18. November 2009 · 00:00
Tagtäglich warnt eine Wienerin im Internet vor der bevorstehenden Apokalypse. Zehntausende Anhänger hören ihr dabei zu. Was will Jane Bürgermeister? Aus dem Leben von Österreichs größter Verschwörungstheoretikerin
Porträt in Absentia: Joseph Gepp
Man stelle sich eine Runde amerikanischer Hacker vor, vielleicht in einer Kleinstadt mit sonst kaum Betätigungsfeldern. Sie treffen sich in den Hobbyräumen ihrer Eltern, stoppeln Rechner zusammen und entwerfen grinsend einen Hoax, eine Internetfalschmeldung. Der Fantasiebegabteste kreiert den Plot, indem er ein wenig Hightech und ein paar Großkonzerne mischt. Seine Freunde programmieren inzwischen eine Website und legen Spuren in Foren. Am Ende wählt der Kreis ein exotisches Alpenland zu seinem Juxschauplatz und gibt der Hauptperson einen Namen, „der klingt, als hätte ein Amerikaner einen österreichischen Namen absichtlich übertrieben“, wie im Forum „Infokriegernews“ zu lesen steht.
Und fertig ist die Verschwörungstheorie.
Ungefähr so muss sich die Geschichte abgespielt haben, die hinter Jane Bürgermeister steckt, denken die meisten, wenn sie im Internet zum ersten Mal auf sie stoßen.
Wer aber weiter nach ihr sucht, dem scheint der Scherz bald zu raffiniert, um nur ein Scherz zu sein. Er findet ein Bankkonto, auf das man für Bürgermeisters „investigative Arbeit“ spenden kann. Er findet ihre Wohnadresse, in Währing, Gürtelnähe. Er findet ein Gesicht, denn neuerdings taucht sie auch in selbstproduzierten Webfilmchen und Interviews auf.
Sie ist eine zierliche Frau, nach eigenen Angaben Tochter einer Irin und eines Österreichers, ungefähr 40, dezent gekleidet. Sie hat kurzes Haar, leichte Ringe unter den Augen, eingefallene Wangen, zuviel Lippenstift. Sie sitzt – darauf lässt ihre rege Publikationstätigkeit schließen – Tag und Nacht vor dem Computer. Und verbreitet ihre feste Überzeugung, wonach ein virenbedingter, von Pharmafirmen und Geheimbünden geplanter Massenmord bald den Großteil der Weltbevölkerung auslöschen wird.
Oft und immer öfter stößt man auf Jane Bürgermeister. Einmal auf dieser Homepage, dann auf jener, immer dort, wo Realität und Humbug in abenteuerlicher Mischung auf verborgene Zusammenhänge schließen lassen. Manchmal landen beunruhigende E-Mails im Eingangsordner, die in Nebensätzen „eine Frau Bürgermeister“ zitieren. Ein anderes Mal taucht die „Journalistin“ gar in seriösen Medien auf, kürzlich etwa bei Peter Michael Lingens im profil.

Jane Bürgermeister
(Quelle: theflucase.com)
Mehr als 900.000-mal findet Google mittlerweile ihren Namen, und wöchentlich werden die Einträge mehr. Auf tausenden Websites und Foren befasst man sich mit der Frau aus Wien-Währing, widerlegt sie, unterstützt sie, bedankt sich. Humanity is eternally grateful, schreibt Sophie aus den USA. Und Udo aus Deutschland fügt hinzu: „Machen Sie bitte weiter so!“
Jane Bürgermeister ist das Phänomen eines Informationszeitalters, in dem viele nicht mehr wissen, wo die Grenze zwischen Wahrheit und Wahnsinn zu ziehen ist. Einer Zeit, in der man Texte über große Weltverschwörungen publizieren kann und trotzdem von verblüffend vielen Menschen ernst genommen wird. In der keine Schwelle mehr die massenhafte Verbreitung von unreflektierter Halbinformation kontrollieren kann.
Jane Bürgermeister steht für die andere Seite dessen, was Befürworter als den „demokratisierenden Effekt des Internets“ begreifen. Selbstverständlich kann sich die iranische Opposition im Netz organisieren. Bürgermeister kann das allerdings auch.
Denn niemand prüft, ob etwas die Veröffentlichung wert ist, ob es den Grundsätzen journalistischer Sorgfalt und wissenschaftlicher Faktentreue entspricht. Niemand nimmt „einen Artikel ab“, wie das im Zeitungsjargon heißt. Wer immer will, kann heute publizieren. „Der Cyberspace“, schreibt der Medienwissenschaftler Gundolf Freyermuth, „ist für die Konspirationsfans am Ende des 20. Jahrhunderts, was im 19. Hinterzimmer und Flugblatt waren: Versammlungsort und Publikationsmittel zugleich.“
Das Zitat stammt von 1998 – aus grauer Vorzeit, wenn man die Geschichte des Internets betrachtet. Drei Jahre später explodierten in New York und Washington drei Flugzeuge. Es folgte die Ära George W. Bush und, Jahre später, die Weltwirtschaftskrise.
„Verschwörungsideologien entstehen meist nach emotionsgeladenen Ereignissen“, sagt der deutsche Extremismusforscher Armin Pfahl-Traughber aus Brühl. „Das konnte man schon nach der Französischen und Russischen Revolution sehen, ebenso nach dem 11. September. Die gegenwärtige Besonderheit liegt aber darin, dass durch das Internet Konspirationsvorstellungen weitaus breiter und schneller Verbreitung finden.“
31 Prozent der Deutschen unter 30 Jahren halten es für möglich, dass die US-Regierung die 9/11-Anschläge selbst angeordnet hat, erhob die deutsche Wochenschrift Die Zeit 2003. „Je komplizierter die Weltlage, desto fester glauben die Deutschen an Verschwörungstheorien.“
Für jene Spielart, die Jane Bürgermeister betreibt, haben Soziologen sogar einen eigenen Namen kreiert: „Hightech-Paranoia“. Thesen dieser Art fanden sich in den vergangenen Jahren bei allen breitenwirksamen Medizincausen, bei Sars, Aids, Vogelgrippe. Die dazugehörigen Online-Erzählungen sind immer dieselben: Das Medikament sei vergiftet, die Impfung jage in Wahrheit einen Mikrochip unter die Haut. Dahinter steckt immer eine sinistre Organisation, die Weltherrschaft erlangen und dafür die Menschheit töten oder zu willenlosen Sklaven degradieren will.
Eine Verschwörungsideologie, sagt Forscher Pfahl-Traughber, erkläre scheinbar einfach eine immer komplexer werdende Welt. Der Ideologe will nicht anerkennen, dass die Erde keinem großen Plan folgt. Er negiert die Ergebnisoffenheit menschlicher Prozesse, die verwirrende Überlagerung gesellschaftlicher Interessen, die unlogische Vielschichtigkeit der Wirklichkeit. Dabei dient ihm laut Pfahl-Traughber meist ein „reales Ereignis“ als Anknüpfungspunkt. Monokausal und stereotyp gedeutet, werden später vermeintliche Zusammenhänge rundherum gruppiert.
Für Jane Bürgermeister findet das reale Ereignis Anfang 2009 statt, vor ihrer Währinger Wohnung. Sie erzählt immer wieder davon. Eine Nachbarin macht sie auf einen Artikel in einer Bezirkszeitung aufmerksam.
Er handelt von einer Panne beim US-Pharmakonzern Baxter in Orth an der Donau. Im Februar werden von dort Proben an europäische Labors versandt. Nahe Prag entdecken Mitarbeiter, dass die als harmlos deklarierte Flüssigkeit mit gefährlichen Vogelgrippeerregern verseucht ist. Obwohl niemand angesteckt wird, alarmiert der Vorfall viele Ärzte. Baxter spricht von „menschlichen, technischen und prozessbedingten Fehlern“. Beutel seien nicht ausgewechselt worden, nachdem Forscher mit Grippeviren experimentiert hatten.
Vor diesem Artikel hat Jane Bürgermeister als freie Journalistin gearbeitet, für angesehene britische Blätter wie Guardian und Observer und Magazine wie Nature. Ihre Berichte handelten etwa vom Diebstahl des Saliera-Salzfasses, vom makabren Auto Franz Ferdinands im Wiener Heeresgeschichtlichen Museum, vom nordkoreanischen Atomprogramm. 2006 verfasste sie einen Nachruf auf den deutschen Historiker Joachim Fest, dessen „erzählerisches und psychologisches Feingefühl“ sie lobt.
Nun aber bringt die Lektüre des Bezirkszeitungsartikels etwas an die Oberfläche, was vielleicht schon vorher in ihr gearbeitet hat. Vorerst stellt sie nur Fragen über pharmazeutische Sicherheitsvorkehrungen. Sie beginnt, über eine Vertuschung bei Baxter zu spekulieren – was sie noch mit Ärzten gemeinsam hat, die man auf den Fall anspricht. Aber Jane Bürgermeister geht viele Schritte zu weit.
Man kann diese Schritte auf den Downloadvideos verfolgen, in denen sie von anderen Verschwörungstheoretikern interviewt wird. Bürgermeister spricht konzentriert. Sie beginnt mit Ausführungen über den Vorfall bei Baxter, die nicht unklug anmuten. Dann aber sagt sie, immer noch seriös klingend, ihre Meinung über die Hintergründe. Sie nennt Organisationen, die man sonst nur aus Mystery-TV-Serien oder Dan-Brown-Romanen kennt. Und zwischen ihrem sachlichen Auftritt und ihren Worten beginnt eine breite Lücke zu klaffen.
Die Panne bei Baxter, behauptet Bürgermeister, deute auf eine „radikale Reduktion der Weltbevölkerung“ mittels Killerviren im Schweinegrippeimpfstoff hin. Bald werde die Weltgesundheitsorganisation WHO die nationalen Regierungen entmachten und die Impfung zur Pflicht erklären. 80 Prozent der Menschen würden darauf dem biologischen Massenmord zum Opfer fallen, der Rest eine neue Sklavenschicht bilden. Denn die Injektion enthalte auch satellitengesteuerte Mikrochips, um Überlebende gefügig zu machen. Es sei „ein Plan, der über Jahrzehnte ausgearbeitet“ wurde.
Die Drahtzieher, führt Bürgermeister weiter aus, seien Uno und WHO. Dahinter stünden – „wenn man alles durchdenkt“ – die mächtigen Geheimbünde der Freimaurer, Bilderberger und Illuminaten.
In letzter Konsequenz gehe es um Ressourcenknappheit. „Es gibt weniger Wasser und Agrarland. Aber die Gruppe will nicht auf erneuerbare Energien umsteigen, sondern die Menschheit reduzieren. Dann haben sie einen Planeten, der frisch und nah am Urzustand ist.“ Es sei „der alte Traum von der Herrschaft der Welt“. Zur Kerngruppe zählen etwa – „wenn man alle Stücke zusammenfügt“ – „die Rothschilds und Rockefellers“.
Je weiter Jane Bürgermeister vom initialen Vorfall bei Baxter weggeht, desto mehr bedient sie sich klassischer verschwörungstheoretischer Inhalte. Dem Geheimbund der Illuminaten, erklärt Wissenschaftler Pfahl-Traughber, habe man schon vor 200 Jahren die Schuld an der Französischen Revolution gegeben. Obwohl der aufklärerische Verein in Wahrheit 1785 aufgelöst wurde, stößt man heute immer wieder auf ihn – vor allem auf rechtsradikalen Internetseiten.
Womit man bei Bürgermeisters zweitem Topos wäre: der jüdischen Bankiersfamilie Rothschild. Dass Juden Böses im Schilde führen, gilt geradezu als verschwörungstheoretische Urannahme. Im Mittelalter löste die Angst, dass sie Brunnen vergiften würden, Pogrome aus. Später wies die Naziparole vom „schaffenden und raffenden Kapital“ den Weg zur heutigen Sichtweise von Links- und Rechtsextremisten: Der Jude, immer schon böse, versteckt nun seine diabolische Absicht hinter seinem Händlertum.
Die Kombination von massenhafter Grippeangst und klassischen Verschwörungsinhalten machte Bürgermeisters Theorie zum Weberfolg: Jene, die bisher nichts mit Konspirationen zu tun hatten, sind verunsichert und für die „investigative Journalistin“ empfänglich. Und andere, die Verschwörungstheorien ohnehin glaubten, entdecken sich selbst in Bürgermeister wieder. Im richtigen Moment publiziert, wurde die haarsträubende These vom geplanten Massenmord zum kleinen Massenphänomen.

Durch diese Nadel passt ein Chip, sagt Jane Bürgermeister
(Quelle: Landratsamt Roth)
„Bürgermeister hat sich offenbar in ihrem Thema verrannt“, sagt der Tiroler Infobroker Dietmar Mühlböck, der seit Jahren Radikalismen im Internet beobachtet. „Sie scheint in ihrem missionarischen Eifer jede Vorsicht außer Acht zu lassen, mit welch radikalen Kreisen sie sich einlässt. Das manifestiert sich zum Beispiel in Interviews mit politisch eindeutig verortbaren Personen.“
Im September etwa stand Bürgermeister dem ehemaligen Universitätsprofessor Michael Vogt Rede und Antwort. Kritiker sagen ihm Nähe zur rechtsradikalen deutschen NDP nach. Ein von ihm gedrehter Film namens „Geheimakte Heß“ führte laut Spiegel zu seiner Suspendierung von der Uni Leipzig. Bis vor kurzem arbeitete Vogt für ein Web-TV-Projekt, dessen Gründer ein Buch über jüdische Weltverschwörer im Kampf gegen Nazis und Außerirdische schrieb.
Mittlerweile taucht Bürgermeister auch auf der Homepage des Ex-FPÖ-Politikers Karlheinz Klement auf. Sie teilt sich diese Ehre mit allerlei Berichten über die obskuren Pläne des israelischen Geheimdienstes Mossad oder des „Synhedriums der B’nai B’rith“. Im September wurde Klement noch nicht rechtskräftig zu fünf Monaten bedingt verurteilt. Laut Staatsanwaltschaft stand auf seiner Homepage: „Das jüdische Volk hat aus dem Holocaust nichts gelernt und braucht eine zweite Lektion. Wenig Trauer würde es hervorrufen, wenn alle Juden auf einem Schlag gleichzeitig von der Welt scheiden würden.“
Trotzdem führt Bürgermeister den Kampf fort. Kürzlich erstattete sie Anzeigen gegen vermeintliche Mitwisser der Verschwörung, gegen Baxter, Novartis, profil-Herausgeber Christian Rainer, Bundeskanzler Faymann, Gesundheitsminister Stöger, George Bush, Barack Obama. Über solch einen Dilettantismus, heißt es nun aus Insiderkreisen, beschweren sich sogar andere Verschwörungstheoretiker. Man will ja die Glaubwürdigkeit der Bewegung nicht gefährden.
Doch Bürgermeister ist inzwischen präsenter als so mancher alter Hase der Szene. Kritik und Anfeindungen schmettert sie ab. Auf die Falter-Bitte um ein Gespräch antwortet sie: „Leute wie Sie sind mitverantwortlich an diesem miserablen Zustand. Ich verschwende keine Zeit mit Ihnen. Kontaktieren Sie mich nie wieder.“
Kürzlich tauchte ein neues Video auf. Darin führt Jane Bürgermeister durch Wien, vor das Gesundheitsministerium, zum kamerabestückten Zaun der Uno-City, in die U-Bahn, wo sie Passagiere vor der bevorstehenden „Zwangsimpfung“ warnt.
Von Oktober hat sie ursprünglich gesprochen, wenn es um den Beginn des Massenmords ging. Jetzt nennt sie bevorzugt das Jahresende 2009. Silvester wird kommen und gehen. Jane Bürgermeister wird einen Weg finden, um auch das zu erklären.
„Häufig antisemitische Verschwörungsmythen“
Reinhold Gärtner, 54, ist Professor für Politikwissenschaften an der Universität Innsbruck. Neben zahlreichen Publikationen zu den Themen Rassismus, Nationalismus und Antisemitismus hat er kürzlich ein Buch mit dem Titel „Politik der Feindbilder“ veröffentlicht. Darin setzt er sich mit FPÖ-Slogans und Alltagsrassismus auseinander.
Falter: Herr Gärtner, welche Verschwörungstheorien gibt es in Österreich?
Reinhold Gärtner: Man findet im Grunde das ganze Spektrum, das es auch anderswo gibt. Abgesehen davon würde ich aber sagen, dass antisemitische Verschwörungsmythen in Österreich häufiger vorkommen als in vielen anderen Ländern.

Reinold Gärtner über Verschwörungstheorien
(Quelle: privat)
Und wie genau sehen diese Mythen aus?
Gärtner: Es kann sich etwa um die „Protokolle der Weisen von Zion“ drehen. Oder um vermeintliche Machenschaften des israelischen Geheimdienstes Mossad. Im Internet gibt es verschiedene Konjunkturen für diese Abstrusitäten.
Aber warum sind solche Muster gerade in Österreich so deutlich ausgeprägt?
Gärtner: Österreich hat eine lange Geschichte und Tradition des Antisemitismus. Über Jahrhunderte wurde der Boden für jene Mythen bereitet, die heute durchs Internet spuken. Zwar existieren und existierten sie auch in anderen Ländern, denken Sie nur an die Affäre Dreyfus im Frankreich des 19. Jahrhunderts. Aber hier treten sie häufiger auf. Wenn man auf österreichischen Internetseiten nach Verschwörungstheorien sucht, dann stößt man beispielsweise viel häufiger auf den Mossad als auf KGB oder CIA. Warum? Das hat sicherlich auch mentalitätsgeschichtliche Gründe.
Jane Bürgermeister war zu keiner Stellungnahme bereit.
Kurz nach der„Falter“-Bitte um ein Gespräch erschien allerdings ein englischsprachiger Brief auf ihrer Homepage.
Darin steht unter anderem:
„Now, we await our
first big attacks from main
stream media (…)
We have to ‚man our battle
stations‘ (…) being under
attack is the best compliment (…)
We are many, they are few!“
Zum Thema
Der britische „Guardian“-Journalist Jon Ronson hat jahrelang Verschwörungstheoretiker begleitet und ihre Geschichte in einem Reportagenband versammelt. Sie handeln unter anderen vom Ku-Klux-Klan, von amerikanischen Neonazis und Bilderberger-Jägern und von einem Ex-Fernsehmoderator, der fest daran glaubt, dass eine Echsen-Elite in Wahrheit die Welt regiert
Jon Ronson, Radikal – Abenteuer mit Extremisten, Verlag Salis, 288 S., € 24,90
Erschienen im Falter 47/09
kostenloser Counter
