwendungen, weder an die FPÖ noch an solche der FPÖ nahstehende Vereine, gegeben“, so Strache. Die Ausführungen im Video seien „Ausdruck schlichter Prahlerei“ gewesen.

Falls Strache doch sein EU-Mandat annimmt, wäre er durch seine parlamentarische Immunität vor Ermittlungen geschützt -zumindest so lange, bis sie auf Antrag der Wiener Justiz wieder aufgehoben wird. Dergleichen ist in der Vergangenheit immer wieder geschehen.

Johann Gudenus

Die Korruptionsstaatsanwaltschaft führt im selben Verfahren auch den engsten Strache-Vertrauten als Verdächtigen: Gudenus. Im Vergleich zum Bis-vor- Kurzem-Parteichef Strache hat Gudenus einen Schlussstrich gezogen. Am Tag, nachdem das Ibiza-Video bekannt geworden war, legte der geschäftsführende Klubobmann sämtliche Funktionen in der FPÖ zurück. Und trat tags darauf aus der Partei aus.

Die Vorwürfe: die gleichen wie bei Strache. Wie profil berichtete, soll Gudenus einen Wiener Manager ersucht haben, an einen FPÖ-nahen Verein zu spenden. Damit könnte das Delikt der Anstiftung zur Untreue erfüllt sein. Auf eine Anfrage von profil reagierte Gudenus nicht.

Markus Tschank

Im Trio der FPÖ-Verdächtigen ist Nationalrat Markus Tschank zwar der Unbekannteste -er spielt dennoch eine Schlüsselrolle. Tschank, im Zivilberuf Rechtsanwalt, gilt als zentrale Figur eines Vereinsnetzwerks im Umfeld der FPÖ. Über diese Vereine, in denen er verschiedene Vorstandsfunktionen bekleidet, könnten Parteispenden an die FPÖ geflossen sein. Dies recherierte profil in den vergangenen Wochen. Nach Bekanntwerden des Videos tauchten insgesamt fünf Vereine auf. Drei von ihnen sammelten in den vergangenen Jahren in Summe mehr als 600.000 Euro an Spenden.

Tschank wehrt sich seit Wochen gegen Verdächtigungen möglicher verbotener Parteienfinanzierung. Es seien weder direkt noch indirekt Gelder von den Vereinen zur FPÖ geflossen. Das würden auch die Berichte unabhängiger Wirtschaftsprüfer bestätigen. Allerdings ist immer noch unklar, wer überhaupt Geld an die Vereine gespendet hat. Das könnten die Ermittler nun mit Kontoöffnungen klären.

Am vergangenen Donnerstag wurde Tschanks Immunität vom Nationalrat aufgehoben, damit können die Staatsanwälte nun auch gegen ihn ermitteln. Tschank wird in gleich zwei Verfahren als Verdächtiger geführt, eines davon ist auch jenes gegen Strache und Gudenus. Der Vorwurf der Justiz lautet in beiden Fällen: Beitrag zur Untreue. Heißt: Die Manager von Unternehmen, die angeblich an FPÖ-nahe Vereine spendeten, könnten Gelder ihres Unternehmens veruntreut haben, Tschank habe sie dazu angestiftet. Weil die Tat „einen 300.000 Euro übersteigenden Schaden“ verursacht haben soll, liegt der Strafrahmen bei bis zu zehn Jahren Haft.

Im zweiten Verfahren spielt Tschank nur eine Nebenrolle. Es dreht sich um einen Wiener Manager, dem Untreue vorgeworfen wird. Im Zuge dieser Ermitlungen tauchte bereits im Jahr 2018 ein Spenden-Bittbrief des FPÖ-Mandatars Tschank an den Manager auf; der Brief liegt profil vor. Daraufhin dürfte beim Verein tatsächlich eine Spende eingegangen sein.

Glock, Signa, Novomatic

Neben dem FPÖ-Trio wird auch gegen Vertreter jener Unternehmen ermittelt, die Strache im Ibiza-Video als angebliche Parteispender nannte. Demnach sind neben Tschank „unbekannte Täter“ verdächtig, konkret „Verantwortliche der Signa Holding, der Novomatic AG und der Glock GmbH“. Es geht also um René Benkos Immobilienkonzern, das große heimische Glücksspielunternehmen und den Pistolenhersteller.

Auch hier steht der Verdacht der Untreue im Raum: Unbekannte Manager aus den Reihen dieser Unternehmen könnten Firmengeld veruntreut haben, wenn sie tatsächlich an die FPÖ (oder parteinahe Vereine) gespendet hätten. Die unbekannten Manager hätten somit „ihre Befugnis über das Vermögen der von ihnen vertretenen Unternehmen ( ) wissentlich missbraucht und dadurch die Unternehmen geschädigt“, so der Verdacht der WKStA.

Von Glock, Novomatic und Signa heißt es, man wisse nichts von Ermittlungen und sei auch nicht von Behörden diesbezüglich kontaktiert worden. Zudem haben die Unternehmen in den vergangenen Wochen immer wieder darauf hingewiesen, dass sie weder direkt noch indirekt an die FPÖ gespendet hätten.

Obwohl Strache die Aussagen inzwischen dementiert hat: Die Nennung der Unternehmen könnte für ihn ein unangenehmes Nachspiel haben. Im „Standard“ erklärten Signa und Novomatic, man prüfe derzeit rechtliche Schritte gegen den Ex-FPÖ-Chef. Einzig der Waffenkonzern Glock lässt es dabei bewenden. „Aufgrund des (mehrfachen) öffentlichen Widerrufs von Heinz-Christian Strache werden bis auf Weiteres keine rechtlichen Schritte eingeleitet.“ Es ist derzeit die einzige gute Nachricht für Strache.

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Tatbilder

Aus dem profil 23/2019 vom 2.6.2019

Von Joseph Gepp, Michael Nikbakhsh, Martin Staudinger und Jakob Winter

TATBILDER

Eine Geschichte, zwei Seiten. Als frühere Abgeordnete und Amtsträger haben Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus sich mit Aussagen im Ibiza-Video möglicherweise strafbar gemacht -gleichzeitig könnten sie auch Opfer strafbarer Handlungen geworden sein. Der Fall Ibiza beschäftigt in Österreich nun zwei Staatsanwaltschaften – profil hat recherchiert, was derzeit gegen wen vorliegt.

Haben Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus in Ibiza strafbare Handlungen begangen?

Sind der Ex-FPÖ-Chef und der Ex-FPÖ-Klubobmann korrupt? Unter dem Aktenzeichen 17St2/19p läuft seit dem 20. Mai bei der Wirtschafts-und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ein Ermittlungsverfahren gegen mehrere Verdächtige -im Zusammenhang mit der Ibiza-Affäre. Das ist bekannt. Unbekannt war bisher jedoch ein entscheidendes Detail: Gegen wen wird da ermittelt und warum? Die Justiz schwieg sich dazu aus. Und sind die insbesondere von Strache im Video getätigten Aussagen überhaupt strafrechtlich relevant? Unter Juristen war dies umstritten. profil liegen nun Auszüge des Aktes vor -sie geben erstmals Antworten auf diese Fragen.

Fix ist: Johann Gudenus wird als Verdächtiger geführt, genauso wie FPÖ-Nationalrat Markus Tschank „und andere“. Mit großer Wahrscheinlichkeit zählt dazu auch Heinz-Christian Strache -aus den profil vorliegenden Unterlagen lässt sich dies aber nicht mit hundertprozentiger Sicherheit herauslesen . Der Verdacht der Staatsanwälte: „Untreue“,“Anstiftung zur Untreue“ und „Vorteilsannahme zur Beeinflussung“ – im Volksmund „Anfütterung“ genannt . Die Ermittlungen beziehen sich auf die mittlerweile berühmten Aussagen von Strache im Ibiza-Video, wonach „ein paar sehr Vermögende zwischen 500.000 und eineinhalb bis zwei Millionen zahlen“ – und zwar nicht direkt an die FPÖ, sondern an Vereine in ihrem Umfeld, damit der Rechnungshof nichts davon mitbekomme. Konkret nannte Strache als Spender etwa René Benkos Signa Holding, den Pistolenhersteller Glock GmbH und den Glücksspielkonzern Novomatic AG. Später widerrief er seine Aussage. Die Nennung dieser Unternehmen sei „Ausdruck schlichter Prahlerei, nicht mehr“, gewesen, so Strache. Dennoch interessieren sich nun die Staatsanwälte dafür. Konkret könnten die freiheitlichen Politiker gegen Paragraf 306 des Strafgesetzbuches verstoßen haben. Dort heißt es: „Ein Amtsträger , der mit dem Vorsatz, sich in seiner Tätigkeit als Amtsträger beeinflussen zu lassen, für sich oder einen Dritten einen Vorteil fordert oder einen ungebührlichen Vorteil annimmt oder sich versprechen lässt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu bestrafen.“ Die Strafe kann allerdings je nach Höhe des in Aussicht gestellten oder erhaltenen Schmiergelds auf bis zu fünf Jahre Haft steigen. Gudenus, der jahrelang als engster Vertrauter des gefallenen FPÖ-Chefs Strache galt, hat es der Justiz übrigens ein Stück weit leichter gemacht: Als Abgeordneter wäre er durch seine parlamentarische Immunität vor Strafverfolgung geschützt gewesen. Durch seinen freiwilligen Rücktritt von allen Ämtern am 18. Mai muss die Behörde nun nicht mehr Gudenus‘ Auslieferung beantragen. Umgekehrt bei Strache: Würde er das ihm zustehende Mandat im EU-Parlament annehmen -Strache erhielt bekanntlich ausreichend Vorzugsstimmen und denkt derzeit über ein Politcomeback nach -, wäre er vor einer Strafverfolgung geschützt. Neben Gudenus steht auch FPÖ-Nationalratsabgeordneter Markus Tschank im Visier der Justiz -das ist bereits seit einer Woche bekannt. Tschank gilt als zentrale Figur eines geheimen Vereinsnetzwerks im Umfeld der FPÖ. Über diese Vereine, in denen Tschank verschiedene Vorstandsfunktionen bekleidet, könnten Parteispenden an die FPÖ geflossen sein. Dies enthüllte profil in der vergangenen Ausgabe (21/2019). Generell ist die Rolle von Vereinen bei versteckter Parteienfinanzierung -nicht nur bei der FPÖ -seit der Ibiza-Affäre in den Fokus gerückt. Denn parteinahe Vereine werden weder vom Rechnungshof geprüft, noch müssen sie öffentlich ihre Finanzen vorlegen. profil wird zu diesem Thema in den kommenden Wochen weiter recherchieren. Im Gegensatz zu Gudenus sitzt Tschank nach wie vor im Nationalrat. Seine Immunität muss also mit Mehrheitsentscheid aufgehoben werden, bevor die Staatsanwälte gegen ihn ermitteln können. Die Entscheidung soll im Juni fallen. Die profil vorliegenden Unterlagen zeigen nun erstmals, auf welcher Grundlage die Justiz gegen den FPÖ-Mandatar vorgehen will. Der Vorwurf: Beitrag zur Untreue. Tschank könnte Manager von Unternehmen dazu angestiftet haben, Geld aus ihren Firmen abzuzweigen, um es an die umstrittenen FPÖ-Vereine zu spenden, so der Verdacht. Die Manager hätten demnach Gelder ihres Unternehmens veruntreut, Tschank hätte sie dazu angestiftet. Die Ermittler stützen sich in ihrer Indizienkette auch auf profil-Enthüllungen der Vorwoche: Demnach soll Tschank einen namhaften Wiener Manager dazu verleitet haben, „10.000 Euro an den Verein ‚Wirtschaft für Österreich‘ zu spenden“, so der Ermittlungsakt . Im Wortlaut: Tschank sei „im Zusammenhang mit den von Heinz-Christian Strache im Juli 2017 getätigten Aussagen verdächtig, zum Verbrechen der Untreue beigetragen zu haben, indem er Spenden für die Freiheitliche Partei Österreichs über den gemeinnützigen Verein ‚Wirtschaft für Österreich‘ abwickelte“. Weil die Tat „einen 300.000 Euro übersteigenden Schaden“ verursacht haben soll, liegt der Strafrahmen bei bis zu zehn Jahren Haft. Den Verein „Wirtschaft für Österreich“ sehen die Staatsanwälte „im Einflussbereich der Freiheitlichen Partei Österreichs“.

Tschank und die übrigen Vereinsvorstandsmitglieder bestreiten, dass Gelder direkt oder indirekt an die FPÖ flossen. Ein Wirtschaftsprüfer habe im Auftrag der Vereine die Finanzen gesichtet und festgestellt: Zwar seien Spenden an die Vereine geflossen , doch niemals an die FPÖ weitergeleitet worden. Ob es stimmt, dass zwischen Vereinen und Partei kein Zusammenhang besteht, werden nun die Ermittlungen der Justiz zeigen. Doch die Staatsanwälte interessieren sich nicht nur für das blaue Trio Strache, Gudenus und Tschank. Verdächtig sind darüber hinaus auch „unbekannte Täter“, konkret „Verantwortliche der Signa Holding, der Novomatic AG und der Glock GmbH“. Also Mitarbeiter jener Unternehmen, die Strache im Ibiza-Video als angebliche Parteispender nannte. Es steht der Verdacht der Untreue im Raum: in dem Sinn, dass Manager der Unternehmen Firmengeld veruntreut haben könnten, indem sie es an die FPÖ spendeten. Die unbekannten Manager hätten mutmaßlich „ihre Befugnis über das Vermögen der von ihnen vertretenen Unternehmen ( ) wissentlich missbraucht und dadurch die Unternehmen geschädigt“, so die Staatsanwaltschaft. Vonseiten Glocks, der Novomatic und der Signa heißt es unisono, sie wüssten nichts von Ermittlungen und seien auch nicht von Behörden diesbezüglich kontaktiert worden. Zudem weisen alle drei Unternehmen neuerlich darauf hin, dass sie weder direkt noch indirekt an die FPÖ gespendet hätten. Der guten Ordnung halber sei auch darauf hingewiesen, dass Strache selbst seine im Video getätigten Behauptungen dazu mittlerweile widerrufen hat. Und was sagen Strache, Gudenus und Tschank zu dem Ermittlungsverfahren? Straches Anwalt Johann Pauer lässt schriftlich wissen, dass er bei der Korruptionsstaatsanwaltschaft Akteneinsicht beantragt hat, um zu erfahren, ob gegen seinen Mandanten ermittelt wird. Gudenus reagierte nicht auf die profil-Anfrage. Markus Tschank schließlich teilte mit, er wisse zwar, dass die Korruptionsstaatsanwaltschaft einen Antrag auf Aufhebung seiner Immunität eingebracht habe -aber „nähere Informationen liegen mir bislang nicht vor“. Fest steht: Für sämtliche Genannte gilt die Unschuldsvermutung.

Wurden Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus Opfer strafbarer Handlungen?

Plötzlich ging alles zack, zack, zack: Das ist für Österreichs Justiz durchaus keine Selbstverständlichkeit. Wenige Tage, nachdem „Süddeutsche Zeitung“ und „Spiegel“ das belastende Video-Material öffentlich gemacht hatten, leitete die Staatsanwaltschaft Wien ein Ermittlungsverfahren gegen die mutmaßlichen Urheber ein, und die betraute das Landeskriminalamt Wien mit Recherchen. Das LKA hat zwischenzeitlich auch die ersten Zeugen befragt.

Nina Bussek, die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, bestätigt das Verfahren an sich, nennt darüber hinaus aber keinerlei Details. Laut einem profil vorliegenden Schriftsatz des Landeskriminalamts vom 31. Mai ermittelt die Polizei derzeit gegen drei Personen sowie „unbekannte Täter“:

1) Der zuletzt in Wien und München lebende Julian H., also jener österreichische Sicherheitsberater, der maßgeblich an der Planung und Umsetzung der Operation Ibiza beteiligt gewesen sein soll. H. spielte unter anderem den Begleiter der angeblichen Lettin und Nichte eines russischen Oligarchen, er ist auf den bisher zugänglich gemachten Clips für persönliche Bekannte zu identifizieren.

2) Edis S., ein Österreicher mit bosnischen Wurzeln und Lebensmittelpunkt in Salzburg. Er ist seit Jahren ein Kompagnon von Julian H. und soll an der Aktion ebenso beteiligt gewesen sein wie der dritte Verdächtige, nämlich

3) Slaven K., ein bosnischer Staatsbürger, der zuletzt ebenfalls in Salzburg lebte.

Der Wiener Rechtsanwalt M. wird in dem vorliegenden Schriftsatz nicht explizit als Verdächtiger geführt. Nach profil-Recherchen ist aber auch seine Rolle Gegenstand der Ermittlungen. Schließlich gilt er als Auftraggeber der Truppe um Julian H.

M. kommuniziert mittlerweile über seinen Anwalt Richard Soyer. Dieser hatte vor wenigen Tagen im Namen seines Klienten erklärt, bei dem Ibiza- Video handle es sich um ein „zivilgesellschaftlich motiviertes Projekt“, bei dem „investigativ-journalistische Wege beschritten“ worden seien. StA-Sprecherin Bussek wollte sich auf Anfrage nicht zur Verdachtslage gegen Rechtsanwalt M. äußern. Konkret wird derzeit auf Grundlage von drei Tatbeständen ermittelt: „Täuschung“,“Missbrauch von Tonaufnahme-und Abhörgeraten“ sowie „Fälschung besonders geschützter Urkunden“.

Interessant ist dabei vor allem die Frage, ob Gespräche heimlich mitgeschnitten werden dürfen oder nicht. Tatsächlich ist die verdeckte Aufzeichnung per se zunächst nicht illegal, wenn der Aufzeichnende selbst an dem Gespräch teilnimmt. Wird das Material aber anschließend ohne Zustimmung des Betroffenen Dritten zugänglich gemacht, kann dies neben zivilrechtlichen auch strafrechtliche Konsequenzen haben. „Wer ohne Einverständnis des Sprechenden die Tonaufnahme einer nicht öffentlichen Äußerung eines anderen einem Dritten, für den sie nicht bestimmt ist, zugänglich macht oder eine solche Aufnahme veröffentlicht“, riskiert laut Paragraf 120 (Absatz 2) des Strafgesetzbuches eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr. Es handelt sich dabei übrigens um ein sogenanntes Ermächtigungsdelikt. Das bedeutet, dass die Staatsanwaltschaft zwar von sich aus Ermittlungen einleitet, sobald sie Kenntnis von mutmaßlichen Straftaten erhält (wie auch beim „Offizialdelikt“) – für eine allfällige spätere Anklage oder einen Strafantrag aber die ausdrückliche Zustimmung des Opfers nötig ist. Das wäre hier wohl der Fall: Heinz-Christian Strache hat über seinen Rechtsanwalt Johann Pauer bereits am 24. Mai Anzeige gegen drei (namentlich nicht genannte) „mögliche Mittäter“ erstatten lassen.

Auch die „Täuschung“ ist ein Ermächtigungsdelikt. Sie greift dann, wenn der Getäuschte einen Schaden erlitten hat und kann gemäß StGB-Paragraf 108 ebenfalls bis zu ein Jahr Haft einbringen. Dann wäre da noch die in Paragraf 224 geregelte „Fälschung besonders geschützter Urkunden“: ein Offizialdelikt, auf welches bis zu zwei Jahre Haft stehen. Johann Gudenus hatte nach Auffliegen des Skandals berichtet, dass ihm Anwalt M. am Anfang der Geschichte die Kopie des lettischen Reisepasses der angeblichen Oligarchen-Nichte gezeigt hatte, die unter dem Tarnnamen „Aljona Makarowa“ aufgetreten war. Das Verfahren steht noch am Anfang, der Akt ist noch schmal. Einer der ersten befragten Zeugen: Sascha Wandl, ein früherer Arbeitskollege von Julian H., der 2016 im Streit gegangen und an Ibizagate nach eigener Darstellung nicht beteiligt war. Zur Herstellung des Videos vermochte er zwar keine sachdienlichen Hinweise zu liefern -dafür erzählte er den Ermittlern aber freimütig, er habe 2014/2015 gemeinsam mit einigen der Akteure in einer Wiener Privatwohnung Kokain konsumiert (Gudenus und Strache sind damit ausdrücklich nicht gemeint). Wandls protokollierte Interpretation des Geschehenen: „Meine persönliche Meinung zu dem Ganzen ist, dass dieses Video gemacht wurde, um Geld zu erpressen. Diese Leute haben immer Geldprobleme, und diese ganze Sache mit dem Video ist für mich eine reine Geldbeschaffungsaktion.“

Nichts als ein kleines Gaunerstück im Drogenmilieu also? Das ist möglich, vorerst aber durch nichts belegt. Handelte Rechtsanwalt M. auf eigene Rechnung -oder doch im Auftrag Dritter? Auch diese Frage lässt sich noch nicht beantworten.

Es mehren sich aber die Hinweise, dass das Material bereits kurz nach der Ibiza-Exkursion in Österreich auf den Markt geworfen wurde. Ende August 2017, einen Monat nach dem Dreh auf der Insel, nahm Rechtsanwalt M. Kontakt zu einem damaligen Berater der SPÖ auf, der Christian Kern durch den Nationalratswahlkampf 2017 begleitete. Dieser will namentlich nicht genannt werden, berichtet aber Folgendes: „Ich kenne M. aus Jugendtagen. Er hat mich damals in Wien auf der Straße angesprochen, für mich war das ein zufälliges Treffen. Er sagte so etwas wie:,Ein Mandant von mir hat da was. Da gibt’s ein Material mit Strache und Gudenus und Koks.'“

Mehr will er damals nicht erfahren haben, auch über Geld sei nicht gesprochen worden: „Ich hab ihm gesagt, dass mich das nicht interessiert. Es war ja damals so, dass dir Leute andauernd irgendwelche Gerüchte zugetragen haben, der Wahlkampf 2017 war ja voller Verschwörungstheorien. Ich hab das auch in der SPÖ niemandem erzählt“, so der Politikberater.

Ende August 2017 soll M. auch erfolglos versucht haben, das Material an den Wiener Unternehmensberater Zoltán Aczél zu verkaufen. Damaliger Rufpreis: rund fünf Millionen Euro. Aczél war einst Generalsekretär des Liberalen Forums, er berät unter anderem den Baukonzern Strabag, der im Ibiza-Video zu Ehren kommt. Gegenüber der „Presse“ erklärte Aczél vor wenigen Tagen, M. habe über ihn an Strabag-Großaktionär Hans Peter Haselsteiner heranwollen. Er, Aczél selbst, habe das Video zwar in Auszügen gesehen, Haselsteiner darüber aber nicht unterrichtet. Haselsteiner hat das mittlerweile bestätigt.

Wer das Ibiza-Video angeboten hat, ist inzwischen also relativ klar. Rätselhaft bleibt vorerst aber, wer die Käufer sind und wie viel sie dafür bezahlt haben. Die Aktivisten des deutschen Zentrums für Politische Schönheit (siehe auch Seite 82), die in diesem Zusammenhang ins Spiel gebracht wurden, dementieren. Aus Sicht der österreichischen Behörden gibt es in dieser Hinsicht nichts zu ermitteln.

Währenddessen haben nicht näher genannte Privatpersonen in Deutschland Anzeige gegen den „Spiegel“ und die „Süddeutsche Zeitung“ erstattet. Nach einem Bericht des „Standard“ geht es um den Verdacht des „Zugänglichmachens von höchstpersönlichen Bildaufnahmen“, die geeignet sind, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden. Und dass Letzteres tatsächlich der Fall war, würden in diesem Fall auch die erbittertsten Feinde von Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus nicht bestreiten.

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Die verhinderte Zukunftshoffnung

Aus dem FALTER 31/2014

Maximilian Krauss soll Vize-Stadtschulratspräsident werden. Der Bürgermeister will es verhindern

BERICHT: JOSEPH GEPP

Wer im Verfassungsdienst der Stadt Wien arbeitet, also sozusagen in der Rechtsabteilung des Rathauses, der durchlebte Ende vergangener Woche wohl ein paar stressige Tage. Denn auf Anweisung des Bürgermeisterbüros forschten die dortigen Juristen an einer hochdiffizilen Frage.

Darf der Bürgermeister ablehnen, wenn Wiens zweitstärkste Partei einen Kandidaten für das Amt des stellvertretenden Stadtschulratspräsidenten nominiert?

Dieses Recht steht der Nummer zwei traditionell zu, so sehen es die Rechtslage und die proporzmäßigen Usancen in Wien vor. Der Bürgermeister hat die Nominierung bisher immer widerspruchslos abgenickt. Diesmal aber ist es anders. Denn der Kandidat heißt Maximilian Krauss, 21 Jahre, Mitglied der schlagenden, deutschnationalen Burschenschaft Aldania und derzeit Obmann der FPÖ Josefstadt.

Schon seit seinem 13. Lebensjahr ist Krauss, der laut eigenen Angaben aus einem sozialdemokratischen Elternhaus stammt, in der FPÖ engagiert. Im Jahr 2006 begann er als Obmann des Rings Freiheitlicher Jugend (RFJ) in seinem Heimatbezirk Josefstadt. Später stieg Krauss zum Vize-Chef des bundesweiten RFJ auf. Im März 2012 wurde der ambitionierte Jungpolitiker auch Josefstädter Bezirksparteiobmann – und damit Teil des Führungsgremiums von Wiens mächtiger FPÖ.

Viele empfinden es als Provokation, dass nun ausgerechnet Krauss die integrationspolitisch heiklen Wiener Schulagenden mitverantworten soll. Denn der Politiker fiel bereits mehrmals mit fragwürdigen Aussagen auf. SPÖ-Mann Michael Häupl wurde beispielsweise von Krauss mit dem Titel „Türken-Bürgermeister“ bedacht; ÖVP-Mann Sebastian Kurz nannte er einen „Moslem-Staatssekretär“. In Presseaussendungen verbreitete Krauss Anfang 2014 eine häufig kursierende Falschmeldung über einen austrotürkischen Pädophilen, der vor Gericht wegen der „jahrelangen Familientradition“ straffrei ausgegangen sei. Dazu spricht Krauss etwa von einer „von den Sozialisten seit Jahren erfolgreich betriebenen Ethnomorphose“ – ein beliebtes Motiv unter rechtsradikalen Verschwörungstheoretikern, wonach Europas Eliten einen gezielten Bevölkerungsaustausch betreiben würden.

Maximilian Krauss (RFJ)

Maximilian Krauss (RFJ)

Auch wenn sich manche dieser Statements Krauss‘ nicht sonderlich von denen manch anderer FPÖ-Politiker unterscheiden – der Wiener Verfassungsdienst scheint trotzdem ein rechtliches Schlupfloch gefunden zu haben, das die umstrittene Personalie verhindert.

Konkret handelt es sich um ein Erkenntnis des Bundesverfassungsgerichtshofs aus dem Jahr 1992. Ihm zufolge hat der Bürgermeister das Recht, „einen an ihn herangetragenen Bestellungsvorschlag abzulehnen“. Dazu gesellt sich weiters ein formaler Aspekt: Der derzeitige FPÖ-Vizestadtschulrat Helmut Günther muss erst seinen Rücktritt einreichen, bevor ein Nachfolger nominiert werden kann – was offiziell noch nicht geschehen ist.

Entsprechend selbstbewusst äußerte sich Bürgermeister Häupl vergangenen Freitag und lehnte die Bestellung Krauss‘ ab. „Ich bin nicht der Kellner, der die Bestellungen von der FPÖ aufnimmt“, sagte Häupl.

Wie geht die FPÖ nun weiter vor? Zunächst werde Noch-Vizepräsident Günther offiziell seinen Rücktritt einreichen, erklärt auf Falter-Nachfrage Elisabeth Hechenleitner, Pressesprecherin der FPÖ Wien. Danach warte man auf einen Gesprächstermin, den Bürgermeister Häupl laut FPÖ dem Amtsanwärter Krauss in Aussicht gestellt habe. „Die Sache ist noch nicht gegessen“, sagt Hechenleitner. Es klingt aber ein wenig danach.

Krauss selbst versucht sich währenddessen an einer Imagekorrektur. Vergangenen Freitag, bei einer Pressekonferenz zusammen mit Parteichef Heinz-Christian Strache und FPÖ-Wien-Klubobmann Johann Gudenus, gab sich die freiheitliche Nachwuchshoffnung moderat: Er werde sich als Vizepräsident beispielsweise dafür einsetzen, die Behörde für Schüler und Besucher zu öffnen, schilderte Krauss seine Pläne. Zudem könne er sich vorstellen, für besonders gelungene Schulprojekte einen Integrationsfonds zu stiften.

Aber so bald wird der Maximilian-Krauss-Preis nun wohl doch nicht verliehen werden.

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FP-Sprecher: Es war keine Wiederbetätigung, sagt das Gericht

Aus dem FALTER 11/2014

JOSEPH GEPP

Vor einem Jahr berichtete der Falter über die „Lieblingssprüche“ des Stefan Gotschacher, damals Pressesprecher von FPÖ-Vizechef Johann Gudenus. Gotschacher hatte Textzeilen aus Waffen-SS-Liedern und von Rechtsrockbands auf Facebook gepostet. Das Zitat „Wenn sich die Reihen auch lichten, für uns gibt es nie ein Zurück“ etwa stammt aus dem Lied „SS marschiert im Feindesland“.

Gotschacher selbst behauptete stets, die Herkunft der Sprüche nicht gekannt zu haben. Nach dem Falter-Bericht verlor er seinen Job bei der FPÖ; dazu begann die Staatsanwaltschaft zu ermitteln.

Vergangenen Dienstag nun wurde Gotschacher – nicht rechtskräftig – vom Vorwurf der Wiederbetätigung freigesprochen. Fünf von acht Geschworenen glaubten ihm, dass die Sprüche „völlig unpolitisch“ gedacht waren und beliebig aus dem Internet zusammenkopiert worden waren – auch wenn vier von fünf der Zitate laut Richterin Susanne Lehr eine Nähe zum Nationalsozialismus aufwiesen.

Daneben war Gotschacher auch wegen seiner Teilnahme an einer Facebook-Gruppe, die Freiheit für einen deutschen Neonazi forderte, angeklagt. Auch hier glaubten ihm die Geschworenen, dass ihm diese Mitgliedschaft lediglich „durchgerutscht“ sei.

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Ex-Gudenus-Sprecher muss wegen Wiederbetätigung vor Gericht

Aus dem FALTER 4/14

Joseph Gepp

Der ehemalige FPÖ-Pressesprecher Stefan Gotschacher muss sich wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung vor Gericht verantworten. Das bestätigt auf Falter-Nachfrage das Wiener Landesgericht, wo Anfang März die Verhandlung stattfinden wird. Die Anklage wegen Verstoßes gegen das Verbotsgesetz ist rechtskräftig, das Strafmaß beträgt ein bis zehn Jahre.

Gotschacher war der Pressesprecher von FPÖ-Wien-Klubobmann und Vize-Bundesparteichef Johann Gudenus. Auf seinem Facebook-Profil hatte Gotschacher in der Rubrik „Lieblingszitate“ rechtsradikale Sprüche gepostet – darunter einen aus einem Kampflied der Waffen-SS: „Wenn sich die Reihen auch lichten, für uns gibt es nie ein Zurück.“ Das enthüllte der Falter im April vergangenen Jahres.

Gotschacher selbst rechtfertigte sich damals, er habe die Sprüche aus Internet-Foren abgeschrieben, „ohne die Ursprünge zu prüfen“. Er werde sie umgehend löschen.

Im Gefolge der Affäre feuerte die FPÖ Wien ihren Pressesprecher, zudem begann die Staatsanwaltschaft Ermittlungen. Diese wurden im Sommer 2013 eingestellt, später jedoch auf Weisung aus dem Justizministerium wieder aufgenommen. Ende des Jahres nun leiteten die Staatsanwälte ihre Ermittlungsergebnisse ans Landesgericht weiter. Für Gotschacher gilt die Unschuldsvermutung.

Der Fall des Waffen-SS-Postings ist nicht das erste Mal, dass dem PR-Mann eine Nähe zum Rechtsradikalismus vorgeworfen wird. Zuvor hatte er schon etwa Rechtsrock-Lieder und abgewandelte Sujets der deutschen Rechtspartei NPD auf Facebook gestellt, berichtete das Onlineportal „stopptdierechten.at“. Laut Kurier unterhielt Gotschacher zudem Facebook-Kontakt mit Unterstützungskomitees deutscher Neonazi-Größen.

Stefan Gotschacher hatte seit Anfang 2011 für die FPÖ als Pressesprecher gearbeitet; davor war er Journalist bei der Gratiszeitung Heute und der Wiener Bezirkszeitung.

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Waffen-SS-Posting: Die Wiener FPÖ feuert Gudenus’ Pressesprecher

Aus dem FALTER 16/2013

Bericht: Joseph Gepp

Vergangene Woche berichtete der Falter, dass Stefan Gotschacher, Pressesprecher von FPÖ-Wien-Klubchef Johann Gudenus, Sprüche der Waffen-SS und der Rechtsrock-Band Stahlgewitter auf seinem Facebook-Konto poste. Gotschacher rechtfertigte sich damit, dass er die Herkunft der Zitate nicht überprüft habe.

Kaum war der Bericht erschienen, zog die FPÖ Wien schon Konsequenzen. Weil „derartige Zitate in unserer Bewegung nichts verloren“ haben, beende man das Dienstverhältnis mit Sprecher Gotschacher sofort, gab Landesparteisekretär Hans-Jörg Jenewein bekannt. Zugleich prüfe die FPÖ die Vorwürfe; sollten sie sich als haltlos erweisen, sei Gotschacher rehabilitiert.

Warum wartete man mit dem Rausschmiss dann nicht bis nach der Prüfung? Vielleicht, weil das Waffen-SS-Zitat nicht das erste anstößige Posting war, mit dem Gotschacher auffiel. Zuvor hatte der Ex-Journalist, der seit Anfang 2011 als FPÖ-Pressesprecher arbeitete, schon andere Rechtsrock-Lieder gepostet sowie abgewandelte Sujets der deutschen NPD, wie das Onlineportal „Stopptdierechten“ berichtete. Laut Kurier unterhielt Gotschacher zudem Facebook-Kontakt mit Unterstützungskomitees deutscher Neonazi-Größen. Journalisten desselben Blatts bezeichnete der Pressesprecher vergangenes Jahr einmal als „Freiwild“.

Sein Pressesprecher musste gehen: FPÖ-Wien-Klubchef Johann Gudenus

Sein Pressesprecher musste gehen: FPÖ-Wien-Klubchef Johann Gudenus

Gotschacher ist bei weitem nicht der erste FPÖ-Funktionär, der in die Facebook-Falle tappt. Erst im Februar traten wegen ähnlicher Postings mehrere Freiheitliche in Oberösterreich zurück. Dazu wurde der Tiroler Werner Königshofer 2011 aus dem FPÖ-Parlamentsklub ausgeschlossen, nachdem er Facebook-Kontakt mit Neonazis unterhalten und Breiviks Massaker in Norwegen mit der Fristenlösung verglichen hatte.

All dies scheint Parteichef Heinz-Christian Strache zur Vorsorge veranlasst zu haben: Laut News verhindert eine „Liste verbotener Wörter“ auf Straches Facebook-Seite automatisch, dass H.C.-Fans anstößiges Material posten. Auf ihr finden sich etwa „Neger“, „Hitler“ und „Jude“.

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„Für uns gibt es nie ein Zurück“: FP-Mann postet Waffen-SS-Sprüche

Aus dem FALTER 15/2013

Bericht:
Joseph Gepp

Wer auf Facebook auf die „Lieblingszitate“ von Stefan Gotschacher klickt, findet martialische Sprüche. „Meine Knochen könnt ihr brechen, meinen Glauben nicht“, steht da zum Beispiel, ein Song von Stahlgewitter, einer Band aus dem rechtsextremen Milieu. Daneben: „Und wenn sich die Reihen auch lichten, für uns gibt es nie ein Zurück.“ Dies stammt aus dem Lied „SS marschiert im Feindesland“, einem Kampflied der Waffen-SS. Im selben Lied heißt es etwa auch: „Wir kämpfen für Deutschland, wir kämpfen für Hitler, der Rote kommt nie mehr zur Ruh.“

Der Mann, der solche Sprüche postet, ist nicht etwa jugendlicher Skinhead, sondern der Leiter der Pressearbeit der Wiener FPÖ und Sprecher von FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus. Stefan Gotschacher sei „langjähriger Journalist und Medienprofi“, gab die FPÖ im Jänner 2011 anlässlich seines Arbeitsantritts stolz bekannt. Bevor Gotschacher zur FPÖ wechselte, schrieb er bei Heute und war Chefredakteur der Wiener Bezirkszeitung.

Die "Lieblingszitate" von  Stefan Gotschacher, Pressesprecher von FPÖ-Wien-Klubobmann Johann Gudenus, auf Facebook

Die „Lieblingszitate“ von Stefan Gotschacher, Pressesprecher von FPÖ-Wien-Klubobmann Johann Gudenus, auf Facebook

„Ich werde das umgehend löschen“, sagt Gotschacher, als ihn der Falter mit den Sprüchen konfrontiert. Dem Falter liegen sie als Screenshot vor. Gotschacher behauptet, nicht zu wissen, dass die Zeilen aus Liedern der Waffen-SS und von Stahlgewitter stammen. „Ich habe sie aus Foren abgeschrieben, ohne die Ursprünge zu prüfen.“ Der „Zusammenhang mit der Verbrecherorganisation Waffen-SS“, so Gotschacher, schockiere ihn jetzt zutiefst.

Dabei fiel der FPÖ-Pressesprecher schon einmal mit seinen rechtsextremen Kontakten auf. Im September berichtete der Kurier, dass Gotschacher Mitglied einer Facebook-Gruppe sei, die Freiheit für Gerhard Ittner fordert – einen inhaftierten deutschen Hitler-Verehrer mit möglichen Kontakten zu den Terroristen des NSU. Gotschacher meinte damals zum Kurier, dass ihm die Freundschaftsanfrage wohl „durchgerutscht“ sei. Die Freundschaft zu den Ittner-Aktivisten habe er bereits gelöscht.

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Mies: Missbrauchsvorwürfe und politisches Kleingeld

Aus dem FALTER 47/2011

Kommentar Missbrauch

Jede Woche wird offensichtlicher, wie alltäglich Gewalt im Umgang mit Kindern jahrzehntelang war. Was man 2010 noch mit den Besonderheiten der katholischen Kirche erklärte, hat sich nun auf Kinderheime und andere Institute ausgeweitet. In Behindertenheimen, in Kinderspitälern – überall werden Zustände publik, die heute als gewalttätig und unmenschlich gelten.

Das fordert Psychologen, Historiker und Juristen heraus: Inwiefern kann man heute als Verbrechen behandeln, was vor 40 Jahren jedem egal war? Soll man nur Fakten aufarbeiten oder auch nachträglich strafen? Wie kann man Berichte von Opfern auf ihren Wahrheitsgehalt abklopfen, ohne ihnen jene Empathie und jenes Verständnis zu verwehren, die ihnen schon so lange verwehrt blieben? Es ist gut, wenn, wie derzeit, eine breite Öffentlichkeit über solche Fragen diskutiert.

Allerdings müssten sich alle Beteiligten auch ihrer Verantwortung bewusst sein. Und genau hier setzt die FPÖ noch mehr aus, als man es bei anderen Themen ohnehin von ihr gewohnt ist. Vor allem in Wien werden Missbrauchsvorwürfe auf billigste Weise instrumentalisiert.

Beispiele? FP-Klubchef Johann Gudenus unterstellt Barbara Helige, die die Wilhelminenberg-Kommission leitet, „Verbindungen in die Pädophilen-Szene“. Ein ORF-Mitarbeiter wird zum „Peiniger und Sadisten“. Eine Gudenus-Aussendung trägt gar den Titel „Gutmenschin Ute Bock misshandelte Zöglinge“.

Noch gehen solche miesen Unterstellungen in der Breite der Berichte eher unter. Längerfristig jedoch können sie eine Debatte über Schuld und Aufarbeitung zerstören, die wahres Potenzial gehabt hätte.

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Ein Wilhelminenberg ungeklärter Fragen

Aus dem FALTER 43/2011

Der Heimkinder-Skandal: Medien und politische Glücksritter enthüllen ohne Rücksicht auf die Opfer

Bericht:
Joseph Gepp
Nina Horaczek

Heute checken hier Touristen ein, Wiener treffen sich zum Brunch mit Blick über die Stadt und Frischvermählte feiern Hochzeit. Nur eine unauffällige Gedenktafel erinnert daran, dass hier bis zum Jahr 1977 ein Kinderheim war. „Wer Kindern Paläste baut“, steht darauf, „reißt Kerkermauern nieder“.

Glaubt man den Aussagen zweier ehemaliger Insassinnen, die vor eineinhalb Wochen ihr Schweigen brachen, war das Schloss Wilhelminenberg weniger Palast denn Kerker. Die beiden Frauen berichteten im Kurier und im ORF, wie sie im Alter von sechs beziehungsweise acht Jahren von Erziehern der Stadt Wien misshandelt und sexuell missbraucht worden waren.

Richtiggehend verkauft sollen die Kinder worden sein. Fremde Männer seien in die Schlafsäle gekommen, um sie in Serie zu vergewaltigen. Julia K. und Eva L., heute 47 und 49 Jahre alt, erzählten von Schlägen, von jahrelangen Demütigungen. Wöchentlich habe die Rettung misshandelte Kinder abgeholt. Die Erzieher hätten sie auch psychisch gefoltert, hätten ihnen Filmaufnahmen aus Konzentrationslagern vorgespielt und ihnen gesagt, dorthin würden sie auch gehören, sie hätten kein Recht auf Leben. Selbst an Todesopfer wollen sich manche der damals Gequälten erinnern.

Seit diesen Berichten tauchen immer neue Opfer auf, in Wien und in den Bundesländern. Alleine auf dem „W-Berg“, wie das Heim genannt wurde, lebten bis zu 220 Kinder. Konnten sie in der Obhut der Gemeinde dermaßen gequält und misshandelt werden? Und sind die Vorwürfe tatsächlich neu? Ja, was die Vorwürfe organisierter Misshandlung und Zwangsprostitution von Schutzbefohlenen betrifft. Nein, wenn es um „schwarze Pädagogik“, Gewalt und Missbrauch in Kinderheimen geht.

„Die Debatte über die Zustände
in der staatlichen Obsorge hat in Deutschland Anfang der 70er-Jahre mit dem Film ‚Bambule‘ von Ulrike Meinhof begonnen“, erinnert sich der Kinderpsychiater Ernst Berger, der viele Jahrzehnte für die Gemeinde Wien tätig war. „Auch in Österreich gab es eine Anti-Heim-Bewegung. Da haben sich Aktivisten aus Protest gegen die Zustände in Wiens Heimen in Schönbrunn an den Tigerkäfig gekettet und den Stephansdom gestürmt. Bei der Arena-Besetzung Mitte der 70er-Jahre haben wir auch geflüchtete Heimkinder betreut“, sagt Berger, der nun im Auftrag der Opferschutzorganisation Weißer Ring Gespräche mit ehemaligen Heimkindern führt.

Was den Schutz von Kindern betrifft, herrschte im Österreich der 70er-Jahre tiefstes Mittelalter – ein Faktum, das in der momentanen Debatte gern übersehen wird. Die „gsunde Watschn“ war ein geläufiges Erziehungsmittel, das „Züchtigungsrecht“ wurde erst 1989 abgeschafft. Wie wenig es brauchte, dass der Staat einem das Kind abnahm, zeigen auch die „Amtsvormundschaften“, die bis in die 80er-Jahre üblich waren. Gebar eine alleinstehende Frau ein Kind, war automatisch das Jugendamt der gesetzliche Vormund. Erst wenn die Behörde der Meinung war, die Mutter führe einen sittlichen Lebenswandel, wurde ihr die Vormundschaft übertragen.

Im Schloss Wilheminenberg sollen grausame Dinge geschehen sein (Wikipedia)

Die ehemalige Heimerzieherin Ute Bock berichtete im Gespräch mit dem Standard von ehemaligen Waffen-SSlern, die nach dem Krieg als Erzieher ohne Ausbildung auf Heimkinder losgelassen wurden. Dazu kam, dass bis 1954 das nazideutsche „Reichswohlfahrtsgesetz“ in Kraft war. In einer 1975 fertiggestellten Studie der späteren SPÖ-Politikerin Irmtraud Karlsson über Wiener Kinderheime ist von Heimleiterinnen zu lesen, die ihre Zöglinge mit der Hundepfeife herumkommandierten, von Kindern, die stundenlang stillsitzen mussten und davon, dass „Bettnässer“ stigmatisiert und gedemütigt wurden. In diesen „totalen Institutionen“, wie Soziologen sie nennen, wurde jegliche Individualität zerstört, die Insassen von der restlichen Welt isoliert. „Montag, Mittwoch und Freitag ist Warmbad, die Körperpflege mache ich“, zitierte Karlsson die Leiterin eines privaten Knabenheims für sechs- bis 15-jährige Burschen, die offenbar selbst Hand an ihre Schützlinge legte.

Dass derartige Aussagen damals nicht die Alarmglocken schrillen ließen, ist nur aus dem Zeitgeist zu erklären. Kindesmissbrauch sei in den 70er-Jahren kein Thema gewesen, sagt Kinderpsychiater Ernst Berger. „Wir hatten 1974 einen Buben aus einem Bauernhof in Vorarlberg als Patienten in der Kinderpsychiatrie, von dem alle Ärzte wussten, dass sein Großvater auch sein Vater ist. Darüber wurde einfach nicht geredet“, sagt der Arzt.

Damals hätten es Psychiater als Fantasieprodukt abgetan, wenn Kinder über Missbrauch sprachen. Man werde doch nicht wegen der Fantasie der Kinder ehrenhafte Männer vor Gericht stellen. „Erst ab den 90er-Jahren hat man begonnen, Kinder wirklich ernst zu nehmen und ihnen zu glauben“, sagt Berger. Heute würden ihm die Opfer von damals in Gesprächen von Erzieherinnen und Erziehern berichten, die Kinder in ihre Zimmer und ihre Betten geholt haben. „Die Täter waren Männer und auch Frauen“, sagt Berger. Warum wurde darüber so lange geschwiegen? „Wenn ich ehemalige Heimbewohner frage, ob sie mit den anderen Kindern darüber gesprochen haben, sagen eigentlich alle: Nein, wir haben uns doch geschämt“, erzählt der Psychiater. Man müsse auch bedenken, dass diese Kinder in vollständiger Abhängigkeit von diesen Erziehern leben mussten.

Auch später hat sich kaum einer für diese Missbrauchsopfer interessiert. Schon 2007 erfuhr Berger bei einer Tagung in München, dass der deutsche Bundestag eine Kommission einrichte, um Übergriffe in staatlichen Heimen aufzuarbeiten. „Ich bin nach Wien zurück und habe verschiedenen Politikern und Journalisten gesagt: So etwas brauchen wir auch. Keiner hat reagiert“, sagt Berger. Erst unter dem Eindruck des kirchlichen Missbrauchsskandals gründete Wien im März 2010 eine Anlaufstelle für Heimopfer. Eine Lawine wurde aber erst durch die Interviews von Julia K. und Eva L. losgetreten.

Die beiden Frauen hatten sich zuvor an den Weißen Ring gewandt, der im Auftrag der Stadt Wien Clearinggespräche mit potenziellen Opfern des städtischen Heimsystems führt. Dass die beiden Frauen durch ihre Erlebnisse im Heim schwer traumatisiert sind, schien dem Gutachter des Weißen Ring eindeutig. 25.000 Euro beträgt die Entschädigung der Stadt Wien für Heimkinder „bei Fällen von über mehrere Jahre hinweg fortgesetzter (sexueller) Gewalt mit Verletzungsfolgen und/oder fortdauernden seelischen Schmerzen“. Nur in „besonders extremen Einzelfällen“ gibt es eine erhöhte Entschädigung. Julia K. und Eva L. erhielten jeweils 35.000 Euro, und dies, obwohl sie bei ihren Gesprächen mit dem Weißen Ring noch nichts von Kinderprostitution erzählt hatten.

Trotzdem fühlten sich die beiden beim Weißen Ring „nicht angenommen“, wie ihr Anwalt Johannes Öhlböck sagt. „Der Weiße Ring wollte keine Geschichten, keine Beweise, keine Details. Deshalb sind Julia K. und Eva L. zu mir gekommen.“ Der Rechtsvertreter, der gemeinsam mit zahlreichen prominenten FPÖ-Politikern Mitglied in der Burschenschaft Oberösterreiche Germanen ist, organisierte für die beiden Opfer Auftritte im Fernsehen und eine Pressekonferenz im Parlament. Dort wurden Vorwürfe erhoben, dass es im Heim Kinderprostitution und Serienvergewaltigungen gegeben habe. Aus Schilderungen einer Zeitzeugin, die in den 50er-Jahren als Kind mitansehen musste, wie ein Mädchen von einer Erzieherin geprügelt wurde und die dem Kurier sagte, „alle, fast alle, waren überzeugt davon, dass die tot ist“, machte der Anwalt einen praktisch erwiesenen Todesfall. „Kinder sind zu Tode gekommen“, sagte er über einen Fall, den die Staatsanwaltschaft nicht bestätigen kann.

Wenige Tage später sprach FPÖ-Parteichef Heinz-Christian Strache auf einer Kundgebung in der Wiener Lugner City von einem „Pädophilenring im Roten Wien“ und einem „Fall wie Dutroux in Belgien“. Der Sexualstraftäter Marc Dutroux hatte zahlreiche Kinder entführt, sexuell missbraucht und zwei von ihnen ermordet. Gibt es tatsächlich ein „Wilhelminenberg-Gate“? Oder nützen geschickte Anwälte und kampagnisierende Politiker das Leid Betroffener, um sich selbst ins Rampenlicht zu rücken?

„Unvorstellbar“ sind derartige Vorwürfe
für Beobachter wie den Sozialpädagogen Hans Feigelfeld, der in den frühen 70ern auf dem Wilhelminenberg eine reformpädagogische Abteilung leitete. „Die Möglichkeit zur sexuellen Gewalt war da“, räumt der Pädagoge ein. „Aber wie soll eine solche Organisiertheit möglich gewesen sein? Die Kinder hatten Kontakt zu ihren Familien, Schulen, Sozialarbeiterinnen. Darüber hinaus müssen sie mit Sanitätern und Ärzten konfrontiert gewesen sein. Von all denen muss niemand ein Wort gesagt haben.“

Mehr als 40 Jahre nachdem diese Vorfälle passiert sein sollen, existieren vor allem die Darstellungen der Opfer. Sie können stimmen oder auch nicht. Auch eine dritte Wahrheit ist möglich. „Es kann auch sein, dass diese Opfer es in ihrer kindlichen Wahrnehmung damals so abgespeichert haben“, meint eine Psychologin, die nicht namentlich genannt werden möchte. Hier brauche es einen behutsamen Umgang mit den Betroffenen, um in einem sicheren Rahmen das Erlebte aufarbeiten zu können. „Dass das Pressezentrum des Parlaments und die ‚Zeit im Bild‘ der richtige Rahmen sind, bezweifle ich“, sagt die Expertin.

Für Psychiater Berger ist nicht entscheidend, ob in den Berichten der Betroffenen jedes Detail stimmt. „Jeder Kriminologe weiß, dass Menschen im Schock Dinge anders wahrnehmen können. Diese Kinder befanden sich damals in einer existenziellen Bedrohungssituation“, sagt Berger. Für ihn sei es wesentlich zu verstehen, wie sich die Heimerlebnisse auf das weitere Leben dieser Personen ausgewirkt haben.

Um aber herauszufinden,
ob die massiven Vorwürfe der historischen Wahrheit entsprechen, braucht es mehr als den empathischen Zugang der Opferschützer. Deshalb präsentierte SPÖ-Jugendstadtrat Christian Oxonitsch vergangenen Freitag eine Untersuchungskommission. Ab Ende November wird ein vier- bis fünfköpfiges Team unter der Familienrichterin Barbara Helige Zeitzeugen interviewen und Akten studieren, um die Wahrheit zu finden.

Bis dahin kann niemand mit Sicherheit sagen, was wirklich am W-Berg geschah – sollte man meinen. Tatsächlich übertreffen sich Gazetten täglich mit grausigen Details. Zahlreiche Medien, allen voran Kurier und ORF, präsentieren allein die Tatsache, dass sich nun weitere Opfer beim Weißen Ring melden, als Beweis für ein kriminelles System organisierten Kindesmissbrauchs. Neue Opfer schocken mit Leidensberichten – und über die hysterische Berichterstattung gerät manch dringend notwendige Differenzierung außer Acht. Gerade bei einem Thema wie Kindesmissbrauch, wo ein einziges falsches Opfer all die tatsächlichen diskreditieren kann.

Stattdessen wird blind rundum verdächtigt, um möglichst viel politisches Kapital aus den Missbrauchsfällen ziehen zu können. Der Flüchtlingshelferin Ute Bock wirft Johann Gudenus, der zweite Mann in der FPÖ hinter Parteichef Strache, gar vor, die „linkslinke Gutmenschin“ hätte als Erzieherin in Wiener Kinderheimen „Zöglinge misshandelt“. Anwalt Öhlböck, eigentlich Experte für Internetrecht, hat angekündigt, weitere Opfer staatlicher Kinderheime zu präsentieren.

Bis der Fall Wilhelminenberg aufgearbeitet ist, bis die neu eingesetzte Kommission ihren Bericht vorlegen wird, kann noch fleißig weiterspekuliert werden. Übrig bleiben die Opfer. Die werden immer noch da sein, wenn die Karawane aus hysterisierenden Medien und kampagnisierenden Politikern weitergezogen ist.

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