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Der Vertrag, den keiner kennt

Aus dem profil 24/18 vom 11.06.2018

CETA und TTIP, diese Kürzel sind in aller Munde. Kritiker befürchten, dass infolge der geplanten Handelsabkommen mit Kanada und den USA internationale Investoren zu viel Macht bekommen könnten, etwa um Gesetzgebungen europäischer Länder auszuhebeln. Stichwort: Schiedsgerichtsbarkeit.

Aber es gibt ein weiteres Kürzel, mit dem nur Fachleute etwas anfangen dürften: ECT. Es steht für „Energy Charter Treaty“. Auch hierbei handelt es sich um ein internationales Abkommen (im Energiesektor), das umstrittene Schiedsgerichte beinhaltet. Diese sind allerdings im Gegensatz zu CETA und TTIP längst Realität. Noch dazu weit intransparenter und investorenfreundlicher als alles, was beispielsweise CETA vorsieht.

Eine aktuelle, knapp 100-seitige Studie der konzernkritischen Organisationen Corporate Europe (CEO) in Brüssel und Transnational Institute (TNI) befasst sich mit dem ECT. Der Vertrag wurde im Jahr 1994 in Lissabon unterzeichnet und regelt internationale Handelsbeziehungen in Energiefragen. 51 Staaten in aller Welt haben unterzeichnet, auch Österreich. Das Investoren-Staats-Streitbeilegungssystem im Rahmen des ECT „wird von Unternehmen immer intensiver genützt, um gegen Gesetze vorzugehen und um die Wende in Richtung Erneuerbare Energien auszubremsen“, kritisiert Studienautorin Pia Eberhardt.

Konkret klagten Großkonzerne etwa gegen Verbote von Ölbohrungen und Pipeline-Projekten, Steuern auf fossile Brennstoffe und den Ausstieg aus umstrittenen Energieformen. Zwei der bekanntesten und meistkritisierten Verfahren überhaupt, beide gegen Deutschland, basieren auf dem ECT. Der schwedische Konzern Vattenfall klagte wegen des Atomausstiegs infolge der Katastrophe von Fukushima und wegen neuer Umweltauflagen für ein Kohlekraftwerk in Hamburg-Moorburg. Das erste Verfahren läuft noch; in Letzterem musste Deutschland wasserrechtliche Umweltauflagen lockern, um den Fall beizulegen.

Insgesamt stieg die Zahl der Verfahren in den vergangenen Jahren rasant: Im ersten Jahrzehnt der Existenz des ECT ver zeichnete man lediglich 19 Streitfälle, während es allein in den vergangenen fünf Jahren 75 neue Klagen gab. Und es könnten noch mehr sein: Es besteht keine Pflicht, die Öffentlichkeit über alle Verfahren zu informieren. Insgesamt endeten bisher 61 Prozent der bekannten und abgeschlossenen Fälle mit einer Entscheidung zugunsten des Investors oder mit einer Einigung, die Zugeständnisse an Investoren beinhalten.

Übrigens wurde ein Verfahren auf ECT-Basis auch von einem Unternehmen aus Österreich angestoßen: 2013 klagte der heimische Energieversorger EVN zusammen mit anderen Unternehmen Bulgarien. Grund: Nach gewalttätigen Protesten gegen hohe Energiepreise hatte der staatliche Regulierer eine Preissenkung um rund sieben Prozent verfügt. Das Verfahren dauert noch an.

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