Worüber wir im Wahlkampf reden sollten: Österreich soll nicht noch mehr in die Breite gehen!

Aus profil 33/2017

Beim Bodenverbrauch und beim Zubetonieren von Flächen sind wir Europameister.

Von
Joseph Gepp

Ein Mann mit schmerzverzerrtem Gesicht ertrinkt in einem See aus Asphalt. Über dem Bild liest man die Worte: „Bodenlos – Arbeitslos“. Die neue Plakatserie der österreichischen Hagelversicherung ist recht drastisch ausgefallen. Wer sich jedoch ins Thema vertieft, stellt fest: Ganz unbegründet ist das nicht.

Es geht um ein Problem, das in Österreich weithin übersehen wird – im derzeitigen Wahlkampf spielt es erst recht keine Rolle. In kaum einem Land wird derart verschwenderisch mit Boden umgegangen. Rund 20 Hektar werden in Österreich täglich zubetoniert. Das entspricht der Größe von 30 Fußballfeldern, auf der Supermärkte, Straßen, Einfamilienhaussiedlungen oder Industriehallen entstehen. Tag für Tag (siehe auch Seite 66).

Die Hagelversicherung kampagnisiert dagegen, weil sie unmittelbar betroffen ist. Die Naturkatastrophen in Österreich nehmen zu, auch infolge des Bodenverbrauchs. Damit steigt die Zahl der Schadensfälle, für welche die Versicherung aufzukommen hat.

Wenn zu viel organischer Boden unter Asphalt verschwindet, fehlt es an Möglichkeiten, Wasser und CO2 auf natürlichem Weg zu speichern. Dies beschleunigt den Klimawandel und erhöht die Gefahr von Naturkatastrophen – aktuell etwa zu beobachten bei den Überschwemmungen in der Steiermark. Außerdem müssen mehr Lebensmittel importiert werden, weil es weniger Ackerflächen im eigenen Land gibt, auf denen angebaut werden kann. Und nicht zuletzt führt der hohe Verbrauch zu ästhetisch fragwürdigen Ergebnissen. Davon kann jeder ein Lied singen, der die Kreisverkehrs- und Fachmarktwüsten kennt, die rund um Österreichs Kleinstädte wuchern.

International ist Österreich ein Spitzenreiter, was zubetonierte Flächen betrifft. Beispielsweise entfallen laut EU-Statistikamt Eurostat durchschnittlich 15 Meter Straßenfläche auf jeden Österreicher, fast doppelt so viel wie bei den Nachbarn Schweiz und Deutschland. Auch bei der Dichte von Supermärkten ist Österreich mit 1,8 Quadratmeter Verkaufsfläche je Einwohner einsame Europaspitze (Deutschland: 1,46 Quadratmeter). Der jährliche Verlust von Ackerfläche beträgt in Österreich 0,5 Prozent – auch dies ein doppelt so hoher Wert wie in Deutschland.

Die Politik versuchte bereits im Jahr 2002 zu reagieren. Damals verabschiedete die schwarz-blaue Bundesregierung eine Nachhaltigkeitsstrategie, der zufolge der Flächenverbrauch bis zum Jahr 2010 auf 2,5 Hektar pro Tag begrenzt werden sollte. Der Plan scheiterte desaströs: Heute übersteigt der Verbrauch mit rund 20 Hektar pro Tag die Vorgabe um das Zehnfache.

Was tun? Wie Flächen genutzt werden, ist in Österreich weitgehend Gemeindesache. Die Kommunen legen Flächenwidmungspläne fest. Wenn Unternehmen und Private neue Flächen erschließen, führt dies zu höheren Einnahmen aus der Grundsteuer – und schafft möglicherweise neue Arbeitsplätze. Dafür widmet manch Gemeinderat wohl gern eine Wiese in Bauland um. Denn wenn nicht, lässt sich der Betrieb im Nachbarort nieder.

Wie sich die Dynamik der Verschwendung durchbrechen ließe, haben Wirtschaftsforscher vom Institut für Höhere Studien (IHS) in Wien und vom Kärntner Institut für Höhere Studien (KIHS) in Klagenfurt vergangenen März eruiert. Ergebnis: Vor allem Brachflächen sollten wiederverwendet werden. Davon gibt es in Österreich jede Menge – geschätzt 40.000 Hektar an Wohn-, Industrie- und Gewerbeflächen stehen leer. Problem: Trotzdem suchen sich Betriebe und Private lieber neue Grundstücke auf der grünen Wiese, weil das billiger kommt und Sanierungen häufig mit Problemen oder etwa Haftungen verbunden sind.

„Innenentwicklung statt Außenentwicklung“, fordern daher die Wirtschaftsforscher. Heißt: Neue Flächen sollen erst erschlossen werden dürfen, wenn die Gemeinde nachgewiesen hat, dass im Ort keine Brachflächen zur Verfügung stehen. In einem „Flächeninformationssystem“ nach deutschem Vorbild sollen brachstehende Grundstücke erfasst werden. Und: Betriebe, die Altes nutzen statt Neues zu erschließen, sollen mit staatlichen Investitionsförderungen belohnt werden.

Noch bleibt Zeit, das Ruder herumzureißen. In 200 Jahren wird beim derzeitigen Tempo des Flächenverbrauchs der letzte Acker Österreichs verbaut sein, hat die Hagelversicherung ausgerechnet.

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Eingeordnet unter Stadtplanung, Verkehr, Wirtschaft

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