Archiv der Kategorie: Soziales

Von Füchsen, Checkern und Helden

Aus dem profil 37/2015

Wie Österreichs unübersichtliches Mietrecht eine neue Branche hervorbringt.

Von Joseph Gepp und Christina Hiptmayr

Mieterschutz in Österreich ist traditionell Sache der Politik. Speziell einer Partei: der SPÖ. Seit den Tagen des Roten Wien setzt sich die traditionsreiche „Mietervereinigung Österreichs“ (MVÖ) für die Belange der Mieter ein – offiziell ein privater Verein, der jedoch kein Geheimnis daraus macht, eine sozialdemokratische Vorfeldorganisation zu sein. MVÖ-Chef Georg Niedermühlbichler ist zugleich Landesparteisekretär der SPÖ-Wien.

Es wäre nicht Österreich, gäbe es nicht auch ein schwarzes Pendant: den Mieterbund. Er ist deutlich kleiner als die MVÖ, versteht sich die ÖVP doch als die Partei der Eigentümer. Der Mieterbund betont auf seiner Website, die Interessen der Mieter „auch gegenüber der (roten, Anm.) Stadt Wien“ zu vertreten. Die Wiener ÖVP-Granden Manfred Juraczka und Alfred Hoch sitzen im Präsidium der Organisation. Das Thema Mieten ist also auch im Jahr 2015 eine hochpolitische Angelegenheit. Zumindest bisher.

Denn nun steigen erstmals auch private Unternehmen groß in das Betätigungsfeld „Mieterschutz“ ein. In den vergangenen Jahren ist eine neue, vorläufig völlig unregulierte Branche entstanden. Zu finden ist sie im Internet. Dort bieten Websites wie mieterunter.at, mietheld.at, mietfuchs.at und mietenchecker.at ihre Dienste an. Sie überprüfen, ob die Höhe der Miete gerechtfertigt ist und gehen gegebenenfalls gerichtlich gegen die Vermieter vor. „Natürlich arbeiten wir profitorientiert“, sagt Christian Pultar, ein 58-jähriger Steuerberater aus Niederösterreich und Geschäftsführer von mieterunter.at, dem größten der Portale. Im Jahr 2013 gegründet, betreut mieterunter.at mittlerweile laut eigenen Angaben Hunderte Mietstreitsfälle und beschäftigt vier Vollzeitkräfte.

Das Geschäftsmodell: Die Firmen analysieren – üblicherweise gratis -, ob eine Anfechtung der Miethöhe Erfolg verspricht. Wenn ja, finanzieren sie den betroffenen Mietern den Rechtsbeistand. Oder sie organisieren selbst Anwälte für ein etwaiges Verfahren bei der zuständigen Schlichtungsstelle oder vor Gericht.

Muss der Vermieter am Ende tatsächlich Geld an den Mieter zurückzahlen, erhält die jeweilige Firma daran einen Anteil. Bei mieterunter.at zum Beispiel beträgt der Standardsatz laut Pultar 30 Prozent.

„Prozessfinanzierung“ nennt sich diese Dienstleistung, die in den 1990er-Jahren in den USA entstand – anfänglich kam sie dort nur bei teuren und aufwendigen Gerichtsverfahren aller Art zur Anwendung. Der Gedanke dahinter: Wenn der Kläger sämtliche Kosten, etwa für Anwälte und Sachverständige, alleine tragen müsste, würde er wohl vor einem Verfahren zurückscheuen. Nun aber hat er den Prozessfinanzierer im Rücken -gegen die nachträgliche Bezahlung im Erfolgsfall. Eine Art Versicherung für Nichtversicherte.

Logo von mietheld.at

Logo von mietheld.at

Inzwischen ist die Prozessfinanzierung auch nach Europa geschwappt. Und immer häufiger kommt sie auch bei kleinen Streitfällen zur Anwendung. Wer Fluglinien aufgrund von Verspätungen auf Rückzahlung des Ticketpreises klagen will, kann die Hilfe der deutschen Website refund.me in Anspruch nehmen. Eine andere (geblitzt.de) bietet sogar an, Strafzettel für zu schnelles Autofahren auf Unregelmäßigkeiten zu überprüfen. Vielleicht zahlt sich ja der Versuch aus, die Geldstrafe anzufechten.

Einen Befähigungsnachweis braucht es für die Karriere als Prozessfinanzierer nicht. Jedem steht sie offen, sofern er eine ansprechende Website gestalten kann und über juristisches und kaufmännisches Wissen verfügt. Zudem unterstehen die Prozessfinanzierer keinerlei staatlichen Kontrolle.

Dementsprechend schießen diese Plattformen derzeit wie die sprichwörtlichen Schwammerln aus dem Boden. In Österreich widmen sie sich bislang ausschließlich dem komplexen Thema Mieten. Das Mietrecht mit seinen immensen Interpretationsspielräumen bietet ein breites Betätigungsfeld. „Marktübliche Mieten im Altbau sind in der Regel gesetzeswidrige Mieten“, stellt etwa die Mietervereinigung fest. Guter Boden also für Prozessfinanzierer.

Sie kontrollieren etwa, ob bei befristeten Mieten auch der sogenannte Befristungsabschlag von 25 Prozent abgezogen wurde. „Auf den vergessen die Vermieter besonders gern“, sagt der 29-jährige Michael Auttrit, studierter Jurist und Betriebswirt und einer der Gründer der Plattform mietfuchs.at. Dafür werde häufig ein höherer Lagezuschlag als rechtlich zulässig verrechnet. Auch überhöhte Maklerrechungen würden ahnungslosen Mietern oft in Rechnung gestellt.

„Plattformen wie unsere sind eine unkomplizierte Alternative zu den parteinahen Mieterschutzorganisationen“, sagt Auttrit. „Dort muss man jahrelang Mitgliedsbeiträge zahlen und mit Wartezeiten rechnen, bei uns nicht.“

Doch wie hoch die Provision ist, die der Prozessfinanzierer am Ende tatsächlich kassiert, das ist aufgrund des Dickichts an Tarifen oft nicht viel weniger kompliziert als das heimische Mietrecht, dessen Finten es zu bekämpfen gilt.

MVÖ-Präsident Niedermühlbichler entgegnet, es gebe zwar Mitgliedsbeiträge, zugleich bleibe aber auch der gesamte erstrittene Betrag beim Mieter. Außerdem verweist er auf die langjährige Erfahrung der MVÖ-Experten und ihre zahlreichen Kontakt, etwa zu Hausverwaltungen.

Das Mietrecht hat jedenfalls dafür gesorgt, dass eine gänzlich neue Branche entstanden ist, die bei Streitigkeiten zwischen Mietern und Vermietern mitzuschneiden hofft. Mietfuchs.at-Gründer Auttrit glaubt allerdings, dass viele der neuen Unternehmen bald wieder verschwinden werden. Manche der jungen Projekte würden nicht über genug juristisches Know-how verfügen. „Und es braucht auch einiges an Kapital. Weil für Verfahren, die nicht im Sinn des Mieters ausgehen, muss man ja bezahlen“, so Auttrit.

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Nullsummenspiel

Aus dem profil 37/2015

Eine Stadt, zwei Wahrnehmungen: Die einen klagen über zu hohe Mieten in Wien, die anderen über mickrige Renditen bei Eigentumswohnungen. Taugt die Immobilie noch als Anlageobjekt?

Von Joseph Gepp und Christina Hiptmayr

Als Richard Totzer* im Jahr 2011 die Entscheidung traf, hielt er sie für die beste seines Lebens. Um etwas mehr als 200.000 Euro kaufte er eine Eigentumswohnung, um sie anschließend zu vermieten. Totzer kratzte seine Ersparnisse zusammen, legte einen Bankkredit oben drauf, und fertig war das Investment. Ein ruhiges Eck in einem quirligen Teil Wiens, 6. Bezirk, 90 Quadratmeter. Sogar eine Gartenparzelle ist dabei. „Trotzdem stelle ich heute fest“, so der Mittvierziger, „dass ich fast nichts an der Wohnung verdiene.“

Hanna Maurer* kann das nicht nachvollziehen. Sie ist seit ein paar Jahren auf der Suche nach einer größeren Wohnung. Genau genommen, seit sich Nachwuchs angekündigt hat. Mittlerweile steht die kleine Tochter knapp vor ihrem vierten Geburtstag. Und schläft immer noch im Zimmer der Eltern. Dabei sind die Ansprüche der Familie nicht hoch: „Anna soll ihr eigenes Kinderzimmer haben. Wünsche, wie einen kleinen Balkon, haben wir uns längst abgeschminkt“, sagt die junge Frau. Die Maurers, beide berufstätige Akademiker, haben eine absolute Schmerzgrenze: 950 Euro. Eine höhere Miete können sie sich nicht leisten. Doch erschwingliche Objekte seien nicht zu finden. Und wenn, sind sie schnell vergeben. „Die Eigentümer verlangen Wuchermieten“, ist Maurer deshalb überzeugt.

Eine Stadt, zwei Wahrnehmungen: Mieter klagen über enorm gestiegene Mieten – in Wien genauso wie in anderen Ballungsräumen Österreichs. Wohnungseigentümer hingegen behaupten, sie könnten mit dem Vermieten kaum noch Erträge generieren. Ein Paradoxon, so scheint es. Wie ist diese Diskrepanz möglich?

Wer das wissen will, muss seinen Blick weit über Österreich hinaus richten, auf die Lage der Weltwirtschaft: Seit der Finanzkrise ist die Nachfrage nach Immobilien als Kapitalanlage groß wie nie zuvor. Die Achterbahnfahrten auf den Aktienmärkten (wie zuletzt die Börsenturbulenzen in China), Sparbuchzinsen, die entlang der Nulllinie grundeln, die Angst vor massiver Inflation, trieben Anleger in ein Investment, von dem sie sich Stabilität erhofften. „Immobilien gehören in jedes Portfolio“, bekamen sie von ihren Beratern zu hören. Immerhin werden dem Grundeigentum Eigenschaften zugeschrieben, die keine andere Investition zu bieten vermag: Es soll den Wert des investierten Kapitals erhalten, Schutz vor Inflation bieten und gleichzeitig in Form von Mieten regelmäßig Erträge abwerfen. Doch sind Immobilien tatsächlich der sichere Hafen, als der sie angepriesen werden? Und: Kann man mit ihrer Hilfe sein Vermögen nicht nur erhalten, sondern in Form von Mieterträgen auch vermehren?

Zweifel an der Sinnhaftigkeit von Immobilieninvestments scheinen die Anleger jedenfalls nach wie vor nicht zu plagen. Das belegen die Zahlen der Grundbuchauswertung durch das Maklernetzwerk Remax: Rund 21.500 Wohnungsverkäufe wurden von Jänner bis Juni 2015 in ganz Österreich verbüchert. Um 36 Prozent mehr als noch im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Ein Drittel aller Wohnungen wechselte in Wien den Besitzer -so viele wie nie zuvor.

Die enorme Nachfrage der vergangenen Jahre trieb die Preise in schwindelerregende Höhen. Von 2010 bis 2014 stiegen sie für gebrauchte Eigentumswohnungen in Wien um fast 60 Prozent, jene für neu errichtete um 25 Prozent. Die Inflationsrate belief sich im selben Zeitraum auf rund zwei Prozent jährlich.

Zwar ist der rasante Preisanstieg mittlerweile vorüber, „mit einem Fallen der Preise ist aber nicht zu rechnen“, meint Sandra Bauernfeind von EHL Immobilien. In Wien liegt der Durchschnittspreis derzeit bei rund 3500 Euro pro Quadratmeter. Auch Salzburg und Innsbruck erreichen in guten Lagen diese Werte.

Trotzdem folgt bei Richard Totzer auf die Euphorie langsam die Ernüchterung – genauso wie bei Tausenden anderen Anlegern, die dieselbe Erfahrung machen wie er: Die Zeiten, in denen regelmäßige Mieteinnahmen das Vermögen stetig in die Höhe trieben, sind eindeutig vorbei. Dafür sind die Anschaffungskosten für Immobilien schlicht zu teuer geworden. Denn für Immobilien gilt, wie für jedes andere Investment: Wer (zu) spät in einen boomenden Markt einsteigt, hat seine Chance auf Gewinne verpasst.

Noch vor zehn Jahren wurde etwa bei Vorsorgewohnungen – das sind Neubauwohnungen, die direkt vom Bauträger gekauft und dann weitervermietet werden – eine Rendite von sechs oder sogar sieben Prozent erreicht. „Manche Immobilienentwickler vermarkten ihre Wohnungen noch immer mit solchen Zahlen. Das ist eine Illusion“, ärgert sich Friedrich Noszek, Präsident des Zentralverbands Haus und Eigentum. Die Erträge sanken über die Jahre. Heute liege die mit Eigentumswohnungen in Wien erzielbare Rendite zwischen zwei und höchstens vier Prozent -in sehr guten Lagen, wie Richard Buxbaum von Otto Immobilien erklärt.

Brutto, wohlgemerkt. Bezieht man jedoch die Erwerbsnebenkosten, Instandhaltungsaufwand und sonstige Ausgaben mit ein, sieht die Rechnung gleich anders aus. Mehr als ein bis zwei Prozent Nettorendite braucht man dann nicht zu erwarten. Immer noch besser als derzeit etwa Anleihen abwerfen, die in puncto Sicherheit aber längst nicht mithalten können. Außerdem: Zur Werterhaltung über lange Zeit eignet sich eine Immobilie immer noch bestens. Allein die große Wertsteigerung sorgt dafür, dass man sich um eine Verarmung von Immobilienbesitzern keine Sorgen machen muss. Nur: Durch Vermietung kommt heutzutage nicht mehr viel herein.

Paradoxerweise stimmt gleichzeitig aber auch
die Wahrnehmung der Wohnungssuchenden Hanna Maurer. Denn nicht nur die Immobilienpreise, auch die Mieten sind empfindlich gestiegen. Zwischen 2010 und 2014 kletterten sie im gesamtösterreichischen Durchschnitt um rund 15 Prozent, in Wien sogar noch höher. Maurer spürt diesen Anstieg empfindlich, genauso wie viele andere Mieter. Immerhin ist man in Österreich wegen des Sozialen Wohnbaus und strenger Mietgesetze an Mieten gewöhnt, die im internationalen Vergleich immer noch niedrig ausfallen. Dass die Österreicher fürs Mieten rund ein Drittel des Haushaltseinkommens aufwenden müssen, ist ihnen neu.

Doch der Preisanstieg bei den Mieten fiel trotz aller Sprünge nicht so rasant aus wie der beim Eigentum. Deshalb schnellen die Mieten zwar in die Höhe, gleichzeitig nehmen die Renditen der Vermieter ab.

Der Umkehrschluss, dass jene, die ihr Eigentumsobjekt schon lange besitzen, das große Geld abschöpfen könnten, lässt sich aber auch nicht ziehen. Das zeigt das Beispiel von Peter Brandner*. Der Wiener nennt das sein Eigen, was viele Österreicher wohl für eine Art Lottosechser halten würden: ein Zinshaus in Wien-Ottakring. Er hat das 1910 erbaute Gebäude geerbt. Insgesamt 16 Wohnungen enthält es. Das Objekt gehört seit jeher seiner Familie. „Es hat einen hohen sentimentalen Wert für mich“, erklärt er.

Finanziell allerdings eher weniger. Im Durchschnitt komme er auf 3,90 Euro Miete pro Quadratmeter und Monat, rechnet Brandner vor. Als Wiens grüne Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou im Jahr 2012 eine Mietpreisbegrenzung auf sieben Euro forderte und dafür Proteste erntete, ließ ihn das kalt. Denn von Mieteinnahmen in dieser Höhe kann Brandner nur träumen.

Schuld daran trägt das sowohl bei Mietern wie Vermietern umstrittene Mietrechtsgesetz (MRG), das in seinen wesentlichen Eckpunkten fast 100 Jahre alt ist.

Bei den begehrten Altbauwohnungen gilt seit 1994 das Richtwertsystem, das den maximalen Preis pro Quadratmeter festlegt. Zu diesem Basiszins (in Wien aktuell 5,39 Euro pro Quadratmeter) kommen allerdings meist noch eine Reihe von Zuschlägen, etwa für die Lage des Hauses. Diese sind häufig höher als der Richtwert selbst. „Freie Mietzinsbildung“ ohne jegliche rechtliche Beschränkung gilt etwa für vermietete Eigentumswohnungen mit Baujahr nach 1945.

Wer das Glück hatte, seinen Mietvertrag vor 1994 abgeschlossen zu haben, unterliegt zudem der sogenannten Kategoriemiete. Deshalb gibt es nach wie vor Mieter, die im parkettgeschmückten Altbau wohnen und dafür pro Quadratmeter weniger zahlen als die Bewohner eines Gemeindebaus. Aufgrund großzügiger Eintrittsrechte laut MRG können längst erwachsene Kinder und Enkel die günstigen Verträge ihrer Verwandtschaft übernehmen. Der Vermieter darf dann zwar den Zins erhöhen, aber auf höchstens 3,43 Euro pro Quadratmeter. Unbefristet.

Brandners Pech: Ein Drittel seiner Wohnungen unterliegen der Kategoriemiete. „Meine Mieteinnahmen sind so gering, dass ich die vergangenen sechs Jahre sparen musste, um 8000 Euro für das Ausmalen des Stiegenhauses zusammenzubekommen“, erklärt er. Ein Immobilienhai sieht anders aus.

Wer trotz allem versucht, an seinem Wohneigentum
zu verdienen, bewegt sich häufig am Rande der Legalität – und wird, wenn man so will, zum Immobilienhai. Dass die Richtwertmieten mittlerweile ein höheres Niveau als freie Mieten haben, wie aus einer Untersuchung des Wifo hervorgeht, liegt an dem komplizierten System von Zu-und Abschlägen. Das gibt Raum für Tricksereien. Der, wie die Wiener Arbeiterkammer erhoben hat, auch weidlich genutzt wird. Sie überprüfte im Jahr 2013 150 Mietangebote in Wien. Ergebnis: Die geforderten Mieten lagen durchwegs weit über dem gesetzlich zulässigen Rahmen, bei unbefristeten Verträgen gar um 81 Prozent.

Die Tücken des MRG treffen Mieter wie Vermieter. Dass es entrümpelt gehört, darüber sind sich Experten aller Couleurs einig. Doch wie, darüber gehen die Vorstellungen auseinander. ÖVP-Justizminister Wolfgang Brandstetter kündigte nach seinem Amtsantritt einen „größeren Wurf“ an. Inzwischen scheint das Projekt sanft entschlafen.

Wohnen ist ein Grundrecht. Die Preisgestaltung sollte also nicht einzig und allein den Gesetzen von Angebot und Nachfrage unterliegen. Andererseits: Dass Immobilienbesitzer nicht nur für Gotteslohn arbeiten wollen, sollte auch außer Streit stehen.

Solange die Immobilienpreise nicht wieder sinken und das Mietrecht nicht entrümpelt wird, werden beide Gruppen weiter klagen: die Mieter über hohe Mieten, die Vermieter über mickrige Renditen. Letztere können sich einstweilen mit der beachtlichen Wertsteigerung ihrer Objekte trösten. Brandner etwa könnte mit dem Verkauf seines Zinshauses ein mittleres Vermögen lukrieren. „Ich bekomme etwa 15 Anfragen pro Jahr.“ Auch Richard Totzer, der Wohnungskäufer aus Wien-Mariahilf, hat sich damit abgefunden, dass ihm die Vermietung nur wenig Geld einbringt. Dafür verfügt er über ein Anlageobjekt, dessen Wert wohl weiterhin steigen wird – noch dazu über eines, das etwa im Vergleich mit Wertpapieren ziemlich sicher ist. „Es ist eine Investition, von der später meine Kinder profitieren werden.“

*Namen geändert

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Die Fantasien der Vorstadtkrieger

Aus dem FALTER 1–3/2015

In Paris haben Islamisten eine Zeitungsredaktion ausgelöscht. Droht auch in Österreich Gefahr?

BERICHT: JOSEPH GEPP, WOLFGANG ZWANDER

Der Sprecher des Innenministeriums sagt, wir dürften dem Islamismus nicht zu naiv entgegentreten. Die Psychologin sagt, die erste Verteidigungslinie gegen den Terror müsse die Familie sein. Der Islamforscher sagt, die Dschihadisten würden an den Moscheevereinen vorbei agieren. Der Politologe sagt, es gehe nicht um Islamisierung, sondern um Heldenfantasien. Die Innenministerin spricht von einer „Sicherheitsoffensive“, für die sie einen dreistelligen Millionenbetrag ausgeben will.

Nachdem am vergangenen Mittwoch Islamisten die Pariser Redaktion des Satiremagazins Charlie Hebdo gestürmt und einen jüdischen Supermarkt überfallen hatten -dabei starben insgesamt 20 Menschen -, wurde schnell klar: Das Verhältnis zwischen Europa und dem Islam hat sich geändert. Es war bislang schon eine angespannte Beziehung zwischen der Religion aus dem Orient und dem Alten Kontinent. Doch seit dem Terrorangriff auf einen der wichtigsten symbolischen Bausteine Europas, die Pressefreiheit, bedarf das Verhältnis womöglich einer generellen Neuüberprüfung.

Warum berufen sich junge Männer auf den Islam, um zu morden? Wie reagieren die Muslime auf diesen Missbrauch ihrer Religion? Welche Gefahr geht vom Islam aus -beziehungsweise von seinen wirren und radikalisierten Interpreten?

Antworten auf diese Fragen betreffen jetzt nicht nur Paris und Frankreich, sondern ganz Europa. Gerade auch Wien, wo sich seit Jahren ebenfalls Islamisten tummeln. Wie sieht die Lage in Österreich aus? Besteht hier konkrete Terrorgefahr?

Karl-Heinz Grundböck, Sprecher des Innenministeriums, sagt: „Es gibt derzeit keine Informationen über konkrete Gefährdungssituationen. Wir dürfen dem Phänomen der islamistisch begründeten Gewaltbereitschaft aber nicht naiv entgegentreten.“ Österreich sei in puncto Radikalisierung für den Dschihad keine Insel der Seligen.

Wien, Graz, Linz, Ende November 2014: Rund 900 Polizisten rücken zur Razzia gegen Dschihadisten aus. Sie durchkämmen Wohnungen, Gebetsräume und Vereinsbüros. 14 Personen werden dabei festgenommen. Von einem der „größten Einsätze in der Geschichte des Staatsschutzes“ spricht Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP). Die Aktion soll verhindern, dass radikale Kräfte weiterhin Frauen und Männer aus Österreich für den Syrienkrieg anwerben. Bisher haben 170 Personen von Österreich aus den Weg ins syrisch-irakische Kampfgebiet gefunden. 30 davon sind dort laut Innenministerium gestorben, 60 sind inzwischen wieder zurückgekehrt. Gerade von den Rückkehrern, die der Krieg verroht und militarisiert hat, geht hohes Risiko aus. Wer sind diese Leute?

Wenn man die heimische Lage mit der von Frankreich vergleicht, offenbaren sich jedenfalls große Unterschiede. Die ehemalige Kolonialmacht Frankreich führt Krieg gegen islamistische Kämpfer im Irak, in Libyen, in Mali und in Syrien. Dazu kommen interne Probleme in einem Ausmaß, das Österreich fremd ist.

In Frankreich hat die deklassierte vorstädtische Jugend, vielfach Abkömmlinge nordafrikanischer Auswanderer, den Islam neu für sich entdeckt. Weil ihnen fast jede Perspektive auf sozialen Aufstieg verwehrt bleibt, folgen viele von ihnen radikalislamischen Hetzpredigern. Religion vermischt sich dabei mit jugendlicher Rebellion zu einer Art antiwestlicher Popkultur. Das Problem schwelt schon lange. Frankreichs ExPräsident Nicolas Sarkozy sprach von diesen Problemjugendlichen einst als „Gesindel“, das man „wegkärchern“ müsse.

Dass der Extremismus der französischen Unterschicht aber nicht exklusiv mit dem Islam zu hat, sondern generell mit der sozialen Benachteiligung afrikanischstämmiger Franzosen und der Kolonialgeschichte, zeigt niemand besser als Jean-Paul Sartre, wahrscheinlich wichtigster Philosoph Frankreichs des 20. Jahrhunderts. Er echauffierte sich über die Ungerechtigkeit, mit der die „Grande Nation“ ihre Kolonialvölker behandelte, mit harschen Worten: „Einen Europäer zu töten“, schrieb Sartre, „heißt, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen.“

Österreichs Vergangenheit hingegen stellt keine so große Bürde dar. Die heimischen Hauptprobleme mit dem Islamismus resultieren aus zwei viel jüngeren Konflikten: dem Bosnienkrieg (1992-1995) und den zwei Kriegen in der russischen Teilrepublik Tschetschenien (1994-1996 und 1999-2009). Flüchtlinge aus diesen beiden Regionen haben radikalislamistische Strömungen nach Österreich importiert. Von den 170 österreichischen Syrien-Kämpfern stammt laut Innenministerium rund die Hälfte aus Tschetschenien, der Rest hat zu großen Teilen Wurzeln auf dem Westbalkan.

Bei der Großrazzia gegen Islamisten im November zum Beispiel holte die Cobra Mirsad O. aus einer Gemeindebauwohnung in der Donaustadt, einen serbischen Muslim. Der Ex-Imam einer Kellermoschee im Stuwerviertel, Kampfname Ebu Tejma, soll 64 Kämpfer für den Syrienkrieg angeworben haben. Die Staatsanwaltschaft nennt ihn einen „Hauptideologen des globalen dschihadistischen Islamismus“. Wien dient den Radikalen vom Balkan gern als Rückzugsort, wie offizielle Vertreter des bosnischen Islams oft beklagen. Die serbische Zeitung Večernje novosti schrieb unter Berufung auf Geheimdienstquellen erst Anfang Dezember von „Al-Qaida-Zellen“ in Wien.

Wie bei den Bosniaken hat der Islamismus auch bei den Tschetschenen mit ihrer Kriegsvergangenheit zu tun. In Wien gibt es eine der größten tschetschenischen Exilgemeinden Europas, eine Folge der hohen Asylanerkennungsquote zu Beginn der Nullerjahre. Die Tschetschenen, viele vom Krieg traumatisiert, ziehen laut Verfassungsschutz eher aus politischen denn aus religiösen Gründen in den Syrienkrieg. Sie wollen dort auf Umwegen ihren Erzfeind, den russischen Präsidenten Putin, bekämpfen -ein wichtiger Verbündeter des syrischen Präsidenten Assad, der im Bürgerkrieg gegen Islamisten kämpft.

Kommende Woche etwa beginnt in Krems ein Strafverfahren gegen den Syrien-Rückkehrer und gebürtigen Tschetschenen Magomed Z., dem vorgeworfen wird, sich im Nahen Osten dem islamistischen Terror angeschlossen zu haben.

Zu Tschetschenen und Bosniaken kommen noch „homegrown terrorists“. Das sind Jugendliche, die sich oft noch im Kinderzimmer im Internet selbst radikalisieren. So war es bei Mohamed Mahmoud, der einen Anschlag auf die Fußball-EM 2008 plante. Später wurde er wegen des „Bildens und Förderns einer Terrorvereinigung“ zu vier Jahren Haft verurteilt. Nachdem er 2011 freigelassen worden war, tauchte Mahmoud in Deutschland unter. Heute wird er in Syrien oder dem Irak vermutet, wo er sich laut Medienberichten dem Islamischen Staat angeschlossen haben soll.

Zahllose Vertreter des Islams in Europa distanzierten sich nun von der Bluttat. Aber was können islamische Organisationen gegen den Terror tun? Kaum etwas, meint der renommierte französische Politologe Olivier Roy. Unberührt von klassischen islamischen Organisationen „erfinden“ sich die jungen Leute ihren eigenen Islam. „Sie streben nicht etwa eine Islamisierung ihrer Gesellschaft an, sondern allein die Realisierung ihrer wirren Heldentumsfantasien.“

Auch für den Wiener Soziologen und Szenekenner Kenan Güngör agieren die Dschihadisten „an klassischen Moscheevereinen vorbei“. Trotzdem, sagt Güngör, brauche es eine andere Diskussion: „Bislang beharrt der größte Teil der Muslime darauf, dass der Terror nichts mit dem Islam zu tun hat. Aber wir brauchen auch eine textkritische Auseinandersetzung mit dem, was die Terroristen als ihre religiösen und geistigen Quellen angeben, was in ihren Augen die Gewalt legitimiert. Wir brauchen eine inhaltliche, theologische Debatte.“

Davon abgesehen ließe sich die Terrorgefahr in Europa auch mit sozialen Maßnahmen eindämmen. Die Soziologin Edit Schlaffer, Gründerin der internationalen NGO „Frauen ohne Grenzen“, hat in von Terror betroffenen Ländern wie Pakistan, Indien und Kaschmir sogenannte „Mütterschulen gegen Extremismus“ gestartet – „ein Konzept, das man eins zu eins auf Europa übertragen könnte“, wie sie sagt.

Die erste Verteidigungslinie gegen den Terror müsse die Familie sein. In zehnwöchigen Kursen lernen die Mütter, wie sie die Gefahr erkennen können und rechtzeitig reagieren, wenn ihre Kinder in Gefahr geraten, Ideologien und Verlockungen von Rekrutierern zu folgen. Was genau dort gelehrt wird?“Selbstvertrauen, um mit den Heranwachsenden zu debattieren und sich einzumischen und einzusetzen. Sie müssen Frühwarnsignale registrieren und in die richtige Richtung kanalisieren. Dafür müssen Mütter sensibilisiert werden. Außerdem sollen sie Wendepunkte in den Biografien der Kinder erkennen können
-das sind oft enge Zeitfenster, an denen sie gefährdet sein könnten, in den Radikalislamismus abzugleiten.“ Schlaffers Fazit: „Dschihadisten treffen Jugendliche immer während einer absoluten Identitätskrise. Dann geben sie den Jungen erstmals das Gefühl, wichtig zu sein.“

Im Moment jedoch dominiert in Europa die Diskussion über Sicherheit. Tage nach dem Anschlag debattierten in Paris die Innenminister der EU-Staaten über neue Maßnahmen. Für Österreich etwa spricht Mikl-Leitner von einer „Sicherheitsoffensive“ :mehr gepanzerte Fahrzeuge, größere Hubschrauber und stärkere Kontrollen auf Autobahnen. Auch eine neue Form der Vorratsdatenspeicherung auf EU-Ebene ist im Gespräch, wiewohl Frankreich über eine solche ohnehin verfügt – zwecklos, wie sich herausgestellt hat.

Überhaupt stellt sich die Frage, inwiefern mit Sicherheitsmaßnahmen dem Problem beizukommen ist. Die Attentäter von Paris waren polizeibekannt. Geholfen hat das nicht, im richtigen Moment stand niemand bereit, um den Anschlag zu verhindern. Alle rund 3000 Rückkehrer aus Syrien in Europa zu überwachen wäre personalmäßig und finanziell nicht zu bewältigen.

Es scheint, als bliebe als Lösung nur jener Weg, wie ihn etwa Schlaffer vorschlägt: terroristische Karrieren zu unterbinden, ehe sie entstehen. Mit der Hilfe von Müttern und Vätern, Brüdern und Schwestern, Sozialarbeitern, Lehrern und Imamen. Die Schlacht um die Köpfe der Problemjugendlichen wird nur gewinnen, wer ihnen eine bessere Perspektive gibt. Sonst werden einige von ihnen auch weiterhin mit der Waffe ihr eigenes Land angreifen.

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Eingeordnet unter Migranten, Minderheiten, Religion, Soziales

Werden die Ärzte denn gratis arbeiten, Herr Hanna?

Aus dem FALTER 44/2014

Interview: Joseph Gepp

Damit auch illegale Einwanderer oder Obdachlose Zahnbehandlungen bekommen, will der Zahnarzt André Hanna aus Wien-Hernals ein Projekt aufziehen: Zahnärzte sollen hin und wieder unentgeltlich für die Bedürftigen arbeiten. Was genau plant Herr Hanna?

Herr Dr. Hanna, wie sind Sie auf die Idee für Ihr Projekt „Zahn in Not“ gekommen?

Das war ein Bericht in der „Zeit im Bild“. Darin ging es um sogenannte „Remote Area Medicals“ in den USA. Ich habe gedacht: Warum machen wir das in Österreich nicht auch? Schließlich sind wir auch hier immer stärker mit Armut oder etwa Flüchtlingen konfrontiert. Zunächst allerdings muss ich mit der Zahnärztekammer und dem Gesundheitsministerium reden.

Warum? Braucht es für ein solches Projekt denn eine Bewilligung?

Es geht eher darum, Unterstützung für mein Projekt aufzutreiben und weitere Helfer zu mobilisieren.

Wo sollen die Gratisbehandlungen statt finden?

Einerseits in den eigenen Ordinationen der Zahnärzte. Noch besser aber wäre aufgrund der Größe, wenn Universitätszahnkliniken ihre Räumlichkeiten zur Verfügung stellen könnten.

Werden Sie denn genug Ärzte finden, die ehrenamtlich arbeiten?

Es wird ja nicht jeden Tag stattfinden. Das Ganze soll ein- bis zweimal im Jahr über die Bühne gehen, möglichst an Wochenenden, sodass die Leute Zeit haben. Die Behandlungen sollen effektiv und kurz sein und wenn möglich Schmerzfreiheit bringen. Ich denke, dafür werden sich schon Freiwillige finden.

Was sind nun Ihre nächsten Schritte?

Ich trete in Kontakt mit dem Gesundheitsministerium, danach werde ich mich an die Zahnärztekammer und etwaige weitere Interessierte wenden. Am liebsten wäre mir, wenn wir unter der Schirmherrschaft des Gesundheitsministeriums bei einem runden Tisch alle Details festlegen. Dann wird diese Idee sicher was.

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Eingeordnet unter Soziales

Gruft: Eine Sozialeinrichtung mit Tradition wird neu

Aus dem FALTER 31/2014

Bericht: Joseph Gepp
Foto: Julia Fuchs

Dort, wo Rudolf N. jahrelang sein Mittagessen einnahm und Karten spielte, dröhnen heute Bohrmaschinen und liegen halbleere Zementsäcke herum. Rudolf N., 71, geborener Niederösterreicher, ist seit sechs Jahren obdachlos und regelmäßiger Besucher der Gruft, einer Sozialeinrichtung der Caritas unter der Barnabitenkirche in Mariahilf. Doch die Gruft, so wie er sie kennt, gibt es nicht mehr.

Wo jahrelang Obdachlose mit warmen Mahlzeiten und Matratzen versorgt wurden, entsteht bis Anfang September ein größeres und moderneres Nachtquartier aus 30 Stockbetten, erklärt Christof Mitter, 29, Sozialarbeiter in der Gruft. Der Tagesbetrieb ist bereits vergangenen Herbst aus dem Gewölbe unter der Kirche in den Pfarrhof nebenan abgewandert.

Knapp 3,6 Millionen Euro hat der Gesamtumbau laut Caritas gekostet – eine Ausgabe, die hochnotwendig geworden war. Denn die Zahl der Obdachlosen in der Gruft hat sich im vergangenen Jahrzehnt fast verdoppelt.

Wo es früher warme Suppe und Matratzen gab, ist jetzt Baustelle: Der Obdachlose Rudolf N. und der Sozialarbeiter Christof Mitt er in der Gruft ,der wohl traditionsreichsten Sozialeinrichtung Wiens, die derzeit renoviert wird (FOTO: JULIA FUCHS)

Wo es früher warme Suppe und Matratzen gab, ist jetzt Baustelle: Der Obdachlose Rudolf N. und der Sozialarbeiter Christof Mitt er in der Gruft ,der wohl traditionsreichsten Sozialeinrichtung Wiens, die derzeit renoviert wird (FOTO: JULIA FUCHS)

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Eingeordnet unter Soziales, Stadtleben

Das Krankenhaus Nord oder: die Angst vor dem zweiten Skylink

Aus dem FALTER 22/2014

BERICHT: JOSEPH GEPP

Gibt es auf einer der größten und teuersten Baustellen Österreichs massive Probleme? Medienberichte und Aussagen von Betroffenen lassen zumindest darauf schließen.

Vergangene Woche berichtete die Presse über chaotische Zustände beim Bau des Krankenhauses Nord. Dieses errichtet derzeit die Gemeinde Wien über den Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV) in Floridsdorf. 785 Betten sind geplant, 825 Millionen Euro soll das Projekt kosten. Der Rohbau wurde soeben fertiggestellt. Nächstes Jahr sollen, wie auf der KAV-Website zu lesen steht, die ersten Teile des Spitals in Betrieb gehen. So ist es zumindest angekündigt.

Doch nun zitiert die Presse aus einem vertraulichen Bericht der Begleitenden Kontrolle, einer Art Prüfabteilung am Bau. Zeitplan und Kosten seien nicht zu halten, wird darin gewarnt. Von „Auffassungsunterschieden“ ist die Rede, die dazu führen, dass beteiligte Baufirmen „in vielen Bereichen verspätet oder überhaupt nicht“ mit ihrer Arbeit beginnen könnten.

Nicht minder brisant ist ein Faktum, das das Baumagazin a3 kürzlich enthüllte. Demnach haben Installationsfirmen auf der Baustelle ein sogenanntes Beweissicherungsverfahren beantragt. Bei einem solchen – unter harmonierenden Geschäftspartnern sonst eher unüblichen – Verfahren hält ein Team auf Gerichtsbefehl den Status quo am Bau mit Fotos und Berichten fest. Intention: Die Firmen wollen sich für Prozesse absichern und „nicht später der Sündenbock sein“, wie einer ihrer Vertreter zu a3 sagte.

Hinter alldem steckt die Angst vor einem zweiten Fall Skylink: massive Bauzeit-und Kostenüberschreitungen, gepaart mit Schuldzuweisungen aller Beteiligten und negativen Medienberichten ohne Ende. Unter Kennern gelten Spitäler als besonders herausfordernde Bauten – neben Flughäfen.

Und was sagt der Wiener Krankenanstaltenverbund zu alldem? „Baukosten und Zeitplan halten“, verspricht Generaldirektor-Stellvertreter Udo Janßen im Falter-Gespräch. Maßnahmen wie das Beweissicherungsverfahren „unterstützen wir, um etwaige Fehlentwicklungen rechtzeitig erkennen und einlenken zu können“.

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Die EU ist sehr geil, aber …

Aus dem FALTER 17/2014

…gute Ideen aus Brüssel bleiben regelmäßig auf der Strecke. Warum nur? Sechs Fallbeispiele von Bankenregulierung bis Datenschutz


Hier geht’s zu den anderen 4 anderen geilen EU-Ideen

Die europaweite Arbeitslosenversicherung

Im Jahr 2012 wurde in Brüssel ein geradezu revolutionärer Plan präsentiert: eine europaweite Arbeitslosenversicherung. Das Projekt, so der Gedanke, könnte die soziale Gerechtigkeit fördern und nebenher auch der Wirtschaft dienen. Doch seither sind die Pläne wieder in Brüssels Schubladen verschwunden.

arbeitsloseIm Dezember 2012 – die Euro-Krise hatte gerade ihren Höhepunkt überschritten – präsentierten EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy, EZB-Chef Mario Draghi, Kommissionspräsident José Manuel Barroso und der damalige Euro-Gruppen-Chef Jean-Claude Juncker das „Versicherungssystem auf zentraler Ebene“. Inhalt: Bis zu einem Jahr lang sollen Arbeitslose zentral von der EU unterstützt werden. Das Geld soll die nationalstaatliche Zuwendung für Jobsuchende wahlweise ergänzen oder ersetzen.

Hintergedanke: In der Krise sind manche Nationalstaaten, vor allem in Südeuropa, kaum noch in der Lage, ihre Arbeitslosen ausreichend zu unterstützen -und das schürt nicht nur Elend, es schwächt auch die Wirtschaft. Denn was Arbeitslose an Unterstützung erhalten, fließt normalerweise direkt in den Konsum. Der deutsche Ökonom Sebastian Dullien etwa errechnete, dass der krisenbedingte Wirtschaftseinbruch in Spanien mithilfe einer europaweiten Arbeitslosenversicherung um rund 25 Prozent geringer ausgefallen wäre.

Aus diesem Grund brachte der eher europafreundliche französische Präsident François Hollande die Idee als Erster aufs Tapet. Die Versicherung, so Hollande, solle sich aus einem eigenen, neu zu gründenden Haushalt aller Euro-Staaten speisen. Diesen Vorschlag griffen schließlich die Präsidenten Van Rompuy, Draghi, Barroso und Juncker auf. Vor allem der ungarische EU-Sozialkommissar László Andor gilt seither als Befürworter des Projekts, während sonst die Haltung in der EU-Kommission dazu eher geteilt sein soll. László Andor jedoch betont, dass mit der europaweiten Arbeitslosenversicherung auch das Gefühl entstehen würde, dass sich Europa der Nöte seiner Bürger annimmt. Und nicht zuletzt stünde die EU plötzlich direkt auf dem Kontoauszug.

Nach der Präsentation der Idee 2012 wurde es trotzdem bald still um den Plan. Grund: Vor allem der Widerstand aus Deutschland ist massiv. Das wirtschaftsstarke Land fürchtet, zum Zahlmeister für Millionen Arbeitslose im Süden zu werden. Dass Deutschland in schwachen wirtschaftlichen Phasen – wie zuletzt vor einem Jahrzehnt – ebenfalls vom Versicherungssystem profitieren würde, gerät darüber aus dem Blick. Angela Merkel äußerte sich wiederholt kritisch über das Projekt.

Die Welt zitierte vergangenen Oktober Stimmen aus der deutschen Regierung mit den unmissverständlichen Worten: „Wir sind dagegen.“

JOSEPH GEPP

Das EU-Kindergeld

Diese Idee steht noch ganz am Anfang – und hat eigentlich nur einen echten Befürworter in Brüssel: EU-Sozialkommissar László Andor, ein Ungar, ist bekannt dafür, dass er gern mit mutigen Projekten vorprescht. So auch im November 2012. Damals ließ Andor von drei Sozialexperten aus Großbritannien und Griechenland eine Idee ausarbeiten, die nicht besonders viel Geld kosten würde -und einiges Elend in Europa massiv lindern könnte.

Es geht um ein europaweites Kindergeld, eine Art Grundeinkommen für Kinder unter fünf Jahren. Es soll 50 Euro pro Kind und Monat betragen. 800.000 europäische Kinder samt deren Familien könnte man mit dieser Maßnahme aus der Armut holen, errechnen die Experten. Auch die Situation derjenigen, die in Armut verbleiben, würde sich erheblich verbessern. Finanziert werden könnte die Sozialhilfe mit einer Steuer von 0,2 Prozent auf alle europäischen Haushaltseinkommen, die auf nationalstaatlicher Ebene eingehoben werden sollte.

Von der Maßnahme würde vor allem arme Kinder aus Osteuropa profitieren

Von der Maßnahme würde vor allem arme Kinder aus Osteuropa profitieren

Mit einem derartigen Kindergeld, so die Experten, ließen sich zahlreiche positive Effekte erzielen. Nicht nur das Elend, vor allem in Teilen Osteuropas, würde gelindert. Die Sozialhilfe würde auch den Konsum ankurbeln. Und: Die Armutseinwanderung nach Westeuropa würde gedrosselt, weil die Armen ja nunmehr in ihren jeweiligen Ländern das Kindergeld erhalten würden. Damit würde das Geld auch zur besseren Integration von Randgruppen beitragen, vor allem von Roma in Osteuropa.

Freilich: Im Plan von Andor gibt es eindeutige Nettozahler und -empfänger. Kinderreiche, arme Staaten wie Bulgarien und Rumänien würden stark profitieren. Reiche, kinderarme Staaten wie Dänemark, Deutschland und auch Österreich würden draufzahlen. Damit sind Konfliktlinien bereits vorgezeichnet, sollte das Projekt einmal mehr sein als nur eine vage Idee des EU-Sozialkommissars. Dass es jedoch jemals so weit kommen wird, scheint momentan ohnehin eher unwahrscheinlich.

Denn nicht einmal die Kommission selbst steht hinter dem Plan: Der Expertenbericht aus dem Ressort Andor spiegle „nicht die Meinung der ganzen Kommission wider“, sagt Andors Pressesprecherin auf Falter-Nachfrage. Er sei lediglich ein Szenario.

Zwar gibt es einen Gesetzesvorschlag der EU-Kommission mit ähnlicher Stoßrichtung, das sogenannte „Social Investment Package“ vom Februar 2013. Dieses Paket allerdings definiert nur vage Zielvorstellungen beim Kinderwohlstand -ohne das Kindergeld im Konkreten auch nur zu nennen.

JOSEPH GEPP

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Der Samariterbund bittet um Geschenke für Teenager-Flüchtlinge

Aus dem FALTER 50/2013

Joseph Gepp

Gerade 14 Jahre ist der jüngste der minderjährigen Flüchtlinge alt, die der Samariterbund in zwei Wohngemeinschaften in Wien betreut. Sie stammen zumeist aus Syrien und Afghanistan. Der schwere Weg nach Europa hat sie traumatisiert – und hier hängen sie nun in einem schwierigen, belastenden Asylverfahren fest.

Vor diesem Hintergrund hat der Samariterbund die Aktion „Shop for me“ ins Leben gerufen. Damit bittet die Hilfsorganisation um Kleiderspenden, die den Teenagern geschenkt werden.

Jeder, der ihnen helfen möchte, kann ein Stück kaufen und es an den Samariterbund schicken oder persönlich vorbeibringen. Benötigt werden vor allem Pullover, Sweatshirts, Jacken, Hosen, Sportsachen – all dies in den Herrengrößen Small oder Medium.

Die Aktion soll neben der materiellen Unterstützung auch „Solidarität mit der schwierigen Situation der jungen Menschen zeigen“, sagt Oliver Löhlein, Geschäftsführer des Wiener Samariterbundes. Aber auch das Materielle allein tut not: Von Amts wegen erhält jeder Flüchtling nur rund 150 Euro pro Jahr für den Kleiderkauf.

Spenden an: Samariterbund Wien, Shop for me, Hollergasse 2-6/3. Stock, 1150 Wien

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„Er hat sich nicht mehr gerührt“: Alis letzte Nacht im Stadtpark

Aus dem FALTER 46/2013

Joseph Gepp

Geschützt vor Wind und Regen: Hier auf diesen Stiegen zum Wienfluss im Stadtpark starb vergangenen Donnerstag Früh der obdachlose Slowake Ali, 36 Jahre. Seine zwei Begleiter, die noch immer hier sind, riefen die Polizei (Foto: Joseph Gepp)

Geschützt vor Wind und Regen: Hier auf diesen Stiegen zum Wienfluss im Stadtpark starb vergangenen Donnerstag Früh der obdachlose Slowake Ali, 36 Jahre. Seine zwei Begleiter, die noch immer hier sind, riefen die Polizei (Foto: Joseph Gepp)

Ali nennen sie ihn hier. Vor fünf Monaten kam der 36-jährige Slowake nach Wien, seitdem schlief er meist im Stadtpark. Zuletzt hatte er sich in jenem Stiegenabgang zum Wienfluss eingerichtet, geschützt vor Wind und Regen, zwischen halbleeren Wodkaflaschen und fleckigen Decken. Dort wachte Ali vergangenen Donnerstagmorgen nicht mehr auf.

Der Tote im Stadtpark ist ein neuer trauriger Höhepunkt in der wochenlangen Debatte über Obdachlose in Wien. Fremdverschulden wird ausgeschlossen; eine Obduktion soll klären, woran Ali genau gestorben ist.

Immer noch hier sind jene beiden Obdachlosen, die mit Ali zuletzt hier übernachteten. Es sind ein Wiener, 33, und Alis slowakische Freundin, 51. Er habe sich in der Früh einfach nicht mehr gerührt, sagt der Wiener. Die Slowakin redet fast nichts, fuchtelt nur nervös mit den Armen. Schließlich fängt sie ein Passbild aus der Brieftasche, ihr Ali, ein Mann mit kurzen, dunklen Haaren, daneben ein Kreuz.

Zwischen den Decken und Flaschen erinnern auch eine Kerze und einige Tulpen, die eine Hilfsorganisation hierhergebracht hat, an Ali.

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Warum wollen die Leute den Zuschuss nicht, Frau Hebein?

Aus dem FALTER 45/2013

Telefoninterview: Joseph Gepp

Seit heuer heißt der Wiener Heizkostenzuschuss „Energieunterstützung“ – und soll sozial und ökologisch treffsicherer sein. Mit den verfügbaren sechs Millionen Euro werden etwa auch alte Thermen getauscht und Energieberatungen durchgeführt. Allerdings: Bisher nahmen nur 7000 Wiener, unerwartet wenige, die Hilfe in Anspruch. Warum, fragt der Falter die grüne Mandatarin Birgit Hebein.

Frau Hebein, bleibt die Gemeinde auf einem Teil der sechs Millionen sitzen?

Auf gar keinen Fall. Das Geld wird bei den Richtigen ankommen, das bestätigen uns alle Experten. Aber es ist eben ein neues System, das eine gewisse Zeit braucht, um anzulaufen.

Bisher haben nur rund 7000 Haushalte die neue Energieunterstützung in Anspruch genommen, im Vorjahr waren es ingesamt 57.000.

Bis Ende des Jahres kommen nach unseren Schätzungen noch einige tausend dazu, weil dann die Jahresabrechnungen für Strom und Gas fällig werden. Aber es stimmt, dass noch viel zu tun bleibt. Jetzt muss vor allem die aufsuchende Arbeit gut funktionieren. Die läuft jetzt gerade erst an.

Aufsuchende Arbeit?

Für viele ist die Hemmschwelle sehr hoch, einen Antrag bei der zuständigen MA40 zu stellen – diese Möglichkeit gibt es nach wie vor. 7000 Leute in Wien sind sozial aufsuchend unterwegs, zum Beispiel als Sozialarbeiter oder Pfleger. Dieses Netz nützen und bündeln wir zusätzlich, um Unterstützung anzubieten, wo Hilfe gebraucht wird. Denn Armut ist oft mit Scham verbunden. Deswegen braucht es Vertrauen, um Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Planen Sie bei der Energieunterstützung etwaige Änderungen, um auf mehr Nachfrage zu stoßen?

Ja, es muss laufend verbessert werden, beispielsweise das bürokratische Procedere bei der MA40. Die Energieunterstützung kann nur ein Beitrag zur Armutslinderung sein, wie etwa auch die Kindermindestsicherung. Mit einer Maßnahme allein kann steigende Armut nicht bekämpft werden.

Ein Kommentar

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