Archiv der Kategorie: Behörden

Wo das Geld wohnt

Aus dem profil 31/2019 vom 28.07.2019

Kaum jemand kennt die Bundesfinanzierungsagentur OeBFA. Dabei fließen über ihre Bankkonten Milliarden Euro. Ihr Schuldenstand liegt bei fast einer Viertelbillion. Die Laufzeit für neue Staatsanleihen beträgt auch schon mal 100 Jahre. Ein Besuch im finanziellen Maschinenraum der Republik Österreich.

Von Joseph Gepp und Christina Hiptmayr

Seilerstätte 24 im 1. Wiener Gemeindebezirk. In dem Eckhaus, dessen Portal im Jahr 1908 von Josef Hoffmann im Stil der Wiener Werkstätte gestaltet wurde, residiert der Herrenausstatter Fürst. Die Auslagen werden von vergoldeten Zierleisten gesäumt, auf der Dachkuppel thront eine Weltkugel. Über einem Nebeneingang ist etwas verschämt „bundesschatz.at“ zu lesen. Doch die Aufschrift ist irreführend. Zwar werden an diesem Ort fast täglich Milliarden von Euro bewegt, Schätze sind hier jedoch keine zu finden -d afür jede Menge Schulden. Willkommen in der OeBFA, der österreichischen Bundesfinanzierungsagentur! Hier schlägt das finanzielle Herz der Republik. Die OeBFA ist eine Gesellschaft, die im Eigentum des Finanzministeriums steht. Sie verwaltet die Schulden des Bundes und sorgt für die Finanzierung der Republik, Tag für Tag. Sämtliche Staatseinnahmen laufen hier zusammen, und immer dann, wenn sich die Republik Geld ausleiht, kommt die OeBFA ins Spiel. So wie vor einigen Wochen, als Österreich in der internationalen Finanzwelt für Furore sorgte. „Welche neue Verrücktheit ist das denn?“, kommentierte die sonst eher nüchterne US-Nachrichtenagentur Bloomberg Österreichs finanziellen Vorstoß. Die OeBFA hatte gerade eine Staatsanleihe aufgestockt, die eine ausgesprochen lange Laufzeit hat – bis ins ferne Jahr 2117.1,25 Milliarden Euro sammelte die Republik auf derart unkonventionellem Weg ein. Kein anderes Euroland bietet bislang 100-jährige Anleihen an. Österreich ist Vorreiter bei extrem lang laufenden Anleihen. Die Zinsen? Für gewöhnlich wären sie traumhaft hoch; immerhin kann in 100 Jahren vieles geschehen. Doch diesmal fallen sie aufgrund der weltweiten Niedrigzinsen minimal aus. Lediglich 1,17 Prozent jährlich muss die Republik auf ihr Jahrhundertpapier bezahlen. Spielen denn die Anleger mit, Geld für mickrige Zinsen auf derart lange Zeit zu verleihen? Durchaus -die Anleihe war vierfach überzeichnet, was bedeutet, dass vier Mal so viele Angebote eintrudelten, als Anleihen zu vergeben waren.

Konzipiert werden derlei Finanzinstrumente im ersten Stock des Wiener Altbaus. Das Innere macht nicht viel her: eine schmale Empfangstheke, ein Tischchen mit Broschüren. Man wähnt sich eher im Wartezimmer einer Notariatskanzlei oder einer Arztpraxis als im finanziellen Maschinenraum des Landes – wäre da nicht beispielsweise das Notstromaggregat, an dem der Computer von Markus Stix hängt, seit dem Jahr 2015 einer der beiden Geschäftsführer der OeBFA. „Damit wir abgesichert sind, falls in einem kritischen Moment ein Stromausfall passiert“, sagt er. Stix, 44, trägt Brille und schwarzen Anzug, die dazugehörigen Manschettenknöpfe glänzen standesgemäß in Rot-Weiß-Rot. „Wir arbeiten hier täglich daran, für die österreichischen Steuerzahler das Optimum herauszuholen“, sagt er.Was bei anderen wie ein salbungsvoller Stehsatz klingen würde, kauft man Stix durchaus ab. Er ist weder der Typ slicker Banker im Nadelstreif noch der wortkarg-trockene Buchhalter. Der Mann scheint seinen Job tatsächlich zu mögen.

OeBFA-Chef Markus Stix (Foto: OeBFA)

Immerhin macht er ihn auch schon seit einem guten Vierteljahrhundert. Im Dezember 1993 trat Stix nach nur zwei Monaten Jus-Studium in die OeBFA ein. Das Unternehmen mit heute 35 Mitarbeitern war damals quasi noch in der Start-up-Phase. Erst im Jänner zuvor war die Gesellschaft unter SPÖ-Finanzminister Ferdinand Lacina ausgegliedert worden. Bis dahin war das Schuldenmanagement der Republik durch eine Abteilung der Sektion V im Finanzministerium wahrgenommen worden. Doch die eher trägen Entscheidungsprozesse und strengen Hierarchien im Ministerium konnten mit der Schnelllebigkeit der Finanzmärkte nicht mehr Schritt halten. „Früher teilte man einander per Brief und Fax die Konditionen mit -heute wäre das undenkbar“, sagt Stix. Nach Irland war Österreich eines der ersten Länder, in denen die Schuldenagenturen als eigene Einheiten organisiert wurden. Große Staaten wie Großbritannien und Deutschland folgten deutlich später. Heute ist es international fast überall Standard.

Per 30. Juni 2019 hatte der Bund 204.036.000.000 Euro Schulden -also mehr als 204 Milliarden. Und diese Schulden zu verwalten, ist die Hauptaufgabe der OeBFA: das Anpumpen der Geld-und Kapitalmärkte in großem Stil sozusagen. Zum überwiegenden Teil holt sich Österreich das Geld über Bundesanleihen von seinen Gläubigern. Das wird in den meisten Fällen per Auktion geregelt. Es ist der monatliche Test, ob jemand für die Republik anschreiben will.

Auf Stix‘ Schreibtisch liegen das „Handelsblatt“ und die „Financial Times“; auf den beiden Computermonitoren laufen Charts der Finanzdatenanbieter Bloomberg und Reuters. Über diese Informationsquellen und das „Austrian Direct Auction System“ (ADAS) werden dem gesamten Finanzmarkt sowie den sogenannten Primärhändlern eine Woche für Auktionsbeginn Parameter wie Laufzeit, und geplantes Gesamtvolumen einer Anleihe bekannt gegeben. Diese Primärhändler -21 österreichische und internationale Banken – sind vertraglich verpflichtet, Gebote abzugeben. Am Auktionstag selbst haben sie ab zehn Uhr eine Stunde Zeit, bekannt zu geben, zu welchem Kurs sie das Papier kaufen wollen. Das erfolgt völlig elektronisch über das von der Oesterreichischen Kontrollbank (OeKB) entwickelte ADAS-System. Unmittelbar nach Ende der Auktion werden die Gebote nach der Höhe der angegebenen Kurse gereiht, beginnend mit dem höchsten. Innerhalb weniger Minuten erfahren die Banken schließlich, wie viel sie zugeteilt bekommen haben. Danach wird eine Sammelurkunde erstellt , die von den Geschäftsführern der OeBFA namens der Republik unterzeichnet und von der Präsidentin des Rechnungshofs gegengezeichnet wird. Früher waren derartige Urkunden kunstvoll ausgefertigt. Im Büro sind ein paar Exemplare an der Wand zu bewundern. So wie die Kaiserin-Elisabeth-Bahn-Staatsschuldverschreibung aus dem Jahr 1887. Auf ein Investment von 100 österreichischen Goldgulden verspricht die „Staatsschulden-Controllcommission des Reichsrathes“ vier Prozent Zinsen, „rückzahlbar binnen längstens 80 Jahren“. Heute funktioniert das System kaum anders. Die Urkunden aber sehen weit nüchterner aus. Ist die Anleihe einmal begeben, wandert das dazugehörige Schriftstück in einen Tresor der Kontrollbank-Tochter OeKB CSD, nur einige hundert Meter Luftlinie von der OeBFA entfernt. Zwei Tage später -nicht früher und nicht später -muss das Geld der Gläubiger auf dem Konto des Bundes bei der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) eintreffen. Zuletzt geschehen: Ende Juni, bei der Aufstockung der 100-jährigen Anleihe.

Das Logo der Agentur (Wikipedia)

„Wir gehen ganz bewusst in den ultralangen Bereich“, sagt Stix. Österreich rechne sich hier gute Chancen aus. Immerhin gilt das Land als einer der Top-Schuldner der Welt. Vertrauenswürdigkeit: nahezu beispiellos. Da bietet es sich an, Anleihen mit sehr langen Laufzeiten aufzulegen. Der Vorteil aus Sicht Österreichs: Der Staat kann sich das Geld für lange Zeit ausleihen – ohne Risiko, dass sich an vereinbarten Zinsen etwas ändert. Die derzeit niedrigen Zinsen seien, wie Stix es ausdrückt, „eingelocked“. Zusätzlich wird das „Refinanzierungsrisko“ stark reduziert. Kürzer laufende Anleihen hingegen müssen erneuert werden, die Zinsen werden dann neu festgelegt -und fallen eventuell höher aus. Ein gutes Geschäft also. Es erfordert allerdings gründliche Vorbereitung. Zunächst muss sich die OeBFA bei der heimischen Politik den Sanktus holen: Jedes Jahr im Oktober präsentieren die OeBFA-Geschäftsführer dem Finanzminister ihren Vorschlag für die Finanzierungsstrategie des Bundes. Sie umfasst auch die Planung für Staatsanleihen-Begebungen. Die wesentlichen Elemente daraus werden Anfang Dezember den Marktteilnehmern bekannt gegeben. Im Vorfeld der Begebung der 100-jährigen Anleihe war es überdies wichtig auszuloten, ob international überhaupt Nachfrage nach einem solchen Wertpapier besteht. Stix und seine Mitarbeiter reisten deshalb zu potenziellen Investoren. Sie trafen Chefs von Pensionsfonds in Holland, Portfolio-Manager von Versicherungskonzernen in Japan, Vertreter von Großbanken in den USA. „Bei einer zehnjährigen Anleihe ist klar, dass es einen großen Pool interessierter Anleger gibt, da es sich hier um eine Standard-Laufzeit handelt“, sagt Stix: „Bei einer 100-jährigen ist der Interessentenkreis überschaubarer.“ Es ist eine spezielle Situation, in der sich Markus Stix und seine internationalen Partner seit rund einem Jahrzehnt befinden. Sie resultiert aus der weltweiten Finanz-und Wirtschaftskrise 2008. In deren Gefolge senkten Zentralbanken, etwa die Federal Reserve (Fed) in den USA und die Europäische Zentralbank (EZB) in Frankfurt, die Leitzinsen drastisch. Die Hoffnung: Unternehmen und Konsumenten würden infolge sinkender Zinsen mehr Kredite aufnehmen und somit mehr investieren beziehungsweise konsumieren – wodurch die Wirtschaft wachse. Doch die niedrigen Zinsen haben einen Nebeneffekt: All jenen, die Geld gespart und veranlagt haben, schmelzen die Erträge weg. Genau darin liegt das Erfolgsgeheimnis von Österreichs 100-jähriger Anleihe. Die Anleger müssen auf Finanzprodukte umschichten, die noch Erträge abwerfen. Wer Geld auf 100 Jahre verleiht, geht ein gewisses Risiko ein – das sich folglich in höheren Zinsen niederschlägt. Zum Vergleich: Während man auf die 100-jährige Anleihe immerhin 1,17 Prozent bekommt, betragen die Zinsen bei einer fünfjährigen österreichischen Staatsanleihe minus 0,435 Prozent.

Das bedeutet: Die Anleger zahlen sogar dafür, dass sie der Republik Österreich Geld borgen. Wer macht denn so etwas? Es sind vor allem große institutionelle Investoren wie Versicherungen, Pensionskassen und Zentralbanken. Ihre Motive: Mithilfe derartiger Käufe können sie sich vor einem weiteren Sinken des Zinsniveaus absichern – nach der Devise: Lieber heute ein bisschen draufzahlen als morgen noch mehr. Mitunter haben die Investoren aber auch gar keine andere Wahl, als solche Verlustgeschäfte einzugehen. Fonds, die im Auftrag ihrer Kunden Anlagen tätigen, verpflichten sich mitunter, einen Teil der Gelder in krisenfeste Staatsanleihen zu parken -etwa österreichische. Geld in Cash zu horten, ist auch keine Alternative. „Dafür gibt es weder genug Bargeld noch genug gesicherte Aufbewahrungsmöglichkeiten“, sagt Stix. Das Fazit: Schuldner -vor allem verlässliche wie die Republik Österreich -haben gerade eine recht gute Zeit. Und: Die Geldwelt ist definitiv ein wenig verrückt geworden.

Trotzdem muss jedes geliehene Geld irgendwann zurückbezahlt werden. „Wir haben täglich Finanzschuld-Fälligkeiten zu bedienen“, sagt Stix. In regelmäßigen Abständen sind es auch richtig große. Am 18. Oktober etwa reift eine sieben Milliarden Euro schwere Anleihe ab. Im Vorfeld muss die entsprechende Liquidität aufgebaut werden -das heißt, es ist dafür zu sorgen, dass das Geld auch vorhanden ist. Dafür braucht es echte Spezialisten. Drei Mitarbeiter sind im Liquiditätsmanagement der OeBFA beschäftigt. Erst kürzlich ging einer, der diesen Job 40 Jahre lang ausgeübt hat, in Pension. „Wir haben schon vor zwei Jahren damit begonnen, einen Nachfolger aufzubauen“, erzählt Stix. Dieser kümmert sich nun mit seinen Kollegen darum, dass das Geld garantiert da ist, wenn die Anleihe fällig wird – ob es aus laufenden Staatseinnahmen kommt oder aus neuen Krediten. Am Tag der Fälligkeit werden um Punkt sieben Uhr die sieben Milliarden Euro vom Konto der OeNB zur Kontrollbank transferiert. Diese wickelt im Auftrag des Bundes als Zahlstelle für Bundesanleihen die Rückzahlung ab. Ab elf Uhr verteilt die Kontrollbank das Geld an die Depotbanken, die es wiederum an die Anleger weiterleiten. Dieser Ablauf ist strikt einzuhalten, denn das Konto bei der OeNB darf nie überzogen werden. „Das wäre ein technical default“, erklärt Stix. Also ein Zahlungsausfall, der Verwerfungen an den Finanzmärkten nach sich ziehen könnte. Die Investoren bekämen dann „Überweisung mangels Deckung nicht möglich“ zu lesen. Es ist also unerlässlich, dass alle Systeme an solchen Tagen reibungslos arbeiten. Deshalb sind sie gleich mehrfach abgesichert. „Sollten die Daten verloren gehen, gibt es noch zwei Backup-Systeme an unterschiedlichen Orten in Österreich“, sagt Stix.

Wo genau? Das werde nicht verraten, meint der OeBFA-Geschäftsführer und lächelt verschmitzt.

Der Mann mag seinen Job wirklich.

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Draht nach Wien

Aus dem profil 31/2019 vom 28.07.2019

Wie es den Chef der österreichischen Bundespensionskasse in eine Firma mit dem skandalumwitterten US-Milliardär Jeffrey Epstein verschlug.

Von Joseph Gepp

Sein Freundeskreis ist schillernd – er reicht vom US-Präsidenten Donald Trump über den britischen Prinzen Andrew bis zu Israels Ex-Premier Ehud Barak. Seine Verhaftung Anfang Juli wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger machte weltweit Schlagzeilen. Vergangene Woche wurde der US-Unternehmer Jeffrey Epstein, 66, verletzt in seiner New Yorker Gefängniszelle gefunden. Der Wall-Street-Milliardär ist tief gefallen. Nun ergibt sich in der Causa Epstein eine Verbindung nach Österreich. Wie das internationale Journalistenkollektiv ICIJ und die US-Zeitung „Miami Herald“ berichten, stand Epstein in den 2000er-Jahren diskreten Unternehmen in Steueroasen vor. Unter anderem fungierte er zwischen 2000 und 2007 als Vorstand einer Liquid Funding Ltd. auf den Bermudas. Dieses Unternehmen gehörte teilweise der US-Investmentbank Bear Stearns. Das Finanzinstitut musste später infolge der Finanzkrise 2008 an J.P. Morgan notverkauft werden. Zuvor hatte Epstein dort höchst erfolgreich als Börsen-Trader gearbeitet.

„Im Offshore-Konstrukt Liquid Funding Ltd. waren einige jener Finanzinstrumente geparkt, die später zu Synonymen für jene finanziellen Exzesse wurden, welche die Krise auslösten“, schreiben die Journalisten des ICIJ auf ihrer Website, „seien es Mortgage Backed Securities oder Collateralized Loan Obligations“.

Die Informationen zur Liquid Funding stammen aus den „Paradise Papers“, einem Datenleck aus dem Jahr 2017. Damals ermöglichten Akten der britischen Anwaltskanzlei Appleby einen tiefen Einblick in Offshore-Firmenkonstrukte. Laut Paradise Papers hatte Epsteins Liquid Funding zwölf Direktoren, also Aufsichtsräte. Einer davon: der Österreicher Marcus Klug, heute einer von zwei Vorständen der österreichischen Bundespensionskasse AG. Dabei handelt es sich um eine betriebliche Pensionskasse im Besitz der Republik, vertreten durch das Finanzministerium. Laut „Paradise Papers“ fungierte Klug zwischen 2001 und 2005 als Direktor der Liquid Funding auf den Bermudas.

Wie kam es dazu? Klug arbeitete zu dieser Zeit als Portfolio-Manager beim heimischen Versicherungskonzern Uniqa Group. „Bear Stearns hat dem Uniqa-Konzern damals ein Investment in Liquid Funding angeboten“, erklärt Klug in einer schriftlichen Stellungnahme an profil. Liquid Funding sei „ein Investmentvehikel ähnlich einem geschlossenen Fonds“ gewesen, spezialisiert auf „Asset Backed Securities“. Bear Stearns hatte die Liquid Fundings gegründet und anschließend Anteile an der Offshore-Firma an internationale Investoren verkauft -unter anderem an die Uniqa. „Alle Investoren haben Vertreter in das Direktorium entsandt, um Bear Stearns, die das Investmentvehikel verwaltet haben, zu überwachen“, so Klug.

Für die Uniqa kam Klug somit als Direktor in die Liquid Funding. Das Engagement endete 2005, als Klug bei der Uniqa ausschied – und damit auch seinen Direktorenposten bei der Liquid Funding zurücklegte. Drei Jahre danach wechselte er in die Bundespensionskasse.

„Sitzungen der Direktoren der Liquid Funding Ltd. gab es nicht“, schreibt Klug. Und: „Mit Herrn Epstein gab es keinen Kontakt.“

Nachträgliche Ergänzung: Epstein wurde am 10.8.2019 tot in seiner Zelle aufgefunden.

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Planlos

Aus dem profil 30/2019 vom 21.07.2019

Im UVP-Verfahren für die Dritte Piste des Flughafens Wien, einem der bisher aufwendigsten in Österreich, soll ein wichtiges Dokument niemals vorgelegt worden sein – obwohl es laut Gesetz erforderlich wäre.


Von Joseph Gepp

Am 18. März dieses Jahres fiel aus Sicht des Flughafens Wien-Schwechat eine erlösende Entscheidung. Der Verwaltungsgerichtshof beschloss, dass die Dritte Piste gebaut werden darf. Zwölf Jahre zuvor, im März 2007, hatte die Flughafen Wien AG erstmals den Antrag auf eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) für das Großprojekt gestellt. Es folgte ein jahrelanger Weg durch sämtliche Instanzen, ehe der letztgültige Sanktus erfolgte.

Kaum ein Bauvorhaben in Österreich ist derart umstritten, sei es aus Angst vor Fluglärm oder aus Sorge um das Klima. Nun wirft das soeben abgeschlossene UVP-Verfahren neue Fragen auf. Projektgegner orten eine gravierende Ungereimtheit: Ein wichtiges Dokument, das laut Gesetz in solchen Verfahren eingereicht werden muss, sei nämlich niemals bei den zuständigen Behörden angekommen, so die Kritiker.

Es geht konkret um den Paragrafen 69 des Luftfahrtgesetzes. Darin ist festgelegt, welche Unterlagen ein Projektwerber vorweisen muss, wenn er einen Flugplatz errichten möchte (oder eine Erweiterung vornehmen will). Unter anderem sei, so das Gesetz, „der Nachweis der für das Vorhaben erforderlichen Mittel“ zu erbringen -konkret in Form eines „Finanzierungsplans“.

„Wir haben im Verfahren mehrmals darauf hingewiesen, dass der gesetzlich verlangte Finanzierungsplan fehlt“, sagt Susanne Heger, Rechtsanwältin in Wien und Vertreterin der Gegner der Dritten Piste. „Einmal hieß es, wir seien mit dem Hinweis zu spät dran; das andere Mal, wir hätten kein Recht, auf das Fehlen des Plans hinzuweisen.“

Die Frage mag haarspalterisch erscheinen – immerhin kann sich die börsennotierte Flughafen Wien AG (Umsatz 2018: 800 Millionen Euro, ein Plus von 6,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr) mit größter Wahrscheinlichkeit die Errichtung der Piste leisten. Allerdings: Was sagt es über das gesamte Bewilligungsverfahren aus, immerhin eines der größten in Österreich, wenn wichtige Dokumente fehlen -und dies noch dazu folgenlos bleibt? Sollte nicht gerade ein Verfahren in einer derart umstrittenen Causa über alle Zweifel erhaben sein? Dies umso mehr, als sich der Flughafen Wien zum Teil im öffentlichen Besitz befindet: Je 20 Prozent gehören den Bundesländern Wien und Niederösterreich.

Das UVP-Verfahren begann im Jahr 2008. Die zuständige Behörde war zunächst die niederösterreichische Landesregierung. Im Jahr 2012 stellte sie einen UVP-Bescheid aus; daraufhin wanderte die Causa bis 2019 durch mehrere gerichtliche Instanzen.

Anfrage beim Amt der niederösterreichen Landesregierung: Stimmt es, dass kein Finanzierungsplan vorlag? „Die Behauptung ist unrichtig“, so das Land in einer Stellungnahme gegenüber profil. Der Finanzierungsplan sei regulär „im Jänner 2008 der UVP-Behörde vorgelegt worden“ und habe als ganz normale „Entscheidungsgrundlage“ im Verfahren gedient. Allerdings: „Nach Ansicht der NÖ Landesregierung ist der Finanzierungsplan von der Akteneinsicht ausgenommen, da es sich bei den in den Unterlagen enthaltenen Finanzdaten um Betriebsgeheimnisse handelt“.

In dieselbe Kerbe schlägt die Flughafen Wien AG. Die Behauptung vom fehlenden Plan sei „schlichtweg falsch“, so Sprecher Peter Kleemann. Er wurde nur „aufgrund der Finanzdaten von der zuständigen UVP-Behörde richtigerweise als Betriebsgeheimnis eingestuft“.

Dass eine Aktiengesellschaft sensible Finanzinformationen nicht öffentlich machen möchte, erscheint nachvollziehbar. Haben die Kritiker des Projekts schlicht etwas falsch verstanden? Wer Antworten möchte, muss wiederum ins Gesetz blicken. In Paragraf 17 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes ist grundsätzlich festgelegt, dass man derartige Pläne geheimhalten darf, wenn „eine Schädigung berechtigter Interessen einer Partei oder dritter Personen“ droht. Genauer präzisierte der Verwaltungsgerichtshof in einem Erkenntnis im Jahr 2010 die Vorgehensweise bei Geheimhaltungen: „Wird die Akteneinsicht verweigert, so ist ( ) nachvollziehbar darzulegen, welche Aktenteile davon betroffen sind und welche öffentlichen oder privaten Interessen dies im konkreten Fall rechtfertigen.“ Übersetzt in Alltagsprache: Wenn man etwas geheimhält, muss man über den Umfang des Geheimgehaltenen informieren und begründen, warum es sich um eine Verschlusssache handelt.

Im UVP-Bescheid der niederösterreichischen Landesregierung aus dem Jahr 2012, einem viele Hundert Seiten umfassenden Dokument, ist jedoch nirgendwo die Rede von einem Finanzierungsplan. Nur ein einziges Mal findet sich ein kurzer Verweis zur Finanzierung des Projekts: „Die erforderlichen finanziellen Mitteln ( ) sind nachweislich vorhanden“, heißt es lapidar. Kein Wort zur Geheimhaltung, zu ihrem Umfang, zu ihrer Begründung.

Später wiesen die Gegner der Dritten Piste in mehreren Eingaben an die Gerichte darauf hin, dass der Finanzierungsplan fehle. Doch die Gerichte widmeten sich -wenn überhaupt -nur am Rande der Frage des Finanzierungsplans. Im März 2018 etwa verkündete das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung, die Kritik am fehlenden Plan werde nicht behandelt, weil der Hinweis darauf „verspätet“ vorgebracht worden sei – weshalb, erschließt sich nicht ganz.

Gibt es ihn nun also oder gibt es ihn nicht, den ominösen Finanzierungsplan? Das lässt sich in letzter Konsequenz nicht beantworten. Kein Gericht und keine Behörde ist jemals auf seinen Inhalt eingegangen, hat etwas zu seinem Umfang verraten, die Geheimhaltung begründet oder Angaben zur Plausibilität des angeblich vorliegenden Plans gemacht -abgesehen von den vagen Ausführungen, dass die Gelder „nachweislich vorhanden“ seien. Für ein transparentes Verfahren spricht das definitiv nicht.

Bleibt zuletzt die Frage: Wie viel wird die Dritte Piste denn nun kosten? Grobe Schätzungen gehen von ungefähr drei Milliarden Euro aus. Flughafensprecher Kleemann gibt auf profil-Anfrage nur eine vage Antwort: „Die Flughafen Wien AG ist eine private, börsennotierte Aktiengesellschaft und kann daher eine Investition nur tätigen, wenn sie wirtschaftlich ist.“ Genauere Angaben macht Kleemann nicht – abgesehen von einer Festlegung: „Eine Kapitalerhöhung für die Dritte Piste ist nicht notwendig.“

Auch Flughafen-Vorstand Günther Ofner ist nicht auskunftsfreudiger. Im vergangenen März sagte er im „Kurier“: „Die Dritte Piste kostet auf jeden Fall sehr, sehr viel Geld.“

Vielleicht war das ja schon der Finanzierungsplan.

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Eingeordnet unter Bürgerbeteiligung, Behörden, Klimaschutz, Verkehr

Zielanflug

Aus dem profil 22/2019 vom 26.05.2019

Weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit läuft derzeit an der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt ein höchst brisantes Ermittlungsverfahren. Der Verdacht lautet auf verbotene Unterstützung von Parteien in bewaffneten Konflikten. Unter den Beschuldigten ist – neben einer Reihe von Personen, deren Namen der Öffentlichkeit nicht bekannt ist – niemand Geringerer als Erik Prince. Dieser US-Geschäftsmann und Ex-Elitesoldat gründete im Jahr 1997 das Söldnerunternehmen Blackwater, das unter anderem im Irakkrieg 2003 für Schlagzeilen sorgte. Prince, der inzwischen als Geschäftsführer eines chinesischen Logistikkonzerns fungiert, ist ein persönlicher Freund und Wahlkampfspender von US-Präsident Donald Trump. Schwester Betsy DeVos werkt als Trumps Bildungsministerin. Eine politisch spannende Ermittlung also. Angestoßen wurde sie im Jahr 2016 nach Berichten in US-Medien. Ihnen zufolge soll Prince in Zusammenarbeit mit der Wiener Neustädter Firma Airborne Technologies GmbH (Kerngeschäft: Ausstattung von Flugzeugen mit Spezialgerät wie Kameras und Sensoren) Agrarflugzeuge für militärische Einsätze umgerüstet haben. Der Hintergedanke der Aktion soll gewesen sein, mit den Billig-Kampffliegern lukrative Geschäfte zu machen, zum Beispiel mittels Verkauf an Warlords in Afrika. Zusatzaspekt: Zwischen 2013 und 2017 soll Erik Prince über eine Briefkastenfirma auf den Bahamas selbst 25 Prozent an Airborne Technologies gehalten haben. Alle Beteiligten dementieren die Vorwürfe entschieden. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Eine aktuelle Anfrage von Peter Pilz (Liste Jetzt) an ÖVP-Justizminister Josef Moser lässt nun Rückschlüsse darauf zu, wie weit die Ermittlungen gediehen sind. Laut der Beantwortung wurde zwischenzeitlich das Verfahren gegen drei Beschuldigte eingestellt; ein Beschuldigter kommt neu hinzu; bei fünf Personen dauert die Ermittlung weiter an. Heißt: Sechs Beschuldigte, einer davon Prince, stehen im Verdacht, an den kriminellen Geschäften beteiligt zu sein. „Weisungen oder Aufträge wurden nicht erteilt“, so Moser in der Anfragebeantwortung. Derartiges hatte der Oppositionelle Pilz angesichts der politischen Brisanz der Causa befürchtet.

Wann ist mit einem Abschluss der Ermittlungen zu rechnen? In der Beantwortung findet sich dazu nichts – dafür gibt Erich Habitzl, Sprecher der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt, gegenüber profil Auskunft. Habitzl rechnet in der zweiten Hälfte 2019 mit dem Abschluss. Vielleicht also wird man bald mehr erfahren über eine internationale Waffenhandels-Causa, die möglicherweise ein Stück weit in Österreich spielt.

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Eingeordnet unter Behörden, Unternehmen

Gefährliche Buntwäsche

Aus profil 11/2019 vom 10.3.2019

Die Affäre „Ukio-Leaks“, erster Teil: Der 2012 ermordete Wiener Anwalt Erich Rebasso wusch Geld für russische Klienten. Zwischen 2006 und 2008 schleuste er zumindest 100 Millionen US-Dollar dubiosen Ursprungs von einem Wiener Bankkonto zu neun Offshore-Firmen. Von da gelangte das Geld teilweise wieder in den österreichischen Wirtschaftskreislauf. Die Profiteure kauften Industrieprodukte, Goldmünzen und Porzellan, zahlten Flüge in Privatjets, Skikurse und medizinische Behandlungen.

Von Joseph Gepp, Christina Hiptmayr, Michael Nikbakhsh und Christoph Zotter

Das junge Wiener Bedarfsflugunternehmen hat in den ersten Jahren seines Bestehens eine ansehnliche Flughöhe erreicht. Man jettet Leute mit dem nötigen Kleingeld überall dorthin, wo ein Flugzeug landen kann. Die Kaufkraft der Passagiere bestimmt die Größe des Fluggeräts. Von der schmalen Cessna Citation bis zur voluminösen Gulfstream ist für jede Brieftasche etwas dabei. Die Klientel ist weltläufig, die Strecke Moskau- Nizza besonders beliebt. Vor einigen Jahren flog die Wiener Crew immer wieder einmal für ein und denselben Klienten: eine „Retail Limited“ mit einem Postfach in Tortola auf den Britischen Jungferninseln und einem Bankkonto bei der litauischen Privatbank AB Ukio Bankas. Zwischen Februar 2009 und Mai 2010 überwies diese Retail Limited in 40 Einzelüberweisungen insgesamt 1,633 Millionen Euro auf das Erste-Bank-Konto des Wiener Bedarfsflugunternehmens. Den Zahlungsreferenzen zufolge wurden damit Flugkosten beglichen.

Weil karibische Postfächer selbst kein Flugzeug besteigen können, stellt sich die Frage, welche Personen sich hier befördern ließen -und wohin. „Ich bitte wirklich um Verständnis, dass ich mich zu unseren Kunden nicht äußern kann“, sagt der Geschäftsführer des Flugunternehmens. „Ich kann aber bestätigen, dass hier Rechnungen in Zusammenhang mit der Durchführung von Flügen beglichen wurden.“ Die Frage nach den Passagieren stellt sich umso dringlicher, weil die Retail Limited zusammen mit anderen Briefkästen eine Schlüsselrolle in einem österreichischen Kriminalfall spielt: dem Fall Erich Rebasso. Wie ein internationales Journalisten-Kollektiv rund um das Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP) am 4. März aufdeckte, war der 2012 unter ungeklärten Umständen ermordete Wiener Rechtsanwalt tief in Geldwäscherei verstrickt. Spätestens 2006 hatte er begonnen, für russische Klienten Geld zu drehen, das aus Betrugshandlungen in Russland stammte. Dazu nutzte er die ihm gehörende Wiener Schulhof Investigation GmbH und eine Bankverbindung bei der Raiffeisenlandesbank (RLB) Niederösterreich-Wien.

Rebassos Geschichte ließ sich deshalb nachzeichnen, weil dem OCCRP-Rechercheverbund umfangreiche Datensätze der 2013 in Litauen geschlossenen Privatbank AB Ukio Bankas zugespielt worden waren. An den Recherchen waren aus Österreich profil und „Addendum“ beteiligt, dazu unter anderem auch „Süddeutsche Zeitung“, „Guardian“,“Tagesanzeiger“ und BBC. Die Auswertung der Ukio-Daten ergab unter anderem, dass Rebasso zwischen Dezember 2006 und Februar 2008 über ein einziges RLB-Konto zumindest 100 Millionen US-Dollar russischen Ursprungs zu neun Offshore-Firmen mit Konten bei der litauischen Bank geschleust hatte, die mittlerweile unter Geldwäscheverdacht steht. Grundlage der Zahlungen waren behauptete Handelsgeschäfte. Rebasso bezahlte Hunderttausende US-Dollar für vermeintliche Möbel, für Obst und Gemüse, für Konsumgüter, für Mobilfunkverträge – und für gefrorenen Hering.

Die Raiffeisenlandesbank hinterfragte zwar alsbald die Natur der Geschäfte, ließ Erich Rebasso aber bis Februar 2008 gewähren, ehe sie den Stecker zog und dem Anwalt die Transfers untersagte. Ende 2008 zeigte der Anwalt sich und seine Klienten schließlich selbst an, beteuerte aber, unwissentlich in kriminelle Aktivitäten verwickelt worden zu sein. Die österreichische Justiz blieb untätig. Die Staatsanwaltschaft Wien wollte sich zu ihrer Rolle ebenso wenig äußern wie die Raiffeisenlandesbank Niederösterreich-Wien (weiterführende Artikel zur Akte Rebasso und zu den Hintergründen des internationalen Rechercheprojekts „Ukio-Leaks“ finden Sie auf profil.at).

Erich Rebasso war Teil einer globalen Geldwaschmaschine, die es der russischen Elite (und nicht nur dieser) erlaubte, systematisch Milliarden US-Dollar Schwarzgeld zu weißen, um es wieder ausgeben oder investieren zu können. In Österreich und weit darüber hinaus. Dazu brauchte es Treuhänder im Westen, Offshore-Firmen mit Adressen in Steuerparadiesen, Scheinverträge, Fake-Rechnungen -und Konten bei Banken, die nicht allzu hart nachfragten. Der guten Ordnung halber sei festgehalten, dass das Interesse an Geldwäsche-Prävention unter Finanzmarkt-Regulatoren, Bankern, Staats-und Rechtsanwälten nicht immer so stark ausgeprägt war wie heute.

Am Ende eines Waschzyklus (siehe dazu auch das Organigramm) verfügten die wirtschaftlich Berechtigten hinter den „Limiteds“,“Corporations“ und „Trusts“ über vermeintlich sauberes Geld. Sie tätigten Handelsgeschäfte, gingen shoppen, Ski fahren und zum Arzt – die Rechnungen bezahlten die Offshore-Firmen.

Laut den vorliegenden litauischen Bankdatensätzen überwies Rebasso über sein Wiener RLB-Dollarkonto jedenfalls 95,96 Millionen US-Dollar an neun Offshore-Empfänger. In der Gegenrichtung gaben diese 9,1 Millionen Euro wieder in Österreich aus (natürlich nicht nur in Österreich. Die vollständige Rekonstruktion aller Zahlungsflüsse weltweit würde den Rahmen dieser Ausgabe sprengen).

Es handelte sich um reales Geld für reale Anschaffungen und Dienstleistungen, große und kleine. Industrieprodukte, Unterhaltungselektronik, Heimtextilien, Goldmünzen, Schmuck, Flüge in Privatjets, Hotelnächtigungen, Einrichtungsgegenstände, Sportartikel, medizinische Behandlungen. Das genannte Wiener Bedarfsflugunternehmen erhielt besagte 1,633 Millionen Euro. Dass das Geld über einen Briefkasten kam, macht dem Geschäftsführer auch retrospektiv keinen Kummer: „Offshore ist in unserem Geschäft ganz normal.“ Offenbar ist das nicht nur in diesem Geschäft normal. Die Auswertung der Ukio-Datensätze ergab, dass die karibischen Briefkästen aus Erich Rebassos Universum in Österreich kreuz und quer einkauften; was allem Anschein sowohl für die Zahlungsempfänger als auch für deren Hausbanken akzeptabel war. Eine Auswahl:

> Ein bekannter oberösterreichischer Kunststoffverarbeiter mit Konto bei der Oberbank erhielt zwischen 2007 und 2010 insgesamt 129.172 Euro für die Lieferung von „Plastic Materials“. Wohin und an wen das Material ging, geht aus dem Transaktionsbeleg nicht hervor. Bezahlt wurde es jedenfalls vom litauischen Konto der Offshore-Firma Dalion Trade Limited, die von Rebasso (und aus anderen Quellen) Geld erhalten hatte. Allein Dalion Trade kaufte ab 2007 Waren für 2,16 Millionen Euro in Österreich ein: Fenster, Haustüren, Leuchtmittel, Maschinen, Kunststoffprodukte, Ladenbauteile. Auch die Billa AG findet sich unter den Geschäftspartnern des Briefkastens. 2008 überwies Dalion Trade dem österreichischen Handelsunternehmen insgesamt 207.200 Euro auf dessen Bank Austria-Konto. Zahlungsreferenz: „Supermarket Equipment“. Vonseiten der Billa AG heißt es auf Anfrage, man werde den Fall prüfen, könne dazu kurzfristig aber nichts sagen.

> Eine Aumento Ltd., ein weiterer Name auf Rebassos Liste, gab insgesamt 3,6 Millionen Euro in Österreich aus. So gingen unter anderem 19.877 Euro für die Anschaffung von „Radauswucht-und Rad-Montage-Equipment“ nach Salzburg, 27.694 Euro an einen oberösterreichischen Damenschuhhersteller für „Footwear“, 229.188 Euro für „Filter“ an ein Wiener Handelshaus, das die Getränkeindustrie mit Filtrationstechnologie beliefert. Eine Continus Corporation (auch diese war vom Anwalt bedient worden) kaufte in Österreich um insgesamt 1,6 Millionen Euro ein, darunter Autobatterien (106.700 Euro), Porzellan-und Kristallwaren (87.000 Euro), Lampen (109.000 Euro) und Armaturen (34.200 Euro).

Die taxaktive Aufstellung zeigt, dass diese und viele andere Briefkästen dem Zweck dienten, echte Warenlieferungen (nach Russland, sehr wahrscheinlich auch in die Ukraine) zu finanzieren. Aber nicht nur. Die wirtschaftlich Berechtigten tätigen über diese Konstrukte offensichtlich auch private Ausgaben.> So bezahlte die Aumento Limited im Oktober 2008 die Rechnung für einen Aufenthalt in einem schnieken Wiener Privatspital, spezialisiert auf chirurgische Eingriffe. Der Zahlungsreferenz zufolge wurde eine Ukrainerin behandelt. Kostenpunkt: 13.180 Euro. Eine Salzburger Skischule mit Konto bei der Salzburger Sparkasse wiederum hatte schon Ende 2005 1620 Euro von dieser Offshore-Firma erhalten – für „booking services“, eine Nobelherberge im Vorarlberger Skiort Zürs für „accomodation“ 16.302 Euro im Jahr 2008.

> Knapp mehr als 100.000 Euro gab die Aumento Limited für den Ankauf von Goldmünzen an mehreren Adressen aus. So etwa beim Wiener Auktionshaus H. D. Rauch, das 2010 rund 16.800 Euro fakturierte. „Die Transaktionen waren echt, die Münzen waren echt“, sagt ein Vertreter des Auktionshauses auf Anfrage von profil. In diesem Fall sei der Käufer gar ein langjähriger Kunde gewesen. „Es handelt sich um einen weltweit anerkannten Experten für russische Münzen.“ Man kenne den Mann gut und verfüge auch über eine Kopie seines Reisepasses. Es ist davon auszugehen, dass der Fachmann den Erwerb nicht für sich selbst tätigte, sondern im Auftrag Dritter. Für wen, das weiß man im Auktionshaus nicht. Ist es nicht verwunderlich, dass der Kaufpreis für die Münzen von einem Briefkasten kam?“Nein, ein solcher Fall ist nicht weiter ungewöhnlich.“

> Die Schoeller Münzhandel GmbH, sie gehört der Münze Österreich und steht damit im Eigentum der Nationalbank, bekam von der Briefkastenfirma Aumento ebenfalls Geld, konkret 20.750 Euro im Februar 2008. „Ein Kunde, der zwischen 2004 und 2009 immer wieder kleinere Produkte bei uns erwarb, kaufte um diese Summe eine Goldmünze aus Frankreich“, erklärt Schoeller-Geschäftsführer Gernot Maier. Den Namen des Käufers könne er nicht nennen; es sei ein Russe gewesen. Erregte es bei Schoeller Münzhandel denn keinen Argwohn, dass die Rechnung von einer Briefkastenfirma bezahlt wurde? Falls dies der Fall gewesen sei, könne man es heute nicht mehr nachvollziehen, antwortet Schoeller- Chef Maier: Ein Jahrzehnt nach dem Geschäft seien die dazugehörigen Unterlagen geschreddert. > Und auch im Wiener Dorotheum landete Geld aus Rebassos russischem Universum. 2007 und 2009 überwiesen zwei Briefkästen 78.931 Euro auf das Bank-Austria-Konto des Auktionshauses. Wofür? Dorotheum-Sprecherin Doris Krumpl will sich dazu nicht äußern. Sie sagt: „Wichtig ist es uns, festzuhalten, dass wir sämtliche Sorgfaltspflichten im Rahmen der gesetzlichen Geldwäschevorschriften genau einhalten. Die angesprochenen Geschäftsfälle betreffen Ankäufe von uns bekannten und legitimierten Kunden. Die Zahlungseingänge erfolgten unbar über eine der bedeutendsten österreichischen Großbanken. Das heißt, sie wurden bankmäßig geldwäschegeprüft. Die versteigerten Objekte wurden nach Bezahlung bei uns abgeholt.“

> 130 Quadratmeter, Blick auf die Wiener Ringstraße, repräsentatives Wohnzimmer, Whirlpool im Badezimmer -so präsentieren sich die Deluxe-Suiten im Grand Hotel Wien. Das zum Firmenimperium von Scheich Mohamed Bin Issa Al Jaber gehörende Luxushotel beherbergt Reich und Schön aus der ganzen Welt. Am 7. April 2007 beglich die Aumento Limited die Rechnung für eine nicht näher bezeichnete Nächtigung vom 17. bis 20 März 2007: 6131 Euro. Das Geld kam abermals aus Litauen und landete auf einem Grandhotel-Konto bei der Bank Austria. Wer die Dienste in Anspruch genommen hat, wird vonseiten des Grand Hotels Wien nicht verraten: „Bitte um Verständnis, dass wir hierzu keinen Kommentar abgeben können“, so eine Sprecherin auf profil-Anfrage.

So lief das Spiel also ab. Russisches Vermögen mit problematischem Hintergrund – Steuerhinterziehung, Betrug, illegaler Handel mit Waren aller Art -wanderte zunächst unter fadenscheinigen Vorwänden zu Treuhändern in den Westen; bei Rebasso war es die behauptete „Abwicklung des Auslandszahlungsverkehrs für Kunden russischer Versicherungsgesellschaften “ (das zumindest machte er die RLB glauben, die sich damit allerdings auch vorübergehend zufriedengab). Die Treuhänder überwiesen das Geld an Offshore-Konstruktionen weiter, wobei sie wie im Falle Rebasso Scheinrechnungen beglichen. Und diese Briefkästen zahlten im Wege ihrer litauischen Bankkonten Rechnungen in Österreich. Doch da war das Geld nicht mehr nur sauber, sondern auch rein

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Eingeordnet unter Behörden, Die vielschichtigen Verbindungen zwischen Osteuropa und Wien, Osteuropa

Standortwechsel

Aus dem profil 34/2018 vom 20.08.2018

Ein Proteststurm der etwas anderen Art spielt sich derzeit auf der Website des österreichischen Parlaments ab. Dort können Betroffene ihre Meinung zu Gesetzen abgeben, welche die schwarz-blaue Regierung plant. Aktuell zur Begutachtung aufliegend: das sogenannte „Standort-Entwicklungsgesetz“ (StEntG), das Anfang 2019 in Kraft treten soll. Dieses sieht eine einschneidende Reform von Umweltverträglichkeitsprüfungen und anderer Genehmigungsverfahren vor, die der Errichtung von Großprojekten wie Mülldeponien und Industrieanlagen vorausgehen. Konkret: Wenn die Regierung ein Projekt künftig für „standortrelevant“ erklärt, also für wichtig für Österreichs Wirtschaft, dann greifen „verfahrensbeschleunigende Maßnahmen“. Ein Projekt soll automatisch als genehmigt gelten, wenn die Verfahrensdauer länger als ein Jahr dauert. Das StEntG basiert auf langjährigen Wünschen der Unternehmensvertretungen Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung.

Allerdings: Die Kritik daran ist immens. Sogar von ÖVP-Regierungen wie jener von Vorarlberg und der Stadt Graz kommt scharfer Widerspruch. Einzig Unternehmen wie die Flughafen Wien AG und Elektrizitätsbetriebe springen für das Vorhaben in die Bresche.

„Ein noch nie dagewesener Angriff auf das Umweltrecht ( ) Wir fordern auf, diesen absurden Gesetzesentwurf ersatzlos zurückzuziehen!“ Greenpeace

„Absurd und rechtswidrig“
WWF

„Höchst bedenklich“
Kuratorium für Fischerei und Gewässerschutz

„Rückschrittlich“ Grüne Niederösterreich

„Das Gesetz ist mehrfach europarechtsvölkerrechts-und verfassungswidrig und würde deshalb in der Praxis zu unvorstellbarer Rechtsunsicherheit und Verfahrensverzögerungen führen.“ Ökobüro, Dachverband der Umweltschutzorganisationen

„Zu begrüßen“ Flughafen Wien AG

„Aufgrund von verfassungs-und unionsrechtlichen Unvereinbarkeiten sehr kritisch zu sehen“
Land Vorarlberg

„Zur Gänze abzulehnen“
Stadt Graz

„Ein politisch-strategisches Planungsinstrument ( ), um den Wirtschaftsstandort Österreich langfristig abzusichern und für Investoren attraktiv zu erhalten.“ Österreichs E-Wirtschaft

„Europarecht, Völkerrecht und Verfassungsrecht sind in meist kaum behebbarer Weise betroffen.“ Arbeiterkammer

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Eingeordnet unter Behörden, Innenpolitik, Stadtplanung, Umwelt und Klima

Geheimplan Rennbahn

Aus dem profil 32/2018 vom vom 06.08.2018

Die Gemeinde Wien hat vor Kurzem die Trabrennbahn Krieau im Prater an ein privates Immobilienunternehmen verkauft. Wurde der kostbare Grund zu billig verscherbelt? Und warum behauptet die rot-grüne Stadtregierung, die Bahn bliebe erhalten, während es in Wahrheit offenkundig Gespräche über ihren Verbau gibt? Ein Immo-Deal, der Fragen aufwirft.

Von Joseph Gepp

An einem lauen Sommerabend kommt die halbe Stadt in den Wiener Prater zum Sporteln. Radfahrer und Jogger tummeln sich auf der Hauptallee. Kaum einen Steinwurf entfernt hat eine weniger bekannte Sportart ihre Heimstatt. Auf der Trabrennbahn Krieau ziehen die Traber mit ihren Pferden ihre Runden. Vor 140 Jahren, anno 1878, wurde die Rennbahn im 2. Bezirk eröffnet. Mit ihren denkmalgeschützten Tribünen und einem filigranen Schiedsrichterturm gilt sie als architekturhistorisch wertvoll. Sie ist eine Wiener Sehenswürdigkeit.

Doch ob hier auch in Zukunft noch Pferde traben, scheint fraglich. Anfang Juli berichtete profil, dass die Gemeinde Wien die Rennbahn an einen privaten Immobilienentwickler verkauft hat. Der Deal ging still und leise vonstatten. Keine Presseaussendung wies darauf hin; keine Debatte im Gemeinderat fand statt. Der Käufer heißt Viertel Zwei Entwicklungs GmbH & Co Krieau KG. Dieses Unternehmen mit Sitz in Wien hat bereits in den vergangenen Jahren große Flächen neben der Rennbahn erworben. Nun kam die Bahn selbst an die Reihe.

Droht jetzt ein Verbau mit Luxuswohnungen und teuren Büros? Wird somit das bebaute Areal der Stadt tief in jene Praterflächen hineinrücken, die heute noch frei stehen? Müssen die Pferde weichen? Garantiert nicht, beteuerten in den vergangenen Wochen Vertreter der privaten Viertel Zwei genauso wie der Stadt Wien. Die Rennbahn bleibe erhalten, wenn auch unter neuem Besitzer.

Nun jedoch wecken interne Unterlagen, die profil zugespielt wurden, Zweifel an dieser Darstellung. Das Konvolut, das von der Viertel Zwei stammt und teilweise mit dem Vermerk „streng vertraulich“ versehen ist, enthält detaillierte Informationen zu Verkauf und Zukunft der Rennbahn. Eine Bebauung ist durchaus in Überlegung, entgegen aller Beteuerungen. Die Pläne wirken sogar ziemlich konkret. Die rot-grüne Wiener Stadtregierung – konkret Michael Ludwig, bis vor Kurzem SPÖ-Wohnbaustadtrat und heute Bürgermeister – ist offenkundig seit Jahren in das Ansinnen eingeweiht. Noch als Stadtrat fand ein Treffen zwischen Ludwig und Viertel-Zwei-Managern statt, in dem Ludwig umfassend über deren Pläne aufgeklärt wurde, dies zeigen die Dokumente.

Bereits seit Jahren tönt Kritik an den Grundstücksgeschäften der Stadt Wien in der Krieau und Umgebung.
Extrem diskret und ohne Ausschreibung wurden hier im Lauf von bald eineinhalb Jahrzehnten Liegenschaften verkauft. Jetzt hat mit der Trabrennbahn erneut eine wertvolle und große Fläche den Eigentümer gewechselt. Oppositionspolitiker, Rechnungshofprüfer und gar manch Stadt-Wien-Beamter kritisierten im Lauf der vergangenen Jahre, dass das Rathaus die Liegenschaften nicht nur heimlich, sondern auch zu billig verkauft habe. Politisch verantwortlich sind die ehemaligen SPÖ-Wohnbaustadträte Werner Faymann und Michael Ludwig. Sie müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, die Öffentlichkeit nicht genug informiert zu haben, dass hier im großen Stil Privatisierungen stattfinden – und was der Zweck dahinter sein soll.

Traber auf der Rennbahn: Links im Hintergrund das neue Viertel Zwei (Foto: Joseph Gepp)

Die Krieau-Causa reiht sich in eine Serie von Immobiliengeschäften der Stadt Wien, die derzeit für Schlagzeilen sorgen. Zum Beispiel rund um das Semmelweis-Areal im 18. Bezirk, wo das Rathaus Liegenschaften zum Spottpreis an einen Privatschulbetreiber und ein SPÖ-nahes Wohnbauunternehmen verkauft haben soll. Im zweiten Fall ermittelt die Korruptionsstaatsanwaltschaft. Das Rathaus stoße Flächen viel zu billig ab, kritisiert regelmäßig die Stadt-Wien-Opposition aus FPÖ, ÖVP und NEOS. Der Gemeinde – und damit dem Steuerzahler -würden Millionen entgehen.

Was den Krieau-Verkauf betrifft, beginnt dessen Vorgeschichte im Jahr 2004. Damals beschließt die Stadt, große Grundstücke am Rand des Praters einem Tochterunternehmen der stadteigenen Wien Holding zu übertragen. Dieses reicht die Flächen an einige handverlesene Privatunternehmen weiter. Hintergedanke: Die Privaten sollen attraktive Bürobauten und Einkaufszentren errichten. Immerhin naht die Verlängerung der U-Bahn-Linie 2 heran ebenso wie die Fußball-EM 2008 im Praterstadion -da soll der 2. Bezirk etwas hermachen.

Bei den Deals kommt unter anderem die Viertel Zwei zum Zug.
Sie erhält Vorkaufsrechte rund um die Krieau. Auf dieser Basis erwirbt sie nach und nach Flächen. Hinter der Viertel Zwei steht Michael Griesmayr, 57 Jahre alt. Der gebürtige Steirer, der in den 1990er-Jahren als Immobilienfinanzierer bei der Raiffeisen-Zentralbank begann, ist heute ein großer Player in der Wiener Immobilienszene. Im Jahr 2010 feiert Griesmayrs erstes großes Projekt im Prater Fertigstellung: das „Viertel Zwei“, ein Bürogrätzel, architektonisch durchaus gelobt, gelegen unmittelbar neben der Trabrennbahn. Im Jahr 2012 folgt der nächste Streich: Die Viertel Zwei kauft das Areal der Stallungen, ebenfalls neben der Bahn. Die Bebauung dieses Geländes („Viertel Zwei Plus“) läuft derzeit an. Im Frühjahr 2017 schließlich krönt das Unternehmen seine Einkaufstour mit dem Erwerb der Rennbahn selbst. Sie ist nahezu 13 Hektar groß; die Lage zwischen U-Bahn und Grünem Prater könnte nicht besser sein. Zugleich jedoch gestalten sich hier die Umstände schwieriger als bei den früheren Käufen: Die Bahn ist seit dem Jahr 1945 unbefristet an den Wiener Trabrennverein verpachtet, der die Rennen betreibt. Überdies darf das Gelände derzeit nicht bebaut werden, weil es als „Sportstätte“ gewidmet ist. Sollte die Rennbahn irgendwann aufgelassen werden, muss laut Gesetz anderswo eine Ersatzsportstätte geschaffen werden.

Aus den geheimen Unterlagen: So soll die Rennbahn dereinst aussehen

Aufseiten der Stadt gibt es von Anfang an Kritik an den Deals. Im Jahr 2004 wettern Oppositionelle im Gemeinderat gegen die „freihändigen, handstreichartigen Vergaben“. Zwei Jahre später kritisiert der Stadtrechnungshof, dass es keine Ausschreibungen gegeben habe, bei denen der Bestbieter zum Zug hätte kommen können. Stattdessen basierten die Kaufpreise auf Sachverständigengutachten, welche die Stadt Wien in Auftrag gab. „Bei ordnungsgemäßer Ausschreibung hätte ein weit höherer Kaufpreis erzielt werden können“, so der Stadtrechnungshof. Die Deals „entbehren den üblichen Gepflogenheiten im Immobilienwesen“. Und: „Es stellt sich die Frage, warum gerade diese Investoren für das Megaprojekt ausgewählt wurden.“ Im Jahr 2014 taucht noch dazu ein interner Aktenvermerk aus der Wien Holding auf. Wie die Wochenzeitung „Falter“ damals berichtete, hatte ein Wien- Holding-Mitarbeiter im Jahr 2007 seine Vorgesetzten gewarnt: Die Kaufpreise für die Krieau-Gründe seien derart niedrig, dass der Deal „einer Korrektur bzw. Auflösung“ bedürfe.

Wie viel zahlt die Viertel Zwei heute für die Rennbahn? Den endgültigen Kaufpreis wisse man noch nicht, sagt Unternehmenssprecherin Judith Erlfelder. „Er kann erst festgelegt werden, wenn gewisse Parameter feststehen, darunter die Art der Nutzung sowie die erzielbare Bruttogeschossfläche auf Basis der Widmung.“ Je nach errichteter Fläche komme es zu „Nachbesserungen“, erklärt Erlfelder. In Immobiliendingen sei dies „ein normaler und üblicher Vorgang“.

Wurde über den gewünschten Verbau der Krieau informiert, als er noch Wohnbaustadtrat war: SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig (Wikipedia)

Laut einer internen Präsentation der Viertel Zwei, die profil vorliegt, beträgt der Kaufpreis inklusive Nebenkosten 16,5 Millionen Euro. Das entspricht einem ungefähren Quadratmeterpreis von 130 Euro. Es sei ein „Mindestkaufpreis“ exklusive Nachbesserungen, heißt es auch hier.

Ist die Summe angemessen? Und wie viel könnte durch die Nachzahlungen noch dazukommen? Aufschluss darüber würde jenes Gutachten der Stadt liefern, mit dessen Hilfe der Kaufpreis bestimmt wurde. Doch dies sei unter Verschluss, erklärt Daniel Benyes, Sprecher von SPÖ-Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál, der Nachfolgerin Faymanns und Ludwigs. „Aus rechtlichen Gründen darf es nicht herausgegeben werden.“

Benyes weist scharf zurück, dass der Kaufpreis
im Fall Krieau zu niedrig ausgefallen sein könnte. Er verweist vor allem auf besagte Nachbesserungen. Sollte die Krieau dereinst wirklich bebaut werden, würde -je nach Umfang der Gebäude – ein durchaus marktüblicher Kaufpreis an die Stadt Wien fließen. Allerdings: Dies setzt ja genau jenes Szenario voraus, das offiziell alle Seiten bestreiten -einen Verbau. Was der Sinn hinter dem ganzen Konstrukt sein soll, bleibt letztlich rätselhaft.

Doch zurück zu den internen Dokumenten. Sie enthalten neben Details zum Kauf auch Pläne, was wirklich mit der Trabrennbahn geschehen soll. Und siehe da -im Gegensatz zu allen Beteuerungen von Gemeinde Wien und Viertel Zwei ist es keine ausgemachte Sache, dass die Bahn erhalten bleibt. Dabei hat Viertel- Zwei-Sprecherin Erlfelder noch im Juli betont, man habe „keine“ Pläne mit der Rennbahn. Angeblich einziges Motiv für den Kauf: „Wir wollen nicht, dass uns irgendjemand wo etwas hinbaut – auch in Zukunft nicht“, so Erlfelder gegenüber ORF Wien. Auch das Büro von Gaál beschwichtigte: „Der Weiterbestand der Trabrennbahn ist abgesichert.“

In Wahrheit laufen bereits seit Jahren Gespräche mit Vertretern der Gemeinde über eine Bebauung des Geländes -so geht das zumindest aus den internen Unterlagen der Viertel Zwei hervor. „Gespräche bzgl. dem Absiedlungsprozedere finden mit Stadt Wien statt“, heißt es beispielsweise in einer Präsentation vom Vorjahr. Die Absiedlung bezieht sich auf den Wiener Trabrennverein (WTV) – er muss verschwinden, ehe eine Bebauung beginnen kann. Dementsprechend heißt es in einem internen Protokoll zu einer Viertel-Zwei-Sitzung, in der sich die Manager untereinander über ihre Ziele austauschen: „Der WTV muss weg!“

Sogar der heutige SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig wurde über die Pläne informiert -und zwar ziemlich ausführlich. Am 30. März 2016 fand laut den Dokumenten ein Termin von Viertel-Zwei-Vertretern mit dem damaligen SPÖ-Wohnbaustadtrat statt. Der Verkauf der Rennbahn war damals noch nicht unter Dach und Fach. Es galt für die Manager, Ludwig von ihren Krieau-Plänen zu überzeugen. profil liegt das Protokoll einer internen Sitzung von Anfang März 2016 vor, kurz vor dem Termin bei Michael Ludwig. Darin entwerfen die Manager des Immobilienunternehmens eine Strategie für das bevorstehende Gespräch mit dem Stadtrat.

Was den Plan einer „Bebauung des Infields“ (also der Rennbahn) betrifft, müsse man „Überzeugungsarbeit“ bei Ludwig leisten, heißt es. Man werde ihm „Varianten“ vorlegen, „wie eine grundlegende Bebauung aussehen kann“. Als mögliches Argument für den Verbau könne man beim Ludwig-Termin anführen, dass rund um die Rennbahn ja bereits in den vergangenen Jahren zahlreiche Neubauten entstanden seien. „Somit kann eine Bebauung des Planungsgebiets 3 (die interne Viertel-Zwei-Bezeichung für die Trabrennbahn, Anm.) als logische Konsequenz dargestellt werden.“

Wie lautet also das Fazit im Fall Krieau? Was die Informationspolitik gegenüber der Öffentlichkeit betrifft: Die Stadtregierung verliert kein Wort darüber, dass offenkundig durchaus intensiv debattiert wird, eine Großfläche zu verbauen, die immerhin einen wichtigen Teil des Wiener Praters darstellt. Und in Sachen Kaufpreis? Hier bedient sich die Gemeinde eines Systems geheimer Gutachten und Nachzahlungen, dessen Details niemand kennt und das für jede Menge Kritik sorgt.

Die Viertel Zwei meint gegenüber profil, man mache „keine Angaben zum Inhalt einzelner Gespräche“. Grundsätzlicher: „Wenn der Trabrennverein die gepachtete Fläche aufgeben und/oder seinen Standort verändern will, werden wir ihn bei diesem Vorhaben unterstützen“. Man bereite sich jedoch „als professioneller Stadtteilentwickler auf verschiedene Szenarien vor.“

Und die Gemeinde? In einer Stellungnahme der MA 69 für Immobilienmanagement, die Gaál untersteht, bleibt die Stadt bei ihrer bisherigen Darstellung: Es gäbe „keine Gespräche über eine Gesamtabsiedlung des Trabrennvereines“. Dies wäre nämlich beim Wiener Sportamt zu beantragen -und genau das sei nicht geschehen. Und das Gespräch mit Ludwig? Darauf geht die MA 69 in ihrer Stellungnahme nicht ein. Hinter vorgehaltener Hand meinen Rathausvertreter, das seien lediglich „total unverbindliche Vorab-Gespräche“ gewesen.

Wie ernst über die Zukunft der Krieau diskutiert wird, das muss offen bleiben. Genauso wie viele andere Fragen in der mysteriösen Causa. Immerhin auf einige könnte es bald Antworten geben. Die Oppositionspolitikerin Bettina Emmerling, Vize-Klubchefin der Wiener NEOS, will SPÖ-Stadträtin Gaál mittels einer umfangreichen Anfrage zu Auskünften zwingen. Emmerling fragt beispielsweise, warum es keine Ausschreibung gab und worin überhaupt der Zweck lag, die Rennbahn zu verkaufen. Mit einer Antwort ist Mitte September zu rechnen.

Die Viertel Zwei jedenfalls hofft laut den profil zugespielten Unterlagen, im Jahr 2021 mit einer Bebauung beginnen zu können. Man rechnet mit einer Bruttogeschossfläche von „ca. 90.000-110.000 Quadratmetern (Minimalvariante)“. Die denkmalgeschützten Tribünen und der Schiedsrichterturm sollen in das neue Stadtviertel integriert werden. Angedacht ist ein künstlicher See auf der ehemaligen Rennbahn, um den sich Gebäude mit den Zwecken „Wohnen, Gewerbe und Bildungsstätten“ gruppieren.

Und all das mitten im Grünen.

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Eingeordnet unter Behörden, Das Rote Wien, Stadtplanung

Wäscht Wien weißer?

Aus profil 28/2018 vom 09.07.2018

Geldwäsche-Kritik aus Brüssel an der schwarzblauen Regierung

Von
Joseph Gepp

Dass Grüne die schwarzblaue Regierung kritisieren, wäre an sich noch keine Überraschung. Wenn allerdings die Kritik von der Fraktion der europäischen Grünen im Strassburger EU-Parlament kommt, muss es sich um eine gewichtigere Causa handeln. Konkret befassen sich die EU-Grünen unter Federführung des deutschen EU-Abgeordneten Sven Giegold in einem aktuellen Bericht mit der Frage: Wie engagiert ist Österreich im internationalen Kampf gegen Geldwäsche? Anlass ist Österreichs Antritt zur EU-Ratspräsidentschaft. Fazit der Grünen: „Österreich hat zwar merkliche Fortschritte gemacht, sein Bankgeheimnis zu entschärfen und seinen Status als Steueroase zu bekämpfen, aber es bleibt attraktiv für Geldwäsche-und Steuervermeidungsaktivitäten.“

Belegt wird dieses Urteil mit Einschätzungen der internationalen Anti-Geldwäsche-Organisation FATF („Financial Action Task Force on Money Laundering“) mit Sitz in Paris. Diese stellt Österreich regelmäßig eher durchwachsene Zeugnisse aus. Die Anti-Geldwäsche-Bemühungen des Landes stuft die FATF etwa in sieben von elf Bereichen lediglich als „niedrig oder moderat effektiv“ ein. Dabei sei gerade hierzulande Vorsicht vonnöten, so der Bericht. Zum Beispiel deshalb, weil Österreichs Banken gern Geschäfte in Geldwäsche-Hochrisikoländern wie der Ukraine, Russland und Bosnien-Herzegowina machen.

Ein Aspekt im Bericht handelt auch von einer Causa, die profil Mitte Juni exklusiv vermeldete. Die Regierung – konkret das ÖVP-Wirtschaftsministerium unter Margarete Schramböck -plant die Berufsgruppe der Immobilienmakler von den sogenannten Geldwäsche-Risikoanalysen zu befreien. Dabei handelt es sich um innerbetriebliche Vorsichts-und Aufklärungsmaßnahmen, die etwa für Autohändler und Versicherungsvermittler gelten sollen, aber eben nicht für Maklerfirmen. Schramböck begründet dies damit, dass das Risikobewusstein bezüglich Geldwäsche bei Maklern ohnehin ausgeprägt sei. Stimmt nicht, halten die EU-Grünen dagegen. Ganz im Gegenteil seien Österreichs Immobilienmakler über das Risiko von Geldwäsche kaum informiert. Laut Erhebungen des Bundeskriminalamts melden sie kaum jemals bei der Polizei, dass sie bei ihren Geschäften einen Verdacht auf Geldwäscheaktivitäten hegen. Zudem sei gerade der Immobiliensektor „aufgrund stark anziehender Immobilienpreise in attraktiven Städten wie Wien“ für Geldwäsche anfällig, so der Bericht.

In eine ähnliche Kerbe schlägt auch das EU-Büro der Nichtregierungsorganisation Transparency International in Brüssel. Die Ausnahme für Makler sei zwar im Rahmen der sogenannten vierten EU-Geldwäscherichtlinie zulässig, so Transparency-Expertin Laure Brillaud – rein rechtlich betrachtet. Allerdings: „Gerade angesichts der Geldwäsche-Risiken, die in der Regel mit Immobilien verbunden sind, erscheint es merkwürdig, wenn die österreichische Regierung ausgerechnet den Immobilienberuf von der Risikoanalyse ausschließen würde.“

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Stadtgeheimnis

Aus profil 17/2018

Joseph Gepp

Von den Floridsdorfer Siemens- Äckern bis zum Leopoldstädter Nordbahnhof: Regelmäßig wird Kritik an Wiens rot-grüner Stadtregierung laut, dass sie sich bei Bauprojekten um langwierige Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) herummogle. Konkret zuständig: SPÖ- Stadträtin Ulli Sima. Die Wiener NEOS-Politikerin Bettina Emmerling wollte nun Ordnung ins Thema bringen. Sie erkundigte sich per Rathausanfrage, bei welchen Projekten derzeit sogenannte Feststellungsverfahren anhängig seien. Im Rahmen solcher Verfahren wird eruiert, ob eine UVP notwendig ist. Emmerlings Anfrage betrifft also Behördenvorgänge bei Großprojekten, nicht etwa Staatsgeheimnisse. Überdies wäre es wohl der Vertrauensbildung nicht abträglich, wenn man – bei einem ohnehin heißdiskutierten Thema – Transparenz walten ließe. Ungeachtet all dessen fällt Simas Antwort recht knapp aus. „Derzeit sind ( ) fünf Feststellungsverfahren anhängig“, heißt es in der nur achtzeiligen Antwort. Welche? Keine weitere Auskunft.

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Eingeordnet unter Bürgerbeteiligung, Behörden, Das Rote Wien

Kammerflimmern

Aus profil 47/2017


Zwangsbeiträge, intransparente Finanzen, aufgeblähter Apparat: Seit Jahren stehtdas österreichische Kammersystem in der Kritik. Die FPÖ will einen radikalen Schritt setzen und die Pflichtmitgliedschaft abschaffen. Wie würde das Land ohne starke Arbeiterund Wirtschaftskammer aussehen? profil zeichnet ein mögliches Szenario aus nicht allzu ferner Zukunft.

Von Joseph Gepp und Clemens Neuhold

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November 2018: „6000 Euro bis zur Pension. Wie viel hätte Herr Müller freiwillig an die Arbeiterkammer bezahlt?“
„Grätzl-Friseurin Maier finanziert dank Wirtschaftskammer 110 Außenhandelsstellen von Almaty bis Casablanca. Würde sie das freiwillig tun?“
„Deutschland ist der Wirtschaftsmotor Europas – ganz ohne Kammerzwang!“

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Slogans wie diese prangen Ende des Jahres 2018 auf Plakaten im ganzen Land. Die schwarz-blaue Regierung hat eine sogenannte Urabstimmung über ein Ende der Pflichtmitgliedschaft in Wirtschaftskammer (WKO) und Arbeiterkammer (AK) angesetzt. Bei der Abstimmung sind alle Arbeitnehmer und Unternehmer Österreichs zur Teilnahme aufgerufen. Das Negative Campaigning von FPÖ, NEOS und Industriekreisen zeigt Wirkung. Die Mehrheit votiert völlig überraschend für die Abschaffung. Die Pflichtmitgliedschaft im Kammerstaat Österreich ist Vergangenheit. Eine Grundsäule des heimischen Gesellschaftssystems ist gefallen.

Rückblende in die Gegenwart: Seit Beginn der Regierungsverhandlungen schießt die FPÖ scharf gegen die „Zwangskammern“. Erst vergangene Woche fordert Parteichef Heinz-Christian Strache eine Urabstimmung unter den Millionen Beitragszahlern – vom Arbeitnehmer bis zum Bauern. Die Kritik ist seit Jahren bekannt: fehlende Transparenz, undurchsichtige Gebarung, ein föderalistisch-aufgeblasener Apparat. Das Kammersystem kommt an Reformen nicht länger vorbei. Und die Kritik geht quer durch die politischen Lager. Die NEOS beispielsweise ziehen einen Teil ihres Selbstverständnisses aus der immer wieder urgierten Abschaffung der Pflichtmitgliedschaften. Selbst ÖVP-Chef Sebastian Kurz steht den Kammern kritisch gegenüber. Doch seine Partei ist zugleich historisch eng mit der Wirtschaftskammer verflochten, deswegen zieht die ÖVP mit der FPÖ nicht an einem Strang.

Was aber würde passieren, käme es tatsächlich zu einer Urabstimmung -und eine Mehrheit der Befragten entschiede sich gegen Pflichtmitgliedschaften? Ein Österreich ohne starke Kammern. Was würde das für Kollektivverträge bedeuten? Für Arbeitnehmerrechte? Für die Politik? Wohin würde sich das Land insgesamt entwickeln? Das soll dieses fiktive Szenario ausloten, das profil nach Recherchen bei zahlreichen Fachleuten (siehe Liste S. 20) entwirft.

Die Annahme: Die ÖVP gibt dem Druck der FPÖ nach und lässt sich zur Urabstimmung breitschlagen. Die Volkspartei hofft: Eine Mehrheit der Kammermitglieder werde wohl an der Pflichtmitgliedschaft festhalten -wie schon einmal bei der Urabstimmung im Jahr 1996. Und dann sei das Thema ja vom Tisch.

Doch diesmal kommt es anders. Über Facebook und den Boulevard mobilisieren die Kammergegner heftig. Sie treffen den Nerv der Menschen, die über jeden Cent froh sind, den sie weniger an Beiträgen zahlen. In der Wirtschaftskammer geben Ein-Personen-Unternehmen (EPU) den Ausschlag, die sich kaum repräsentiert fühlen. Sie stellen bereits 70 Prozent der Mitglieder. Ergebnis all dessen: Die Kammerpflicht fällt.

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Jänner 2019: Im 10. Stock der Wirtschaftskammer brennt noch Licht. Im Präsidium rechnet die Generalsekretärin mit Experten die Folgen der Urabstimmung durch. „Im Worst Case nehmen wir statt jährlich 700 Millionen nur noch 200 Millionen ein. Von den insgesamt 4600 Mitarbeitern können wir nur die Hälfte halten. Für Sozialpläne müssen wir einen Teil der 500 Millionen Euro Rücklagen auflösen“, sagt die Generalsekretärin. „Wie viele der 500 Millionen Euro, die in unseren Immobilien stecken, können wir heben?“, fragt der neue Präsident und blickt in die Richtung der Länderkammer-Präsidenten.
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Die Wirtschaftskammer lebt weiter, aber nur noch als freier Verband. Schon nach einigen Monaten haben sich rund 30 Prozent der österreichischen Betriebe aus ihr verabschiedet. Geblieben sind dafür vor allem mittelgroße Betriebe; sie zahlen nun freiwillig für das verschlankte Service. Ausgestiegen sind nicht nur zahlreiche EPUs, für die jeder Cent zählt, sondern auch -besonders fatal aus Kammersicht -etliche Großunternehmen, vom Linzer Stahlkonzern voestalpine über die Strabag bis hin zu KTM. Sie schulterten den Großteil der Beiträge. Diese Betriebe verfügen über Juristen und Vertriebsbüros in aller Welt; auf die Expertise der Kammer können sie locker verzichten. Eine der ersten Folgen des Exodus: Das Netz aus 110 Außenhandelsstellen von Ljubljana bis Nairobi, welches die WKO betreibt, wird halbiert und auf die wichtigsten Auslandsmärkte reduziert. In Ländern, die für Österreichs Wirtschaft weniger von Bedeutung sind, springen die Botschaften und die Tourismuswerbung ein. Der Finanzminister macht dafür ein paar Millionen locker.

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Mai 2019: Auch die Arbeiterkammer kommt um Einschnitte nicht herum -was sich unter anderem beim Rechtsbeistand für die Mitglieder zeigt. Ein Lehrling mit Stelle in Berndorf wendet sich hilfesuchend an die Juristen des Hauses. Sein Chef hat ihn mit den Worten „Schleich dich“ gekündigt. Der Lehrling ruft bei der AK-Hotline an. Die Mitarbeiterin bietet ihm einen Termin an. Es gehe aber erst in eineinhalb Wochen, sagt sie. Und: Er müsse zum Wiener Hauptsitz kommen, denn die nächstgelegene Stelle Baden sei gerade geschlossen worden. „Und wenn wir stattdessen telefonieren?“, fragt der Lehrling, der nicht so lange warten will. Das habe keinen Sinn, antwortet die Beraterin -„damit ich Ihnen helfen kann, muss ich den Lehrvertrag einsehen und ein Protokoll des Rauswurfs erstellen“. Er möge doch einmal mit dem Betriebsrat reden, schlägt die Beraterin dem verzagten Lehrling vor. „Wir haben keinen, sind zu klein“, sagt der junge Mann. „Sie sollten unbedingt der Gewerkschaft beitreten“, rät ihm die AK-Mitarbeiterin zum Abschluss – wissend, dass sie sich ins eigene Fleisch schneidet.
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Rund ein Sechstel der 3,6 Millionen österreichischen Beschäftigten ist in den Monaten nach Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft aus der Arbeiterkammer ausgetreten. Vielen von ihnen war wohl gar nicht bewusst, dass sie AK-Mitglieder sind – und somit durchschnittlich sieben Euro monatlich an Kammerumlage zahlen, die vom Bruttolohn abgezogen werden. Doch die wochenlange Kampagne der Gegner vor der Urabstimmung hat es ins Bewusstsein gerufen. Von den Einnahmen der AK fällt ein gewichtiger Teil weg. Volkswirtschaft, Arbeitsrecht, Konsumentenschutz: Hundertschaften von Experten befassen sich bisher in der Arbeiterkammer mit Fragen, die für Arbeitnehmer von Belang sind. Die Fülle lässt sich nun nicht mehr aufrechterhalten. Von 2500 Mitarbeitern muss mittelfristig die Hälfte gehen, sagen die internen Prognosen. Aus dem Wertpapiervermögen über 117 Millionen Euro werden Sozialpläne finanziert. Die Hälfte der 90 Bezirksstellen in ganz Österreich schließt.

Der Aderlass der Arbeiterkammer beschert dem Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB) regen Zulauf, sowohl an neuen Mitgliedern als auch an Fachexperten, die zuvor bei der AK werkten. Die Zahl der ÖGB-Mitglieder steigt von 1,2 auf 1,5 Millionen. Eine Trendwende nach Jahren des Schwundes.

Seit fast 100 Jahren kämpft die Gewerkschaft Seite an Seite mit der Arbeiterkammer für die Rechte der Arbeitnehmer. Die Gewerkschaft war stets für die praktischen Aspekte zuständig, von Lohnverhandlungen bis Streikorganisation. Die Arbeiterkammer hingegen fungiert als Thinktank im Hintergrund, verantwortlich für ökonomische und soziologische Forschung genauso wie für Beratungen. Nun laufen beide Funktionen stärker im ÖGB zusammen. Nach Ende der Pflichtmitgliedschaft wird das Beratungs-Center vergrößert, doch an das einstige Angebot der Arbeiterkammer kommt die Gewerkschaft nicht heran. Immerhin handelt es sich beim ÖGB um einen freiwilligen Verein; ihm fehlt schlicht das Geld.

Dazu kommt ein weiteres Problem: Einen Teil der Arbeitnehmer erreicht die Gewerkschaft viel schwerer als beispielsweise einen Metaller im Stahlwerk. Teilzeitkräfte im Supermarkt bis zu Saisoniers im Berghotel haben andere Sorgen, als sich gewerkschaftlich zu organisieren.

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September 2019. Wie jedes Jahr um diese Zeit nahen die Lohnverhandlungen. Erstmals macht sich im Volk Unruhe breit. Noch gelten die Kollektivverträge, die vergangenen Herbst beschlossen wurden -vor dem Ende der Pflichtmitgliedschaft. Doch wie geht es weiter? SPÖ und Gewerkschaft warnen schon vor „Lohnraub“. Die schwarz-blaue Regierung muss irgendwie reagieren, wartet aber noch ab.
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Von jährlichen Gehaltssteigerungen bis zu Arbeitszeit-Regelungen, vom Mindestlohn bis zum Papamonat, vom 13. und 14. Monatsgehalt bis zur Anzahl der Urlaubstage – all dies ist in Österreich nicht in Gesetzen geregelt, sondern in rund 859 Kollektivverträgen. Unter deren Regime fallen 98 Prozent der heimischen Beschäftigten -ein europaweiter Spitzenwert. Jahr für Jahr treffen die Arbeitnehmer in Form der jeweiligen Fachgewerkschaft und die Arbeitgeber in Gestalt des zuständigen Fachverbands der Wirtschaftskammer aufeinander, um den neuen Kollektivvertrag auszuhandeln. Traditionell beginnen die Verhandlungen in der Metallindustrie, deren Ergebnis anderen Branchen als Maßstab dient. Bei all dem besteht eine enge Verbindung zur Kammerpflicht: Laut Verfassung sind die Arbeitgeber nur an die Kollektivverträge gebunden, wenn sie Mitglied der Wirtschaftskammer sind. Für Betriebe, die ihr nicht angehören, gelten keinerlei Vorgaben -weder bei der Lohnhöhe noch bei sonstigen Arbeitsbedingungen. Was also tun, wenn infolge des Endes der Pflichtmitgliedschaft auch die Kollektivverträge infrage stehen?

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Oktober 2019. Die ersten Lohnverhandlungen der Metaller nach Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft. Vordergründig scheint alles beim Alten. Aufseiten der Arbeitgeber verhandelt wie eh und je die Fachgewerkschaft PRO-GE. Aufseiten der Arbeitnehmer jedoch sind in den vergangenen Monaten mehrere wichtige Metallbetriebe aus der Wirtschaftskammer ausgetreten. Daher konstituiert sich ein privater Unternehmensverband, der die Verhandlungsführung übernimmt. Dieser erklärt in einem ersten Statement, er werde lediglich über Mindeststandards verhandeln – alle Regelungen, die darüber hinausgehen, müssten die Beschäftigten in jedem einzelnen Betrieb mit ihrem Arbeitgeber klären. „Es ist halt nicht mehr so wie früher“, sagt der Metaller-Verbandsobmann. Die Gewerkschaften reagieren empört. Sie drohen mit Streik und meinen es dieses Mal wirklich ernst. Die Gespräche müssten im alten Stil sämtliche Details umfassen, donnern die Arbeitnehmervertreter – und das Ergebnis müsse ausnahmslos für alle Metallarbeiter gelten. Nach einigen Tagen schließlich geben die Unternehmen nach. Sie wissen: Die Metallarbeiter sind gut organisiert; in den Werkshallen der Großbetriebe lassen sich Streiks und Proteste leicht organisieren. Die Verhandlungen finden deshalb statt, als gäbe es noch die Pflichtmitgliedschaft. Mit den Lohnabschlüssen können beide Seiten leben.
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Die Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft polarisiert Österreichs Arbeiterschaft. In manchen Branchen, so wie bei den Metallern, ändert sich wenig – generell dort, wo die Arbeit Qualifikation erfordert und die Beschäftigten gut organisiert sind. In anderen Branchen hingegen verschlechtern sich Arbeitsbedingungen und Bezahlung mitunter radikal; in der Gastronomie etwa und besonders in der Bauwirtschaft mit ihren 250.000 Beschäftigten. Auf den Baustellen konkurrieren heimische Arbeitskräfte mit jungen Osteuropäern, die bereit sind, für deutlich niedrigere Löhne zu arbeiten. Dieser Umstand kann nun von Betrieben verstärkt ausgenützt werden.

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Dezember 2019. Die Verhandlungen über einen Kollektivvertrag für die Bauwirtschaft platzen endgültig. Der Fachverband der Bauindustrie der Wirtschaftskammer – also jene Betriebe, die freiwil lig in der Kammer verblieben sind -erklärt, er könne nur für seine Mitglieder verhandeln. Diese aber stellen nicht einmal mehr die Hälfte der Bauunternehmer in Österreich. Ein Streik unter den versprengten Bauarbeitern -viele stammen aus Osteuropa und arbeiten unter prekären Bedingungen -wäre kaum zu organisieren. Für sie läuft der Kollektivvertrag aus, ohne dass es einen Nachfolger gäbe. In weiterer Folge kürzen erste Bauunternehmen ihre Löhne deutlich. In Medien häufen sich die Berichte über „menschenunwürdige Zustände am Bau“. Selbst ein britisches Wochenmagazin schreibt über Österreich: „The end of Gemütlichkeit“.
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Die Regierung schreitet ein. Im Mai des Jahres 2020 beschließt sie einen gesetzlichen Mindestlohn von 1600 Euro brutto; außerdem wird das 13. und 14. Monatsgehalt gesetzlich verankert. Auch wenn Bundeskanzler Sebastian Kurz gern vom „schlanken Staat“ schwärmt: Nachdem nun die Kammern nicht mehr für Regeln in der Arbeitswelt sorgen, muss dies die Regierung tun.

Offen bleiben trotzdem Hunderte Details, die bisher in den Kollektivverträgen geregelt waren: von exakten Lohnschemata über Gehaltsvorrückungen bis zu Ruhezeiten. Derlei Angelegenheiten wurden, zu Zeiten der Pflichtmitgliedschaft, von Kammern und Gewerkschaften detailliert reguliert. Inzwischen jedoch geht das System in eine andere Richtung: Den Politikern ist vor allem daran gelegen, Mindeststandards in der Arbeitswelt festzulegen.

Im Juli 2020, rechtzeitig vor den nächsten Lohnverhandlungen, geht Schwarz-Blau einen Schritt weiter . Die Regierung verhängt eine „Allgemeinverbindlichkeit“ nach französischem Vorbild. Das bedeutet: Ein freiwilliger Unternehmerverband verhandelt einen Kollektivvertrag – und das Ergebnis gilt gesetzlich für alle Betriebe der jeweiligen Branche. Das System sieht also Kollektivverträge ohne Kammerpflichtmitgliedschaft vor. Die Regierung will den Ruf der „sozialen Kälte“ rasch wieder loswerden.

Überhaupt hat die österreichische Politik -Parlament, Parteien, Ministerialverwaltungen, Behörden – nach Abschaffung viel an Bedeutung gewonnen . Sie hat Aufgaben von den Kammern übernommen und finanziert diese. Sie regelt politisch, was früher sozialpartnerschaftlich erfolgte. Entsprechend stark fällt aber auch der Druck von Lobbyisten aller Richtungen auf die Politiker aus. Vorbei die Zeiten, als Wirtschaftskammer, Gewerkschaft und Arbeiterkammer jedes Details in ruhigen holzgetäfelten Sitzungssälen ausbaldowerten und den Kompromiss in Form einer fixfertigen Gesetzesvorlage an die Politiker übermittelten. Heute spricht jeder selbst bei den Politikern vor. Zumindest jeder, der dazu in der Lage ist.

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November 2020. Ein Jurist im Sozialministerium ist gestresst. Industriellenvereinigung, Elektrizitätsfachverband, Druckervereinigung, Bankenverband und dann auch noch die Sozialistische Jugend. Sie alle wollen sich mit ihm „auf einen Kaffee“ treffen. Der Beamte schreibt gerade am Gesetzesentwurf für eine neue Arbeitszeitregelung und wird von Lobbyisten regelrecht belagert.
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Als wieder etwas Ruhe im Volk eingekehrt ist, löst die Regierung ein altes Versprechen an die Wirtschaft ein: den Zwölf-Stunden-Tag. Durch eine verlängerte Höchstarbeitszeit sollen Betriebe besser reagieren können, wenn es besonders viele Aufträge abzuarbeiten gilt. Der Teufel bei dieser Reform steckt jedoch im Detail: Wie viele Überstunden dürfen anfallen? Wie rasch müssen Mehrstunden durch Zeitausgleich kompensiert werden? Gibt es drei oder vier Tage Freizeit im Block?

Industrie, Gastronomie, Transport, rote, schwarze, blaue Gewerkschafter; sie alle drängen auf Gesprächstermine. Zu Zeiten der Pflichtmitgliedschaft gab es drei Player -nun sind es Hunderte geworden. Lobbyisten schwärmen aus und belagern Beamte der Ministerien, Kabinettsmitarbeiter, Abgeordnete. „Endlich lebendige Politik“, schwärmen die einen. „Wer das Gold hat, macht die Regeln“, unken andere -und verweisen auf die geballte Lobbying- Kraft der Industrie.

Die SPÖ kampagnisiert von der Oppositionsbank aus gegen „amerikanische Verhältnisse“ am Jobmarkt , die im schwarz-blauen Österreich eingezogen seien. Im Gerangel der Interessen würden die kleinen Player unter die Räder kommen -beispielsweise Handwerksbetriebe und wenig qualifizierte Arbeitnehmer. Ende des Jahres 2020 reagiert die Regierung: Sie beschließt eine Förderung für kleinere Verbände und NGOs, die es mit den Konzernen sonst nicht aufnehmen könnten.

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Februar 2021: Der Gewerbeverein in der Fußgängerzone einer steirischen Kleinstadt leistet sich dank der neuen Förderung aus Wien ein Sekretariat. Früher konnten die Geschäftsleute im Rahmen der Wirtschaftskammer ihre Interessen bei der Landespolitik geltend machen. Jetzt versuchen sie es – wie viele freie Verbände – lieber auf eigene Faust.
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Die Regierung hat mittlerweile zahlreiche Schritte setzen müssen, um die Folgen des Systemwechsels abzufedern.

Fazit: Was zeigt das Szenario?

Aus Österreich würde wohl auch ohne Pflichtmitgliedschaften kein Hort des Neoliberalismus. Eher ist eine Mischung aus Schweden, Frankreich (minus der Streiklust) und Deutschland zu erwarten. Keines der Länder kennt eine Pflichtmitgliedschaft österreichischen Zuschnitts. Dafür haben diese Staaten jeweils andere Systeme, um auf dem Arbeitsmarkt für soziale Balance zu sorgen. Im sozialen Musterland Schweden beispielsweise läuft die Arbeitslosenversicherung über die Gewerkschaft, deswegen sind 70 Prozent der Arbeitnehmer Mitglied. Dass es parallel eine Arbeiterkammer gibt, ist bei dieser geballten Gewerkschafts-Power nicht nötig. Im etatistischen Frankreich zieht der Staat ein Sicherheitsnetz gegen Lohndumping ein: Obwohl freie Unternehmer-Verbände Kollektivverträge nur für ihre Mitglieder verhandeln, werden diese per Gesetz auf die gesamte Branche übertragen.

In Österreich wählten die Politiker der Nachkriegszeit die Kammerpflichtmitgliedschaft als System des Interessensausgleichs. Jeder ist automatisch dabei und zahlt eine Art Steuer. Wenn die neue Regierung die Pflichtmitgliedschaft abschafft, sind der Sozialpartnerschaft gröbere Umbauarbeiten gewiss. Der Aufwand lohnt aber nur dann, wenn das neue System besser funktioniert als das alte.

Ist dies der Fall?

Aus Sicht der Arbeitnehmer ist das so wenig gewiss wie aus Sicht der Arbeitgeber: Ein durchschnittlicher Angestellter ohne Kammer-Beitrag spart sich grob 100 Euro im Jahr. Er hat zwar die Freiheit gewonnen, selbst zu entscheiden, ob er dabeibleiben will. Doch der Wind am Arbeitsmarkt bläst rau. Lösen Kammer-Aussteiger als Ersatz ein Ticket für die Gewerkschaft oder eine Versicherung bei einem privaten Arbeitnehmer-Schutzverband -dann könnten sie am Ende mehr bezahlen. Bei weniger Leistung. Denn je größer die Sozialgemeinschaft, desto billiger kommt der Schutz für den Einzelnen. Und mit einer Pflichtmitgliedschaft erreicht die Sozialgemeinschaft eben die maximale Größe.

Unternehmer wiederum könnten zwar ohne Pflichtmitgliedschaft aus dem Kollektivvertrag aussteigen, um weniger Lohn zu zahlen oder Arbeiter flexibler einzusetzen. Das würde ihnen Kosten sparen. Andererseits: Die Einfluss der Politiker auf Lohnfindung und Arbeitsbedingungen wäre ohne Kammerpflicht größer als zuvor. Sie würde etwa Mindestlöhne festsetzen oder Mindeststandards bei Arbeitsbedingungen. Damit wäre das System instabiler als heute, weil es sich von Regierung zu Regierung ändern könnte. Die Verhältnisse in Österreichs Wirtschafts-und Arbeitswelt wären weniger berechenbar. Auch bei den Unternehmen gilt daher, genauso wie bei den Arbeitnehmern: Wenn die Pflichtmitgliedschaft fällt, kostet sie dies am Ende womöglich mehr, als sie heute an Kammerumlagen zahlen.

Der Kammer-Staat ist ein durchaus behäbiges, reformresistentes System. Über die Höhe der Beiträge und die Treffsicherheit der Leistungen lässt sich streiten. Ob Alternativen zur Kammerpflicht wirklich billiger und effizienter ausfallen, ist aber mehr als fraglich. Deswegen: Im Zweifel für die Kammern.

ZUSATZELEMENTE

Steckbrief ARBEITERKAMMER
Präsident: Rudolf Kaske. Tritt mit April ab, Nachfolge unklar
1920 gegründet
3,6 Mio. Mitglieder Beschäftigte, Arbeitslose und Präsenzdiener
2600 Mitarbeiter
400 Mio. € Einnahmen/Jahr (2015)
Finanzierung: Jeder Beschäftigte zahlt 0,5 %seines monatlichen Bruttolohns an Kammerumlage. Der Betrag wird automatisch vom Lohn abgezogen.
Stärkste Fraktion im Kammerparlament: Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter (57 %)

Steckbrief WIRTSCHAFTSKAMMER
Präsident: Christoph Leitl. Wird bald von Harald Mahrer abgelöst
1849 als Handelskammer gegründet
634.000 Mitglieder Unternehmen
4600 Mitarbeiter
850 Mio. € Einnahmen/Jahr (2015)
Finanzierung: Jedes Unternehmen zahlt die sogenannte Grundumlage, größere je nach Umsatz und Mitarbeiteranzahl auch Kammerumlagen. Letztere werden von den Finanzämtern eingehoben; Erstere zahlen die Unternehmen direkt.
Stärkste Fraktion im Kammerparlament: ÖVP-Wirtschaftsbund (71 %)

Kammerkunde Was die Kammern neben Kollektivverträgen, Forschung und Beratung sonst noch alles machen.

AMS Die Kammern stellen Mitglieder im Verwaltungsrat des Arbeitsmarkt-Services und sind für das AMS-Management sowie Arbeitsmarktprogramme mitverantwortlich.
Ausbildung Die Arbeiterkammer (samt ÖGB) unterhält in allen Bundesländern Berufsförderungsinstitute (BFI), die etwa Fortbildungskurse für Erwachsene und Fachhochschulen betreiben. Das Pendant aufseiten der Wirtschaftskammer (ebenfalls in allen Bundesländern sowie im Ausland) sind die Wirtschaftsförderungsinstitute (Wifi).
Betriebsräte Die Arbeiterkammer ist für Ausbildung, Beratung und Kontrolle von Betriebsräten zuständig.
Kartellverfahren Die Kammern nominieren Beisitzer im Kartellgericht.
Laienrichter Die Kammern schlagen vor, welche Laienrichter bei Arbeits-und Sozialgerichten ernannt werden sollen.
Sozialversicherung Die Kammern (samt ÖGB) verwalten Österreich Sozialversicherungsträger. Der aktuelle Hauptverbands-Chef Alexander Biach ist zugleich stellvertretender Direktor der Wiener Wirtschaftskammer.

Bei diesen Experten hat profil für die Recherche nachgefragt
Peter Brandner, Thinktank Wei[s]se Wirtschaft
Peter Filzmaier, Politologe Walter Gagawczuk, AK Wien
Anna Maria Hochhauser, Generalsekretärin WKÖ
Volker Kier, LIF
Thomas Leoni, Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo)
Gerald Loacker, NEOS Markus Marterbauer, AK Wien Michael Mesch, AK Wien
Theo Öhlinger, Verfassungsjurist
Volker Plass, ehemaliger Bundessprecher der Grünen Wirtschaft
Oliver Röpke, ÖGB Europa
Franz Schellhorn, Agenda Austria
Experten von Industriellenvereinigung, GPA-djp, WKÖ

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