Schlagwort-Archive: Dieselskandal

Abgaswolken am Horizont

Aus profil 28/2018 vom 09.07.2018

Deutschland ist zwar nach wie vor Europas unangefochtene Wirtschaftsmacht Nummer eins. Doch in der bedeutenden Autoindustrie drohen Probleme. Durchaus hausgemachte.

Von
Joseph Gepp

Die Wirtschaftsnachrichten aus Europa in den vergangenen Jahren waren, nun ja, nicht immer von reinster Freude. Von Rekordarbeitslosigkeit war da die Rede und von ebensolcher Staatsverschuldung, von Abwanderung und kollabierenden Industrien. Nur ein Land schien von all dem nicht betroffen zu sein. Während viele andere Staaten darbten, wies Deutschland in den vergangenen Jahren eine Rekordbeschäftigung auf. Und ein Nulldefizit obendrein. Der antizyklische Erfolg hat zahlreiche Gründe. Er hängt etwa mit einer langen Industrietradition zusammen, mit vielen neuen Kunden aus China, aber auch mit schmerzhaften Wirtschaftsreformen und Lohnzurückhaltung, die sich Deutschland infolge der Wiedervereinigung verpasst hat. Jedenfalls ist der große Nachbar -ohnehin seit Jahrzehnten ökonomische Großmacht -im letzten Jahrzehnt endgültig zur einsamen Europaspitze aufgestiegen. Und heute? So wie in Angela Merkels Regierung und Jogi Löws Nationalteam derzeit Frust und Sorge die vorherrschenden Themen sind, so auch in den Reihen der deutschen Wirtschaft. Konkret in der – bisher hocherfolgreichen -Automobilindustrie. Sie ist der Leitsektor schlechthin. Ganze 800.000 Jobs hängen am Autobau, das entspricht 7,7 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung. Gerät die Autoindustrie in Gefahr, hat nicht nur ganz Deutschland ein Problem, sondern auch weite Teile Europas. Unter anderem Österreich, dessen Autozuliefererbranche stark auf Deutschland konzentriert ist. Mitte Juni wurde Audi-Chef Rupert Stadler im Zuge der sogenannten Abgasaffäre verhaftet – ein Ereignis, wie es noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wäre. Zugleich stellen heute selbst Branchengrößen wie Ex-VW-Chef Matthias Müller öffentlich jene Technologien infrage, die ihre Konzerne seit Jahrzehnten federführend entwickelt und in aller Welt verbreitet haben. Was ist da los? Und hat das noch Zukunft? Es begann 2015, da flog die Lebenslüge der deutschen Wirtschaft auf. Der Dieselantrieb war bis dahin jenes Produkt, bei dem Deutschland unangefochten führte. Fast jeder zweite in Deutschland gefertigte PKW ist ein Diesel. Der Antrieb galt bis vor Kurzem als Zukunftstechnologie, weil er weniger klimaschädliches Kohlendioxid ausstößt als ein Benziner. Allerdings dafür umso mehr lungenschädliches Stickoxid. Genau das wollten die deutschen Autobauer, allen voran die Wolfsburger Volkswagen AG, durch betrügerische Software kaschieren. Bis 2015 der Schwindel aufflog.

Seither erlebt der Diesel einen rasanten Niedergang. Städte wie Hamburg verhängen aus Luftschutzgründen Teil-Fahrverbote. Laut dem deutschen Kraftfahrt-Bundesamt brechen derzeit die Diesel-Neuzulassungen im Vergleich zum Vorjahr um rund 30 Prozent ein.

Zugleich wachsen in anderen Staaten Konkurrenztechnologien heran, die den Deutschen Sorgen bereiten. Da wären einerseits die großen US-Datenkonzerne wie die Google-Mutter Alphabet. Sie streben danach, zu internetbasierten Mobilitätsdienstleistern zu werden -sie wollen quasi die Tour im selbstfahrenden Auto per Google-Klick anbieten. Andererseits gibt es da Asiens Autokonzerne, etwa in Südkorea und China. Sie investieren massiv in elektrisch betriebene Autos und deren Komponenten. Diese Wagen stoßen weder Kohlendioxid noch Stickoxide aus (zumindest solange ihr Strom nicht aus fossil betriebenen Kraftwerken kommt). In Deutschland stocken die Versuche, bei derlei Technologien gleichzuziehen. Schließlich hat man Forschung und Marketing jahrzehntelang auf den vermeintlich zukunftsträchtigen Diesel konzentriert , der nun ins Hintertreffen gerät. Beispielsweise gibt es im ganzen Autoland Deutschland keine einzige Fabrik für Batteriezellen von E-Autos. VW plant zwar eine in der Stadt Salzgitter, hat dies aber nicht realisiert. Batteriezellen müssen aus Fernost importiert werden.

Aus dem Rückfall können sich Probleme ergeben. Zum Beispiel betreffend China, dem größten Hoffnungsmarkt deutscher Autobauer. Allein von 2016 auf 2017 legten laut deutschem „Verband der Automobilindustrie“ die Exporte nach China um elf Prozent zu. Was aber, wenn sich Pekings Führung über Nacht entschlösse, rigorose Quoten für E-Autos einzuführen? Ein solcher Schritt könnte Klimaschutz und Luftqualität geschuldet sein – oder schlicht dem Willen, die eigene Autoindustrie vor ausländischer Konkurrenz zu schützen. Jedenfalls könnten die Deutschen die plötzliche Nachfrage nach E-Autos nicht befriedigen. VW etwa plant zwar, dass jeder vierte PKW elektrisch fahren soll -aber erst in acht Jahren.

Allerdings: Dass Deutschland wirklich das Rennen gegen die USA und Fernost verlieren wird, ist keineswegs gesagt. Laut dem Münchner Wirtschaftsforschungsinstitut ifo sind beispielsweise 60 Prozent aller Patente weltweit, die autonomes Fahren betreffen, auf deutsche Hersteller angemeldet. Das belegt, wie die Deutschen intensiv in jenen Bereichen forschen, in denen etwa Alphabet und das US-Unternehmen Tesla tätig sind.

Überdies plagen auch die Konkurrenzkonzerne aus USA und Fernost ihre eigenen Sorgen. In den USA ist es fraglich, ob manch utopische Projekte von Unternehmen wie Alphabet jemals Gewinne abwerfen. Und in Fernost? Viele dort produzierten E-Mobile sind qualitativ minderwertig; ihre Reichweiten sind minimal. In China werden sie nur gekauft, weil der Staat den Erwerb fördert.

Fest steht, dass im internationalen Mobilitätssektor ein gewaltiger Umbruch stattfindet. Vor diesem Hintergrund kämpfen derzeit die Industrien mehrerer Staaten um die Vorherrschaft. Es ist ein Wandel, in dem alte Technologien und Geschäftsmodelle rasch abstürzen und neue ebenso aufsteigen. Solche Phasen bringen immer Gewinner und Verlierer hervor. Vielleicht hat in Deutschland das Verlieren schon begonnen.

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Der lange Arm von Aarhus

Aus profil 23/2018

Ein weitgehend unbekanntes Rechtsdokument sorgt dafür, dass auch in Österreich – wie in Deutschland – Dieselfahrverbotedrohen könnten. Wenn auch nicht sofort.


Von
Joseph Gepp

Was haben Hamburg und Wien mit der dänischen Stadt Aarhus zu tun? In Hamburg gelten neuerdings teilweise Fahrverbote für gesundheitsschädliche alte Diesel-Autos; in Wien und anderen österreichischen Städten steht dies bisher nicht zur Debatte. Warum nicht? Dies wiederum hängt mit Aarhus zusammen.

Dort wurde im Jahr 1998 eine völkerrechtliche Konvention unterschrieben, unter anderem von Deutschland und Österreich. Die Aarhus-Konvention gesteht jeder Person Rechte im Umweltschutz zu, etwa den Zugang zu Gerichten in Umweltfragen. Unter anderem auf dieser Basis verklagte eine deutsche Umweltschutzorganisation mehrere deutsche Städte wegen ihrer schlechten Luftqualität. Der Fall wanderte schließlich vor das deutsche Bundesverwaltungsgericht. Dieses entschied im Februar im Sinne der Umweltschützer, dass Städte Fahrverbote verhängen dürfen.

Und in Österreich? Hierzulande galt es viele Jahre als juristisch umstritten, ob der Zugang der Gerichte, wie ihn die Aarhus-Konvention vorsieht, tatsächlich in vollem Umfang gilt. „Erst Anfang März erging ein Urteil des heimischen Verwaltungsgerichtshofs“, erklärt Thomas Alge, Jurist beim Ökobüro, einer Allianz von Umweltbewegungen. Seither gilt: Wenn Betroffene der Meinung sind, dass bestimmte Luftgrenzwerte nicht ausreichend umgesetzt sind, können sie bei der zuständigen Behörde einen Antrag auf Prüfung stellen -ein Verfahren , das möglicherweise darin mündet, dass ein Gericht die Verbesserung der Luftqualität verpflichtend vorschreibt.

Das Urteil könnte also noch folgenreich sein. Es führt dazu, dass Diesel-Fahrverbote in Österreich ebenso durchsetzbar sind wie in Deutschland. Zumindest theoretisch . Denn in Praxis laufen in Deutschland bereits seit einem Jahrzehnt Verfahren in derlei Causen -während die juristische Bearbeitung des Themas in Österreich erst beginnt. Allzu schnell sollte man daher noch nicht mit Verboten rechnen.

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Eingeordnet unter Wirtschaft

An Getrickstem tricksen

Aus profil 46/2015

Kommentar: Joseph Gepp

Wenn ein großer Skandal ans Licht kommt und eine Hiobsbotschaft die nächste jagt, geht zuweilen der Überblick verloren. Dann muss man sich vor Augen führen, wie diese neueste Botschaft in die große Geschichte passt. So wie beim VW-Skandal.

Die Schlagzeile dieser Woche: Es gehe nicht allein um Diesel-Autos, sondern auch um Benziner. Genauso wenig sei ausschließlich beim Schadstoffausstoß getrickst worden, sondern auch beim Verbrauch. Konkret hat VW dies für 800.000 Autos zugegeben.

Was bedeutet das? Bereits seit Jahren ist bekannt, dass bei der Feststellung des Verbrauchs von Autos in einer halblegalen Weise getrickst wird. Mithilfe von Spezialreifen und anderen Scherzen erreichen die Autokonzerne völlig unrealistische Testergebnisse, was den offiziellen Verbrauch der Wagen betrifft.

Volkswagen scheint aber darüber hinaus weiter getrickst zu haben. Und zwar diesmal nicht mithilfe komplizierter Software oder noch raffinierterer Spezialreifen. Sondern schlicht mit Lügen. Die Motorabteilung des Konzerns scheint die (ohnehin im Testverfahren geschönten) Verbrauchswerte zu gering angegeben zu haben. Am Getricksten wurde quasi nochmals getrickst.

Die neueste Wendung der Affäre bekräftigt eines: Die Tests müssen dringend europaweit harmonisiert, strenger gestaltet und vor allem von den Staaten selbst durchgeführt werden – und nicht, wie derzeit, von Prüfunternehmen im Auftrag der Autoindustrie. Wer Gesetze macht, sollte deren Überprüfung nicht ausgerechnet den von ihnen betroffenen Konzernen überlassen. Das hat schon bei Banken und Rating-Agenturen ins Desaster geführt.

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Eingeordnet unter Wirtschaft

Ausstossgebet

Aus profil 44/2015

Der Dieselskandal trifft 363.000 Autofahrer in Österreich. Über eine Affäre, deren Dimensionen nicht einmal VW selbst kennt.

Von Joseph Gepp und Christina Hiptmayr

Aus Reinhold H. wird in diesem Leben bestimmt kein Autofreak mehr. PS, Hubraum, Drehmoment – oder worüber sonst Afficionados stundenlang mit Inbrunst diskutieren können – lassen den 44-jährigen Niederösterreicher ziemlich kalt. Sein Fahrzeug soll nur halbwegs sparsam im Verbrauch sein und ihn verlässlich von A nach B bringen. Ohne irgendwelche Mätzchen.

Fragt man Reinhold H., welches Auto er fährt, antwortet er: „VW Golf, Kombi, blau“. Auch das Baujahr – 2009 – kann er gerade noch nennen. Und: Er tankt Diesel.

Die Kombination dieser Fakten führte allerdings dazu, dass sich H. in den vergangenen Tagen doch häufiger und intensiver als üblich mit seinem Auto auseinandersetzen musste als üblicherweise. Sie wissen schon: VW-Abgasskandal. Manipulationssoftware. Und eine große Rückrufaktion.

Reinhold H. war irritiert. Sein zuverlässiges Auto eine fahrende Dreckschleuder, er selbst mit seinem Gefährt halb in der Illegalität unterwegs? H. tippte auf der Unternehmenswebsite des Volkswagen-Konzerns seine 17-stellige FIN (Fahrzeugidentifikationsnummer) ein -und atmete auf.

„Lieber Volkswagen-Kunde, wir möchten Ihnen bestätigen, dass das Fahrzeug mit der von Ihnen eingegebenen Fahrzeug-Identifizierungsnummer nicht von der Software betroffen ist, die Stickoxidwerte (NOx) im Prüfstandlauf (NEFZ) optimiert. Wir bedauern zutiefst, dass Ihr Vertrauen in die Marke Volkswagen derzeit auf die Probe gestellt wird, und arbeiten mit Hochdruck daran, alle Unregelmäßigkeiten aufzuklären und das Vertrauen, das so viele Menschen in uns setzen, vollständig wiederzugewinnen. Wir werden alle unsere Kunden weiterhin fortlaufend und transparent informieren. Sollten Sie weitere Fragen haben, nutzen Sie bitte unsere Kontaktfunktion auf dieser Website.“

Reinhold H. hatte vorerst keine weiteren Fragen. profil jedoch schon. Was verändert sich jetzt für jene VW-Fahrer in Österreich, die vom Skandal betroffen sind? Werden ihnen Nachteile entstehen? Haben sie Handlungsbedarf? Und was geschieht, wenn ihnen Abgaswerte reichlich egal sind – und sie sich weigern, bei etwaigen Rückholaktionen mitzumachen?

Beim VW selbst scheint es mit der viel beschworenen transparenten Information nicht weit her zu sein. In den vergangenen Wochen richtete dieses Magazin mehrere Anfragen an die Konzernzentrale im deutschen Wolfsburg. Keine einzige wurde beantwortet. Ebenso fällt die unternehmenseigene Pressedatenbank als Abhilfe aus. Normalerweise versorgt sie Journalisten rund um die Uhr mit allen möglichen Informationen. Doch diesmal zeigt die Probe aufs Exempel: Viele Daten (vor allem technische), die vor einigen Wochen noch verfügbar waren, sind mittlerweile gelöscht. Ein weiteres Indiz, wie defensiv und intransparent das Informations- und Krisenmanagement beim VW-Konzern ausfällt, der bis vor einigen Wochen noch als deutsches Vorzeigeunternehmen galt.

Viele Fragen sind nach wie vor offen. In Österreich muss Volkswagen 339.000 Diesel-PKW (plus 24.4000 Nutzfahrzeuge) zurückrufen – immerhin jedes dreizehnte Auto, das auf Österreichs Straßen fährt. Deren Halter sind verunsichert. Was kommt auf sie zu? VW hat das bisher höchst lückenhaft beantwortet. Offensichtlich kennt das Unternehmen die Antworten selbst nicht.

Über VW entspannt sich gerade – so viel jedenfalls steht fest – ein Fall, der die gesamte Autobranche ins Gerede bringt, die Zukunft des Dieselantriebs zur Disposition stellt – und im deutschen Konzern selbst keinen Stein auf dem anderen lässt.

Vor einem Monat gab das US-amerikanische Umweltamt bekannt, in einer halben Million Fahrzeuge eine Software zur Manipulation von Abgaswerten entdeckt zu haben. Dutzende Staaten leiteten daraufhin Ermittlungen gegen den Konzern ein. VW stürzte an der Börse ab und musste Milliarden zur Seite legen, um die drohenden Folgekosten der Affäre stemmen zu können. Der gefeierte, langjährige Vorstandschef Martin Winterkorn galt innerhalb weniger Tage als nicht mehr tragbar:

Er trat am 23. September zurück und wurde durch Matthias Müller (zuvor Porsche-Vorstandsvorsitzender) ersetzt. Gleichzeitig gab VW bekannt, dass weltweit elf Millionen Fahrzeuge von der Manipulation betroffen seien.

VW hatte bis dahin gern mit sauberen Abgaswerten geworben. Mit Werten, die nicht nur unterhalb der gesetzlich vorgeschriebenen lagen, sondern auch jene der Mitbewerber unterboten. Es war nicht mehr als eine irreführende Werbekampagne. Mehr noch: Manche dieser Fahrzeuge könnten sogar illegal unterwegs sein, weil sie gesetzliche Abgaswerte überschreiten. Auch in Österreich.

Nachdem das deutsche Verkehrsministerium Mitte Oktober die Zwangsrückholung für 2,4 Millionen betroffene Fahrzeuge angeordnet hatte, zog auch Österreich nach. Ziel einer solchen Rückrufaktion: Die festgestellten Mängel müssen auf Kosten des Herstellers beseitigt werden.

Betroffene heimische VW-Kunden erhielten dieser Tage die Information, „dass an Ihrem/n nachfolgend angeführten Fahrzeug/en Nacharbeiten erforderlich sein werden“. Weiters hieß es in dem Schreiben: „Sobald die technischen Maßnahmen zur Verfügung stehen, werden wir Sie nochmals schriftlich informieren.“ Ausgeschickt wurden die Briefe von der Porsche Holding Salzburg, einer 100-Prozent-Tochter der Volkswagen AG, die als Importeur für die Durchführung des Rückrufes verantwortlich ist. Die Daten zu Fahrgestellnummern und aktuellen Zulassungsbesitzern stammen vom österreichischen Versicherungsverband. Voraussichtlich ab Jänner 2016 soll nun mit dem Rückruf begonnen werden.

„Wir werden die Kunden schriftlich dazu einladen“, sagt Richard Mieling, Sprecher der Porsche Holding. Allerdings nicht alle auf einmal, sondern in mehreren Tranchen. „Damit es nicht zu allzu langen Wartezeiten auf Werkstatttermine kommt.“ Denn die Aktion ist logistisch eine Herausforderung. Die Vertragswerkstätten des Konzerns müssen erst für die Nachbesserungen nach Vorgabe des Herstellers autorisiert werden. Und es muss abgeklärt werden, ob die Servicepartner auch die geeigneten Diagnosegeräte zur Verfügung haben. In Österreich gibt es aktuell 270 Vertragswerkstätten für Volkswagen (für 180.500 betroffene Fahrzeuge), 223 für 72.500 betroffene Audis, 180 für 54.3000 Skoda und 149 für 31.700 Seat. Das ergibt rein rechnerisch 421 Fahrzeuge pro Werkstatt, die zusätzlich zum üblichen Tagesgeschäft verarztet werden müssen.

Die Porsche Holding muss während der Aktion das Verkehrsministerium regelmäßig über den Fortschritt der Rückrufmaßnahmen informieren. Sind Kunden säumig, erhalten sie nach drei Monaten ein Erinnerungsschreiben, erklärt Porsche-Sprecher Mieling. Treten sie dann immer noch nicht den Weg in die Werkstatt an, werden die Autofahrer nach zwölf Wochen ein weiteres Mal erinnert. Wird danach noch ein vierter Brief nötig, wird dieser eingeschrieben zugestellt. Dessen Inhalt? „Das ist Sache des Verkehrsministers. Dieser hat sich diesbezüglich aber noch nicht geäußert“, sagt Mieling.

Was also, wenn die betroffenen Dieselfahrer die Umrüstung einfach verweigern? In letzter Konsequenz kann sogar die Zulassung entzogen werden. „Dazu zwingt uns die europäische Rechtslage“, heißt es auf profil-Anfrage aus dem Verkehrsministerium. Hintergrund: Die Typengenehmigung für Fahrzeuge in ganz Europa obliegt jeweils den Behörden im Herstellerland. Im Falle VW also das deutsche Kraftfahrtbundesamt in Flensburg. Dieses kann die Typisierung auch wieder entziehen, wenn sich herausstellt, dass sie durch Tricksereien erschwindelt wurde. Und in der Folge wäre in Österreich die Zulassung perdu, weil das Auto ja nunmehr kein genehmigtes mehr ist. Fazit: „Wir können den Autofahrern nur dringend dazu raten, der Aufforderung von VW zur Umrüstung nachzukommen“, heißt es aus dem Büro von SPÖ-Verkehrsminister Alois Stöger. Nachsatz: Man gehe davon aus, dass VW alle dabei anfallenden Kosten übernimmt -nicht nur für die Umrüstung selbst, sondern etwa auch für eventuell notwendige Leihwagen.

Ist der Schaden wirklich so groß, dass sich Österreichs VW-Fahrer gar auf eine Phase im geliehenen Fahrzeug gefasst machen müssen? Das ist derzeit noch unklar. „Es gibt momentan wahrscheinlich nur zwei Stellen in Europa, die genau wissen, welche Autotypen in welchem Umfang umgerüstet werden müssen“, sagt Werner Tober, Autoexperte der Technischen Universität Wien (TU):“VW selbst und das deutsche Kraftfahrtbundesamt.“

Doch nicht einmal das trifft zu. Laut Porsche-Sprecher Mieling ist „dem Hersteller noch nicht bekannt, für wie viele Fahrzeuge ein reines Softwareupdate ausreicht und bei wie vielen in die Hardware eingegriffen werden muss“. Aktuell müssen mehrere Hundert unterschiedliche Softwarelösungen entwickelt werden. Ob Fünf- oder Sechs-Gang-Getriebe, ob Automatik oder manuell, ob 1,2-, 1,6-oder Zwei-Liter-Hubraum – alles erfordere eine individuelle Programmierung, sagt Mieling. Dazu kommt das jeweilige Baujahr und Gewicht, das jeweils unterschiedliche Lösungen erfordert. Wenn sich danach herausstellt, dass die jeweilige Softwarelösung nicht genügt, müsse die entsprechende Hardware erst entwickelt werden, so Mieling.

Zur Verwirrung trägt auch bei, dass bisher nicht klar ist, wie die Software in Europa genau funktioniert. VW hat bislang lediglich zugegeben, dass auch diesseits des Ozeans manipuliert wurde. Aber lief dies genauso ab wie in den USA? Von dieser Frage hängt der Umfang der notwendigen Umrüstungsarbeiten ab.

Zur Erinnerung: In den USA sorgt die Manipulations-Software dafür, dass die Abgasnachbehandlung – zum Beispiel der Katalysator – nur auf dem Prüfstand voll aktiv ist, also bei der Feststellung des Schadstoffausstoßes unter Laborbedingungen. Fährt der Wagen hingegen auf der Straße, stößt er bis zu 35mal soviel Schadstoffe aus. Er liegt damit weit über den strengen gesetzlichen Grenzwerten, wie sie etwa in Kalifornien gelten.

In Europa hingegen ist der gesetzliche Abgasgrenzwert viel weniger streng als in den USA: Drüben beträgt er etwa 30 Milligramm Stickoxid pro Kilometer, hier – bei bestimmten Abgasklassen – 180. Das führt zur Frage: Wenn die Regulierung in Europa weniger streng ist, warum sollte dann im selben Ausmaß getrickst worden sein?

Vielleicht war die Software in europäischen Fahrzeugen nicht vollständig aktiviert. Dann würde vermutlich ein Software-Update zur Herstellung des zulässigen Zustands ausreichen, erklärt Tober.

Der schlechtere Fall: Die Autos überschreiten auch in Europa die gesetzlichen Grenzwerte massiv, sobald die illegale Software deaktiviert ist. Dann wären aufwendige Anpassungsarbeiten notwendig. Denn es gilt zu vermeiden, dass die Einhaltung der Stickoxidemissionen zu einem höheren Kraftstoffverbrauch führen. Einen höheren Verbrauch werden die Kunden nicht widerspruchlos hinnehmen. Die VW-Techniker in Wolfsburg stehen vor einer weiteren großen Herausforderung.

„Ziel ist natürlich, Leistung und Verbrauch unverändert zu halten“, sagt Mieling. Ob dies auch gelinge, könne man heute noch nicht sagen. „Das wissen wir erst, wenn die Maßnahmen stehen“, erklärt der Porsche-Sprecher.

Für Sabina S. heißt es also abwarten. Die Wienerin fährt einen VW Tiguan, Baujahr 2013. Auch S. hat kürzlich die Website des VW-Konzerns konsultiert und ihre Fahrgestellnummer eingetippt.

Die Antwort fiel anders aus als bei Reinhold H.:“Lieber Volkswagen-Kunde, wir müssen Sie leider informieren, dass der in Ihrem Fahrzeug eingebaute Dieselmotor vom Typ EA189 von einer Software betroffen ist, die Stickoxidwerte (NOx) im Prüfstandlauf (NEFZ) optimiert. Wir versichern Ihnen jedoch, dass Ihr Fahrzeug technisch sicher und fahrbereit ist! Wir bedauern zutiefst, dass wir Ihr Vertrauen enttäuscht haben, und arbeiten mit Hochdruck an einer technischen Lösung. Volkswagen übernimmt selbstverständlich die Kosten für alle Reparaturmaßnahmen und setzt alles daran, Ihr Vertrauen vollständig wiederzugewinnen. Volkswagen wird schnellstmöglich auf Sie zukommen, um Sie über die notwendigen Maßnahmen zu informieren. Sollten Sie keinen Volkswagen-Kontakt haben, nutzen Sie bitte unsere Kontaktfunktion auf dieser Website.“

Dort wird Ihnen geholfen. Oder auch nicht.

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Totalschaden

Aus profil 40/2015

Volkswagen, Autobauer mit Weltgeltung, zwölf Marken von Škoda bis Lamborghini, 600.000 Mitarbeiter, Deutschlands Vorzeigekonzern schlechthin – seit einer Woche ist in und um Wolfsburg nichts mehr so, wie es einmal war. VW steckt in einer existenziellen Krise. Vorstandsvorsitzender Martin Winterkorn musste zurücktreten, an der Börse verlor das Unternehmen Milliarden, Schadenersatzklagen und Strafzahlungen in ungeahnter Höhe dräuen. Das alles nur wegen eines kleinen Chips zur Manipulation von Schadstoffwerten in Dieselmotoren. Wie konnte es so weit kommen? Und warum hat das Krisenmanagement derart versagt? Die Geschichte einer Vertuschung in acht Schlagzeilen.

Von Joseph Gepp und Christina Hiptmayr

APA, 18. September, 18.46 Uhr.
US-Umweltbehörde zwingt Volkswagen zu Rückruf von fast 500.000 Autos

Kaum jemand ahnte, welche Sprengkraft die knappe Nachricht barg, die vorvergangenen Freitag über die Ticker ratterte. In der Automobilbranche gehören Rückrufe schließlich zum täglichen Geschäft. Volkswagen habe eine Software entwickelt, die Vorgaben zur Luftverschmutzung zwar bei Tests, nicht aber beim normalen Betrieb der Autos erfülle, teilte die US-amerikanische Umweltschutzbehörde EPA („Environmental Protection Agency“) mit. Doch für den deutschen Automobilkonzern ist seither nichts mehr so, wie es war.

„Zykluserkennung“ lautet der Fachbegriff für das, was VW in die wohl größte Krise seiner Geschichte stürzte. Eine Software im Auto erkennt, ob der Wagen tatsächlich auf der Straße fährt oder ob sein Schadstoffausstoß lediglich auf dem Prüfstand gemessen wird. Im letzteren Fall wird die Software aktiv und reduziert den Schadstoffausstoß, vor allem den an gesundheits- und klimaschädlichen Stickoxiden. Der Wagen täuscht also nur das vor, was er vorgeblich immer macht: so sauber wie möglich fahren.

Die US-Forschungsorganisation ICCT („International Council for Clean Transportation“) ging bereits im Jahr 2013 Hinweisen nach, dass mit den VW-Abgaswerten etwas nicht stimmen konnte. Beim Testen eines Jetta und eines Passat stellten der ICCT und die Universität von West Virginia fest, dass der Ausstoß auf der Straße deutlich höher lag als jener auf dem Prüfstand. Konkret um das fünf- bis 35-fache. Die EPA griff die Forschungen auf. Der Skandal beim weltgrößten Autobauer nahm seinen Lauf.

APA, 20. September, 14.54 Uhr.
VW-Dieselskandal – Konzernchef verspricht umfassende Aufklärung

Es scheint offensichtlich: Der Konzern wurde überrascht, eiskalt auf dem falschen Fuß erwischt. Und verharrte in Schockstarre. Zwei Tage vergingen, ehe VW-Chef Martin Winterkorn sich zu einer Stellungnahme durchrang. Zwei Tage; eine lange Spanne, in Zeiten medialen – durch soziale Netzwerke ständig angefachten – Dauerfeuers. „Dieselgate“ wird die Krise auf Twitter längst genannt. Nahezu im Sekundentakt poppen neue Meldungen und Kommentare auf. „Für ein Unternehmen ist das richtig schlimm, wenn eine Krise mit einem solchen Namen gebrandmarkt wird. Das zeigt, die Angelegenheit hat bereits eine Dynamik, der man nur mehr wenig entgegensetzen kann“, sagt Alfred Autischer, Gründer der auf Krisen- und Ligitation-PR spezalisierten Agentur Gaisberg. Dabei handelte man in Wolfsburg ganz nach Lehrbuch: Er „bedauere zutiefst“, das Vertrauen der Kunden und der Öffentlichkeit enttäuscht zu haben, ließ Winterkorn in einem schriftlichen Statement wissen. „Regret“, so lautet die erste Regel der Krisenkommunikation. Nach Ansicht des Experten jedoch kam die Reue zu spät. „Jeder Konzern muss für eine derartige Situation Krisenpläne in der Schublade haben, die es zügig abzuarbeiten gilt. Das verlangen die Versicherungen“, erklärt Autischer. Diese Gebrauchsanweisung dürfte man in der VW-Zentrale verlegt haben. Das Unternehmen hätte unmittelbar auf die Vorwürfe der US-Umweltbehörde reagieren und seine Kunden, Händler, Aktionäre, Mitarbeiter und die Öffentlichkeit klar und transparent über die Sachlage und die weitere Vorgehensweise informieren müssen. Das hat man verabsäumt. So steht nun das Gesicht Winterkorns – erst im Frühjahr ist er aus einem Machtkampf mit dem früheren VW-Patriarchen Ferdinand Piëch siegreich hervorgegangen – nicht für die Lösung, sondern für das Problem.

APA, 21. September, 13.16 Uhr.
VW-Dieselskandal – VW laut Verkehrsclub nur Spitze des Eisbergs

Hat die VW-Affäre System? „Sie ist möglicherweise erst der Anfang“, sagt Christian Gratzer vom Verkehrsclub Österreich (VCÖ).

Bevor ein Auto für den Verkehr zugelassen wird, gibt es im jeweiligen Herstellerland ein Verfahren, bei dem Verbrauch und Emissionen festgestellt werden. Der Vorwurf: Dieses sei völlig realitätsfern. Mit der Folge, dass die Abgas- und Verbrauchswerte im Prüfstand bis zu sieben Mal niedriger ausfallen als jene auf der Straße – und zwar nicht nur bei VW, sondern bei vielen Autos.

Im Test werden beispielsweise die Rückspiegel abgeschraubt, sodass sich der Luftwiderstand reduziert. Spezialreifen erzeugen wenig Reibung. Die Höchstgeschwindigkeit im Labortest beträgt lediglich 120 Stundenkilometer.

Auf Basis dieses Verfahrens kommen später jene Werte zustande, die in den Prospekten der Autohändler aufscheinen – und in den Typenscheinen der Wagen. Diese Verfahren beeinflussen Kaufentscheidungen, weil Autofahrer Geld sparen oder umweltfreundlich unterwegs sein wollen. Es geht auch um die Höhe von Steuereinnahmen, die sich nach dem Verbrauch des Wagens richten. Ebenso basieren alle angeblichen Fortschritte in Richtung klimafreundliche Mobilität auf diesen geschönten Werten.

„Die Kluft zwischen den offiziellen Angaben und den tatsächlichen Werten wird immer größer“, sagt Gratzer. „Es braucht modernisierte Testverfahren. Und die Autos sollen nicht mehr nur im Labor geprüft werden, sondern auch auf der Straße.“

Tricks wie das Abmontieren der Rückspiegel sind zwar umstritten, aber nicht verboten. Ob darüber hinaus auch andere Autokonzerne verbotene Manipulations-Software einsetzen, ist bisher nicht bekannt. Sie haben jedenfalls dringenden Erklärungsbedarf.

APA, 21. September, 15.10 Uhr.
VW-Dieselskandal – Südkorea nimmt Volkswagen-Modelle unter die Lupe

Das PR-Desaster verbreitet sich mit unaufhaltsamer Konsequenz. Etliche Staaten weltweit wollen nun die Volkswägen auf ihren Straßen prüfen. So wie Frankreich, die Schweiz, Australien und Südkorea. Die Europäische Kommission fordert „null Toleranz bei Betrug“. Die UNO ist „äußerst beunruhigt“.

Nicht einmal die Autofahrerklubs hat VW auf seiner Seite, immerhin verteuern die Tricksereien die Mobilität ihrer Mitglieder. Politiker aller Couleurs, von Bundeskanzlerin Angela Merkel abwärts, drängen auf Aufklärung. Bei US-amerikanischen Gerichten sind inzwischen 37 Klagen gegen VW eingegangen. Ein Ende der Flut ist vorerst nicht abzusehen.

Es bleibt nicht bei den 500.000 vom US-Umweltamt beanstandeten Fahrzeugen. VW gesteht bald darauf ein, dass elf Millionen Motoren weltweit betroffen sind. Darunter, so viel ist inzwischen bekannt, auch die VW-Marken Audi, Seat und Škoda.

APA, 22. September, 11.55 Uhr.
Alarm # Diesel-Skandal zwingt VW zu Gewinnwarnung: 6,5 Mrd. Euro Rückstellung

In wenigen Tagen hat Volkswagen rund 27 Milliarden Euro seines Börsenwerts eingebüßt. Im Vergleich zum Höchststand der Aktie im März dieses Jahres ist die Marktkapitalisierung um fast 60 Prozent gefallen. Ein Drama. Eine sogenannte Gewinnwarnung unausweichlich. Doch auch hier stellt sich die Frage: Hat der Konzern zu langsam reagiert? Die deutsche Finanzaufsicht prüft, ob Volkswagen seine Anleger nicht viel früher über die Manipulation der Abgastests hätte informieren müssen. Schließlich sind börsennotierte Unternehmen verpflichtet, kursrelevante Informationen sofort publik zu machen. Die da wären: Vorstands- und Aufsichtsratsbeschlüsse, gröbere Rechtsstreitigkeiten und Ermittlungen von Behörden, die eine hohes Bußgeld nach sich ziehen könnten – so wie jene der US-Umweltbehörde. Eine versäumte Pflichtmitteilung, eine sogenannte Ad-hoc-Meldung, kann schwerwiegende Konsequenzen haben. Und dabei wäre eine Strafzahlung an die Finanzaufsicht noch das kleinere Übel. Ein Milliardenrisiko stellen etwaige Klagen von sich getäuscht fühlenden und Schadenersatz fordernden Anlegern dar. Deren Anwälte wetzen bereits die Messer.

APA, 23. September, 15.29 Uhr.
VW-Dieselskandal – Händler fühlen sich allein gelassen

Die Meldung ist symptomatisch. Ferdinand Dudenhöffer, Professor für Automobilwirtschaft an der Universität Duisburg-Essen, findet für das Krisenmanagement des Konzerns folgende Attribute: „Desaströs.“ „Unglaubwürdig.“ „Arrogant.“ „Laienhaft.“ Tatsächlich agiert Volkswagen ziemlich planlos. Händler, Kunden, Mitarbeiter werden völlig im Dunkeln gelassen. „Die Belegschaft weiß auch nicht mehr als das, was in den Medien zu lesen ist“, erzählt ein Insider. Die Nerven liegen blank, viele fürchten um ihre Jobs. VW-Händler in aller Welt haben keine Ahnung, welche Auskunft sie besorgten Dieselfahrern geben sollen. Sie wurden schlicht darüber nicht informiert. „Warum hat man noch immer keine Antworten auf die berechtigten Fragen der Kunden und Aktionäre? Das ist nicht nachvollziehbar“, moniert Krisenkommunikator Autischer. Zwei Fragen müssten schleunigst geklärt werden: Welche Marken und Märkte betrifft das Problem? Und: Was tut VW mit jenen Kunden, die Autos fahren, die höhere Abgaswerte haben als angegeben? Der Konzern, der in Kommunikationsfragen bisher stets auf die eigene Expertise vertraute, hat mittlerweile eine externe PR-Agentur angeheuert. Bisher allerdings fand auch sie nicht die richtigen Antworten. Stattdessen wurden global sämtliche Werbeaktivitäten gestoppt. Wie sollte Volkswagen in so einer Situation seine Modelle auch anpreisen? Zuverlässig? Sauber? Vertrauenswürdig? Eben.

APA, 23. September, 17.02 Uhr.
Alarm # VW-Dieselaffäre – VW-Chef Winterkorn tritt zurück

„Das war der erste richtige Schritt“, kommentiert Automobil-Experte Dudenhöffer die Nachricht. Nachsatz: „Aber er ist zu spät erfolgt.“ Kaum jemand, der den Konzern und die Person Winterkorn näher kennt, hält es für glaubwürdig, dass der VW-Chef nichts von dem Betrug gewusst haben will. Dass dem akribischen und detailverliebten Techniker, der jede Schraube persönlich kennt, eine derart fundamentale und logistisch anspruchsvolle Manipulation entgangen sein soll, ist tatsächlich schwer vorstellbar. Der Schaden ist über VW hinaus auch für die Technologie- und Exportnation Deutschland groß. Der Skandal könnte verheerende Konjunkturfolgen haben.

Es wird nicht die einzige Demission bleiben, so viel ist klar. Neben Winterkorn sind auch bereits Audi-Entwicklungsvorstand Ulrich Hackenberg, Porsche-Vorstandsmitglied Wolfgang Hatz und VW-Entwicklungschef Heinz-Jakob Neußer gegangen worden. „Auch der Aufsichtsrat muss ausgetauscht werden“, fordert Dudenhöffer. Es brauche eine starke Persönlichkeit von außen, die von Belegschaft und Politik unterstützt werde. Gegenüber profil nennt Dudenhöffer seine Idealbesetzung: Wolfgang Reitzle. Der ehemalige Vorstandsvorsitzende des deutschen Gas- und Technikkonzerns Linde kann auf eine Karriere bei BMW und Ford zurückblicken. „Er würde den Vorstand neu besetzen, den Konzern neu aufstellen und die Macht des Betriebsrats brechen“, so Dudenhöffer. Und er braucht einen langen Atem: Denn diese Krise wird Volkswagen noch auf Jahre begleiten.

APA, 24. September, 8.15 Uhr.
VW-Dieselskandal – Im April Briefe an Kunden in Kalifornien versendet

Je weiter die Affäre voranschreitet, desto deutlicher wird, dass VW nicht so überrascht sein konnte, wie dargestellt.

Die Forschungsorganisation ICCT publizierte ihren Bericht über verdächtig hohe Stickoxid-Ausstöße bei Dieselautos bereits im Mai 2014. Ab diesem Zeitpunkt nahm das US-Umweltamt EPA Ermittlungen auf
– und trat mit dem Konzern in Kontakt. Sowohl Vorstand als auch Aufsichtsrat in Wolfsburg müssen darüber Bescheid gewusst haben. Viele Monate lang habe „VW immer wieder behauptet, die hohen Emissionen (…) lägen an verschiedenen technischen Problemen“, schreibt die EPA in ihrem Brief an VW vom 18. September 2015.

Auch von einer „freiwilligen Rückrufaktion im Dezember 2014“ ist in dem Brief die Rede. Außerdem: Im April 2015 verschickte VW Briefe an Diesel-Fahrer in Kalifornien. Darin hieß es, man solle VWs und Audis zum Händler bringen, eine neue Software sei zu installieren. Den Einsatz einer Manipulations-Software gestand VW erst ein, als die EPA drohte, keine neuen VW-Modelle auf dem US-Markt zuzulassen.

Sollte das Manipulationsprogramm etwa diskret entfernt werden, um dessen Einsatz zu vertuschen? Und warum reagierte VW schließlich derart überfordert, wo der Konzern doch bereits seit Monaten mit dem US-Umweltamt zur Causa korrespondierte? Vieles deutet darauf hin: Volkswagen hat die Angelegenheit schwer unterschätzt und wollte sie bis zuletzt vertuschen. Dazu passt auch, dass der Konzern bis heute nicht sagen kann, welche Modelle, welche Baujahre, in welcher Zahl betroffen sind. In einem Konzern mit global strikt durchorganisierten Produktionsketten sollte man solche Daten auf Knopfdruck parat haben. Möchte man meinen. Fest steht: Zeit, der Affäre eine angemessene Krisenstrategie entgegenzusetzen, hätte das Unternehmen allemal gehabt.

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