26. Januar 2011 · 10:49
Osteuropas goldene Zeit ist vorbei. Jetzt ziehen sich westliche Konzerne zurück – allen voran die Mediengruppe WAZ
Bericht: Joseph Gepp
Katastrophal sei die Situation der Medien in Südosteuropa. Vergiftet von den engen Verflechtungen zwischen nationalen Oligarchen und politischer Macht. Ein Zukunftsmarkt sei der Osten deshalb längst nicht mehr. Davor verschließe Westeuropa die Augen, „ich finde diesen Zustand deprimierend“.
Kein kritischer Querdenker und keine zivilgesellschaftliche Organisation fand solche Worte. Sondern einer, dessen Berufsstand sonst eher Zurückhaltung gebietet. Bodo Hombach, 58, deutscher Spitzenmanager, steht der Mediengruppe WAZ (Westdeutsche Allgemeine Zeitung) in Essen vor. Seit dem Sommer lässt er immer wieder mit Kritik an Osteuropa aufhorchen. Hombach spricht von Verkaufsabsichten seiner Firma. Die Worte könnten einen Umbruch im Osten bedeuten. Eins sagen sie aber auf jeden Fall: Der Goldrausch ist vorbei.
Hombach weiß, wovon er spricht. Vor seinem Antritt bei der WAZ diente der frühere SPD-Politiker als EU-Balkankoordinator. Mit diesem Vorwissen ausgestattet, trieb er bei seinem neuen Arbeitgeber ab 2002 eine Expansion fort, die selbst in Zeiten der Hochkonjunktur ihresgleichen suchte. Als eines der ersten Medienhäuser hatte die WAZ schon Anfang der 90er am Balkan investiert. In 15 Jahren war sie auf diese Weise von einem Betrieb, der deutsche Regionalblätter wie die Westfalenpost und Thüringer Allgemeine herausgibt, zu einem der wichtigsten europäischen Medienkonzerne aufgestiegen. Sie kaufte Printprodukte in Ungarn, Bulgarien, Kroatien, Serbien, Mazedonien, Montenegro, Albanien und Russland – neben Österreich, wo die Deutschen seit 1988 je die Hälfte an Krone und Kurier besitzen. In Bulgarien etwa kontrollierte die WAZ bis zu 85 Prozent des Printmedienmarktes. Dagegen wirkt selbst Österreichs vielkritisierte Konzentration pluralistisch. Die WAZ machte im Osten reiche Ernte, weil sie im richtigen Moment die Zeichen der Zeit erkannt hatte.
Erkennt sie sie jetzt wieder?
Unbeachtet von der breiten Öffentlichkeit spielt sich derzeit auf europäischen Medienmärkten eine Umwälzung mit ungewissem Ausgang ab. Denn auf Hombachs harsche Osteuropa-Kritik vom Sommer folgen prompt Taten. Sukzessive stößt die WAZ Anteile ab. Das Imperium in Bulgarien wurde im Dezember 2010 ebenso zur Gänze verkauft wie ein kleineres in Rumänien. In Serbien trägt man sich mit Verkaufsabsichten, über Ungarn wird spekuliert. Noch ist nicht klar, wer am Ende profitieren wird, ob sich die Rochaden als förderlich oder hinderlich für die Demokratisierung erweisen werden. In Bulgarien etwa übernahm eine Investorengruppe um Kaiserenkel Karl Habsburg-Lothringen die Anteile, deren Zukunft bislang kaum einzuschätzen sind. In Serbien könnten, wie in Rumänien, lokale Geschäftsleute mit teils undurchschaubaren Absichten nachfolgen. Für andere Beteiligungen interessieren sich Westfirmen wie der deutsche Springer-Konzern oder Ringier aus Zürich, der den Schweizer Blick verlegt.

„Ich finde diesen Zustand deprimierend“: Bodo Hombach kündigt dem Osten die Freundschaft auf (Bild: Horizont)
Doch die große Zeit des Westens im Osten scheint nicht nur für die WAZ vorbei.
Hinter der politischen Situation, die Hombach beklagt, steht eine Wirtschaftslage, deren Krise – im Gegensatz etwa zu Österreich – seit 2008 unverändert fortdauert. Springer und Ringier kämpfen ihrerseits bei Ostbeteiligungen mit großen Verlusten. Werbeerträge sacken in ganz Osteuropa ab. Die Zahl der Inserate in rumänischen Tageszeitungen etwa sank allein 2009 um 70 Prozent, in kroatischen um 45. Die im Osten getätigten Auslandsinvestitionen hätten sich 2010 das zweite Jahr in Folge halbiert, erklärt Gábor Hunya vom Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche. Immobilien, Banken, Medien – der Boom ist vorbei.
Dazu kommt ein allgemeines Desinteresse vonseiten der internationalen Politik und Öffentlichkeit. Die USA kämpfen mit eigenen Schulden, die EU bangt um ihre Gemeinschaftswährung. Die Erweiterungen sind darüber ebenso ins Stocken geraten, wie Beitrittsperspektiven für Kandidaten an Reiz verloren haben. Sind das nur temporäre Krisenphänomene? Oder rutscht Osteuropa, wie Bodo Hombach meint, dauerhaft in Korruption, Cliquenwirtschaft und Pressegängelung ab?
Manches deutet darauf hin. Das neue Mediengesetz in Ungarn beispielsweise ist nur der derzeitige Höhepunkt einer gesellschaftlichen Radikalisierung, die sich seit 2006 bemerkbar macht. Auch der jährliche Index der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen verheißt nichts Gutes: In den Rankings sind in fünf Jahren neue EU-Länder wie Rumänien und Bulgarien, aber auch Beitrittskandidat Kroatien hinter Länder wie Ghana, Namibia oder die Kapverden gerutscht.
Oliver Vujovic von SEEMO, der in Wien ansässigen „South East Europe Media Organisation“, sieht dafür zwei Gründe. Erstens fehle den EU-Staaten der Reformantrieb der Beitrittszeit – in Rumänien, Bulgarien und Ungarn würden Seilschaften aus Wendegewinnlern neu erstarken. Zweitens würden unabhängig davon Medien am radikal verkleinerten Werbekuchen leiden, sagt Vujovic. „Wenn am Balkan ein Journalist Material über einen Geschäftsmann zugespielt bekommt, dann muss er – viel mehr als vor ein paar Jahren – erst rechnen: Kann sich mein Medium eine Veröffentlichung leisten? Oder werden ihm die wegfallenden Inserate den Hals brechen?“ Vor allem wirtschaftlich gesehen seien Medien weniger frei als früher, ergänzt Branimir Zekic, Journalist aus Zagreb: „Viele kroatische Zeitungen, die nach dem Krieg Demokratisierung bewirkt haben, sind zu Sprachrohren ihrer Inserenten verkommen.“
Im konkreten Fall WAZ bezweifeln Beobachter aber, dass es dem Konzern allein um die hehre Pressefreiheit geht. „In Singapur zum Beispiel boomt der Markt, aber die Presse ist absolut unfrei“, sagt ein Insider, „das schaue ich mir an, dass eine WAZ dort nicht gern investieren würde.“ Vielmehr seien die desaströsen Wirtschaftszahlen Hauptgrund für den Rückzug. Und wenn Bobo Hombach politische und gesellschaftliche Gründe vorschiebe, liege dies wohl weniger am wirklichen Stand der Pressefreiheit in den Oststaaten – als an den konkreten Erfahrungen, die die WAZ mit manchen ihrer Beteiligungen machte.
Um diese Erfahrungen zu verstehen, muss man das wichtigste strategische Instrument des Konzerns kennen: das sogenannte „Mantelkonzept“. Zum Einsatz kommt es, seit sich die WAZ nach dem Jahr 1948 mit dem Sanktus der Besatzungsmächte Zeitungen im Ruhrgebiet einzuverleiben begann. Das Mantelkonzept besagt: Autonomie einzelner Redaktionen bei größtmöglichen Synergien in den Bereichen Druck, Vertrieb, Verwaltung und Anzeigen.
Das heißt, dass eine WAZ-Zeitung kein WAZ-Weltbild transportieren muss. Dies ist nicht selbstverständlich, wie etwa ein Blick auf Rupert Murdochs Medienimperium zeigt, das aus allen Rohren seine konservative Ideologie trompetet. Bei der WAZ hingegen arbeiten Redaktionen autonom. Ideologisch können die Blätter verschieden sein, solange für den Mutterkonzern die Kasse stimmt. Und dafür sorgt weniger die schreibende Zunft selbst als vielmehr eine maximale Straffung und Zentralisierung.
Das Mantelkonzept bringt der WAZ große Wettbewerbsvorteile – und vermeidet gleichzeitig inhaltliche Gleichschaltung. Es entwaffnet vordergründig Kritiker, für die Medienmonopole die Meinungsvielfalt gefährden. Unter dem Dach der WAZ existiert sie ja. Dass die Wirklichkeit jedoch nicht so einfach ist, zeigt ein Beispiel aus Österreich: Seit 1988 bündelt die WAZ in der Mediaprint die Wirtschaftstätigkeiten von Kurier und Krone. Weltanschaulich verschieden sind die Blätter zwar trotzdem – andere Zeitungen haben es aber bedeutend schwerer, neben ihnen zu bestehen.
Kurz darauf wurde das Mantelkonzept in den Osten transferiert. Dort bescherte es der WAZ vorerst Erfolge. Oliver Vujovics Organisation SEEMO etwa bescheinigt gerade Bulgarien mit seinem WAZ-Monopol Meinungsvielfalt und journalistische Qualität. Ein ähnlich positives Resultat ergab 2006 eine OSZE-Untersuchung von Mazedonien, wo der Konzern die drei größten Tageszeitungen kontrolliert.
Einen Aspekt jedoch hat Hombach übersehen, als er dem Osten das Mantelkonzept brachte: Damit es funktioniert, braucht es tiefe Eingriffe. Man muss Abteilungen auflösen, Druckereien zusammenlegen, Verwaltungsebenen streichen. Und das betrifft die Einflusssphären lokaler Partner.
Zum ersten Streit zwischen der WAZ und Miteigentümern kam es 2004 in Rumänien, als der Konzern einen Geschäftsführer abberief. Wahrhaft unappetitlich wurde es aber erst in Serbien. Hier hatten die Deutschen 2001 die Hälfte der Tageszeitung Politika erworben. Nun sahen sie sich einer feindlichen Clique gegenüber, die auf korrupte Politiker ebenso zählen konnte wie auf eine deutschfeindliche Öffentlichkeit. In der darauffolgenden jahrelangen Schlammschlacht agierte auch die WAZ undurchsichtig. So hatte ein serbischer Strohmann für den Konzern Zeitungsanteile erworben und die Herausgabe verweigert.
Am Ende richtete der Wirtschaftsminister den Deutschen aus, sie seien in Serbien nicht willkommen. Dies erzählte er – quasi ein später Erfolg des Mantelkonzepts – ausgerechnet einem WAZ-Blatt. Darauf kündigte Hombach den Rückzug an. Laut Spiegel hat man ihn „auf eine Weise an der Nase herumgeführt, die romanfüllend ist“.
Seitdem findet sich Serbien ganz oben auf Hombachs Liste, wenn es um mangelnde Pressefreiheit geht. Dicht gefolgt von Rumänien.
Steier im Südosten: die Zukunft der
Auslandsbeteiligungen der Styria-Gruppe
:: Bei all den Rückzügen aus Osteuropa stellt sich natürlich die Frage, wie es um die Beteiligungen der Styria-Gruppe steht. Der Grazer Konzern, der hierzulande etwa Presse und Kleine Zeitung herausgibt, besitzt Printmedien in Montenegro, Slowenien und vor allem Kroatien. Demgemäß unterstellten Beobachter gleich nach Bodo Hombachs Rückzugserklärung aus Serbien den Steirern Ambitionen. Doch auch die gehen inzwischen vorsichtig zu Werk. Im Standard-Interview sprachen die Geschäftsführer Wolfgang Bretschko und Klaus Schweighofer kürzlich über „Konsolidierungsphasen“ und „Strategiewechsel“. Auf Falter-Nachfrage präzisiert Finanzchef Peter Irlacher: „Mittel- und langfristig“ wollte man die Expansion in Südosteuropa schon fortsetzen, wenn auch „gebremst“. Zielländer sollen laut Irlacher hauptsächlich Serbien und Bosnien-Herzegowina sein.
Die Beteiligungen
Österreich
Styria: Presse, Kleine Zeitung, Wirtschaftsblatt, Furche, Regionalblätter, Wienerin, Miss, SportWoche etc.
WAZ: Krone (50 %), Kurier (49 %), gemeinsame Tochter Mediaprint, via Kurier Beteiligung an Verlagsgruppe News mit u.a. News, Profil, Format, TV-Media, Trend
Ungarn
WAZ: fünf regionale Tageszeitungen, ein Nachrichtenmagazin, Internetportale, Druckereien
VERKAUF NICHT AUSGESCHLOSSEN
Slowenien
Styria: größte Tageszeitung, weitere Tageszeitung, Wochenzeitungen
Kroatien
Styria: größte Tageszeitung, größte Boulevard-Tageszeitung, Wirtschaftszeitung, Internetportale
WAZ: 49 % an zweitgrößter Tageszeitung, Sport- und Wirtschaftstageszeitung, 18 Zeitschriften
Serbien
WAZ: 50 % an Tageszeitung, Sportzeitungen
VERKAUF GEPLANT
Montenegro
Styria: 25 % an Tageszeitung
Mazedonien
WAZ: Verlage, größte Tageszeitung, weitere Zeitungen
Rumänien
WAZ: Anteile an Zeitung Romania Libera
VERKAUFT
Bulgarien
WAZ: größte und zweitgrößte Tageszeitung, Magazine, sieben Zeitschriften, Druckhäuser, Verlage
VERKAUFT
Erschienen im Falter 4/2011
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