Archiv der Kategorie: Medien

Testunfall: Thomas Glavinic und der Lamborghini Aventador

Medien Glosse

Aus dem FALTER 40/2011

So sind sie, die Künstler. Buchautor Thomas Glavinic fuhr einen Lamborghini Aventador zu Schrott. Schauplatz: eine Landstraße nahe Padua. Kosten: ungefähr 387.000 Euro.

Glavinic testete den „Lambo“, wie man ihn in Künstlerkreisen anscheinend nennt, für die Autorevue. Die hat ihn nach eigenen Angaben „als eines der ersten Medien weltweit“ zur Verfügung gestellt bekommen. Nach dem Unfall soll der Literat zerknirscht beim Chefredakteur angerufen haben, der zuerst an einen Scherz dachte.

Verletzungen bei Glavinic? Glücklicherweise nicht. Finanzielle Kosten? Wohl auch keine, da derartige Testwägen gemeinhin gut versichert sind. Nur 39 Euro musste der Autor zahlen, weil er einen Masten beschädigt hatte. Und die übernimmt wahrscheinlich auch die Autorevue. So sind sie, die Künstler.

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Echtes Gewehr contra Luftdruckgewehr: der feine Unterschied

Aus dem FALTER 39/2011

Medienkritik-Glosse 

Echtes Gewehr contra Luftdruckgewehr: der feine Unterschied

Medienkritik

Kürzlich weiten sich ganz plötzlich die Pupillen eines Gesprächspartners vor Entsetzen: „Ich habe gerade gelesen, dass da draußen ein Sniper seine Runden zieht und Leute niederschießt.“ Tags darauf bricht kurz Panik aus, als die ORF-Nachrichten mit einer Horrorzeile beginnen: „Schüsse auf Papstmesse in Deutschland.“

Zweimal Entwarnung. Es waren nur Luftdruckgewehre. Damit auf Stadtbenutzer oder Messbesucher zu schießen, ist zwar auch nicht die feine englische Art. Aber doch deutlich weniger gravierend als mit einer echten Waffe.

Der Kürze und Würze der Schlagzeile jedoch ist die sperrige Präzisierung „Luftdruck-“ abträglich. Außerdem klingt es ja gleich viel schlimmer. Dass die Anschläge nur mit Luftdruckgewehren erfolgten, erfährt man ohnehin früh genug.

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Verführt Ihre Werbung Kinder zum Konsum, Herr Hromatka?

Aus dem FALTER 38/2011

Werbung Nachfragekolumne

Nein, nein, nein. Strenge Eltern wiegeln ab, als ihre Kinder sie schüchtern um Geld für nicht näher definierte Anschaffungen bitten. Dann aber: „Ja“. Ein sanft lächelnder Bankbeamter drückt einem Teenager-Buben, der sein Glück kaum fassen kann, eine nagelneue Kontokarte in die Hand. Auf dass alle seine Wünsche in Erfüllung gehen.

Seit April wirbt ein TV-Spot der Erste Bank für das Jugendkonto Spark7. Man kann es schon im zarten Alter von zehn eröffnen, sofern die Eltern einverstanden sind. Alle Wünsche gehen dann zwar trotzdem nicht in Erfüllung, denn das Konto für Kleine verfügt über keinen Kreditrahmen. Dennoch suggeriert die Werbung, dass man mit Spark7-Konto vor dem elterlichen Diktat in die absolute Konsumfreiheit entfliehen könnte.

Spark7-Werbung (Erste Bank)

Ist das die richtige Botschaft in Zeiten, in denen sich gerade Jugendliche immer höher verschulden, meist durch Handy-Rechnungen oder Internetkonsum? Ist es nur unnötige Schikane, wenn Eltern ihren Kindern Konsumwünsche verwehren? Verleitet die Werbung Jugendliche gar zum unreflektierten Konsum?

„Wir haben das eigentlich anders gemeint“, antwortet Christian Hromatka, Sprecher der Erste Bank. „Absichtlich und dezidiert“ wurden „keine konkreten Wünsche angesprochen, weil wir uns dieses Problems durchaus bewusst sind“. Jugendliche seien eben „oft in einer Welt aus Neins gefangen“ – und ein eigenes Konto lehre sie finanzielle Selbstständigkeit. Unreflektierter Konsum solle nicht die Botschaft sein, meint Hromatka. „Und wir hoffen, dass das auch nicht so rüberkommt.“

Es kommt leider so rüber – zumal in der Schlussszene des Spots der Bub zwischen herumschwebenden T-Shirt-Motiven und Platten-Covern steht. Und sein Glück immer noch kaum fassen kann.

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Der Wolf als jüdischer Hausierer: ein ORF-Lapsus und seine Folgen

Aus dem FALTER, 25/2011


Joseph Gepp

Widersprüchlich fielen vergangene Woche die Reaktionen des ORF aus, nachdem der Falter über den Zeichentrickwolf berichtet hatte, der sich im Disney-Cartoon von 1933 als jüdischer Hausierer verkleidet.

In einer ersten Stellungnahme schloss Film- und Serienchefin Andrea Bogad-Radatz „etwaige antisemitische Konnotationen“ aus – weil der Wolf, wiewohl er wie ein antisemitisches Zerrbild aussieht, doch keinen jiddischen Akzent spreche. Etwas später entschuldigte sich Programmchef Wolfgang Lorenz. „Ich bedauere sehr, dass dieser Film mit der historisch belasteten Sequenz auf Sendung gehen konnte“, sagte er. Er werde „Sorge tragen, dass ein solcher Fehler, wie er im ORF eine absolute Ausnahme darstellt, sich nicht wiederholen kann“.

Archetyp der totalitären Gesellschaft? Die Schlümpfe

Unterdessen stellt sich aber auch eine Frage, die über den ORF hinausgeht: Welche Version des Comic-Klassikers „Drei kleine Schweinchen“ kann man als TV-Anstalt bei Disney beziehen? Neben jener mit dem jüdischen Hausierer existiert nämlich auch eine entschärfte Version, in der der Wolf keine Judenmaske trägt.

Bei der deutschen Niederlassung in München wollte man dazu dem Falter kein offizielles Statement geben. Nur informell teilte ein Mitarbeiter des Konzerns mit, dass derzeit geprüft werde, wie es zur Ausstrahlung der Sendung kam. Für die Zukunft sei jedenfalls sichergestellt, dass die belastete Version aus den 30er-Jahren nicht mehr gezeigt werde.

In Frankreich gibt es währenddessen eine Debatte um eine weitere berühmte Zeichentricksendung: Der Politikwissenschaftler Antoine Buéno will in Schlumpfhausen den „Archetyp einer totalitären Utopie, geprägt von Stalinismus und Nationalsozialismus“ entdeckt haben. Die Figur Gagamels steht unter Verdacht, von der antisemitischen Sowjetpropaganda inspiriert worden zu sein.

Schon 2007 hatte ein ähnlicher Fall Aufsehen erregt, als ein kongolesischer Student in Brüssel gegen Hergés – rassistisch angehauchten – Comicband „Tim im Kongo“ klagte.

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Wer hat Angst vorm bösen Juden?

Aus dem FALTER 24/11

Im ORF-Kinderprogramm laufen am Samstag US-Cartoons mit antisemitischen Klischees aus den 30er-Jahren. Warum?

Bericht: Joseph Gepp

Der böse Wolf verkleidet sich als jüdischer Hausierer, um zu den drei kleinen Schweinchen ins Haus zu gelangen. Er trägt eine lange Nase, einen dichten schwarzen Bart, einen zerlumpten braunen Kaftan samt Hut. Wären da nicht die charakteristisch großen Zeichentrickhände, man würde die zusammengeballten jüdischen Stereotypen glatt in der Nazi-Hetzschrift Der Stürmer vermuten.

Zeitlich läge man damit gar nicht so falsch: Der berühmte achtminütige Zeichentrickfilm „Three Little Pigs“ stammt aus dem Jahr 1933. Allerdings ist er US-amerikanischer Provenienz, aus dem Hause Walt Disney. 1934 erhielt er den Oscar. Während in Deutschland die Nationalsozialisten die Macht ergriffen, lenkten in Amerika fröhliche Animationsfilmchen mit Judenklischees die Menschen von den Härten der Weltwirtschaftskrise ab.

Heute laufen solche Filme nicht etwa kommentiert und kontextualisiert im Bildungsfernsehen. Sondern im ORF-Kinderprogramm am Samstagvormittag. Konkret sendete Österreichs staatliches Fernsehen „Die drei kleinen Schweinchen“ am 4. Juni, 11.20 Uhr, im Rahmen der Reihe „Classic Cartoons“. Kurz davor lief „Miniversum“, etwas später folgte „Parker Lewis – Der Coole von der Schule“.

Was heute auf verstörende Weise judenfeindlich wirkt, war zur Zeit der Entstehung oft gar nicht antisemitisch gemeint, erklärt der Historiker Florian Schmidlechner, der sich im neuen Sammelband „Theorien des Comics“ im Transcript-Verlag mit dem Thema befasst. Jüdische Stereotype galten anno dazumal als ebenso witzig und harmlos wie heute etwa Franzosenscherze. In den 30er-Jahren strotzte der US-Trickfilm vor Judenklischees, obwohl viele der Zeichner selbst Juden waren. Erst am Ende des Jahrzehnts wurde die filmische Herabwürdigung von Religion unter Strafe gestellt, wodurch die Judenklischees verschwanden, erklärt Florian Schmidlechner.“Unser kulturelles Verständnis deutet diese Cartoons zwangsläufig als antisemitisch“, sagt er. Die Erfahrungen des Nationalsozialismus lassen einst als harmlos geltende Klischees heute wie erschreckende Vorboten von Hass und Genozid erscheinen.

Der Hausierer in der entschärften Fassung ohne jüdische Stereotype (Disney)

Der Hausierer in der alten Fassung mit jüdischen Stereotypen (Disney)

Entsprechend gibt es die DVD von „Three Little Pigs“ in der US-amerikanischen und deutschen Version nur noch mit einleitender Erklärung über den historischen Kontext. Und auch der Film selbst existiert in einer zweiten, entschärften Fassung: Disney gestaltete später eine Version, in der der Wolf keine jüdische Maske trägt. In einer dritten Fassung, die im Zweiten Weltkrieg entstand, trägt er sogar ein kleines Hitlerbärtchen.

Bleibt die Frage: Warum brachte der ORF den Cartoon nicht in einer entschärften Form – oder klärte in irgendeiner Weise über den Kontext auf? Dieser existiert für die Sendungsverantwortlichen gar nicht. „Etwaige antisemitische Konnotationen sind ausgeschlossen“, sagt Film- und Serienchefin Andrea Bogad-Radatz.

Grund: In der ORF-Fassung stamme das Bild zwar aus den 30ern – die Tonspur jedoch sei jüngeren Datums.

Bogad-Radatz bezieht sich mit dieser Erklärung darauf, dass es neben der ORF-Fassung des Trickfilms eine noch ältere Urfassung gibt. Darin sieht der Wolf nicht nur wie die Karikatur eines Juden aus; er spricht auch mit jiddischem Akzent.

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Bin Ladens Tötung: eine Frage für Weicheier und Gutmenschen

Aus dem FALTER, 19/2011

Debattenkultur
Kommentar Joseph Gepp

Ach, wie primitiv sind doch Amerikaner, denkt sich dieser Tage wieder manch Selbstzufriedener in Österreich, wenn er die Freudenfeste in US-Städten anlässlich des Todes von Osama bin Laden sieht. Er sollte aber auch vor der eigenen Tür kehren.

Mit welch feiner Klinge Debatten in Österreich ausgefochten werden, zeigt sich gerade besonders an der Tötung des Terroristenchefs. Speziell der Frage: War es legitim, bin Laden gleich zu töten, statt ihn festzunehmen und vor Gericht zu stellen?

Es gibt Argumente dafür und dagegen. Man kann anführen, dass das humanitäre Völkerrecht eine Tötung nur zum Zweck der Notwehr erlaubt und dass der Westen überdies – gerade im Angesicht seines finstersten Feindes – seinen rechtsstaatlichen Idealen folgen sollte. Man kann bin Laden aber auch als feindlichen Kombattanten nach dem Kriegsrecht definieren, was eine Tötung in Notwehr rechtfertigt. Letzteres ist vor allem die Position konservativer Kommentatoren. In Europa wohlgemerkt, nicht in Österreich.

In Österreich wird die Diskussion eine Spur erdiger geführt. Kronen Zeitung-Briefschreiber Michael Jeannée etwa nennt Standard-Kolumnisten Hans Rauscher einen „Gutmensch-Redakteur“, weil der die Frage nach legitim oder illegitim überhaupt zu stellen wagt. Und Christian Ortner packt in der Presse sogar die Nazi-Keule aus: Er vergleicht bin Ladens Tötung mit Stauffenbergs missglücktem Attentat auf Hitler 1944. Das sei ja auch „nicht legal“ gewesen.

Fazit: Soll sich der Rest der Welt doch mit langweiligen Rechtsfragen herumschlagen. Hierzulande machen so etwas nur Weicheier und Gutmenschen. Wenn nicht sogar Verharmloser des Nationalsozialismus.

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Können Wir sind Helden mobilisieren, Frau Schaffert?

Nachfragekolumne
Aus dem FALTER, 15/2011

Dass Rockbands gerne gesellschafts- und kapitalismuskritische Texte singen, ist bekannt. Die Berliner Band Wir sind Helden ging einen Schritt weiter und schenkte der globalisierungskritischen NGO Attac gleich einen kompletten Song. „23.55: Alles auf Anfang“ heißt das Lied, eine Singleauskoppelung aus dem aktuellen Album „Bring mich nach Hause“.

Wir sind Helden ... (Wikipedia)

Die darin enthaltene Kritik kommt – unüblich für Protestsongs – durchwegs nicht säuerlich daher, sondern flott und verspielt. „Wer A sagt, muss auch B sagen, nach dem ganzen Abc fragen“, singt Leadsängerin Judith Holofernes und: „Fühlst du dich machtlos, geh raus und mach, los!“

Astrid Schaffert, Künstlerkoordinatorin von Attac Deutschland, freut sich über das Geschenk mit mutmaßlichem Mobilisierungspotenzial. Es drücke mehr aus, als wenn Aufforderungen zum politischen Engagement bloß in Texte verpackt würden, erklärt sie. „Bei einem Lied wird der ganze Mensch erfasst und emotionalisiert.“ Dass Künstler für Attac performen, sei kein Einzelfall. Wir sind Helden etwa traten schon bei den G8-Protesten in Heiligendamm 2007 für Attac auf oder bei jüngsten Atomdemonstrationen in Berlin, ohne Honorare dafür zu verlangen.

... und was Attac daraus macht (YouTube)

Das Lied steht Attac zur freien Verfügung. Die Aktivisten beauftragten den deutschen Regisseur Michel Klöfkorn mit einem Musikvideo, das ganz und gar auf die Zwecke der NGO zugeschnitten ist. Darin halten Protagonisten Sprechblasen aus Karton hoch, die Sätze formen wie „Wann, wenn nicht jetzt?“ und „Wer, wenn nicht wir?“. Parallel zu dem Video, das auf Youtube und Attac-Homepages zu sehen ist, gibt es auch ein offizielles Musikvideo zu „23.55: Alles auf Anfang“ von Wir sind Helden, das nichts mit Attac zu tun hat.

Fazit: Das beste Marketing machen immer noch die Kapitalismuskritiker.

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Eingeordnet unter Konsum, Medien, Soziales

(Un-)verkäufliche Artikel?

Aus dem FALTER, 15/2011

Ein interessantes Experiment führt derzeit Sebastian Heiser durch, Redakteur der taz: Als PR-Mann getarnt, fragt er bei Anzeigenabteilungen deutscher Medien nach, ob zum Inserat auch das „geeignete Umfeld“, also die Zeitungsgeschichte, erstanden werden könne – natürlich ohne Kennzeichnung. Der Test läuft noch, erste Ergebnisse zeigen aber beunruhigend viel Entgegenkommen der Medien – vor allem von Frankfurter Rundschau, Neues Deutschland und Westdeutsche Allgemeine Zeitung. Positive Gegenbeispiele waren Bild und Handelsblatt.

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Eingeordnet unter Konsum, Medien

„Ich bekomme jede Woche drei, vier Morddrohungen“

Aus dem FALTER, 14/2011

Marco Schicker, Chef der ungarisch-deutschen Zeitung Pester Lloyd, über Ungarns neue Verfassung, mediale Exilgänge und letzte Reste einer großen Zeitungstradition

Gespräch: Joseph Gepp
Foto: Hans Hochstöger

Ein Berliner in Wien macht eine Budapester Zeitung: Marco Schicker, 39, ist seit zwei Jahren Chefredakteur der ungarischen deutschsprachigen Onlinezeitung Pester Lloyd. Er übernahm den Job von seinem Vater Gotthard. Dieser, einst ein Ostberliner DDR-Kulturpolitiker, kaufte nach der Wende 1994 um 400 US-Dollar den klingenden Namen Pester Lloyd. Bis zum Zweiten Weltkrieg war die Zeitung eine der führenden in Mitteleuropa gewesen. Von den Nazis missbraucht von den Kommunisten verboten, gründete Gotthard Schicker das Blatt schließlich als einen Ort profunder und parteifreier Osteuropa-Berichte neu. Sohn Marco, der heute zwischen Wien-Donaustadt und Budapest pendelt, stellte 2009 auf online um. Seitdem habe sich die Zahl der Leser auf etwa 120.000 pro Monat versechsfacht, sagt er – wohl auch, weil ständige Hiobsbotschaften aus dem einstigen Vorzeigeland Ost das Orientierungsbedürfnis steigen lassen.

Marco Schicker, Chefredakteur des "Pester Lloyd"

Falter: Herr Schicker, Ungarn wirkt mitunter, als würde es in die 30er zurückfallen. Da gibt es militante Garden, Mediengängelung und eine Regierung mit autoritären Zügen. Was ist bei unserem Nachbarn los?

Marco Schicker: Ich muss das relativieren. Ungarn und ganz Osteuropa mussten in 20 Jahren durchmachen, wofür der Westen 50 hatte. Es gab Wiederaufbau, Massenwohlstand, EU-Integration, Globalisierung. Und nebenbei mussten sich die Länder als Nationen selbst finden. Wenn dann nicht alles läuft, wie wir uns das im Westen wünschen – keine Überraschung.

Aber in den vergangenen Jahren gab es eindeutig eine Radikalisierung in Ungarn.

Schicker: Ja, ausgelöst durch die Wirtschaftskrise und verursacht durch jahrelange Fehlentwicklungen. Die bis 2010 regierenden Sozialisten bildeten ein Biotop von Machtmissbrauch und Korruption. Sie haben, man muss es so hart sagen, sich einen Dreck ums Volk gekümmert. Die Sozialisten brachten zusammen, was per definitionem nicht zusammengeht: extremen Neoliberalismus bei zugleich extremer Protektion eigener Interessen.

Was war die Folge?

Schicker: Die Zweidrittelmehrheit für Viktor Orbáns rechtspopulistische Fidesz-Partei im April 2010. Orbán führt seither eine Revolution von oben durch. Er nennt seinen Wahlsieg ja auch „Revolution“. Wie einst im Kommunismus soll das Volk zu seinem Glück gezwungen werden. Und was auf dem Weg dorthin stört, wird beseitigt.

Wie sieht diese sogenannte Revolution aus?

Schicker: Orbán propagiert eine Rückbesinnung auf einen angeblich autonomen ungarischen Mittelstand. Das Eigene, die Scholle und der Handwerker werden betont. Die Propaganda erinnert ein wenig an den österreichischen Ständestaat. Damit verbunden will sich Ungarn von den internationalen Finanzmärkten abkoppeln, etwa indem es das Rentensystem zwangsverstaatlicht und das Verfassungsgericht in Budgetfragen entmachtet. Diese Abkopplung könnte auch eine Forderung der Aktivisten von Attac sein, allerdings findet sie in Ungarn unter nationalistischen Vorzeichen statt. Begleitet wird all das von einer Aushebelung demokratischer Kontrollinstrumente und Gegengewichte. Orbán sagte: „Nicht das Gerechtigkeitsgefühl der Menschen muss sich ändern, sondern die alten Regelungen.“ Das Gerechtigkeitsgefühl verkörpert seit dem Wahlsieg angeblich Fidesz. Das ist autoritär.

Warum nehmen die Ungarn das hin?

Schicker: Es freut sie, dass die Verfehlungen der Sozialisten gerächt werden. Die Frage ist nur: wie? Orbán hat einen Sonderkommissar für Regierungskriminalität bestellt. Dieser soll Vorwürfe gegen sozialistische Politiker publik machen. Nach dieser Vorverurteilung geht die Sache an die Staatsanwaltschaft – klassische Siegerjustiz.

Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die neue ungarische Verfassung?

Schicker: Sie soll die Macht der Fidesz absichern, etwa indem Steuersätze in der Verfassung verankert werden – jede spätere Regierung ohne Verfassungsmehrheit wird es demnach schwer haben. Gleichzeitig bekräftigt die Verfassung die Staatsideologie und die frömmelnde Atmosphäre, die derzeit vorherrschen. Das wirkt wie ein Freibrief für Kräfte rechts von Fidesz, vor allem die Jobbik. Die hetzt unentwegt gegen die „Menschen nichtungarischen Herzens“, vor allem Juden und Roma. Durch den großen Wahlsieg der Fidesz meinte man zuerst, die Jobbik gebändigt zu haben. Tatsächlich ist vor einer Woche im nordungarischen Hejöszalonta wieder die Ungarische Garde aufmarschiert. Die Rechtsextremisten sind obenauf, wenig überraschend.

Wie bewerten Sie das neue Mediengesetz?

Schicker: Mit diesem Gesetz könnte man ebenso die freieste Presse der Welt schaffen oder sie extrem unterdrücken. Das Problem ist, dass beides geht. Es wird in naher Zukunft stark auf die Auslegung ankommen. Die Formulierungen allein finden sich auch in anderen Mediengesetzen Europas. Aber in Ungarn gibt es bewusst kalkulierte Schwammigkeiten, die zumindest eine Selbstzensur zur Folge haben. Zum Beispiel sieht das Gesetz Berichte über regionale, nationale und europäische Themen vor – nicht aber über globale. Streng genommen ist das also ungesetzlich. Strafen verhängt ein Medienrat, der ausschließlich mit Fidesz-Leuten besetzt ist. In diesem Fall muss das Medium erst das Bußgeld zahlen, danach kann es vor ein reguläres Gericht ziehen. Wenn es nicht schon pleite ist.

Ist der Pester Lloyd auch davon betroffen?

Schicker: Nicht so sehr, wir können uns als Internetzeitung dem Staat leicht entziehen. Nur im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und bei der staatlichen Nachrichtenagentur sehe ich bislang Selbstzensur und personelle Ausdünnung unter guten Journalisten. Der Pester Lloyd hingegen übersiedelt im Ernstfall mit seinem Server ins Ausland. Wobei es natürlich schlimm genug ist, den Exilgang zu erwägen – es wäre für den Pester Lloyd das dritte Mal nach der ungarischen Räterepublik 1919 und der Nazizeit. Eine andere Sache sind die vielen Hassmails, die wir bekommen. Sie haben nichts mit dem Mediengesetz zu tun, sondern mit der gesellschaftlichen Radikalisierung insgesamt. Das hat vor zwei oder drei Jahren begonnen. Mittlerweile bekomme ich jede Woche drei, vier Morddrohungen – à la: „Die nächste Laterne ist für dich reserviert, Judenschwein.“

Judenschwein?

Schicker: Der Pester Lloyd wurde 1853 von bürgerlich-liberalen Juden gegründet, Rechtsradikale feinden ihn bis heute als Judenblatt an. Als Deutschland und Österreich schon nationalsozialistisch waren, schrieben im Pester Lloyd noch etwa Thomas Mann, Felix Salten und Stefan Zweig. Außerdem bietet es Angriffsfläche, dass wir Entwicklungen in Ungarn kritisieren und gleichzeitig nicht von Ungarn gemacht werden.

Osteuropa hatte einst eine blühende deutschsprachige Zeitungslandschaft. Was ist heute davon übrig?

Schicker: Nicht viel. In Prag gibt es noch die Prager Zeitung, in Russland die Sankt Petersburger Nachrichten und die Moskauer Deutsche Zeitung. Dazu kommen einige Volksgruppenblätter der deutschsprachigen Minderheit im rumänischen Siebenbürgen, aber die zähle ich nicht dazu. Zeitungen wie Prager Zeitung oder Pester Lloyd waren einst Weltblätter.

Wie gehen Sie mit diesem Erbe um?

Schicker: Wir wollen Interesse und Verständnis für Osteuropa schaffen. Die Empörung über das ungarische Mediengesetz beispielsweise ist pure Heuchelei, wenn damit keine tiefere Auseinandersetzung mit dem Land einhergeht. Man muss sich bewusst sein, dass sich die Ereignisse in Ungarn morgen etwa in Rumänien wiederholen können. Viele Entwicklungen im Osten laufen parallel. Und was die Tradition des Pester Lloyd betrifft: Die jüdischen Funktionäre, die früher das Blatt machten, waren gleichzeitig glühende ungarische Patrioten. Ihr Patriotismus konnte aber nur ein liberaler und europäischer sein, weil sie als Juden und Deutschsprachige unweigerlich über den Tellerrand Ungarns hinausblickten. Diese Leute würden heute genauso gegen Viktor Orbán polemisieren, wie wir es tun.

Zur Person
Marco Schicker, 39, aus Ostberlin, kam 1996 nach Budapest und begann beim Pester Lloyd zu arbeiten. Er lernte Ungarisch und blieb sechs Jahre in Ungarn, wo sein Vater Gotthart B. Schicker 1994 mit Freunden die Zeitung neugegründet hatte. Danach übersiedelte Schicker nach Wien. Neben seiner Tätigkeit als Chefredakteur schreibt der Journalist auch für andere Zeitungen. Als einstiger DDR-Bürger bedeute Ungarn für ihn „mal frei atmen.“ Hier „verbanden sich immer Liebe und folkloristische Neugier“

Was bedeutet Pester Lloyd?
Pest ist der am Ostufer der Donau gelegene Teil von Budapest und war bis 1873 eine eigene Stadt
Im Lloyd’s Coffee House, das im 17. Jhdt. begründet wurde, schlossen Versicherer und Reeder Schifffahrtsversicherungen ab. Später übernahm eine Londoner Gesellschaft den Namen, der bald in ganz Europa Schifffahrtsversicherungen bezeichnete – im ungarischen Fall für die Donauschifffahrt, an deren Piers im frühen 19. Jahrhundert traditionell Neuigkeiten angeschlagen wurden

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Abschied Ost

Osteuropas goldene Zeit ist vorbei. Jetzt ziehen sich westliche Konzerne zurück – allen voran die Mediengruppe WAZ

Bericht: Joseph Gepp

Katastrophal sei die Situation der Medien in Südosteuropa. Vergiftet von den engen Verflechtungen zwischen nationalen Oligarchen und politischer Macht. Ein Zukunftsmarkt sei der Osten deshalb längst nicht mehr. Davor verschließe Westeuropa die Augen, „ich finde diesen Zustand deprimierend“.

Kein kritischer Querdenker und keine zivilgesellschaftliche Organisation fand solche Worte. Sondern einer, dessen Berufsstand sonst eher Zurückhaltung gebietet. Bodo Hombach, 58, deutscher Spitzenmanager, steht der Mediengruppe WAZ (Westdeutsche Allgemeine Zeitung) in Essen vor. Seit dem Sommer lässt er immer wieder mit Kritik an Osteuropa aufhorchen. Hombach spricht von Verkaufsabsichten seiner Firma. Die Worte könnten einen Umbruch im Osten bedeuten. Eins sagen sie aber auf jeden Fall: Der Goldrausch ist vorbei.

Hombach weiß, wovon er spricht. Vor seinem Antritt bei der WAZ diente der frühere SPD-Politiker als EU-Balkankoordinator. Mit diesem Vorwissen ausgestattet, trieb er bei seinem neuen Arbeitgeber ab 2002 eine Expansion fort, die selbst in Zeiten der Hochkonjunktur ihresgleichen suchte. Als eines der ersten Medienhäuser hatte die WAZ schon Anfang der 90er am Balkan investiert. In 15 Jahren war sie auf diese Weise von einem Betrieb, der deutsche Regionalblätter wie die Westfalenpost und Thüringer Allgemeine herausgibt, zu einem der wichtigsten europäischen Medienkonzerne aufgestiegen. Sie kaufte Printprodukte in Ungarn, Bulgarien, Kroatien, Serbien, Mazedonien, Montenegro, Albanien und Russland – neben Österreich, wo die Deutschen seit 1988 je die Hälfte an Krone und Kurier besitzen. In Bulgarien etwa kontrollierte die WAZ bis zu 85 Prozent des Printmedienmarktes. Dagegen wirkt selbst Österreichs vielkritisierte Konzentration pluralistisch. Die WAZ machte im Osten reiche Ernte, weil sie im richtigen Moment die Zeichen der Zeit erkannt hatte.

Erkennt sie sie jetzt wieder?

Unbeachtet von der breiten Öffentlichkeit spielt sich derzeit auf europäischen Medienmärkten eine Umwälzung mit ungewissem Ausgang ab. Denn auf Hombachs harsche Osteuropa-Kritik vom Sommer folgen prompt Taten. Sukzessive stößt die WAZ Anteile ab. Das Imperium in Bulgarien wurde im Dezember 2010 ebenso zur Gänze verkauft wie ein kleineres in Rumänien. In Serbien trägt man sich mit Verkaufsabsichten, über Ungarn wird spekuliert. Noch ist nicht klar, wer am Ende profitieren wird, ob sich die Rochaden als förderlich oder hinderlich für die Demokratisierung erweisen werden. In Bulgarien etwa übernahm eine Investorengruppe um Kaiserenkel Karl Habsburg-Lothringen die Anteile, deren Zukunft bislang kaum einzuschätzen sind. In Serbien könnten, wie in Rumänien, lokale Geschäftsleute mit teils undurchschaubaren Absichten nachfolgen. Für andere Beteiligungen interessieren sich Westfirmen wie der deutsche Springer-Konzern oder Ringier aus Zürich, der den Schweizer Blick verlegt.

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„Ich finde diesen Zustand deprimierend“: Bodo Hombach kündigt dem Osten die Freundschaft auf (Bild: Horizont)

Doch die große Zeit des Westens im Osten scheint nicht nur für die WAZ vorbei.

Hinter der politischen Situation, die Hombach beklagt, steht eine Wirtschaftslage, deren Krise – im Gegensatz etwa zu Österreich – seit 2008 unverändert fortdauert. Springer und Ringier kämpfen ihrerseits bei Ostbeteiligungen mit großen Verlusten. Werbeerträge sacken in ganz Osteuropa ab. Die Zahl der Inserate in rumänischen Tageszeitungen etwa sank allein 2009 um 70 Prozent, in kroatischen um 45. Die im Osten getätigten Auslandsinvestitionen hätten sich 2010 das zweite Jahr in Folge halbiert, erklärt Gábor Hunya vom Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche. Immobilien, Banken, Medien – der Boom ist vorbei.

Dazu kommt ein allgemeines Desinteresse vonseiten der internationalen Politik und Öffentlichkeit. Die USA kämpfen mit eigenen Schulden, die EU bangt um ihre Gemeinschaftswährung. Die Erweiterungen sind darüber ebenso ins Stocken geraten, wie Beitrittsperspektiven für Kandidaten an Reiz verloren haben. Sind das nur temporäre Krisenphänomene? Oder rutscht Osteuropa, wie Bodo Hombach meint, dauerhaft in Korruption, Cliquenwirtschaft und Pressegängelung ab?

Manches deutet darauf hin. Das neue Mediengesetz in Ungarn beispielsweise ist nur der derzeitige Höhepunkt einer gesellschaftlichen Radikalisierung, die sich seit 2006 bemerkbar macht. Auch der jährliche Index der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen verheißt nichts Gutes: In den Rankings sind in fünf Jahren neue EU-Länder wie Rumänien und Bulgarien, aber auch Beitrittskandidat Kroatien hinter Länder wie Ghana, Namibia oder die Kapverden gerutscht.

Oliver Vujovic von SEEMO, der in Wien ansässigen „South East Europe Media Organisation“, sieht dafür zwei Gründe. Erstens fehle den EU-Staaten der Reformantrieb der Beitrittszeit – in Rumänien, Bulgarien und Ungarn würden Seilschaften aus Wendegewinnlern neu erstarken. Zweitens würden unabhängig davon Medien am radikal verkleinerten Werbekuchen leiden, sagt Vujovic. „Wenn am Balkan ein Journalist Material über einen Geschäftsmann zugespielt bekommt, dann muss er – viel mehr als vor ein paar Jahren – erst rechnen: Kann sich mein Medium eine Veröffentlichung leisten? Oder werden ihm die wegfallenden Inserate den Hals brechen?“ Vor allem wirtschaftlich gesehen seien Medien weniger frei als früher, ergänzt Branimir Zekic, Journalist aus Zagreb: „Viele kroatische Zeitungen, die nach dem Krieg Demokratisierung bewirkt haben, sind zu Sprachrohren ihrer Inserenten verkommen.“

Im konkreten Fall WAZ bezweifeln Beobachter aber, dass es dem Konzern allein um die hehre Pressefreiheit geht. „In Singapur zum Beispiel boomt der Markt, aber die Presse ist absolut unfrei“, sagt ein Insider, „das schaue ich mir an, dass eine WAZ dort nicht gern investieren würde.“ Vielmehr seien die desaströsen Wirtschaftszahlen Hauptgrund für den Rückzug. Und wenn Bobo Hombach politische und gesellschaftliche Gründe vorschiebe, liege dies wohl weniger am wirklichen Stand der Pressefreiheit in den Oststaaten – als an den konkreten Erfahrungen, die die WAZ mit manchen ihrer Beteiligungen machte.

Um diese Erfahrungen zu verstehen, muss man das wichtigste strategische Instrument des Konzerns kennen: das sogenannte „Mantelkonzept“. Zum Einsatz kommt es, seit sich die WAZ nach dem Jahr 1948 mit dem Sanktus der Besatzungsmächte Zeitungen im Ruhrgebiet einzuverleiben begann. Das Mantelkonzept besagt: Autonomie einzelner Redaktionen bei größtmöglichen Synergien in den Bereichen Druck, Vertrieb, Verwaltung und Anzeigen.

Das heißt, dass eine WAZ-Zeitung kein WAZ-Weltbild transportieren muss. Dies ist nicht selbstverständlich, wie etwa ein Blick auf Rupert Murdochs Medienimperium zeigt, das aus allen Rohren seine konservative Ideologie trompetet. Bei der WAZ hingegen arbeiten Redaktionen autonom. Ideologisch können die Blätter verschieden sein, solange für den Mutterkonzern die Kasse stimmt. Und dafür sorgt weniger die schreibende Zunft selbst als vielmehr eine maximale Straffung und Zentralisierung.

Das Mantelkonzept bringt der WAZ große Wettbewerbsvorteile – und vermeidet gleichzeitig inhaltliche Gleichschaltung. Es entwaffnet vordergründig Kritiker, für die Medienmonopole die Meinungsvielfalt gefährden. Unter dem Dach der WAZ existiert sie ja. Dass die Wirklichkeit jedoch nicht so einfach ist, zeigt ein Beispiel aus Österreich: Seit 1988 bündelt die WAZ in der Mediaprint die Wirtschaftstätigkeiten von Kurier und Krone. Weltanschaulich verschieden sind die Blätter zwar trotzdem – andere Zeitungen haben es aber bedeutend schwerer, neben ihnen zu bestehen.

Kurz darauf wurde das Mantelkonzept in den Osten transferiert. Dort bescherte es der WAZ vorerst Erfolge. Oliver Vujovics Organisation SEEMO etwa bescheinigt gerade Bulgarien mit seinem WAZ-Monopol Meinungsvielfalt und journalistische Qualität. Ein ähnlich positives Resultat ergab 2006 eine OSZE-Untersuchung von Mazedonien, wo der Konzern die drei größten Tageszeitungen kontrolliert.

Einen Aspekt jedoch hat Hombach übersehen, als er dem Osten das Mantelkonzept brachte: Damit es funktioniert, braucht es tiefe Eingriffe. Man muss Abteilungen auflösen, Druckereien zusammenlegen, Verwaltungsebenen streichen. Und das betrifft die Einflusssphären lokaler Partner.

Zum ersten Streit zwischen der WAZ und Miteigentümern kam es 2004 in Rumänien, als der Konzern einen Geschäftsführer abberief. Wahrhaft unappetitlich wurde es aber erst in Serbien. Hier hatten die Deutschen 2001 die Hälfte der Tageszeitung Politika erworben. Nun sahen sie sich einer feindlichen Clique gegenüber, die auf korrupte Politiker ebenso zählen konnte wie auf eine deutschfeindliche Öffentlichkeit. In der darauffolgenden jahrelangen Schlammschlacht agierte auch die WAZ undurchsichtig. So hatte ein serbischer Strohmann für den Konzern Zeitungsanteile erworben und die Herausgabe verweigert.

Am Ende richtete der Wirtschaftsminister den Deutschen aus, sie seien in Serbien nicht willkommen. Dies erzählte er – quasi ein später Erfolg des Mantelkonzepts – ausgerechnet einem WAZ-Blatt. Darauf kündigte Hombach den Rückzug an. Laut Spiegel hat man ihn „auf eine Weise an der Nase herumgeführt, die romanfüllend ist“.

Seitdem findet sich Serbien ganz oben auf Hombachs Liste, wenn es um mangelnde Pressefreiheit geht. Dicht gefolgt von Rumänien.

Steier im Südosten: die Zukunft der
Auslandsbeteiligungen der Styria-Gruppe

:: Bei all den Rückzügen aus Osteuropa stellt sich natürlich die Frage, wie es um die Beteiligungen der Styria-Gruppe steht. Der Grazer Konzern, der hierzulande etwa Presse und Kleine Zeitung herausgibt, besitzt Printmedien in Montenegro, Slowenien und vor allem Kroatien. Demgemäß unterstellten Beobachter gleich nach Bodo Hombachs Rückzugserklärung aus Serbien den Steirern Ambitionen. Doch auch die gehen inzwischen vorsichtig zu Werk. Im Standard-Interview sprachen die Geschäftsführer Wolfgang Bretschko und Klaus Schweighofer kürzlich über „Konsolidierungsphasen“ und „Strategiewechsel“. Auf Falter-Nachfrage präzisiert Finanzchef Peter Irlacher: „Mittel- und langfristig“ wollte man die Expansion in Südosteuropa schon fortsetzen, wenn auch „gebremst“. Zielländer sollen laut Irlacher hauptsächlich Serbien und Bosnien-Herzegowina sein.

Die Beteiligungen

Österreich
Styria: Presse, Kleine Zeitung, Wirtschaftsblatt, Furche, Regionalblätter, Wienerin, Miss, SportWoche etc.
WAZ: Krone (50 %), Kurier (49 %), gemeinsame Tochter Mediaprint, via Kurier Beteiligung an Verlagsgruppe News mit u.a. News, Profil, Format, TV-Media, Trend

Ungarn
WAZ: fünf regionale Tageszeitungen, ein Nachrichtenmagazin, Internetportale, Druckereien
VERKAUF NICHT AUSGESCHLOSSEN

Slowenien
Styria: größte Tageszeitung, weitere Tageszeitung, Wochenzeitungen

Kroatien
Styria: größte Tageszeitung, größte Boulevard-Tageszeitung, Wirtschaftszeitung, Internetportale
WAZ: 49 % an zweitgrößter Tageszeitung, Sport- und Wirtschaftstageszeitung, 18 Zeitschriften

Serbien
WAZ: 50 % an Tageszeitung, Sportzeitungen
VERKAUF GEPLANT

Montenegro
Styria: 25 % an Tageszeitung

Mazedonien
WAZ: Verlage, größte Tageszeitung, weitere Zeitungen

Rumänien
WAZ: Anteile an Zeitung Romania Libera
VERKAUFT

Bulgarien
WAZ: größte und zweitgrößte Tageszeitung, Magazine, sieben Zeitschriften, Druckhäuser, Verlage
VERKAUFT

Erschienen im Falter 4/2011

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Eingeordnet unter Medien, Osteuropa