Abgaswolken am Horizont

Aus profil 28/2018 vom 09.07.2018

Deutschland ist zwar nach wie vor Europas unangefochtene Wirtschaftsmacht Nummer eins. Doch in der bedeutenden Autoindustrie drohen Probleme. Durchaus hausgemachte.

Von
Joseph Gepp

Die Wirtschaftsnachrichten aus Europa in den vergangenen Jahren waren, nun ja, nicht immer von reinster Freude. Von Rekordarbeitslosigkeit war da die Rede und von ebensolcher Staatsverschuldung, von Abwanderung und kollabierenden Industrien. Nur ein Land schien von all dem nicht betroffen zu sein. Während viele andere Staaten darbten, wies Deutschland in den vergangenen Jahren eine Rekordbeschäftigung auf. Und ein Nulldefizit obendrein. Der antizyklische Erfolg hat zahlreiche Gründe. Er hängt etwa mit einer langen Industrietradition zusammen, mit vielen neuen Kunden aus China, aber auch mit schmerzhaften Wirtschaftsreformen und Lohnzurückhaltung, die sich Deutschland infolge der Wiedervereinigung verpasst hat. Jedenfalls ist der große Nachbar -ohnehin seit Jahrzehnten ökonomische Großmacht -im letzten Jahrzehnt endgültig zur einsamen Europaspitze aufgestiegen. Und heute? So wie in Angela Merkels Regierung und Jogi Löws Nationalteam derzeit Frust und Sorge die vorherrschenden Themen sind, so auch in den Reihen der deutschen Wirtschaft. Konkret in der – bisher hocherfolgreichen -Automobilindustrie. Sie ist der Leitsektor schlechthin. Ganze 800.000 Jobs hängen am Autobau, das entspricht 7,7 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung. Gerät die Autoindustrie in Gefahr, hat nicht nur ganz Deutschland ein Problem, sondern auch weite Teile Europas. Unter anderem Österreich, dessen Autozuliefererbranche stark auf Deutschland konzentriert ist. Mitte Juni wurde Audi-Chef Rupert Stadler im Zuge der sogenannten Abgasaffäre verhaftet – ein Ereignis, wie es noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wäre. Zugleich stellen heute selbst Branchengrößen wie Ex-VW-Chef Matthias Müller öffentlich jene Technologien infrage, die ihre Konzerne seit Jahrzehnten federführend entwickelt und in aller Welt verbreitet haben. Was ist da los? Und hat das noch Zukunft? Es begann 2015, da flog die Lebenslüge der deutschen Wirtschaft auf. Der Dieselantrieb war bis dahin jenes Produkt, bei dem Deutschland unangefochten führte. Fast jeder zweite in Deutschland gefertigte PKW ist ein Diesel. Der Antrieb galt bis vor Kurzem als Zukunftstechnologie, weil er weniger klimaschädliches Kohlendioxid ausstößt als ein Benziner. Allerdings dafür umso mehr lungenschädliches Stickoxid. Genau das wollten die deutschen Autobauer, allen voran die Wolfsburger Volkswagen AG, durch betrügerische Software kaschieren. Bis 2015 der Schwindel aufflog.

Seither erlebt der Diesel einen rasanten Niedergang. Städte wie Hamburg verhängen aus Luftschutzgründen Teil-Fahrverbote. Laut dem deutschen Kraftfahrt-Bundesamt brechen derzeit die Diesel-Neuzulassungen im Vergleich zum Vorjahr um rund 30 Prozent ein.

Zugleich wachsen in anderen Staaten Konkurrenztechnologien heran, die den Deutschen Sorgen bereiten. Da wären einerseits die großen US-Datenkonzerne wie die Google-Mutter Alphabet. Sie streben danach, zu internetbasierten Mobilitätsdienstleistern zu werden -sie wollen quasi die Tour im selbstfahrenden Auto per Google-Klick anbieten. Andererseits gibt es da Asiens Autokonzerne, etwa in Südkorea und China. Sie investieren massiv in elektrisch betriebene Autos und deren Komponenten. Diese Wagen stoßen weder Kohlendioxid noch Stickoxide aus (zumindest solange ihr Strom nicht aus fossil betriebenen Kraftwerken kommt). In Deutschland stocken die Versuche, bei derlei Technologien gleichzuziehen. Schließlich hat man Forschung und Marketing jahrzehntelang auf den vermeintlich zukunftsträchtigen Diesel konzentriert , der nun ins Hintertreffen gerät. Beispielsweise gibt es im ganzen Autoland Deutschland keine einzige Fabrik für Batteriezellen von E-Autos. VW plant zwar eine in der Stadt Salzgitter, hat dies aber nicht realisiert. Batteriezellen müssen aus Fernost importiert werden.

Aus dem Rückfall können sich Probleme ergeben. Zum Beispiel betreffend China, dem größten Hoffnungsmarkt deutscher Autobauer. Allein von 2016 auf 2017 legten laut deutschem „Verband der Automobilindustrie“ die Exporte nach China um elf Prozent zu. Was aber, wenn sich Pekings Führung über Nacht entschlösse, rigorose Quoten für E-Autos einzuführen? Ein solcher Schritt könnte Klimaschutz und Luftqualität geschuldet sein – oder schlicht dem Willen, die eigene Autoindustrie vor ausländischer Konkurrenz zu schützen. Jedenfalls könnten die Deutschen die plötzliche Nachfrage nach E-Autos nicht befriedigen. VW etwa plant zwar, dass jeder vierte PKW elektrisch fahren soll -aber erst in acht Jahren.

Allerdings: Dass Deutschland wirklich das Rennen gegen die USA und Fernost verlieren wird, ist keineswegs gesagt. Laut dem Münchner Wirtschaftsforschungsinstitut ifo sind beispielsweise 60 Prozent aller Patente weltweit, die autonomes Fahren betreffen, auf deutsche Hersteller angemeldet. Das belegt, wie die Deutschen intensiv in jenen Bereichen forschen, in denen etwa Alphabet und das US-Unternehmen Tesla tätig sind.

Überdies plagen auch die Konkurrenzkonzerne aus USA und Fernost ihre eigenen Sorgen. In den USA ist es fraglich, ob manch utopische Projekte von Unternehmen wie Alphabet jemals Gewinne abwerfen. Und in Fernost? Viele dort produzierten E-Mobile sind qualitativ minderwertig; ihre Reichweiten sind minimal. In China werden sie nur gekauft, weil der Staat den Erwerb fördert.

Fest steht, dass im internationalen Mobilitätssektor ein gewaltiger Umbruch stattfindet. Vor diesem Hintergrund kämpfen derzeit die Industrien mehrerer Staaten um die Vorherrschaft. Es ist ein Wandel, in dem alte Technologien und Geschäftsmodelle rasch abstürzen und neue ebenso aufsteigen. Solche Phasen bringen immer Gewinner und Verlierer hervor. Vielleicht hat in Deutschland das Verlieren schon begonnen.

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