4. März 2016 · 16:53
Aus profil 6/2016
Ikea, Google, Fiat. Sie alle vermeiden es, Steuern zu zahlen, indem sie ihre Gewinne von Land zu Land verschieben. Jetzt will die EU dagegen vorgehen. Doch der Weg zu einem anderen Steuersystem ist noch weit.
Von Joseph Gepp
Wenn EU-Dokumente nach etwas nicht klingen, dann nach Visionen. Der Inhalt dessen, was Woche für Woche in Brüssel an Papieren publiziert wird, fällt zwar bisweilen durchaus visionär aus. Aber das zeigt sich immer erst auf den zweiten Blick. Zunächst ist da ein Wulst an Fachausdrücken und technischen Formulierungen.
Umso erstaunlicher eine 17-seitige Mitteilung vom vergangenen Juni. In ungewöhnlich klaren Worten skizziert darin die EU-Kommission – quasi die Regierung der EU unter Jean-Claude Juncker – ihren Weg zu einem gerechteren Steuersystem. Von „Missbrauch“ ist die Rede. Von „schädlichen Auswirkungen“. Und davon, dass es an der Zeit sei, „die Dinge anzugehen“.
Die Kommission hat sich etwas vorgenommen – und vergangene Woche legte sie nach. Sie präsentierte konkrete Schritte im Kampf gegen die Steuervermeidung großer Konzerne. Ikea, Google, Facebook, Starbucks, Apple, Amazon, Fiat, sie alle nutzen raffinierte – legale – Methoden, um auf ihre Gewinne kaum Steuern zu entrichten. Wo steht Europas Kampf gegen die „aggressive Steuerplanung“, wie Experten das nennen? Wird er richtig geführt? Wie genau tricksen Unternehmen? Die Maßnahmen spielen sich jedenfalls vor dem Hintergrund eines Paradigmenwechsels infolge der Finanz- und Wirtschaftskrise 2007/2008 ab. Bis dahin schauten Staaten gerne weg, wenn Unternehmen tricksten. Letztere würden ja im Gegenzug Arbeitsplätze schaffen, so das Argument. Außerdem halte der Steuerwettbewerb – also die Praxis, dass Staaten Firmen mit attraktiven Steuergesetzen locken – Erstere fit und effizient.
Heute steht diese Ansicht massiv infrage. Arbeitslosenzahlen und Austeritätskurse fachen den öffentlichen Druck an. Dazu kommen Enthüllungen wie vergangenes Jahr, als herauskam, dass Luxemburg bis 2010 Konzernen per Sonderbescheiden Steuerprivilegien eingeräumt hatte.
Jedes Jahr gehen in der EU laut Kommission 50 bis 70 Milliarden Euro wegen Steuervermeidung verloren. Zudem würden kleine und mittlere Unternehmen „massiv benachteiligt“. Diese bezahlen laut EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici durchschnittlich 30 Prozent höhere Steuern als multinationale Konzerne – obwohl sie EU-weit für rund 85 Prozent aller neuen Arbeitsplätze sorgen.
Die Methoden der Steuervermeidung sind komplex, doch Grundmuster ziehen sich durch. Immer nutzen die Konzerne Lücken zwischen Steuergesetzen einzelner Länder aus. Immer verschieben sie Gewinne dorthin, wo kaum Steuerpflicht herrscht.
Beispiel: Ein Pharma-Konzern müsste auf seine Profite aus Medikamentenverkäufen Steuern entrichten. Das vermeidet er mithilfe einer Tochterfirma in einem Land mit minimaler Besteuerung. Dort werden die Patente auf die Medikamente angemeldet. Danach zahlt die Konzern-Tochter im Hochsteuerland, in dem die Produkte verkauft werden, hohe Gebühren für die Nutzung der Patentrechte an ihre Steueroasen-Schwester. Deshalb schmilzt der – steuerpflichtige – Gewinn im Hochsteuerland dahin. Die Gewinne in der Oase bleiben unversteuert.
Eines derartigen Modells, allerdings mit Lizenzen statt Patenten, bediente sich etwa auch die heimische Möbelhauskette XXXLutz -damals unter der Geschäftsführung des heutigen ÖVP-Finanzministers Hans Jörg Schelling (profil 37/2014).
Oder die Konzerne tricksen mit Krediten. Muster: Eine Tochter in einer Steueroase verborgt Geld an eine im Hochsteuerland. Wenn Letztere den Kredit samt hoher Zinsen zurückzahlt, schmälert dies ihren steuerpflichtigen Gewinn.
Solchen Praktiken will die EU-Kommission einen Riegel vorschieben. Ihr Plan orientiert sich an einer Vorlage der OECD, der ökonomischen Denkfabrik der reichen Länder.
Die Trickserei mit den Krediten etwa? Soll künftig verhindert werden, indem Unternehmen Zinszahlungen, die sie an Schwesterfirmen leisten, nicht unbegrenzt von ihren Gewinnen abziehen dürfen.
Und die Gebühren für Patentrechte? Wenn künftig Konzern-Töchter untereinander derlei Geschäfte machen, müssen die Summen marktüblich sein, so der Vorschlag. Das bedeutet, die Preise für die Patentrechte müssen dem entsprechen, was auch fremde Firmen für sie zahlen würden. Das soll verhindern, dass der komplette Firmengewinn unter fadenscheinigen Vorwänden in Steueroasen fließt.
Die Reaktionen auf den Plan fallen gemischt aus. SPÖ wie ÖVP im EU-Parlament jubeln. Deutsche Unternehmensvertreter warnen, dass die europäische Industrie stärker belastet werden könnte als die US-Internet-Konzerne, weil Letztere neue Schlupflöcher finden würden. Ablehnend reagiert auch das globalisierungskritische Netzwerk Attac, das seit Jahren für neue Unternehmenssteuern trommelt.
„Löchrig und unzureichend“, nennt Sprecher David Walch den Entwurf. „Die Kommission will jeder gängigen Steuervermeidungsmethode mit einem maßgeschneiderten Gesetz begegnen. Aber so funktioniert das nicht. Solange die EU das dahinterliegende Problem nicht behandelt, werden sich immer neue Schlupflöcher auftun.“
Als dahinterliegendes Problem sehen Kritiker, dass multinationale Konzerne steuerlich behandelt werden wie eine Vielzahl einzelner Firmen – und nicht wie eine große. Daher fordern sie eine „Einheitskonzernbesteuerung“ oder „Unitary Taxation“.
In diesem Konzept muss der Konzern, als Einheit betrachtet, seine Gewinne, Mitarbeiter und Vermögenswerte je Land offenlegen. Danach bezahlt er Steuern – idealerweise dort, wo Beschäftigte arbeiten, Einnahmen anfallen und Verkäufe stattfinden. Dass sich in Steueroasen Gewinne auftürmen, wäre für Firmen wohl nicht mehr attraktiv.
Die Unitary Taxation existiert etwa bereits zwischen den Bundesstaaten der USA. Das soll verhindern, dass, beispielsweise, ein Unternehmen seine Gewinne aus Kalifornien in Nevada verschleiert.
Auch in Europa zeigt sich die EU-Kommission angetan von der Idee. In der Mitteilung mit den klaren Worten schwärmen die EU-Beamten von weitgehend harmonisierten Regeln einer europäischen Körperschaftssteuer auf Unternehmensgewinne – also einer Art Unitary Tax. Dies wäre der beste Weg, um „die Verbindung zwischen dem Ort der Besteuerung und dem Ort der Wertschöpfung zu festigen“.
Doch wo es um die Realisierung geht, klingt das sonst so visionäre Dokument kleinlaut. Das Projekt erfordere jedenfalls noch „schwierige Beratungen“ mit den Mitgliedsstaaten. Es sei eine „sehr ambitionierte Initiative“.