Aus profil 50/2015
Waschmaschinen, Staubsauger, Fernseher: Sie alle tragen die EU-Energieeffizienzplakette. Das soll Verbrauchern helfen, Geld zu sparen und das Klima zu retten. Doch die Hersteller der Geräte tricksen, der Energieverbrauch verringert sich kaum – dank eines Alibi-Systems, das an der Wirklichkeit vorbeigeht.
Von Joseph Gepp
Das ist die Geschichte einer Plakette, sie ist ungefähr zehn mal zwanzig Zentimeter groß, aus Karton, in Plastik eingeschweißt, bedruckt mit bunten Pfeilen und Buchstaben, und sie ist viel viel Geld wert.
Das sogenannte europäische Energieeffizienz-Label zeigt an, wie sparsam Haushaltsgeräte laufen. Es hängt es auf Waschmaschinen, Staubsaugern, Gasthermen oder Kühlschränken. „D“, steht dort beispielsweise in roter Farbe. Oder „A“ in gelber. Oder „A+++“ in grüner. Je grüner, desto besser. Bei 57 Prozent der Konsumenten fließen solche Angaben in die Kaufentscheidung mit ein, heißt es in einer Umfrage des deutschen Forsa-Instituts. Ein Konzern von heute kann auf gute Labels für seine Produkte nicht mehr verzichten. Allerdings: „Hier wird heftig getrickst“, sagt Sepp Eisenriegler. „Das ganze System ist hinterfragenswert.“
Eisenriegler, ein 62-jähriger Wiener, Gründer des sogenannten Reparatur- und Servicezentrums, steht in einer Hinterhofhalle in Wien-Penzing. Hier betreibt er seine Werkstatt. 21 Leute reparieren unter Eisenrieglers Leitung gegen Bezahlung gebrauchte Geräte, die ihre Besitzer nicht wegwerfen wollen. In den Regalen hinter ihm stapeln sich Espressomaschinen, Fritteusen und Plattenspieler. Auf Eisenrieglers Geräten hängen ebenfalls Plaketten, aber nicht die bunten der Energieeffizienz, sondern weiße, auf denen mit schwarzem Filzstift die Namen der Besitzer gekritzelt stehen. Eisenriegler kennt sich aus bei Haushaltsgeräten. „Den Kunden wird etwas vorgegaukelt“, sagt er. „Mit Sparen hat das alles kaum etwas zu tun.“
Seit Monaten erschüttert der VW-Skandal die Autowelt. Der deutsche Autokonzern hat illegale Software in seinen Wagen installiert. Der Ausstoß giftiger Abgase war dadurch zwar im Testlabor niedrig, beim echten Fahren der Autos auf der Straße jedoch hoch. Die VW-Affäre hat zahlreiche Debatten ausgelöst. Ähnliche Vorwürfe gibt es inzwischen auch in Richtung Audi, Porsche und Renault. Und bei Haushaltsgeräten?
Eines „Verhaltens ähnlich wie im Volkswagen-Skandal“ bezichtigte im Oktober der britische Staubsauger-Hersteller James Dyson seinen deutschen Konkurrenten Bosch. Dieser, so Dyson, würde mittels Sensor den Energieverbrauch seiner Staubsauger manipulieren, und damit die Angaben auf der Plakette. Die Stiftung Warentest wiederum, die Konsumentenschutzorganisation in Berlin, stößt bei ihren Produkttests regelmäßig auf „Täuschungsmanöver“, was den Energieverbrauch von Geräten betrifft. Was ist da los? Werden die Konsumenten belogen? Die schöne bunte Plakette – ein Betrug, so wie bei VW?

Die umstrittenen EU-Energieeffizienz-Labels (hier für Staubsauger) sollen anzeigen, wie sparsam Haushaltsgeräte laufen (Umweltbundesamt)
Die Ausgangsbedingungen jedenfalls wären bei Haushaltsgeräten und Autos ähnlich: Hier wie dort versucht die europäische Politik seit Jahrzehnten, den Energieverbrauch zu senken. Das Klima, über dessen Schutz bei der Konferenz in Paris gerade verhandelt wird, soll damit geschont werden. Und die Geldbörse des Verbrauchers: Bei Haushaltsgeräten etwa soll die Stromrechnung eines durchschnittlichen europäischen Haushalts ab dem Jahr 2020 um 465 Euro jährlich niedriger ausfallen, sagt die EU-Kommission – dank zahlreicher Energieeffizienz-Gesetze. So wie den bunten Buchstaben von G bis A+++, die derzeit für 15 Produkte vorgeschrieben sind. Neben Staubsaugern und Waschmaschinen etwa für Klimaanlagen, Fernseher und Geschirrspüler.
Allerdings: Leistungsstarke Staubsauger saugen trotzdem besser als schwache. Heißes Waschmaschinenwasser, das mit hohem Stromverbrauch erhitzt wird, reinigt gründlicher als kaltes. Und so ist der Grundkonflikt bei Haushaltsgeräten derselbe wie bei Autos: Hohe Leistung würde es angenehmer machen für den Konsumenten. Doch niedrige kommt ihn billiger und macht sich besser in der Klimabilanz.
Wer wissen will, wie die Haushaltskonzerne mit diesem Spagat umgehen, muss zurück in die Hinterhofwerkstatt von Sepp Eisenriegler. Dort führte er im Jahr 2010 ein Experiment durch. Eisenriegler wollte wissen, mit wie wenig Strom Waschmaschinen auskommen, ohne dadurch schlechter zu funktionieren.
Sogleich jedoch stieß er auf ein Problem. Die Ergebnisse seiner Verbrauchstests sollten ja vergleichbar sein mit jenen offiziellen Tests, wie sie Prüfinstitute in ganz Europa durchführen. Bei diesen werden Verbrauch und Energieeffizienz ermittelt; die Ergebnisse liegen der EU-Energieeffizienzplakette zugrunde. Eisenriegler musste sich also in die komplexe Welt der Normung einarbeiten und die diffizilen Regeln strikt standardisierter Produkttests kennenlernen. „Da reicht es bei Weitem nicht“, sagt er, „wenn man eine Waschmaschine aufdreht und einen Stromzähler dranhängt“.
Eisenriegler richtete also beispielsweise eine Klimakammer ein, denn die Außentemperatur bei den Tests muss immer gleich sein – es ist ein fensterloser, gefliester Raum hinter einer dicken Metalltür. Er kaufte bei Spezialfirmen Normtextilien aus Baumwolle, wie sie bei Waschmaschinentests statt normaler Schmutzwäsche verwendet werden. Diese Textilien sind mit Normflecken versehen, Öl, Blut, Kakao, Rotwein. Danach wird alles mit Normwaschmittel gewaschen. „Solche Tests kosten inklusive Vorbereitung bald einmal ein paar Hunderttausend Euro“, sagt er.
Was Eisenriegler im kleinen Maßstab machte, führen im großen zertifizierte Prüfinstitute durch. Die Bedingungen, unter denen die Tests ablaufen, werden zuvor in einem komplexen Prozedere ausverhandelt. Tausende Beteiligte sind europaweit darin involviert. In Österreich zum Beispiel informiert das Austrian Standards Institute (ASI), ein gemeinnütziger Verein in Wien, alle Stellen, die daran interessiert sein könnten, wie neue Normen für ein bestimmtes Produkt aussehen sollen. Es können Unternehmen sein, Behörden, Umweltschützer oder Wissenschafter. Danach treffen sich Beteiligte aus allen europäischen Ländern in Brüssel. Jeder, der Interesse hat und vom Fach ist, kann mitverhandeln, wie die Tests ablaufen.
Die Organisatoren dieser Verfahren sind die Normungsinstitute aus den einzelnen EU-Ländern, also etwa Österreichs ASI. Manche von ihnen, wie das ASI, verraten der Öffentlichkeit, wer genau aus dem jeweiligen Land an den Verhandlungen teilnimmt. Andere Institute jedoch tun das nicht. Folge: Für ganz Europa lässt sich nicht nachvollziehen, wer beispielsweise die Kriterien für Waschmaschinentests festlegt und wie diese Verhandlungen genau ablaufen. Kritiker beklagen eine Übermacht der Konzerne. Jedenfalls: Was bei den Verfahren herauskommt, ist oft „nicht sehr realitätsnah“, kritisiert die deutsche Stiftung Warentest, einer der größten unabhängigen Tester von Haushaltsgeräten.
Zum Beispiel Kühlschränke. Sie sind im Test prinzipiell leer, weil die Testbedingungen dies so vorsehen – dabei würden sie mit Inhalt mehr Energie verbrauchen. Oder Fernseher: Bei ihnen ist das Bild auf maximale Dunkelheit gestellt. Oder Staubsauger: Sie werden nicht nur immer mit leerem Beutel getestet, sondern auch mit energieschonenden Spezialdüsen. Die saugen sich derart stark am Boden fest, dass man sie unter Haushaltsbedingungen gar nicht verwenden könnte.
Oder eben Waschmaschinen. Hier werden für die Energieeffizienz-Tests nicht etwa alle Waschgänge berücksichtigt, sondern nur bestimmte. Es sind vor allem Öko-Programme, die oft mehrere Stunden lang laufen. Auf ihnen basiert dann der Energieverbrauch, der auf der Plakette angegeben ist. In Wahrheit jedoch ist er viel höher, sobald der Benutzer die üblichen Normalprogramme auswählt. Die schonen dann weder das Klima noch die Geldbörse des Konsumenten.
Andere Praktiken wirken fast kurios. So könnte man als Konsument annehmen, dass die Wassertemperatur in der Maschine 60 Grad erreicht, wenn man einen 60-Grad-Waschgang auswählt. Das ist aber nicht der Fall, wie Messungen der Stiftung Warentest ergeben. Stattdessen erreicht die Temperatur etwa im 60-Grad-Öko-Waschgang nur 43,2 Grad (bei einer Miele-Maschine) oder gar 26,9 (bei einer von AEG). Der Grund: Die Wassertemperatur ist bei den Tests kein zwingendes Kriterium.
Auf einen speziellen Trick stieß die Stiftung Warentest außerdem bei einigen Bosch-Siemens-Waschmaschinen. Die Prüfer der deutschen Organisation messen die Wassertemperatur gemeinhin am Anfang eines Waschgangs. Die Maschinen waren deshalb so konstruiert, dass am Beginn kurz 60-Grad-Wasser in sie geleitet wird. Gleich darauf jedoch folgt kälteres, sodass die Durchschnittstemperatur lediglich 40 Grad beträgt.
Wie rechtfertigen die Konzerne solche Praktiken? Auf profil-Anfrage argumentiert Bosch-Siemens mit der „Waschwirkung“. Diese sei entscheidend, nicht die Wassertemperatur: „Es kommt nicht darauf an, dass die Wäsche mit genau 60 Grad gewaschen wird, sondern dass die Waschwirkung auf 60-Grad-Wäsche optimiert ist.“ Überdies weist der Konzern mit Sitz in München darauf hin, dass es durchaus auch Waschprogramme gebe, die tatsächlich die angegebenen 60 Grad erreichen. Nur brauchen diese eben deutlich mehr Energie.
Ähnlich ist die Kritik bei Staubsaugern. „Bosch installiert in einigen seiner Maschinen eine Elektronik, um das EU-Energielabel zu umgehen“, klagt der britische Unternehmer James Dyson im „Daily Telegraph“. Dyson hat Interesse daran, die Causa zu skandalisieren, weil seine Firma im Gegensatz zum deutschen Konkurrenten nur beutellose Staubsauger anbietet.
Bei jenen mit Beutel nimmt die Saugleistung tendenziell ab, je voller der Beutel ist. Und genau hier trickse Bosch, behauptet Dyson. Ein Sensor im Gerät sorge dafür, dass die Leistung der Geräte von 750 auf 1600 Watt hochschnellt, sobald sich Staub im Beutel befindet. Das bedeutet: Mit leerem Beutel glänzen die Staubsauger mit der Bestnote A+++. Sobald beim echten Benutzen Staub ins Spiel kommt, erreichen sie nur noch ein E oder F.
Bei Bosch-Siemens bestreitet man die Existenz des Sensors gar nicht. Nur sei das kein Trick, sondern völlig legitim, weil regelkonform, argumentiert der Konzern. Offiziell gemessen wird der Energieverbrauch nämlich nur mit leerem Beutel, so sehen es die Testkriterien bei Staubsaugern vor.
Hinter diesem Argument steckt auch der große Unterschied zur VW-Affäre: Volkswagen hat Gesetze gebrochen, Bosch-Siemens und andere Konzerne nicht. Sie bewegen sich, zumindest so weit bisher bekannt, im Rahmen der Vorschriften. Dementsprechend hat der Europäische Gerichtshof Mitte November eine Klage von Dyson gegen Bosch-Siemens abgewiesen. Das deutsche Unternehmen habe nichts Unrechtes getan – es nutzt nur die Lücken in den Prüfverfahren maximal aus. Allerdings: Für das Klima ist diese Unterscheidung egal, und für die Geldbörse des Verbrauchers auch.
Weil Umwelt- und Konsumentenschutzorganisationen deshalb scharfe Kritik an der EU-Energieeffizienz-Plakette üben, arbeiten die europäischen Institutionen in Brüssel an einer Reform. Momentan verhandeln Mitgliedsstaaten und EU-Parlament. Bei Staubsaugern zum Beispiel werde die EU-Kommission wohl bald bei den Normungsinstituten erwirken, dass Tests mit teilbefülltem statt leerem Beutel stattfinden, sagt Chris Spiliotopoulos von der Umweltorganisation Ecos in Brüssel.
Für Sepp Eisenriegler, den Tüftler aus Penzing, ist das bei Weitem nicht genug. Geht es nach ihm, sollten Europas Politiker nicht nur transparente und vernünftige Testkriterien durchsetzen. Sondern überhaupt das ganze Konzept der Energieeffizienz infrage stellen. „Wir müssen breiter denken“, sagt er.
Denn die Energieeffizienz ist kein absoluter Wert, sondern bemisst sich im Vergleich zur Größe des Geräts. Und Letztere wächst seit Langem stark an. Fernseher haben heute größere Bildschirme als früher, Kühlschränke fassen mehr Lebensmittel, Waschmaschinen mehr Wäsche. Eine durchschnittliche Waschtrommel etwa fasst heute laut dem deutschen Bundesverband der Verbraucherzentralen fast einen halben Kilo mehr Wäsche als im Jahr 2012. Das bedeutet: Was an Effizienz gewonnen wird, geht wegen der Größe wieder verloren. Bei manchen Produkten steigt trotz großer Effizienzgewinne der absolute Stromverbrauch sogar an.
Experten wie Chris Spiliotopoulos von Ecos fordern aus solchen Gründen – neben realitätsnahen Testbedingungen – gleich eine Neuaufstellung des EU-Energieeffizienzlabels. Dieses solle in seiner Bewertung mehr abbilden als nur die Effizienz, sagt er. Wenn zum Beispiel das Gerät nach der Entsorgung gut verwertbar ist, soll das ebenfalls die Bewertung verbessern. Oder wenn es die dazugehörigen Ersatzteile lange Zeit im Handel zu kaufen gibt.
Das ist die Geschichte einer Plakette, sie ist ungefähr zehn mal zwanzig Zentimeter groß, bedruckt mit bunten Pfeilen und Buchstaben, und sie ist viel viel Geld wert. Vergangene Woche legten die EU-Energieminister in Brüssel einen ersten groben Entwurf vor, wie eine Neuordnung des EU-Energieeffizienzlabels aussehen könnte. Nach einer tiefgreifenden Reform sieht es nicht aus.
Ob die Testverfahren künftig realitätsnäher ablaufen, ist noch weitgehend offen. Dazu flossen die Forderungen nach einer Neuaufstellung, wie jene von Spiliotopoulos, kaum in den Entwurf ein. Stattdessen soll der Konsument künftig nur noch schneller erkennen, welches Gerät effizient ist und welches nicht. Zu diesem Zweck plant man beispielsweise, dass die vielen Plus-Zeichen hinter der Bestbewertung A verschwinden. Und die besten Geräte, die es derzeit zu kaufen gibt, sollen überhaupt nur die Klasse B erreichen. Damit Luft nach oben ist. Für noch mehr Effizienz.