Aus dem profil 31/2019 vom 28.07.2019
Kaum jemand kennt die Bundesfinanzierungsagentur OeBFA. Dabei fließen über ihre Bankkonten Milliarden Euro. Ihr Schuldenstand liegt bei fast einer Viertelbillion. Die Laufzeit für neue Staatsanleihen beträgt auch schon mal 100 Jahre. Ein Besuch im finanziellen Maschinenraum der Republik Österreich.
Von Joseph Gepp und Christina Hiptmayr
Seilerstätte 24 im 1. Wiener Gemeindebezirk. In dem Eckhaus, dessen Portal im Jahr 1908 von Josef Hoffmann im Stil der Wiener Werkstätte gestaltet wurde, residiert der Herrenausstatter Fürst. Die Auslagen werden von vergoldeten Zierleisten gesäumt, auf der Dachkuppel thront eine Weltkugel. Über einem Nebeneingang ist etwas verschämt „bundesschatz.at“ zu lesen. Doch die Aufschrift ist irreführend. Zwar werden an diesem Ort fast täglich Milliarden von Euro bewegt, Schätze sind hier jedoch keine zu finden -d afür jede Menge Schulden. Willkommen in der OeBFA, der österreichischen Bundesfinanzierungsagentur! Hier schlägt das finanzielle Herz der Republik. Die OeBFA ist eine Gesellschaft, die im Eigentum des Finanzministeriums steht. Sie verwaltet die Schulden des Bundes und sorgt für die Finanzierung der Republik, Tag für Tag. Sämtliche Staatseinnahmen laufen hier zusammen, und immer dann, wenn sich die Republik Geld ausleiht, kommt die OeBFA ins Spiel. So wie vor einigen Wochen, als Österreich in der internationalen Finanzwelt für Furore sorgte. „Welche neue Verrücktheit ist das denn?“, kommentierte die sonst eher nüchterne US-Nachrichtenagentur Bloomberg Österreichs finanziellen Vorstoß. Die OeBFA hatte gerade eine Staatsanleihe aufgestockt, die eine ausgesprochen lange Laufzeit hat – bis ins ferne Jahr 2117.1,25 Milliarden Euro sammelte die Republik auf derart unkonventionellem Weg ein. Kein anderes Euroland bietet bislang 100-jährige Anleihen an. Österreich ist Vorreiter bei extrem lang laufenden Anleihen. Die Zinsen? Für gewöhnlich wären sie traumhaft hoch; immerhin kann in 100 Jahren vieles geschehen. Doch diesmal fallen sie aufgrund der weltweiten Niedrigzinsen minimal aus. Lediglich 1,17 Prozent jährlich muss die Republik auf ihr Jahrhundertpapier bezahlen. Spielen denn die Anleger mit, Geld für mickrige Zinsen auf derart lange Zeit zu verleihen? Durchaus -die Anleihe war vierfach überzeichnet, was bedeutet, dass vier Mal so viele Angebote eintrudelten, als Anleihen zu vergeben waren.
Konzipiert werden derlei Finanzinstrumente im ersten Stock des Wiener Altbaus. Das Innere macht nicht viel her: eine schmale Empfangstheke, ein Tischchen mit Broschüren. Man wähnt sich eher im Wartezimmer einer Notariatskanzlei oder einer Arztpraxis als im finanziellen Maschinenraum des Landes – wäre da nicht beispielsweise das Notstromaggregat, an dem der Computer von Markus Stix hängt, seit dem Jahr 2015 einer der beiden Geschäftsführer der OeBFA. „Damit wir abgesichert sind, falls in einem kritischen Moment ein Stromausfall passiert“, sagt er. Stix, 44, trägt Brille und schwarzen Anzug, die dazugehörigen Manschettenknöpfe glänzen standesgemäß in Rot-Weiß-Rot. „Wir arbeiten hier täglich daran, für die österreichischen Steuerzahler das Optimum herauszuholen“, sagt er.Was bei anderen wie ein salbungsvoller Stehsatz klingen würde, kauft man Stix durchaus ab. Er ist weder der Typ slicker Banker im Nadelstreif noch der wortkarg-trockene Buchhalter. Der Mann scheint seinen Job tatsächlich zu mögen.
Immerhin macht er ihn auch schon seit einem guten Vierteljahrhundert. Im Dezember 1993 trat Stix nach nur zwei Monaten Jus-Studium in die OeBFA ein. Das Unternehmen mit heute 35 Mitarbeitern war damals quasi noch in der Start-up-Phase. Erst im Jänner zuvor war die Gesellschaft unter SPÖ-Finanzminister Ferdinand Lacina ausgegliedert worden. Bis dahin war das Schuldenmanagement der Republik durch eine Abteilung der Sektion V im Finanzministerium wahrgenommen worden. Doch die eher trägen Entscheidungsprozesse und strengen Hierarchien im Ministerium konnten mit der Schnelllebigkeit der Finanzmärkte nicht mehr Schritt halten. „Früher teilte man einander per Brief und Fax die Konditionen mit -heute wäre das undenkbar“, sagt Stix. Nach Irland war Österreich eines der ersten Länder, in denen die Schuldenagenturen als eigene Einheiten organisiert wurden. Große Staaten wie Großbritannien und Deutschland folgten deutlich später. Heute ist es international fast überall Standard.
Per 30. Juni 2019 hatte der Bund 204.036.000.000 Euro Schulden -also mehr als 204 Milliarden. Und diese Schulden zu verwalten, ist die Hauptaufgabe der OeBFA: das Anpumpen der Geld-und Kapitalmärkte in großem Stil sozusagen. Zum überwiegenden Teil holt sich Österreich das Geld über Bundesanleihen von seinen Gläubigern. Das wird in den meisten Fällen per Auktion geregelt. Es ist der monatliche Test, ob jemand für die Republik anschreiben will.
Auf Stix‘ Schreibtisch liegen das „Handelsblatt“ und die „Financial Times“; auf den beiden Computermonitoren laufen Charts der Finanzdatenanbieter Bloomberg und Reuters. Über diese Informationsquellen und das „Austrian Direct Auction System“ (ADAS) werden dem gesamten Finanzmarkt sowie den sogenannten Primärhändlern eine Woche für Auktionsbeginn Parameter wie Laufzeit, und geplantes Gesamtvolumen einer Anleihe bekannt gegeben. Diese Primärhändler -21 österreichische und internationale Banken – sind vertraglich verpflichtet, Gebote abzugeben. Am Auktionstag selbst haben sie ab zehn Uhr eine Stunde Zeit, bekannt zu geben, zu welchem Kurs sie das Papier kaufen wollen. Das erfolgt völlig elektronisch über das von der Oesterreichischen Kontrollbank (OeKB) entwickelte ADAS-System. Unmittelbar nach Ende der Auktion werden die Gebote nach der Höhe der angegebenen Kurse gereiht, beginnend mit dem höchsten. Innerhalb weniger Minuten erfahren die Banken schließlich, wie viel sie zugeteilt bekommen haben. Danach wird eine Sammelurkunde erstellt , die von den Geschäftsführern der OeBFA namens der Republik unterzeichnet und von der Präsidentin des Rechnungshofs gegengezeichnet wird. Früher waren derartige Urkunden kunstvoll ausgefertigt. Im Büro sind ein paar Exemplare an der Wand zu bewundern. So wie die Kaiserin-Elisabeth-Bahn-Staatsschuldverschreibung aus dem Jahr 1887. Auf ein Investment von 100 österreichischen Goldgulden verspricht die „Staatsschulden-Controllcommission des Reichsrathes“ vier Prozent Zinsen, „rückzahlbar binnen längstens 80 Jahren“. Heute funktioniert das System kaum anders. Die Urkunden aber sehen weit nüchterner aus. Ist die Anleihe einmal begeben, wandert das dazugehörige Schriftstück in einen Tresor der Kontrollbank-Tochter OeKB CSD, nur einige hundert Meter Luftlinie von der OeBFA entfernt. Zwei Tage später -nicht früher und nicht später -muss das Geld der Gläubiger auf dem Konto des Bundes bei der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) eintreffen. Zuletzt geschehen: Ende Juni, bei der Aufstockung der 100-jährigen Anleihe.
„Wir gehen ganz bewusst in den ultralangen Bereich“, sagt Stix. Österreich rechne sich hier gute Chancen aus. Immerhin gilt das Land als einer der Top-Schuldner der Welt. Vertrauenswürdigkeit: nahezu beispiellos. Da bietet es sich an, Anleihen mit sehr langen Laufzeiten aufzulegen. Der Vorteil aus Sicht Österreichs: Der Staat kann sich das Geld für lange Zeit ausleihen – ohne Risiko, dass sich an vereinbarten Zinsen etwas ändert. Die derzeit niedrigen Zinsen seien, wie Stix es ausdrückt, „eingelocked“. Zusätzlich wird das „Refinanzierungsrisko“ stark reduziert. Kürzer laufende Anleihen hingegen müssen erneuert werden, die Zinsen werden dann neu festgelegt -und fallen eventuell höher aus. Ein gutes Geschäft also. Es erfordert allerdings gründliche Vorbereitung. Zunächst muss sich die OeBFA bei der heimischen Politik den Sanktus holen: Jedes Jahr im Oktober präsentieren die OeBFA-Geschäftsführer dem Finanzminister ihren Vorschlag für die Finanzierungsstrategie des Bundes. Sie umfasst auch die Planung für Staatsanleihen-Begebungen. Die wesentlichen Elemente daraus werden Anfang Dezember den Marktteilnehmern bekannt gegeben. Im Vorfeld der Begebung der 100-jährigen Anleihe war es überdies wichtig auszuloten, ob international überhaupt Nachfrage nach einem solchen Wertpapier besteht. Stix und seine Mitarbeiter reisten deshalb zu potenziellen Investoren. Sie trafen Chefs von Pensionsfonds in Holland, Portfolio-Manager von Versicherungskonzernen in Japan, Vertreter von Großbanken in den USA. „Bei einer zehnjährigen Anleihe ist klar, dass es einen großen Pool interessierter Anleger gibt, da es sich hier um eine Standard-Laufzeit handelt“, sagt Stix: „Bei einer 100-jährigen ist der Interessentenkreis überschaubarer.“ Es ist eine spezielle Situation, in der sich Markus Stix und seine internationalen Partner seit rund einem Jahrzehnt befinden. Sie resultiert aus der weltweiten Finanz-und Wirtschaftskrise 2008. In deren Gefolge senkten Zentralbanken, etwa die Federal Reserve (Fed) in den USA und die Europäische Zentralbank (EZB) in Frankfurt, die Leitzinsen drastisch. Die Hoffnung: Unternehmen und Konsumenten würden infolge sinkender Zinsen mehr Kredite aufnehmen und somit mehr investieren beziehungsweise konsumieren – wodurch die Wirtschaft wachse. Doch die niedrigen Zinsen haben einen Nebeneffekt: All jenen, die Geld gespart und veranlagt haben, schmelzen die Erträge weg. Genau darin liegt das Erfolgsgeheimnis von Österreichs 100-jähriger Anleihe. Die Anleger müssen auf Finanzprodukte umschichten, die noch Erträge abwerfen. Wer Geld auf 100 Jahre verleiht, geht ein gewisses Risiko ein – das sich folglich in höheren Zinsen niederschlägt. Zum Vergleich: Während man auf die 100-jährige Anleihe immerhin 1,17 Prozent bekommt, betragen die Zinsen bei einer fünfjährigen österreichischen Staatsanleihe minus 0,435 Prozent.
Das bedeutet: Die Anleger zahlen sogar dafür, dass sie der Republik Österreich Geld borgen. Wer macht denn so etwas? Es sind vor allem große institutionelle Investoren wie Versicherungen, Pensionskassen und Zentralbanken. Ihre Motive: Mithilfe derartiger Käufe können sie sich vor einem weiteren Sinken des Zinsniveaus absichern – nach der Devise: Lieber heute ein bisschen draufzahlen als morgen noch mehr. Mitunter haben die Investoren aber auch gar keine andere Wahl, als solche Verlustgeschäfte einzugehen. Fonds, die im Auftrag ihrer Kunden Anlagen tätigen, verpflichten sich mitunter, einen Teil der Gelder in krisenfeste Staatsanleihen zu parken -etwa österreichische. Geld in Cash zu horten, ist auch keine Alternative. „Dafür gibt es weder genug Bargeld noch genug gesicherte Aufbewahrungsmöglichkeiten“, sagt Stix. Das Fazit: Schuldner -vor allem verlässliche wie die Republik Österreich -haben gerade eine recht gute Zeit. Und: Die Geldwelt ist definitiv ein wenig verrückt geworden.
Trotzdem muss jedes geliehene Geld irgendwann zurückbezahlt werden. „Wir haben täglich Finanzschuld-Fälligkeiten zu bedienen“, sagt Stix. In regelmäßigen Abständen sind es auch richtig große. Am 18. Oktober etwa reift eine sieben Milliarden Euro schwere Anleihe ab. Im Vorfeld muss die entsprechende Liquidität aufgebaut werden -das heißt, es ist dafür zu sorgen, dass das Geld auch vorhanden ist. Dafür braucht es echte Spezialisten. Drei Mitarbeiter sind im Liquiditätsmanagement der OeBFA beschäftigt. Erst kürzlich ging einer, der diesen Job 40 Jahre lang ausgeübt hat, in Pension. „Wir haben schon vor zwei Jahren damit begonnen, einen Nachfolger aufzubauen“, erzählt Stix. Dieser kümmert sich nun mit seinen Kollegen darum, dass das Geld garantiert da ist, wenn die Anleihe fällig wird – ob es aus laufenden Staatseinnahmen kommt oder aus neuen Krediten. Am Tag der Fälligkeit werden um Punkt sieben Uhr die sieben Milliarden Euro vom Konto der OeNB zur Kontrollbank transferiert. Diese wickelt im Auftrag des Bundes als Zahlstelle für Bundesanleihen die Rückzahlung ab. Ab elf Uhr verteilt die Kontrollbank das Geld an die Depotbanken, die es wiederum an die Anleger weiterleiten. Dieser Ablauf ist strikt einzuhalten, denn das Konto bei der OeNB darf nie überzogen werden. „Das wäre ein technical default“, erklärt Stix. Also ein Zahlungsausfall, der Verwerfungen an den Finanzmärkten nach sich ziehen könnte. Die Investoren bekämen dann „Überweisung mangels Deckung nicht möglich“ zu lesen. Es ist also unerlässlich, dass alle Systeme an solchen Tagen reibungslos arbeiten. Deshalb sind sie gleich mehrfach abgesichert. „Sollten die Daten verloren gehen, gibt es noch zwei Backup-Systeme an unterschiedlichen Orten in Österreich“, sagt Stix.
Wo genau? Das werde nicht verraten, meint der OeBFA-Geschäftsführer und lächelt verschmitzt.
Der Mann mag seinen Job wirklich.