Archiv der Kategorie: Stadtplanung

Weitertraben

Aus dem profil 22/2019 vom 26.05.2019

Es ist eine mysteriöse Geschichte. Wie profil vergangenen Sommer berichtete, hat die Gemeinde Wien die traditionsreiche Trabrennbahn Krieau im Prater – stillschweigend – an ein Privatunternehmen verkauft. Der Käufer ist die Viertel Zwei GmbH, hinter welcher der Wiener Immobilienentwickler Michael Griesmayr steht. Wie profil ebenfalls berichtete, trug sich das Unternehmen mit Plänen, die Rennbahn zu verbauen. Der Wiener Trabrennverein, der derzeit als unbefristeter Pächter die Sportstätte betreibt, müsste dafür an einen anderen Ort übersiedeln. Der heutige SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig wurde bereits als Wohnbaustadtrat im Jahr 2016 in die umstrittenen Absichten der Viertel Zwei eingeweiht. Heißt: Ein großes Stück des Grünen Praters würde mit Wohnungen und Büros verbaut.

Nun jedoch hat das Rathaus offenbar einen anderen Weg eingeschlagen. „Die Trabrennbahn bleibt erhalten -und zwar an diesem Ort“, sagt Wiens SPÖ-Sportstadtrat Peter Hacker, der für die Rennbahn zuständig ist, gegenüber profil. Heißt: Eine etwaige Übersiedlung der Rennbahn an einen anderen Ort – und darauffolgend eine Bebauung des Geländes – dürfte vorerst vom Tisch sein.

Nicht rückgängig machen lässt sich allerdings die Privatisierung des Areals. Eigentümer der Rennbahn bleibt die private Viertel Zwei. Sie dürfte allerdings mit ihrem Besitz nicht viel anfangen können, bleibt er doch langfristig an den Trabrennverein verpachtet. Auf absehbare Zeit dürfte es im Prater weiterhin heißen: hü, hott!

Werbung

Hinterlasse einen Kommentar

Eingeordnet unter Das Rote Wien, Stadtplanung

Lagerkoller

Aus dem profil 07/2019 vom 10.2.2019

Ballungsräume wachsen, Wohnraum wird knapp – Lagerraum erst recht. Wohin mit den Dingen, die man nicht ständig braucht, aber auch nicht entbehren will? Die boomende Selfstorage-Branche erzählt viel über das Leben in der Stadt.

Von
Joseph Gepp

Es gibt in Großstädten wie Wien grosso modo zwei Arten von Kellern. Da wären zunächst die alten, ziegelsteinernen, oft modrig-feuchten. Und dann jene, auf welche Neubauten aufgesetzt werden: rechtwinkelig, funktional, mit sauber aneinandergereihten, hellen Abteilen.

Bei „MyPlace“ in Wien-Döbling sieht es aus wie in einem Keller des zweiten Typs. Nur befindet man sich nicht unter der Erde, sondern mehrere Stockwerke darüber. Schmucklose Gänge, Halogenlicht, Abteile aus Blechwänden, jeweils mit Vorhängeschloss. Von außen sind diese Gebäude voluminöse, gesichtslose Kästen an vielbefahrenen Straßen. Drinnen säuselt Musik durch die Gänge. „Damit sich die Kunden nicht einsam fühlen beim Ein-und Ausräumen „, sagt Christian Beiglböck, MyPlace-Manager in Wien. Der Standort ist einer von mittlerweile 46 in Österreich , Deutschland und der Schweiz, fünf weitere sind in Bau, drei in Planung. Gegründet wurde MyPlace 1999 vom Wiener Unternehmensberater Martin Gerhardus, kurz nach der Gründung stiegen die Brüder Herbert und Harald Hild in die Betreibergesellschaft Selfstorage – Dein Lager Lagervermietungs GmbH ein (später kam vorübergehend auch die Immofinanz-Gruppe hinzu). Das Geschäft läuft. Die Firma beschäftigt mittlerweile 165 Menschen und schreibt knapp 50 Millionen Euro Umsatz jährlich. Das Geschäftsjahr 2017/2018 schloss mit einem Nettogewinn nach Steuern in der Höhe von 13,3 Millionen Euro, im Jahr davor waren es 11,46 Millionen Euro gewesen und im Jahr davor 11,67 Millionen. MyPlace war der erste Anbieter seiner Art in Österreich, ist aber längst nicht mehr der einzige. Auf dem österreichischen Markt ist eine Reihe von Mitbewerbern entstanden, mit Namen wie „Localstorage“ oder „Extraspace“. Manche bieten wie MyPlace Abteile in Gebäuden an, bei anderen, wie dem Anbieter „Easy Storage“, kann man Container mieten.

Das 2016 gegründete Start-up Storebox zum Beispiel, ebenfalls ein österreichisches Projekt dreier Jungunternehmer, verfügt bereits über rund 25 Filialen in Wien und dem Umland. Im vergangenen Oktober ist die Signa Holding des Tiroler Immobilienmagnaten René Benko bei Storebox eingestiegen; um kolportierte fünf Millionen Euro erwarb Benko 20 Prozent des Unternehmens. Für heimische Start-up-Verhältnisse ein großer Deal. Was Leute einlagern und warum, erzählt viel über die Mobilität der Menschen und deren Lebensweise in den Städten. Mit dem „Phänomen Selfstorage“ befasst sich nun auch eine höchst sehenswerte Ausstellung im Wien-Museum, die am 14. Februar anläuft (im Ausweichquartier in der Felderstraße in der Wiener Innenstadt, weil das Haupthaus am Karlsplatz renoviert wird).

Die Schau fügt sich ins Bild. Rund um die Themen Aufräumen und Ausmisten ist in letzter Zeit eine regelrechte Beratungsindustrie entstanden. Im Internet findet man haufenweise Tipps fürs richtige Aussortieren von Kleiderschrank bis Bücherregal. Ob Wüstenrot-Versicherung, Versandhaus Otto oder Frauenzeitschrift „Brigitte“: Alle bieten Hilfe. Dazu kommt eine viel diskutierte Doku-Serie auf der Streaming-Site Netflix: In „Aufräumen“ hilft die Japanerin Marie Kondō, Bestsellerautorin von Ratgeberbüchern, Leuten beim Ausmisten -mit nachgerade religiöser Hingabe. In andächtiger Langsamkeit sprechen die Protagonisten Abschiedsworte zu den Dingen, ehe sie diese weggeben. Botschaft: Wer seine Wohnung von überflüssigen Sachen befreit, befreit auch seine Seele. Wer sich noch nicht ganz so weit fühlt, kann sich sein Zeug zumindest vorerst vom Hals schaffen, indem er es einlagert. Im Kellerabteil. Oder eben im angemieteten Lager. Drei bis fünf Quadratmeter sind diese gemeinhin groß. Meist mieten sie die Kunden für ungefähr eineinhalb Jahre, sagt MyPlace-Gründer Martin Gerhardus. Kosten für ein durchschnittliches Abteil: grob 100 Euro monatlich, je nach Lage und Auslastung. Was Leute so einlagern?“Im Wesentlichen Hausrat und Dinge, von denen man sich nicht trennen will“, so Gerhardus. „Das können Ski sein, das Kinderbett von der Großmutter, die alte Plattensammlung.“ Gerhardus schätzt, dass der Selfstorage-Markt im deutschsprachigen Raum jedes Jahr um fünf bis sieben Prozent zulegt – wobei die Deutschen noch einlagerungsfreudiger seien als die Österreicher.

Die Gründe für das rasche Wachstum haben nicht nur mit dem Bedürfnis nach Minimalismus à la Marie Kondō zu tun, sondern auch mit handfesteren Entwicklungen: Die Lebensweise der Menschen in großen Städten ändert sich rasant.

Foto: Klaus Pichler/Wien-Museum

Der Raum wird knapper und folglich teurer. In Wien zum Beispiel ist die durchschnittliche Miete inklusive Betriebskosten pro Quadratmeter seit dem Jahr 2007 um beachtliche 37 Prozent gestiegen, auf 7,78 Euro im Jahr 2017. Bei Wohnungseigentum beträgt die Preissteigerung im selben Zeitraum laut Oesterreichischer Nationalbank gar 89 Prozent. Viele Städter müssen deshalb mit kleineren Wohnflächen vorliebnehmen, die weniger Stauraum bieten. Im Jahr 2011 fand im Wohnungswesen der Hauptstadt eine Zeitenwende statt: Erstmals seit einem halben Jahrhundert stieg die durchschnittliche Wohnfläche pro Bewohner nicht mehr an, sondern sank. Derzeit steht sie laut Statistik Austria bei 34 Quadratmetern, 2011 waren es noch 38.

Aus der zunehmenden Knappheit ergeben sich bauliche und gesetzliche Veränderungen. So hat das lukrative Geschäft, Dachgeschosse auszubauen, Lagerflächen unter Dachstühlen stark reduziert. Um mehr leistbaren Wohnraum zu schaffen, nimmt die Stadtregierung auch Veränderungen in der Bauordnung vor, die den Stauraum weiter schmälern. So fiel im Jahr 2008 der Passus, wonach jede Neubauwohnung über einen Abstellraum verfügen muss. Auch auf Kellerabteile darf heute verzichtet werden. Außerdem sind die Städter äußerst mobil unterwegs: Im Jahr 2017 gab es in Wien ganze 366.000 Wohnsitzwechsel -heißt: Jeder fünfte Bewohner der Stadt zog in diesem Jahr um.

Kein Wunder, dass die Selfstorage-Lager boomen – wenngleich nur in Ballungsräumen. Das Stadt-Land-Gefälle ist wenig überraschend stark, im ländlichen Raum ist die Platznot nicht annähernd so ausgeprägt. Elf der 13 österreichischen MyPlace-Lager stehen in Wien, je eines in Graz und in Linz. Wer in die Lagerabteile blickt, wird „ganze Schichten an Erinnerungen übereinander“ entdecken , erzählen Martina Nußbaumer und Peter Stuiber, Kuratorinnen der Ausstellung im Wien Museum. Sie haben recherchiert, wofür genau Menschen ihre Abteile nutzen (siehe Fotos). Sie sind zum Beispiel auf einen Jazz-Musiker gestoßen, der berufsbedingt häufig aus dem Koffer lebt – und Kompositionen und Aufnahmen aus Jahrzehnten im Storage-Abteil bunkert. Oder die Frau, die ihre komplette Familiengeschichte dort verstaut hat: von den Fotos der Großmutter beim Wörther-See-Urlaub in den 1930er-Jahren bis zu den selbst gebastelten Schultüten beim Volksschuleintritt ihrer Kinder, ein halbes Jahrhundert später.

Miranda M., Wienerin, legte sich nach einem Umzug in eine kleinere Wohnung vor einigen Jahren ein Selfstorage-Abteil zu. Darin hat sie ihre Familiengeschichte verstaut: von Fotoalben ihrer Großeltern, die im Jahr 1945 als Deutschsprachige aus Brünn fliehen mussten, bis zu einer Puppe, die sie 1995 ihrer vierjährigen Tochter schenkte.
Foto: Klaus Pichler/Wien-Museum

Weil der Platz in den Städten so bald nicht wieder zunehmen wird, darf man der Selfstorage-Branche auch in Zukunft Zuwächse voraussagen. Die Tendenz geht allerdings weniger in Richtung kastenartige Großlager, wie MyPlace sie betreibt. Sondern eher zu Lagern nach Art der jungen Firma Storebox: Dieses Unternehmen gründet seine Filialen in zuvor leerstehenden Erdgeschosslokalen -und von denen gibt es eine ganze Menge. Die Zahl der Storebox-Filialen, die von außen mit knallbunter Folie beklebt sind, wächst rasant. Nur drei Jahre nach Gründung findet man sie in Wien, St. Pölten, Salzburg, Linz, Mainz, München und Berlin. Nachteil des Geschäftsmodells: Zugepickte Erdgeschosslokale bereichern das Straßenbild nicht gerade. Vorteil: Man ist extrem nahe dran am Kunden. Es ist fast so, als habe man einen eigenen Keller, nur muss man eben bezahlen.

Und was, falls Selfstorage-Benutzer nicht zahlen? Davon handeln in den USA ganze Fernsehserien. Dort hat sich unter den Unternehmern der Branche die Praxis eingebürgert, den Inhalt von Selfstorage- Lagern nach einer Wartefrist zu versteigern. Die Bieter wissen jedoch nicht, was sich im Abteil befindet. Doku-Soaps wie „Storage Wars“ handeln davon, wie glückliche Auktionsteilnehmer auf millionenschwere Schätze stoßen. Oder doch eher auf Gerümpel.

In Österreich erlaubt das Gesetz keine Versteigerungen, sagt MyPlace-Manager Christian Beiglböck. Aber dass Kunden nicht bezahlen, käme trotzdem immer wieder vor. In diesem Fall gibt es mehrere Kontaktaufnahmeversuche und eine 90-tägige Frist. Bleibt alles ergebnislos, wird das Abteil geöffnet. Die darin befindlichen Dinge werden entweder weggeworfen oder, falls sie Wert haben, durch spezialisierte Verwertungsunternehmen verkauft. „Aber so lang ich mich erinnere, war noch nie etwas Wertvolles dabei“, sagt Beiglböck. „Nur Müllsäcke mit Gewand, Bügelbretter, alte Möbel.“

Renata Werdung verfügt über ein Drei- Quadratmeter-Abteil, seit 2009 infolge eines Umzugs der Platz für ihre Kleidung nicht mehr reichte. Sie verwendet es wie einen begehbaren Kleiderschrank. Die Ex-Journalistin und Werbefachfrau besucht gern Veranstaltungen wie die Salzburger Festspiele. Die dazugehörigen Abendkleider hängen im Mietlager.
Foto: Klaus Pichler/Wien-Museum

Ein Kommentar

Eingeordnet unter Stadtleben, Stadtplanung, Unternehmen, Wirtschaft

Der Unartige

Aus dem profil 06/2019 vom 3.2.2019

Der Unartige

Was andere wollen, hat der Unternehmer Michael Tojner im Überfluss: Geld, Einfluss – und gute Rechtsanwälte. Als Student verkaufte er Eis, handelte mit Möbeln und Mixern. Heute kauft er Immobilien und Firmen und sorgt immer wieder für Kontroversen. Porträt eines Grenzgängers.

Der 2. April 2016 war für Michael Tojner ein erkenntnisreicher Tag. Ihm widerfuhr etwas, wofür er kein besonderes Talent hat: verlieren -noch dazu vor Publikum. Der Unternehmer hatte 300 enge Freunde zu einer Party ins Wiener Kasino am Schwarzenbergplatz geladen, um seinen Fünfziger zu begehen. Er ahnte nicht, dass seine Ehefrau Renate für den Höhepunkt des Abends sorgen würde. Sie hatte in aller Heimlichkeit die Comedy-Truppe um Robert Palfrader für einen Auftritt gebucht, der verdutzte Gatte bekam eine Privataudienz beim Kaiser. Nachdem dieser sich durch Tojners Vita geblödelt hatte, bat er den Jubilar zur Nagelprobe. Doch der Kaiser spielte falsch. Er ließ sich zu einem kleinen Nagel einen sehr großen Hammer bringen, Tojner hingegen bekam zu einem großen Nagel einen winzig kleinen Hammer. Der Ausgang war absehbar. Der Betrogene soll die Niederlage nonchalant erduldet haben, wie Anwesende amüsiert berichten.

Nein, Michael Tojner verliert nicht gern – nicht einmal zum Spaß.

Dies ist die Geschichte eines Mannes, der es nicht ohne Grund auf die Titelseite von profil geschafft hat. Tojner darf für sich in Anspruch nehmen, eine bemerkenswerte Karriere hingelegt zu haben. Er ist einer der erfolgreichsten Unternehmer des Landes. Er hat aus dem Nichts eine ansehnliche Industrieund Immobiliengruppe emporgezogen und damit ein Vermögen begründet, das zumindest rechnerisch einige Generationen nach ihm versorgen könnte. Ein Selfmade-Typ par excellence. „Michael hat die Gabe, Chancen in ihrer wahrer Dimension zu erkennen. Er hat den Zug zum Tor“, schwärmt Tojners Rechtsberater Wolfgang Brandstetter, Verfassungsrichter, ehemaliger Justizminister und ÖVP-Vizekanzler. Brandstetter ist Tojner seit langer Zeit verbunden, schon seine Eltern waren mit jenen von Tojner befreundet.

Dies ist auch die Geschichte eines Mannes, der riskiert, provoziert und polarisiert. Im Geschäftsleben gilt er als obsessiv, unberechenbar, unbequem, zuweilen unartig; als einer, der Grenzen austestet und Gesetze grundsätzlich nicht als Hürde begreift, eher als Herausforderung. Manche nennen ihn schlicht skrupellos.

„Auf zwei Freunde kommen acht Feinde“, hat Tojner einmal über Tojner gesagt und wertete das durchaus als Leistungsausweis.

Der Rechtsanwalt Wolfgang Hofer, Gründer und Partner der angesehenen Wiener Kanzlei Grohs Hofer, hatte mit Tojner geschäftlich zu tun. Hofer sitzt unter anderem im Vorstand der Industriestiftung B & C, wo Tojner zuletzt den Fuß in die Türe bekommen wollte. Der Anwalt hat den Kontrahenten nicht in allerbester Erinnerung: „Zu Tojners Fehlern zählt sicher nicht, dass er zu viel Wort hält“, feixt Hofer.

Michael Tojner hat jedenfalls ein Händchen fürs Geld. Als Student verkaufte er Eis im Park des Schlosses Schönbrunn, als Mittfünfziger gehört er zu den Bestsituierten des Landes. Laut dem Wirtschaftsmagazin „trend“ liegt Tojners Vermögen mittlerweile jenseits der Milliardengrenze. Er ist am Wiener Auktionshaus Dorotheum beteiligt und Gründer der Montana Tech Components, einer Schweizer Unternehmensgruppe, an der mehrere Firmen mit Standorten in 20 Ländern und insgesamt 7000 Arbeitsplätze hängen: Aluminiumverarbeitung, Maschinenbau, Verpackungsmaterial, Energiespeicher. Stolz der Gruppe ist der Batterienhersteller Varta, den Tojner der deutschen Industriellenfamilie Quandt (BMW, Altana) und der Deutschen Bank 2007 abkaufte.

In seiner Wertinvest hat er zudem ein ansehnliches Immobilienportfolio angehäuft, zu welchem unter anderem Liegenschaften in Manhattan, Zinshäuser in Wien und Deutschland, ein ehemaliges Kloster in Niederösterreich und das Wiener Hotel Intercontinental gehören. Das Intercontinental war es auch, das Tojner einer breiteren Öffentlichkeit bekannt machte. Seit Jahren sorgt sein Wiener „Heumarkt-Projekt“ für Kontroversen und böse Gerüchte. Tojner will den alten Intercont-Kasten abreißen und auf einem Areal, das den traditionsreichen Wiener Eislaufverein umfasst, zwei neue Kästen errichten: ein Hotel und einen 66 Meter hohen Wohn-und Geschäftsturm. Tojner hat es -wie auch immer – geschafft, die rot-grüne Stadtregierung im Allgemeinen und die scheidende grüne Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou im Besonderen für das Hochhaus-Projekt einzunehmen – ungeachtet der Tatsache, dass Wiens Weltkulturerbe-Status damit gefährlich ins Wanken gerät. Auch das ist Michael Tojner. Wo der Unternehmer auftaucht, bleibt Ärger selten aus. Man kann es auch flapsiger ausdrücken: Tojner ist jemand, der sich wenig scheißt. Das war zumindest bisher so.

Wien, 23. Jänner 2019. Tojner empfängt profil zu einem Interview im Dachgeschoss des „Varta“-Hauses am Wiener Getreidemarkt. Von hier aus dirigiert er seine weitläufigen Unternehmungen und Besitzungen. Der stilsicher eingerichtete Konferenzraum mit seinen wuchtigen dunklen Vintage-Armchairs könnte als Kulisse für einen frühen James-Bond-Streifen gedient haben – nur dass in diesem Fall nicht ganz klar ist, wer am ausladenden Konferenztisch Platz zu nehmen pflegt. Ist es 007, der smarte Typ mit der „License to kill“? Oder doch Auric Goldfinger, der exzentrische Milliardär, von Beruf Bösewicht?

An diesem Nachmittag ist Tojner keiner von beiden. Die Anspannung der vergangenen Tage ist ihm anzusehen, die ihm eigene Robustheit im Auftreten kaum zu spüren. Tojner hat Probleme mit dem Land Burgenland. SPÖ-Finanzlandesrat Hans Peter Doskozil, designierter Nachfolger von Landeshauptmann Hans Niessl, hat ihn und vier andere Personen angezeigt – Verdacht des Betruges und Untreue. Tojner soll das Land 2015 um einen Betrag in einer Größenordnung von 40 Millionen Euro geprellt haben. Es geht um vermutete Unregelmäßigkeiten rund um die Aberkennung der Gemeinnützigkeit zweier Wohnbaugenossenschaften und die Rolle mehrerer Treuhänder, die für Tojner tätig gewesen sein sollen (profil berichtete ausführlich). Der Angezeigte bestreitet die Vorwürfe -im Verlauf des Gesprächs wird er immer wieder darauf hinweisen, dass er nicht nur die Verantwortung für sechs Kinder trage, sondern auch für Tausende Mitarbeiter.

In Deutschland steht für ihn mittlerweile einiges auf dem Spiel. Die Varta-Gruppe will expandieren, sie drängt ins Geschäft mit Lithium-Ionen-Batterien für Elektroautos. Erst vor wenigen Wochen verkündete der Varta-Vorstandschef gemeinsam mit der baden-württembergischen Wirtschaftsministerin den Start eines Forschungsprojekts am Standort Ellwangen. Das Land Baden-Württemberg und das Bundesforschungsministerium haben bis zu 35 Millionen Euro an Förderungen zugesagt.

Wenn der Varta-Hauptaktionär und Aufsichtsratsvorsitzende Tojner eines im Moment überhaupt nicht brauchen kann, dann den öffentlichkeitswirksamen Vorwurf, ein österreichisches Bundesland um Steuergeld betrogen zu haben. „Diese medial vorgetragene Rufschädigung ist nicht akzeptabel“, sagt Tojner, hörbar entrüstet: „Es ist doch höchst befremdlich, dass man hier an die Öffentlichkeit gegangen ist, ohne dem Betroffenen die Gelegenheit zu einer Stellungnahme zu geben.“(Das Interview erschien in der profil-Ausgabe der Vorwoche.)

Tojner wird außerdem ein flammendes Interesse an der Funktion des Präsidenten des SK Rapid Wien nachgesagt. Er ist ein bekennender Fan, hat im Allianz-Stadion eine „Varta“-Loge, sponsert den Nachwuchs und sitzt im Beirat der SK Rapid Wien GmbH – gemeinsam mit Hans Peter Doskozil. Beide haben ihr Mandat im Beirat mittlerweile ruhend gestellt. So wird man schwerlich Präsident. Michael Tojner, der Unverwundbare, ist verwundbar geworden.

1) Wer ist Michael Tojner?

Heuschrecke. Tojner mag dieses Wort nicht. „Das ist eine Frechheit für das, was ich mache“, sagte er in der Wiener Wochenzeitung „Falter“ im Jahr 2013. „Ich war immer ein Unternehmens-und Projektentwickler.“

Grenzgänger. Auch dieses Wort mag Tojner nicht. „Ich bin Entrepreneur, kein Grenzgänger. Ich weiß, was ich tue, auch in meiner finstersten Stunde“, sagte er in der Tageszeitung „Der Standard“ 2017. Das Wirtschaftsmagazin „trend“ bezeichnete ihn

als „Geldnase“. Das komme einer „Verhöhnung“ gleich, wie er der Redaktion in einem Leserbrief ausrichtete. Das ist 20 Jahre her; Tojner war damals 32. Zocker. Auch die Zuschreibung auf der Titelseite dieses Magazins wird er nicht mögen. Wenn Michael Tojner in den Spiegel blickt, dann sieht er einen gänzlich anderen: den doppelten Doktor der Rechtswissenschaften und der Betriebswirtschaftslehre; den Titularprofessor der Wiener Wirtschaftsuniversität; das Vorstandsmitglied der Wiener Industriellenvereinigung; den Herausgeber und Autor wirtschaftswissenschaftlicher Abhandlungen; den Veranstalter politischer Diskussionsreihen; den Freund und Förderer von Kunst, Architektur und Sport; den Ästheten; den Familienmenschen.

Fremdbild-Selbstbild. Das ewige Dilemma. Tojner wurde 1966 im oberösterreichischen Steyr geboren, Kindheit und Jugend verbrachte er im niederösterreichischen Haag. Jüngster von drei Brüdern, einer wurde später Lehrer, wie die Mutter, ein anderer Installateur, wie der Vater. Tojner zog es nach der Matura 1984 am Bundesrealgymnasium Amstetten zum Studium nach Wien. Später erzählte er, dass der Vater ihm den Traum, Architekt zu werden, nicht vergönnte. „Willst du später einmal in Wien Taxi fahren? Studier was Gscheits.“ Tojner inskribierte an der WU, später auch am Juridicum. Mitte 20 war er DDr. – und obendrein Millionär, wenn auch nur in Schilling. Vorerst.

Die Geschichte vom Eisverkauf in Schönbrunn darf in keinem Tojner-Porträt fehlen. Sie ist fester Teil eines sorgsam gepflegten Gründermythos und geht so: Noch als Student hatte Tojner der Schlosshauptmannschaft die Erlaubnis für den Betrieb mobiler Eisstände abgerungen. Mit geborgtem Geld schaffte er eine kleine Eiswagenflotte an, die er im Schlosspark auffahren ließ; später kamen Souvenirs hinzu. „Die erste Million kam en passant. Als ich sie bei einem Blick auf meinen Kontostand registrierte, war das ein starkes Gefühl“, verriet Tojner dem Wirtschaftsmagazin „Format“ 2005. Es blieb nicht bei einer Million Schilling. Tojner verbreiterte sein Geschäftsmodell als Lokal-Betreiber („Mekka“, „Bar Italia“), Möbelhändler („Loft“) und Elektrogeräteexporteur („Trend AG“). Ende der 1990er-Jahre fing er mithilfe der Meinl Bank an, Geld bei Investoren einzusammeln, um in aufstrebende Unternehmen zu investieren, woraus sich sein Investmenthaus Global Equity Partners entwickelte.

Diese Phase in seinem Leben war es auch, die ihm den hartnäckigen Ruf des Glücksritters, der Heuschrecke eintrug. Mehr als 50 Unternehmen will Tojner im Lauf der Jahre gegründet und/oder geund verkauft haben; der Wettanbieter bwin war eines davon. Und nicht immer ging Tojners Wirken gut für alle Beteiligten aus. Er habe damals „sehr viele unzufriedene Anleger zurückgelassen“, sagte der Anlegerschützer Wilhelm Rasinger kürzlich in einem „Standard“-Interview. Tojner selbst sei bei diesen Konstruktionen hingegen „immer auf der Butterseite gelandet“.

Da passt es gut ins Bild, dass er ein Detail in seiner Vita nicht allzu offensiv kommuniziert. Schon die Geschichte mit dem Eisverkauf in Schönbrunn, sein erstes geschäftliches Abenteuer überhaupt, hatte im Unfrieden geendet.

2) Das Leben, ein Grenzgang

Stein des Anstoßes war das Preis-Leistungs-Verhältnis. Drei Kugeln Eis um 35 Schilling, das wollte Schönbrunn irgendwann nicht mehr tolerieren. Überdies wurden aus den zunächst mobilen Eiswagen feste Kioske. „Die Standln sind alle illegal errichtet“, polterte 2000 Wolfgang Kippes, damals Schönbrunn-Geschäftsführer. Die Causa landete vor Gericht; 2001 war Tojner aus dem Geschäft raus.

Der Rechtsweg ist dem Juristen wohlvertraut. „Michael war ein exzellenter Jus-Student, er hätte auch eine akademische Karriere einschlagen können“, erzählt Wolfgang Brandstetter. Bei Tojner selbst hört sich das so an: „Als ich Wirtschaft studiert habe, hat Professor Doralt, einer der ganz großen Rechtsexperten, zu mir gesagt: Tojner, Sie sind zu schade für die Wirtschaftsuniversität, studieren Sie Jus.“ Er habe dann am Juridicum alle Prüfungen des ersten Studienabschnitts innerhalb eines Monats abgelegt und Römisches Recht mit „Sehr gut“ bestanden. Herbert Hausmaninger, langjähriger Ordinarius der Universität Wien, wollte ihn daraufhin als Universitätsassistenten engagieren. Tojner: „Ich kann ohne Anwalt eine Varta AG kaufen. Ja, ich habe ein juristisches Feingefühl.“

Und er weiß es zu nutzen. Tojner hat ein Geschäftsmodell daraus gemacht, gesetzliche und vertragliche Grauzonen und Lücken auszureizen. Dieses Muster zieht sich seit dem ersten Schönbrunner Eiswagen durch seine professionelle Vita. Schon in den 1990er-Jahren sah er sich mit Beschwerden erboster Anleger konfrontiert, die ihm anlasteten, als Fondsmanager unanständig hohe Gebühren verlangt zu haben. 2012 brachten sich Investoren seiner Schweizer Montana Tech in Stellung. Tojner wurde mangelnde Transparenz und die Ungleichbehandlung von Aktionären vorgeworfen.

Oder die Causa Gemeinnützige. Tojner steht im Verdacht, mit Steuergeld geförderte Sozialwohnungen günstig in seinen Besitz gebracht und versilbert zu haben – wobei er Schwächen des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes ausgenutzt haben soll (was Tojner allerdings vehement bestreitet).

Schließlich die Causa B &C Privatstiftung. Dabei handelt es sich um ein einst mit der Bank Austria verbundenes Industriekonglomerat, das unter anderem Beteiligungen an Amag, Lenzing und Semperit umfasst. Tojner wollte eine Unschärfe im Stiftungsrecht dazu nutzen, Zugriff auf die Stiftung und deren Vermögen zu bekommen. Daraus wird nun zwar nichts, doch es deutet einiges darauf hin, dass Tojner selbst an dem Versuch verdienen wird. Tatsächlich hat Tojner sich bei der italienischen Bank- Austria-Mutter UniCredit vertragliche Rechte gesichert, die ihm der Vorstand der B & C Stiftung jetzt teuer abkaufen will -oder muss.

Die Unternehmerin Eva Dichand, Herausgeberin der Gratiszeitung „Heute“ und wie Tojner am Dorotheum beteiligt, sagte einmal über ihn: „Er ist ein unglaublich geschickter Verhandler. Er schlichtet einen Konflikt, alle sind zufrieden, und 24 Stunden später kommt man drauf: Hoppla, das war ja ganz zu seinem Vorteil.“

3) Wer bremst, verliert

Fleißig, ehrgeizig, höchst kompetitiv. Erkundigt man sich nach den auffälligsten Charaktereigenschaften des Michael Tojner, werden zuverlässig diese Attribute genannt. Beim alljährlichen Firmenwochenende am Traunsee, zu dem Führungskräfte von Montana und Wertinvest aus aller Welt zusammenkommen, steht auch ein Fußballmatch gegen die örtliche (ziemlich fitte) Seniorenmannschaft fix auf dem Programm. „Wenn Michael ein Tor schießt, atmen alle auf. Dann ist das Wochenende gerettet“, sagt ein Mitarbeiter. Überhaupt der Sport. Kicken, Boxen, Biken, Heli-Skiing, Kitesurfen, Wasserski, Mucki-Bude -Tojner ist ein Fitness-Junkie und legt es gern auf Wettbewerb an.

19. Jänner 2019, der Nobelskiort Lech am Arlberg. Ein Event ganz nach Tojners Gusto: „Der Weiße Ring“, ein Skirennen für Hobbysportler. 22 Kilometer Abfahrten, 5500 Höhenmeter, rund 1000 Teilnehmer. Tojner tritt im Viererteam an. Am Ende schaffen es Tojner und Sportsfreunde (die Unternehmer Martin Ohneberg und Friedrich Niederndorfer sowie die Ex-Rennläuferin Katrin Gutensohn) auf Rang 23 von 68 Klassierten -aber das wirklich Entscheidende: In seinem Team war Tojner der Schnellste.

Tojner ist eine Kämpfernatur, die über einen langen Atem verfügt. Das zeigt auch die Geschichte rund um sein umstrittenes Hochhaus-Projekt am Wiener Heumarkt, welches er trotz vieler Widerstände und Ungereimtheiten durchziehen will. Auf dem Areal mit dem in die Jahre gekommenen Hotel Intercontinental und dem Wiener Eislaufverein möchte er sich offenbar ein Denkmal setzen -entworfen vom brasilianischen Stararchitekten Isay Weinfeld. Ein Freund von Tojner erzählt: „Ich habe ihm einmal gesagt, nimm halt zwei Stockwerke weg von dem Turm, dann sparst du dir den Ärger. So schön ist die Hüttn jetzt auch nicht.“ Tojner konnte darüber gar nicht lachen.

4) Wen kennt Tojner – und wer kennt ihn?

Die Wiener Straßenzeitung „Augustin“ hat Tojner jüngst porträtiert und dem Artikel ein Organigramm beigestellt, das sein „Netzwerk“ zeigt. Da finden sich Namen wie Hanno und Erwin Soravia, Andritz-Chef Wolfgang Leitner, KTM-Chef Stefan Pierer, „Krone“-Chef Christoph Dichand, Martin Ohneberg, Claus Raidl – und Sebastian Kurz. Tojner, wird kolportiert, sei neben Pierer einer von Kurz‘ wichtigsten Financiers sein, was Tojner hartnäckig bestreitet.

Wahr ist, dass Tojner mit vielen gut kann. Wahr ist aber auch, dass derlei Bündnisse nicht überbewertet werden sollten, da stets geschäftlicher Opportunismus mit im Spiel ist. Tojner gehört jedenfalls nicht zum Typus Netzwerker, der auf Festen systematisch wichtige Leute abgrast und mit Politikern und Künstlern für Bussi-Bussi-Fotos posiert.

Nur einmal im Jahr besucht er eine publikumswirksam-glamouröse Veranstaltung: den Philharmonikerball im Wiener Musikvereinsgebäude.

Im Umfeld des Geschäftsmanns findet sich vielmehr eine Riege immergleicher Mitstreiter und Gefolgsleute, mitunter seit Jahrzehnten. In Tojners Firmenimperium bekleiden sie zahlreiche Positionen, etwa in Aufsichtsräten.

Da wäre beispielsweise Friedrich Niederndorfer, Gründer des oberösterreichischen Sensoren-Unternehmens Abatec, das von Tojner gemeinsam mit dem KTM-Gründer Stefan Pierer übernommen wurde. Niederndorfer war anfangs auch maßgeblich an den gemeinnützigen Wohnbaugesellschaften beteiligt, die nun im Burgenland für Auseinandersetzungen sorgen.

Da wäre auch Martin Ohneberg, Chef der Vorarlberger Industriellenvereinigung und der Henn GmbH, eines Herstellers von Schnellkupplungen. Nicht nur Ohneberg und Niederndorfer tauchen in Tojner-Unternehmen oftmals auf. Da wäre noch Franz Guggenberger, Rechtsanwalt der Wiener Kanzlei Hasch &Partner. Guggenberger ist unter anderem Beirat der Tojner-Holding Montana und Aufsichtsrat bei Varta.

Viele Bekanntschaften reichen weit zurück. Mit seinem langjährigem Freund Manfred Bodner, Gründer des Glücksspielkonzerns bwin, zog Tojner schon Anfang der 1990er-Jahre einen Versandhandel für Küchengeräte in Ungarn hoch. Der Wiener Rechtsanwalt Karl Liebenwein, der Tojner aktuell in seinem Streit mit dem Land Burgenland vertritt, stand bereits vor zwei Jahrzehnten juristisch an dessen Seite, als das Schloss Schönbrunn gegen Tojners Eisstände zu Felde zog. Und eben Wolfgang Brandstetter, Freund der Familie.

5) Wie man eine Chance nützt

Am Beispiel Varta, einst ein Batterie-Gigant in der baden-württembergischen Stadt Ellwangen, Deutschland. Die Varta AG stand früher geradezu stellvertretend für Batterien überhaupt. Varta-Batterien waren bei aufsehenerregenden Arktis-Expeditionen ebenso unerlässlich wie bei der Mondlandung 1969. In den 1990er-Jahren jedoch ging es mit Varta bergab, 2005 wurde das Unternehmen filetiert. Die Haushaltsbatteriensparte ging 2005 an einen US-Konzern, ebenso wie die Autobatterien. Als letzter Unternehmensteil blieben die sogenannten Mikrobatterien, die man in Uhren und Hörgeräte steckt. In dieser Sparte kriselte es besonders, kaufen wollte zunächst niemand. 2007 bekam Tojners Holding Global Equity Partners die Varta-Reste für 30 Millionen Euro.

Wie die Geschichte weitergeht? Varta expandierte in neue Geschäftsfelder wie Solarstromspeichersysteme und E-Auto-Batterien, der Mitarbeiterstand wurde annähernd verdoppelt. Seit Oktober 2017 wird die Varta-Aktie an der Börse Frankfurt gehandelt, der Börsenwert liegt aktuell bei 1,2 Milliarden Euro, Tojners Schweizer Montana Tech (er ist dort Hauptaktionär) hält noch 64 Prozent. Das entspricht einem Wert von rund 770 Millionen Euro – durchaus beachtlich für einen Betrieb, den Tojner ein Jahrzehnt zuvor um gerade einmal 30 Millionen erwarb.

6) Das Unmögliche möglich machen

Eines muss man Michael Tojner anstandslos zugestehen: Er schafft Dinge, die eigentlich nicht zu schaffen sind. Er besitzt zum Beispiel ein Haus am Wörther See und eines am Traunsee, Heimat seiner Frau. Ebenda steht ein Holzbau, inspiriert vom Salzkammergutstil. Unten gemauerte Einfahrten für Wasserfahrzeuge, darüber zwei Etagen mit Balkonen, Terrassen und großzügigen Fensterflächen; offener Kamin, die Küche mit einer Arbeitsplatte aus rotem Marmor, mehrere Schlafzimmer, gemütliche Leseecken, edle Holzböden. Interior Designer Hubert Bodner hat sich richtig ins Zeug gelegt. Der gegenüberliegende Traunstein zeigt sich in monumentaler Pracht.

In gewisser Weise ist dieses Haus jedoch ein Trugbild. Formell handelt es sich um ein Boots-und Clubhaus, Sitz des Traunkirchner Wasserskivereins – Obmann: Michael Tojner, Schriftführerin: Renate Tojner, Kassier: Friedrich Niederndorfer. Es ist nicht ganz einfach, Mitglied in diesem Verein zu werden. Er hat keine Website und keine Telefonnummer.

Frei verfügbare Liegenschaften an Salzkammergutseen sind bekanntlich gleichermaßen begehrt wie selten. Das gilt auch für den Traunsee. Man muss schon einigen Ideenreichtum aufbringen, um ein solches Refugium schaffen zu können.

Im Herbst 2005 hatte die Gemeinde das damals noch unbebaute Grundstück an eine Traunkirchen Tourismusentwicklungs GmbH verkauft. Gesellschafter waren Herr und Frau Tojner sowie deren Bruder Wolfgang Gröller, Hotelier im Ort. Ein Jahr später wurde die Baubewilligung „zur Errichtung eines Bootshauses mit Clubräumen für die Wasserskischule Traunkirchen“ erteilt.

Da steht es nun, das Clubhaus, auf das von außen nicht viel mehr hinweist als ein schlichtes Schild auf einem schmiedeeisernen Tor: „Wasserskiclub“.

Wie hält es der Club-Obmann mit dem Wasserskifahren am Traunsee, fragte profil anlässlich des Interviews vergangene Woche. Michael Tojners Antwort: „Ich gehe sehr viel Wasserski fahren, aber nicht am Traunsee, sondern am Wörther See. Am Traunsee gehe ich kitesurfen.“

Hinterlasse einen Kommentar

Eingeordnet unter Das Rote Wien, Stadtplanung, Wirtschaft

Standortwechsel

Aus dem profil 34/2018 vom 20.08.2018

Ein Proteststurm der etwas anderen Art spielt sich derzeit auf der Website des österreichischen Parlaments ab. Dort können Betroffene ihre Meinung zu Gesetzen abgeben, welche die schwarz-blaue Regierung plant. Aktuell zur Begutachtung aufliegend: das sogenannte „Standort-Entwicklungsgesetz“ (StEntG), das Anfang 2019 in Kraft treten soll. Dieses sieht eine einschneidende Reform von Umweltverträglichkeitsprüfungen und anderer Genehmigungsverfahren vor, die der Errichtung von Großprojekten wie Mülldeponien und Industrieanlagen vorausgehen. Konkret: Wenn die Regierung ein Projekt künftig für „standortrelevant“ erklärt, also für wichtig für Österreichs Wirtschaft, dann greifen „verfahrensbeschleunigende Maßnahmen“. Ein Projekt soll automatisch als genehmigt gelten, wenn die Verfahrensdauer länger als ein Jahr dauert. Das StEntG basiert auf langjährigen Wünschen der Unternehmensvertretungen Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung.

Allerdings: Die Kritik daran ist immens. Sogar von ÖVP-Regierungen wie jener von Vorarlberg und der Stadt Graz kommt scharfer Widerspruch. Einzig Unternehmen wie die Flughafen Wien AG und Elektrizitätsbetriebe springen für das Vorhaben in die Bresche.

„Ein noch nie dagewesener Angriff auf das Umweltrecht ( ) Wir fordern auf, diesen absurden Gesetzesentwurf ersatzlos zurückzuziehen!“ Greenpeace

„Absurd und rechtswidrig“
WWF

„Höchst bedenklich“
Kuratorium für Fischerei und Gewässerschutz

„Rückschrittlich“ Grüne Niederösterreich

„Das Gesetz ist mehrfach europarechtsvölkerrechts-und verfassungswidrig und würde deshalb in der Praxis zu unvorstellbarer Rechtsunsicherheit und Verfahrensverzögerungen führen.“ Ökobüro, Dachverband der Umweltschutzorganisationen

„Zu begrüßen“ Flughafen Wien AG

„Aufgrund von verfassungs-und unionsrechtlichen Unvereinbarkeiten sehr kritisch zu sehen“
Land Vorarlberg

„Zur Gänze abzulehnen“
Stadt Graz

„Ein politisch-strategisches Planungsinstrument ( ), um den Wirtschaftsstandort Österreich langfristig abzusichern und für Investoren attraktiv zu erhalten.“ Österreichs E-Wirtschaft

„Europarecht, Völkerrecht und Verfassungsrecht sind in meist kaum behebbarer Weise betroffen.“ Arbeiterkammer

Hinterlasse einen Kommentar

Eingeordnet unter Behörden, Innenpolitik, Stadtplanung, Umwelt und Klima

Fragenrennen

Aus dem profil 33/2018 vom 13.08.2018

Um wie viel Geld hat die Gemeinde Wien die Trabrennbahn Krieau im Prater an ein privates Immobilienunternehmen verkauft? Warum laufen solche Deals derart diskret ab? Infolge eines profil-Berichts vergangene Woche („Geheimplan Rennbahn“, profil 32/18) tun sich zahlreiche Fragen auf. Bald müssen die verantwortlichen Politiker Antworten liefern. Denn gleich drei Parteien kündigen an, auf parlamentarischer Ebene in der Causa aktiv zu werden. Die oppositionellen Wiener NEOS haben bereits eine umfassende Fragenliste an SPÖ-Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál übermittelt. Die Wiener ÖVP indes macht von ihrem Recht Gebrauch, einmal jährlich eine Sondersitzung des Gemeinderats einzuberufen: Neben der Krieau soll sie sich etwa mit den Semmelweis-Gründen und dem Verkauf von 3000 Sozialwohnungen durch die WBV-GÖD befassen. Auf Bundesebene schließlich will Wolfgang Zinggl, Abgeordneter der Liste Pilz, im Rahmen einer Anfrage Details „zu anhängigen Verfahren bei fragwürdigen Immo-Deals“ à la Krieau erfahren. „Wenn öffentliches Gut schon verkauft werden muss, dann ist es wohl selbstverständlich, dass alle Konditionen dazu öffentlich gemacht werden“, sagt Zinggl. Für Aufklärung in den kommenden Wochen und Monaten wird also gesorgt. Hoffentlich.

Vorangegangene Geschichte:
Privatbahn, Juni 2018
Geheimplan Rennbahn, August 2018

Hinterlasse einen Kommentar

Eingeordnet unter Das Rote Wien, Stadtplanung

Geheimplan Rennbahn

Aus dem profil 32/2018 vom vom 06.08.2018

Die Gemeinde Wien hat vor Kurzem die Trabrennbahn Krieau im Prater an ein privates Immobilienunternehmen verkauft. Wurde der kostbare Grund zu billig verscherbelt? Und warum behauptet die rot-grüne Stadtregierung, die Bahn bliebe erhalten, während es in Wahrheit offenkundig Gespräche über ihren Verbau gibt? Ein Immo-Deal, der Fragen aufwirft.

Von Joseph Gepp

An einem lauen Sommerabend kommt die halbe Stadt in den Wiener Prater zum Sporteln. Radfahrer und Jogger tummeln sich auf der Hauptallee. Kaum einen Steinwurf entfernt hat eine weniger bekannte Sportart ihre Heimstatt. Auf der Trabrennbahn Krieau ziehen die Traber mit ihren Pferden ihre Runden. Vor 140 Jahren, anno 1878, wurde die Rennbahn im 2. Bezirk eröffnet. Mit ihren denkmalgeschützten Tribünen und einem filigranen Schiedsrichterturm gilt sie als architekturhistorisch wertvoll. Sie ist eine Wiener Sehenswürdigkeit.

Doch ob hier auch in Zukunft noch Pferde traben, scheint fraglich. Anfang Juli berichtete profil, dass die Gemeinde Wien die Rennbahn an einen privaten Immobilienentwickler verkauft hat. Der Deal ging still und leise vonstatten. Keine Presseaussendung wies darauf hin; keine Debatte im Gemeinderat fand statt. Der Käufer heißt Viertel Zwei Entwicklungs GmbH & Co Krieau KG. Dieses Unternehmen mit Sitz in Wien hat bereits in den vergangenen Jahren große Flächen neben der Rennbahn erworben. Nun kam die Bahn selbst an die Reihe.

Droht jetzt ein Verbau mit Luxuswohnungen und teuren Büros? Wird somit das bebaute Areal der Stadt tief in jene Praterflächen hineinrücken, die heute noch frei stehen? Müssen die Pferde weichen? Garantiert nicht, beteuerten in den vergangenen Wochen Vertreter der privaten Viertel Zwei genauso wie der Stadt Wien. Die Rennbahn bleibe erhalten, wenn auch unter neuem Besitzer.

Nun jedoch wecken interne Unterlagen, die profil zugespielt wurden, Zweifel an dieser Darstellung. Das Konvolut, das von der Viertel Zwei stammt und teilweise mit dem Vermerk „streng vertraulich“ versehen ist, enthält detaillierte Informationen zu Verkauf und Zukunft der Rennbahn. Eine Bebauung ist durchaus in Überlegung, entgegen aller Beteuerungen. Die Pläne wirken sogar ziemlich konkret. Die rot-grüne Wiener Stadtregierung – konkret Michael Ludwig, bis vor Kurzem SPÖ-Wohnbaustadtrat und heute Bürgermeister – ist offenkundig seit Jahren in das Ansinnen eingeweiht. Noch als Stadtrat fand ein Treffen zwischen Ludwig und Viertel-Zwei-Managern statt, in dem Ludwig umfassend über deren Pläne aufgeklärt wurde, dies zeigen die Dokumente.

Bereits seit Jahren tönt Kritik an den Grundstücksgeschäften der Stadt Wien in der Krieau und Umgebung.
Extrem diskret und ohne Ausschreibung wurden hier im Lauf von bald eineinhalb Jahrzehnten Liegenschaften verkauft. Jetzt hat mit der Trabrennbahn erneut eine wertvolle und große Fläche den Eigentümer gewechselt. Oppositionspolitiker, Rechnungshofprüfer und gar manch Stadt-Wien-Beamter kritisierten im Lauf der vergangenen Jahre, dass das Rathaus die Liegenschaften nicht nur heimlich, sondern auch zu billig verkauft habe. Politisch verantwortlich sind die ehemaligen SPÖ-Wohnbaustadträte Werner Faymann und Michael Ludwig. Sie müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, die Öffentlichkeit nicht genug informiert zu haben, dass hier im großen Stil Privatisierungen stattfinden – und was der Zweck dahinter sein soll.

Traber auf der Rennbahn: Links im Hintergrund das neue Viertel Zwei (Foto: Joseph Gepp)

Die Krieau-Causa reiht sich in eine Serie von Immobiliengeschäften der Stadt Wien, die derzeit für Schlagzeilen sorgen. Zum Beispiel rund um das Semmelweis-Areal im 18. Bezirk, wo das Rathaus Liegenschaften zum Spottpreis an einen Privatschulbetreiber und ein SPÖ-nahes Wohnbauunternehmen verkauft haben soll. Im zweiten Fall ermittelt die Korruptionsstaatsanwaltschaft. Das Rathaus stoße Flächen viel zu billig ab, kritisiert regelmäßig die Stadt-Wien-Opposition aus FPÖ, ÖVP und NEOS. Der Gemeinde – und damit dem Steuerzahler -würden Millionen entgehen.

Was den Krieau-Verkauf betrifft, beginnt dessen Vorgeschichte im Jahr 2004. Damals beschließt die Stadt, große Grundstücke am Rand des Praters einem Tochterunternehmen der stadteigenen Wien Holding zu übertragen. Dieses reicht die Flächen an einige handverlesene Privatunternehmen weiter. Hintergedanke: Die Privaten sollen attraktive Bürobauten und Einkaufszentren errichten. Immerhin naht die Verlängerung der U-Bahn-Linie 2 heran ebenso wie die Fußball-EM 2008 im Praterstadion -da soll der 2. Bezirk etwas hermachen.

Bei den Deals kommt unter anderem die Viertel Zwei zum Zug.
Sie erhält Vorkaufsrechte rund um die Krieau. Auf dieser Basis erwirbt sie nach und nach Flächen. Hinter der Viertel Zwei steht Michael Griesmayr, 57 Jahre alt. Der gebürtige Steirer, der in den 1990er-Jahren als Immobilienfinanzierer bei der Raiffeisen-Zentralbank begann, ist heute ein großer Player in der Wiener Immobilienszene. Im Jahr 2010 feiert Griesmayrs erstes großes Projekt im Prater Fertigstellung: das „Viertel Zwei“, ein Bürogrätzel, architektonisch durchaus gelobt, gelegen unmittelbar neben der Trabrennbahn. Im Jahr 2012 folgt der nächste Streich: Die Viertel Zwei kauft das Areal der Stallungen, ebenfalls neben der Bahn. Die Bebauung dieses Geländes („Viertel Zwei Plus“) läuft derzeit an. Im Frühjahr 2017 schließlich krönt das Unternehmen seine Einkaufstour mit dem Erwerb der Rennbahn selbst. Sie ist nahezu 13 Hektar groß; die Lage zwischen U-Bahn und Grünem Prater könnte nicht besser sein. Zugleich jedoch gestalten sich hier die Umstände schwieriger als bei den früheren Käufen: Die Bahn ist seit dem Jahr 1945 unbefristet an den Wiener Trabrennverein verpachtet, der die Rennen betreibt. Überdies darf das Gelände derzeit nicht bebaut werden, weil es als „Sportstätte“ gewidmet ist. Sollte die Rennbahn irgendwann aufgelassen werden, muss laut Gesetz anderswo eine Ersatzsportstätte geschaffen werden.

Aus den geheimen Unterlagen: So soll die Rennbahn dereinst aussehen

Aufseiten der Stadt gibt es von Anfang an Kritik an den Deals. Im Jahr 2004 wettern Oppositionelle im Gemeinderat gegen die „freihändigen, handstreichartigen Vergaben“. Zwei Jahre später kritisiert der Stadtrechnungshof, dass es keine Ausschreibungen gegeben habe, bei denen der Bestbieter zum Zug hätte kommen können. Stattdessen basierten die Kaufpreise auf Sachverständigengutachten, welche die Stadt Wien in Auftrag gab. „Bei ordnungsgemäßer Ausschreibung hätte ein weit höherer Kaufpreis erzielt werden können“, so der Stadtrechnungshof. Die Deals „entbehren den üblichen Gepflogenheiten im Immobilienwesen“. Und: „Es stellt sich die Frage, warum gerade diese Investoren für das Megaprojekt ausgewählt wurden.“ Im Jahr 2014 taucht noch dazu ein interner Aktenvermerk aus der Wien Holding auf. Wie die Wochenzeitung „Falter“ damals berichtete, hatte ein Wien- Holding-Mitarbeiter im Jahr 2007 seine Vorgesetzten gewarnt: Die Kaufpreise für die Krieau-Gründe seien derart niedrig, dass der Deal „einer Korrektur bzw. Auflösung“ bedürfe.

Wie viel zahlt die Viertel Zwei heute für die Rennbahn? Den endgültigen Kaufpreis wisse man noch nicht, sagt Unternehmenssprecherin Judith Erlfelder. „Er kann erst festgelegt werden, wenn gewisse Parameter feststehen, darunter die Art der Nutzung sowie die erzielbare Bruttogeschossfläche auf Basis der Widmung.“ Je nach errichteter Fläche komme es zu „Nachbesserungen“, erklärt Erlfelder. In Immobiliendingen sei dies „ein normaler und üblicher Vorgang“.

Wurde über den gewünschten Verbau der Krieau informiert, als er noch Wohnbaustadtrat war: SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig (Wikipedia)

Laut einer internen Präsentation der Viertel Zwei, die profil vorliegt, beträgt der Kaufpreis inklusive Nebenkosten 16,5 Millionen Euro. Das entspricht einem ungefähren Quadratmeterpreis von 130 Euro. Es sei ein „Mindestkaufpreis“ exklusive Nachbesserungen, heißt es auch hier.

Ist die Summe angemessen? Und wie viel könnte durch die Nachzahlungen noch dazukommen? Aufschluss darüber würde jenes Gutachten der Stadt liefern, mit dessen Hilfe der Kaufpreis bestimmt wurde. Doch dies sei unter Verschluss, erklärt Daniel Benyes, Sprecher von SPÖ-Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál, der Nachfolgerin Faymanns und Ludwigs. „Aus rechtlichen Gründen darf es nicht herausgegeben werden.“

Benyes weist scharf zurück, dass der Kaufpreis
im Fall Krieau zu niedrig ausgefallen sein könnte. Er verweist vor allem auf besagte Nachbesserungen. Sollte die Krieau dereinst wirklich bebaut werden, würde -je nach Umfang der Gebäude – ein durchaus marktüblicher Kaufpreis an die Stadt Wien fließen. Allerdings: Dies setzt ja genau jenes Szenario voraus, das offiziell alle Seiten bestreiten -einen Verbau. Was der Sinn hinter dem ganzen Konstrukt sein soll, bleibt letztlich rätselhaft.

Doch zurück zu den internen Dokumenten. Sie enthalten neben Details zum Kauf auch Pläne, was wirklich mit der Trabrennbahn geschehen soll. Und siehe da -im Gegensatz zu allen Beteuerungen von Gemeinde Wien und Viertel Zwei ist es keine ausgemachte Sache, dass die Bahn erhalten bleibt. Dabei hat Viertel- Zwei-Sprecherin Erlfelder noch im Juli betont, man habe „keine“ Pläne mit der Rennbahn. Angeblich einziges Motiv für den Kauf: „Wir wollen nicht, dass uns irgendjemand wo etwas hinbaut – auch in Zukunft nicht“, so Erlfelder gegenüber ORF Wien. Auch das Büro von Gaál beschwichtigte: „Der Weiterbestand der Trabrennbahn ist abgesichert.“

In Wahrheit laufen bereits seit Jahren Gespräche mit Vertretern der Gemeinde über eine Bebauung des Geländes -so geht das zumindest aus den internen Unterlagen der Viertel Zwei hervor. „Gespräche bzgl. dem Absiedlungsprozedere finden mit Stadt Wien statt“, heißt es beispielsweise in einer Präsentation vom Vorjahr. Die Absiedlung bezieht sich auf den Wiener Trabrennverein (WTV) – er muss verschwinden, ehe eine Bebauung beginnen kann. Dementsprechend heißt es in einem internen Protokoll zu einer Viertel-Zwei-Sitzung, in der sich die Manager untereinander über ihre Ziele austauschen: „Der WTV muss weg!“

Sogar der heutige SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig wurde über die Pläne informiert -und zwar ziemlich ausführlich. Am 30. März 2016 fand laut den Dokumenten ein Termin von Viertel-Zwei-Vertretern mit dem damaligen SPÖ-Wohnbaustadtrat statt. Der Verkauf der Rennbahn war damals noch nicht unter Dach und Fach. Es galt für die Manager, Ludwig von ihren Krieau-Plänen zu überzeugen. profil liegt das Protokoll einer internen Sitzung von Anfang März 2016 vor, kurz vor dem Termin bei Michael Ludwig. Darin entwerfen die Manager des Immobilienunternehmens eine Strategie für das bevorstehende Gespräch mit dem Stadtrat.

Was den Plan einer „Bebauung des Infields“ (also der Rennbahn) betrifft, müsse man „Überzeugungsarbeit“ bei Ludwig leisten, heißt es. Man werde ihm „Varianten“ vorlegen, „wie eine grundlegende Bebauung aussehen kann“. Als mögliches Argument für den Verbau könne man beim Ludwig-Termin anführen, dass rund um die Rennbahn ja bereits in den vergangenen Jahren zahlreiche Neubauten entstanden seien. „Somit kann eine Bebauung des Planungsgebiets 3 (die interne Viertel-Zwei-Bezeichung für die Trabrennbahn, Anm.) als logische Konsequenz dargestellt werden.“

Wie lautet also das Fazit im Fall Krieau? Was die Informationspolitik gegenüber der Öffentlichkeit betrifft: Die Stadtregierung verliert kein Wort darüber, dass offenkundig durchaus intensiv debattiert wird, eine Großfläche zu verbauen, die immerhin einen wichtigen Teil des Wiener Praters darstellt. Und in Sachen Kaufpreis? Hier bedient sich die Gemeinde eines Systems geheimer Gutachten und Nachzahlungen, dessen Details niemand kennt und das für jede Menge Kritik sorgt.

Die Viertel Zwei meint gegenüber profil, man mache „keine Angaben zum Inhalt einzelner Gespräche“. Grundsätzlicher: „Wenn der Trabrennverein die gepachtete Fläche aufgeben und/oder seinen Standort verändern will, werden wir ihn bei diesem Vorhaben unterstützen“. Man bereite sich jedoch „als professioneller Stadtteilentwickler auf verschiedene Szenarien vor.“

Und die Gemeinde? In einer Stellungnahme der MA 69 für Immobilienmanagement, die Gaál untersteht, bleibt die Stadt bei ihrer bisherigen Darstellung: Es gäbe „keine Gespräche über eine Gesamtabsiedlung des Trabrennvereines“. Dies wäre nämlich beim Wiener Sportamt zu beantragen -und genau das sei nicht geschehen. Und das Gespräch mit Ludwig? Darauf geht die MA 69 in ihrer Stellungnahme nicht ein. Hinter vorgehaltener Hand meinen Rathausvertreter, das seien lediglich „total unverbindliche Vorab-Gespräche“ gewesen.

Wie ernst über die Zukunft der Krieau diskutiert wird, das muss offen bleiben. Genauso wie viele andere Fragen in der mysteriösen Causa. Immerhin auf einige könnte es bald Antworten geben. Die Oppositionspolitikerin Bettina Emmerling, Vize-Klubchefin der Wiener NEOS, will SPÖ-Stadträtin Gaál mittels einer umfangreichen Anfrage zu Auskünften zwingen. Emmerling fragt beispielsweise, warum es keine Ausschreibung gab und worin überhaupt der Zweck lag, die Rennbahn zu verkaufen. Mit einer Antwort ist Mitte September zu rechnen.

Die Viertel Zwei jedenfalls hofft laut den profil zugespielten Unterlagen, im Jahr 2021 mit einer Bebauung beginnen zu können. Man rechnet mit einer Bruttogeschossfläche von „ca. 90.000-110.000 Quadratmetern (Minimalvariante)“. Die denkmalgeschützten Tribünen und der Schiedsrichterturm sollen in das neue Stadtviertel integriert werden. Angedacht ist ein künstlicher See auf der ehemaligen Rennbahn, um den sich Gebäude mit den Zwecken „Wohnen, Gewerbe und Bildungsstätten“ gruppieren.

Und all das mitten im Grünen.

2 Kommentare

Eingeordnet unter Behörden, Das Rote Wien, Stadtplanung

Abtraben

Aus profil 28/2018 vom 09.07.2018

„Nächster dubioser Immo-Deal“, „Grundstücke verramscht“, „SPÖ-System versorgt sich selbst“: Vergangene Woche wirbelte der profil-Bericht über den Verkauf der Trabrennbahn Krieau durch die Stadt Wien Staub auf. Wiens Opposition aus ÖVP, FPÖ und NEOS kritisierte scharf. Wie profil berichtete, geht die Traditionsstätte an die Immobilienfirma Viertel Zwei GmbH des Unternehmers Michael Griesmayr, die bereits ringsum große Flächen erworben hat. Die rot-grüne Stadtregierung kann die Aufregung nicht nachvollziehen. Denn die Trabrennbahn bleibe erhalten, wenn auch in privater Hand. Dies beteuert SPÖ-Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál, deren Ressort für den Verkauf politisch verantwortlich war. „Der Weiterbestand der Trabrennbahn ist materiellrechtlich durch das Wiener Sportstättenschutzgesetz abgesichert“, heißt es von der MA 69 für Immobilienmanagement, die Gaál untersteht. Nach diesem Gesetz muss die Auflassung einer Sportstätte behördlich eigens bewilligt werden. Offen bleibt bei dieser Argumentation: Wenn die Stadt den Erhalt der Rennbahn garantiert -welchen Zweck hat es dann überhaupt, sie zu privatisieren? Warum soll sich ein Privater die Mühe antun, eine teure Rennbahn zu erhalten?

Ein interessantes Detail an der Causa Krieau ergibt sich übrigens aus einer Stellungnahme, die der Wiener Trabrennverein (WTV) anlässlich des profil-Berichts auf seiner Website veröffentlicht hat. Der altehrwürdige Klub betreibt die Rennbahn seit 1945 durchgehend -bisher stets als Pächter der Gemeinde Wien, mit unbefristetem Pachtvertrag. Nun hat der WTV die Viertel Zwei als neuen Verpächter. Allerdings: Offenbar hielt es niemand für notwendig, den WTV über diesen Eigentümerwechsel zu informieren. „Hinsichtlich des (…) kolportieren Verkaufs möchte der WTV festhalten, dass ein derartiges Rechtsgeschäft seitens der Stadt Wien bis dato nicht bestätigt wurde“, heißt es.

Hier geht’s zur vorangegangenen Geschichte zum Verkauf der Krieau

Trabrennbahn Krieau (Wikipedia)

Hinterlasse einen Kommentar

Eingeordnet unter Das Rote Wien, Stadtplanung

Privatbahn

Aus profil 27/2018 vom 02.07.2018

Die Trabrennbahn Krieau im Wiener Prater ist eine Sehenswürdigkeit von architekturhistorischem Wert. Jetzt hat sie die Gemeinde Wien verkauft. Ganz unauffällig.

Joseph Gepp

Das rote Wien rühmt sich gern, bei Privatisierungen stets zurückhaltend gewesen zu sein. Während zum Beispiel Städte in Deutschland in den 1990er-Jahren ihren Bestand an Gemeindewohnungen auf den Markt warfen, blieben sie in Wien in kommunalem Besitz. Eine kluge Entscheidung, urteilen Experten heute. Sie habe der Stadt manch Probleme auf dem Wohnungsmarkt erspart.

Allerdings geht die SPÖ-dominierte Stadtregierung nicht bei all ihren Immobilien mit derartigem Bedacht vor.

Zum Beispiel bei der Trabrennbahn Krieau im Prater, einer Pferderennbahn in Top-Lage, eröffnet 1878,1000 Meter lang, architekturhistorisch wertvoll. Ziemlich unauffällig ging nun das Juwel an ein privates Immobilienunternehmen, die Viertel Zwei. Dahinter steckt der Unternehmer Michael Griesmayr. Im Grundbuch ist zwar noch die Stadt Wien als Eigentümerin angeführt. Doch auf profil-Anfrage bestätigt Judith Erlfelder, Sprecherin der Viertel Zwei: „Eigentümer der Trabrennbahn ist die Projektgesellschaft Viertel Zwei Entwicklung GmbH & Co Krieau KG. Die Verbücherung ist im Gange.“

Die Viertel Zwei ist keine Unbekannte in der Gegend. Bereits seit 2004 kauft das Unternehmen große Flächen nahe der Rennbahn und errichtet darauf Wohn-und Bürobauten. Zum Beispiel das „Viertel Zwei“, in dem sich heute etwa die Konzernzentrale der OMV befindet. Im Jahr 2011 erwarb Griesmayrs Unternehmen darüber hinaus die Stallungen neben der Rennbahn, die derzeit ebenfalls teilverbaut werden („Viertel Zwei Plus“). Nun ist eben die Rennbahn selbst an der Reihe.

Trabrennbahn Krieau (Wikipedia)

Politisch verantwortlich für die Veräußerungen aufseiten der Gemeinde waren die seinerzeitigen SPÖ-Wohnbaustadträte Werner Faymann und Michael Ludwig. Im Jahr 2014 tauchten Ungereimtheiten bei den früheren Verkäufen auf. Damals stellte sich heraus, dass Mitarbeiter der stadteigenen Wien Holding 2007 ihre Chefs gewarnt hatten, die Kaufpreise seien extrem niedrig, die Deals bedürften einer „Korrektur bzw. Auflösung“.

Befragt nach dem nunmehrigen Kaufpreis für die Rennbahn sagt Sprecherin Erlfelder: „Der endgültige Kaufpreis kann erst festgelegt werden, wenn gewisse Parameter feststehen, darunter die Art der Nutzung sowie die erzielbare Bruttogeschoßfläche auf Basis der Widmung.“

Betrieben wird die Rennbahn jedenfalls seit Jahrzehnten vom Wiener Trabrennverein. Dieser SPÖ-nahe Klub -Ehrenpräsident ist Ex-Nationalratsabgeordneter Anton Gaál -hat das Areal von der Gemeinde gepachtet. Nun übernimmt die Viertel Zwei die Rolle des Verpächters. Am unbefristeten Pachtverhältnis ändere dies nichts, beteuert Erlfelder. Die Rennbahn bleibe bestehen. Allerdings behaupten Insider gegenüber profil, dass sich der Trabrennverein in beklagenswertem Zustand befinde. Die betagten Mitglieder wenden sich ab; Junge kommen nicht nach. „Wenn das so weitergeht, existiert der Verein bald nicht mehr“, so ein Involvierter. „Sollte er sich eines Tages auflösen, ist fraglich, was mit dem Areal geschieht.“

Das Rathaus hat stets betont, die Rennbahn bleibe erhalten. Dies gelte unabhängig vom Eigentümerwechsel, heißt es auch heute aus dem Büro der grünen Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou, zuständig für Stadtplanung. Grund: Das Areal sei als Sportstätte gewidmet, man dürfe dort gar nicht bauen.

profil hat auch im Büro der neuen SPÖ-Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál (Tochter von Anton Gaál), deren Ressort für die Rennbahn politisch verantwortlich ist, um eine Stellungnahme zur Privatisierung gebeten. Doch die Anfrage blieb unbeantwortet.

3 Kommentare

Eingeordnet unter Das Rote Wien, Stadtplanung

Frühlingsroller

Aus profil 37/2017

Hunderte gelbe Leihfahrräder aus China tauchen neuerdings in europäischen Städten auf – seit Kurzem auch in Österreich. Geniale Idee oder eher eine Plage?

Von Joseph Gepp

Wenn eine neue Geschäftsidee um die Welt geht, muss man schnell zuschlagen, bevor andere kommen. „Vor gerade einmal einer Woche haben wir den Auftrag erhalten, diese Firma zu betreuen“, sagt Jürgen Gangoly, PR-Berater der Skills Group in Wien. „Anschließend haben wir in vier Tagen einen Markteintritt organisiert. Das dauert sonst oft Monate. So etwas habe ich noch nicht erlebt.“

Das Unternehmen, das derart auf die Tube drückt, heißt Ofo, Hauptsitz in Peking. Obwohl es erst drei Jahre alt ist, wird sein Marktwert aktuell auf 2,5 Milliarden Euro geschätzt. Vor zwei Wochen verkündeten die Chinesen, dass ihre Geschäftstätigkeit auf Wien ausgeweitet werde. Seither stehen auch in dieser Stadt 200 von jenen gelben Dingern herum, mit denen Ofo sein Geld verdient: Leihfahrräder.

Überall in Europas Städten tauchen neuerdings die Räder aus Fernost auf. Ofo ist zwar Marktführer, aber bei Weitem nicht der einzige Anbieter. Andere heißen oBike, Mobike oder Yobike. In Wien hat neben Ofo in den vergangenen Wochen auch oBike (Hauptsitz in Singapur) 500 Räder platziert. In anderen Städten, etwa München und Zürich, finden sie sich ebenfalls. Auch in den Landeshauptstädten Linz, Graz und Salzburg antichambrieren die Manager schon (siehe unten). Es gilt für die Unternehmen, rasch bekannt zu werden und mit Stadtverwaltungen in Kontakt zu treten, bevor noch mehr Mitbewerber auf den Markt drängen.

An die Wucht des Kapitalismus chinesischer Prägung
muss man sich im gemächlichen Europa erst gewöhnen. In China begann der Leihfahrrad-Boom im Jahr 2014. Damals entwickelten ein paar Studenten der Universität Peking rund um den heute 26-jährigen Ofo-Gründer Dai Wei das Basiskonzept. Seither sind Dutzende Millionen Leihräder auf Chinas Straßen gekommen – allein Ofo betreibt acht Millionen. Die Unternehmen überbieten einander mit immer größeren Flotten. Weil der fernöstliche Markt inzwischen gesättigt ist, soll die Expansion in Europa weitergehen.

Aber lässt sich die Idee nach Europa übertragen? Sind die gemeinschaftlich genutzten Fahrräder eine gute Idee, um für mehr Platz und saubere Luft in dichtgedrängten Städten zu sorgen? Welche Probleme tauchen dabei auf? Und welche kulturellen Unterschiede offenbar sich?

Die Fahrräder von Ofo und Co. heben sich jedenfalls in einem entscheidenden Punkt von konventionellen Verleihdiensten ab: Es gibt keine fixen Stationen, an denen sie verankert sind, so wie beispielsweise bei den Vienna City Bikes in Wien. Stattdessen stehen die chinesischen Räder irgendwo in der Stadt herum; sie sind nirgends angekettet, lediglich mit einer Sperre verriegelt. Will man sie benutzen, muss man sich mittels Handy und Kreditkarte registrieren. Dann bekommt man einen Code zugesandt, mit dem sich die Verriegelung am Fahrrad öffnen lässt. Nach der Fahrt stellt man das Rad wieder ab und verriegelt es, wo immer man will.

Die rasante Ausbreitung dieser Idee zeigt auch, wie sich das chinesische Wirtschaftssystem verändert. Viele Jahre fungierte das Land als Werkbank – und als Kopierstudio – für Produkte, die Entwickler im Westen ausgetüftelt hatten. Heute transformiert China zunehmend seine Rolle. Es versucht sich an eigenen Innovationen. Die werden im Heimatland an die Konsumenten gebracht, aber sie sollen auch das Ausland erobern. Mit den Fahrrädern geschieht dies erstmals in großem Stil.

Ein Ofo-Leihrad (Ofo)

Doch nicht nur dieser Aspekt macht den Boom bemerkenswert. Interessant ist auch die Art, wie die Verleihunternehmen ihr Geld verdienen. Zwar heben sie ganz klassisch Leihgebühren ein (je nach Betreiber ein bis zwei Euro pro Stunde). Doch das ist zweitrangig. Wichtigere Ressource: die Daten der Benutzer. Jedes Fahrrad wird per Satellit geortet. Dadurch kommt eine gigantische Menge an Daten zusammen. Sie zeigt, wohin sich die Fahrer bewegen, welche Orte sie passieren, wo sie halten. Für Stadt- und Verkehrsplaner sind solche Informationen ebenso nützlich wie für Unternehmen. Wer beispielsweise einen Standort für ein Geschäft oder Restaurant sucht, wäre wohl dankbar, zu erfahren, an welchen Stellen zu welcher Tageszeit und in welchem Tempo sich wie viele Radfahrer vorbeibewegen. In China bekommen die Fahrradkunden regelmäßig Werbung auf ihre Handys gespielt, exakt angepasst an ihre Routen. In Europa hingegen würden die Kundendaten nicht kommerziell genutzt, beteuern Leihfahrradbetreiber wie Ofo. Doch wie lange das Versprechen hält, ist fraglich. Immerhin sitzen die Anbieter auf enorm wertvollen Datensammlungen.

Doch nicht nur hinsichtlich Daten wirft der Leihfahrradboom Fragen auf. Er führt auch zu Problemen im Stadtbild. In China beklagen Bürger, dass die Räder Gehsteige und Parkplätze verstellen, weil sie von Benutzern achtlos stehengelassen werden. Mancherorts, etwa in Shanghai, landeten sie sogar in Haufen übereinander. Wird es auch in Europa diese Probleme geben?

Schauplatzwechsel. In Manchester, der Stadt in Nordengland, lässt sich studieren, welche Nutzen und Nachteile aus den Leihfahrrädern resultieren. Im Gegensatz zu Festlandeuropa gibt es die Räder hier – konkret jene der Pekinger Firma Mobike, die in Manchester tätig ist – bereits seit einigen Monaten. Die Stadt, von der einst die Industrielle Revolution ausging, dient heute den Chinesen als Experimentierfeld für die Eroberung des westlichen Marktes, genauso wie andere Städte in Großbritannien.

Ob es Probleme gebe? Nein, sagt Rafael Cuesta, Chef für Innovation bei den Verkehrsbetrieben von Manchester. Zwar habe es gleich nach Einführung der Räder einige Fälle von Vandalismus gegeben.“Aber sonst sind wir sehr zufrieden.“ Das Verleihsystem helfe, die Stadt vom Autoverkehr zu entlasten; es sei umweltfreundlich und billig für die Benutzer. Und: Es kostet die Stadtverwaltung nichts. „Darüber hinaus sind die Räder kein Verkehrshindernis in Manchester.“ Cuesta setzt sich aufgrund der guten Erfahrungen sogar für noch mehr Mobikes in Manchester und Umgebung ein. Dies lässt sich schnell bewerkstelligen: Das Schiff von China nach Großbritannien, das neue Fuhren Räder bringt, braucht 42 Tage.

Dass die Leihräder in Manchester keinen Ärger bereiten, geschieht jedoch nicht von selbst. Dabei hilft ein ausgeklügeltes System. Beispielsweise steht ein siebenköpfiges Mobike-Team bereit, auszurücken, falls es zu ungünstig abgestellte Fahrräder zu entfernen gilt. Eine weitere Maßnahme: Vielerorts in Manchester wurden knallige Plaketten mit dem Mobike-Logo auf das Straßenpflaster geklebt. Sie zeigen den Benutzern, wo sie ihre Räder bevorzugt abstellen können, damit sie nicht stören. Theoretisch kann man sie überall zurücklassen – praktisch möge man es hier tun.

Ein weiteres Mittel der Leihfahrradunternehmen, für Disziplin unter ihren Kunden zu sorgen, ist ein System aus Bonus- und Malus-Punkten. Stellt jemand sein Fahrrad ordnungsgemäß ab, bekommt er Pluspunkte auf sein Verleihkonto gebucht – und umgekehrt. Bei zu vielen Minuspunkten sperren die Unternehmen das Konto, sodass der Kunde den Verleihdienst nicht mehr nutzen kann. Das System geht sogar noch weiter: Wer selbst gar kein Leihfahrrad benutzt, kann dennoch dem Unternehmen per Handy-App mitteilen, wo sich schlecht geparkte Räder befinden. Meldet man Verstöße wiederholt, winken Belohnungen wie Laptops oder Smartphones. Zumindest wird das in China so praktiziert.

Die Konsumenten sollen also zum Wohlverhalten erzogen werden, durch Belohnungen und Strafen, gespeist von Massen an Daten. Je mehr Informationen die Benutzer einspeisen, desto effizienter wirken die Belohnungen und Strafen. Je mehr Meldungen eingehen, desto eher können die Unternehmen auf den Straßen für Ordnung sorgen. Es ist ein Modell, das sich mit steigender Teilnehmerzahl selbst optimiert.

In China sind derartige Punktesysteme weit verbreitet. Sogar der Staat selbst betreibt eines, derzeit noch als Pilotprojekt: eine Art Big-Data-Sozialkreditsystem. Es basiert auf der Auswertung großer Datenmengen im Internet. Wenn ein Bürger beispielsweise in der Nachbarschaft mithilft, lukriert er Pluspunkte; wer hingegen im Internet die Kommunistische Partei kritisiert, rutscht ins Minus. Vom Grundgedanken her funktionieren die Verleihdienste ähnlich, freilich ohne die bedenkliche politische Komponente. Ob sich jedoch die Kunden in Europa dafür ebenso gewinnen lassen wie die Chinesen – ob sie also etwa bereitwillig falschparkende Räder melden werden -, das muss sich noch weisen.

Auch abseits dieser Frage ist es ungewiss, ob die Leihfahrräder in Europa zum Erfolg werden. Denn nicht überall sind die Erfahrungen so gut wie in Manchester. Zum Beispiel drei Autostunden südlich, in London. Clapham Junction, ein Bahnhof im Südwesten der Hauptstadt. Hier drängen sich Autos, Busse, Fußgänger, private Fahrräder. Zu all dem Großstadtgetriebe fügte oBike im Juni auch noch Hunderte Leihfahrräder hinzu. Die Folge: Sie landeten auf schmalen Gehsteigen, mitunter gar in Vorgärten. Lokalmedien schrieben bald von der „gelben Pest“. Schließlich rückte die Stadtverwaltung aus und konfiszierte die Räder.

„oBike hat uns vor dieser Maßnahme praktisch nicht konsultiert“, klagt ein Sprecher des Londoner Bürgermeisters Sadiq Khan gegenüber profil. Die Lehre daraus: Wenn die Leihfahrradwirtschaft nicht in Chaos ausarten soll, braucht es – unabhängig von etwaigen Bonus-Malus-Systemen – jedenfalls eine enge Kooperation mit den Behörden. Und begleitende Maßnahmen wie Bodenmarkierungen à la Manchester und Eingreiftrupps, die falsch geparkte Fahrräder entfernen.

In Wien gibt es zwar keine Markierungen, aber immerhin derzeit fünf Ofo-Mitarbeiter, die falsch geparkte Fahrräder einsammeln (von oBike in Wien kam keine Antwort auf die profil-Anfrage nach der Anzahl der zur Verfügung stehenden Mitarbeiter). Über den Erfolg des Systems in Wien lässt sich kurz nach Einführung noch nichts sagen. Allerdings gab es vergangene Woche erste Beschwerden. Laut ORF blockieren die Fahrräder die – ohnehin meist übervollen – Fahrradständer der Stadt. Martin Blum, Radfahrbeauftragter der rotgrünen Stadtregierung, spricht von einer „Beobachtungsphase“. Ende des Jahres werde man das System evaluieren und über die Zukunft der Räder in Wien entscheiden.

Werden sie am Ende nur eine vorübergehende Plage gewesen sein, die bald wieder aus dem Verkehr gezogen wurde? Oder handelt es sich um ein selbstlernendes Netzwerk, welches über das Potenzial verfügt, den städtischen Verkehr in den kommenden Jahren zu revolutionieren – in millionenfacher Stückzahl? Der Ausgang des chinesischen Fahrradexperiments ist offen.

Immerhin können die Unternehmen nicht über zu wenig finanziellen Rückhalt klagen. Laut der chinesischen Zeitung „Caixing Global“ konnten die Verleihdienste in den vergangenen Monaten enorme Summen von Investoren einsammeln, um die Expansion nach Europa zu finanzieren. Als Geldgeber fungieren etwa der chinesische E-Commerce-Anbieter Alibaba und das russische Internetunternehmen Mail.Ru. Ofo hat rund 600 Millionen Euro Kapital eingesammelt. Mobike folgt mit 500 Millionen.

Ein paar Fahrräder mehr in Wien und in anderen Städten werden sich um diese Summen jedenfalls ausgehen.

Zusatzinfo
Graz, Linz, Salzburg; Die Fahrradexpansion geht weiter

Wenn es um den Leihfahrradboom aus Fernost in Österreich geht, ist stets von Wien die Rede. In der Hauptstadt haben bisher drei Unternehmen (Ofo, oBike sowie eine dänische Firma namens Donkey Republic) insgesamt 900 Räder auf die Straße gebracht.

Wie ein profil-Rundruf ergab, könnte sich dies bald ändern. Denn auch in drei Landeshauptstädten wurden die Fahrrad-Anbieter aus China bereits vorstellig. Konkret laufen Verhandlungen in Graz, Linz und Salzburg, jeweils mit der Firma oBike mit Sitz in Singapur.

Die Verantwortlichen in Linz und Salzburg klingen bisher jedoch mäßig begeistert über das Ansinnen – man arbeite gerade am Aufbau eigener Fahrradverleihsysteme, heißt es. Linz gedenkt eines mit privaten Partnern einzuführen; Salzburg plant in Kooperation mit der landeseigenen Salzburg AG ein Leihsystem im Stil der „Vienna City Bikes“ in Wien. „Ein solches wäre uns lieber als eines ohne fixe Stationen“, sagt Salzburgs Fahrradbeauftragter Peter Weiss. Für Linz meint FPÖ-Infrastruktursstadtrat Markus Hein: Trotz der eigenen Pläne „schließe ich nichts aus“.

Am weitesten gediehen sind die Gespräche in Graz. Hier würde oBike gern noch im September starten, sagt KPÖ-Stadträtin Elke Kahr. Die Verhandlungen laufen. „Wir sind prinzipiell nicht abgeneigt.“ Allerdings: Kahr will die Fahrräder vorerst lediglich auf ein Jahr befristet in der Stadt haben. „Außerdem überlegen wir, Nutzungsentgelte von Anbietern einzuheben, da sie öffentliche Güter wie Fahrradständer nutzen.“

Eine enge Einbindung der Stadt sei jedenfalls unumgänglich, sagt Kahr. „Die Einführung muss in geordneten Bahnen erfolgen.“


Dieser Artikel entstand im Rahmen von eurotours 2017 – einem Projekt des Bundespressediensts, finanziert aus Bundesmitteln.

Hinterlasse einen Kommentar

Eingeordnet unter Stadtplanung, Verkehr, Wirtschaft

Wiener Fahrrad-Revolution

Aus profil 33/2017

Eine Meldung rauschte in den vergangenen Wochen durch Österreichs Blätterwald. Die chinesischen Leihfahrrad-Anbieter Ofo und oBike expandieren nach Europa – auch nach Wien. Ab nächster und übernächster Woche sollen mehrere Hundert Leihräder zur Verfügung stehen. Funktionsweise: Es gibt keine fixen Standorte. Stattdessen stehen die Räder – verriegelt – einfach irgendwo am Straßenrand. Der Benutzer ortet das nächstgelegene mittels Smartphone-App, entriegelt es und lässt es nach Benutzung wieder irgendwo stehen.

Der Anbieter Ofo hat einen sagenhaften Aufstieg hinter sich. Er begann vor gerade einmal drei Jahren als Studenten-Projekt der Universität Peking. Erst im Frühjahr 2016 ging das Unternehmen an den Start. Mittlerweile stehen in zahlreichen chinesischen Städten insgesamt rund 6,5 Millionen Ofo-Leihfahrräder zur Verfügung.

Geschäftsmodell: Die Fahrräder auszuborgen, kostet zwar wenig bis gar nichts. Allerdings wird permanent geortet, wo sich das Rad gerade befindet. Solcherart kann der Betreiber das Konsumverhalten der Benutzer auskundschaften – und ihnen etwa zielgruppenorienterte Werbung aufs Handy spielen. Das Schweizer Online-Wirtschaftsmagazin „Finanz und Wirtschaft“ nennt das Konzept „eine lernende, stetig besser werdende Plattform“.

Ofo ist damit derart erfolgreich, dass kürzlich 700 Millionen Dollar von Investoren aufgenommen werden konnten, um die Expansion nach Europa zu finanzieren, so die chinesische Zeitung „Caixing Global“. Die größten Geldgeber sind der chinesische E-Commerce-Anbieter Alibaba und eine Tochtergesellschaft des russischen Internet-Unternehmens Mail.Ru.

Martin Blum, Fahrrad-Beauftragter der Gemeinde Wien, nennt den Markteinstieg der Chinesen „eine der größten Disruptionen auf dem Fahrradmarkt bisher“. Wenn die Leih-Bikes in Wien auch nur annähernd so erfolgreich werden wie in Chinas Städten, stimmt das garantiert. GEPP

Hinterlasse einen Kommentar

Eingeordnet unter Behörden, Das Rote Wien, Stadtplanung, Verkehr, Wirtschaft