Aus dem profil 27/2015
Vorschläge. Gegenvorschläge. Gegengegenvorschläge. Wer wo steht im Nervenkrieg zwischen Athen und Brüssel
Von Joseph Gepp
Am besten trifft es vielleicht ein Beobachter im Kurznachrichtendienst Twitter. „Die Griechenland-Verhandlungen sind wie das Wetter in England“, schreibt er: „Wenn man nicht mag, was gerade geschieht, muss man nur ein bisschen warten.“
Unentwegt dringen dieser Tage widersprüchliche Neuigkeiten an die Öffentlichkeit. Einmal scheint sich Griechenland durchzusetzen, dann wieder die Gegenfront der Gläubiger. Die Verhandlungen stehen Spitz auf Knopf. Diesmal aber wirklich!
Spätestens am 30. Juni, Dienstag dieser Woche, müsste endlich und verbindlich geklärt sein, unter welchen Voraussetzungen neues Hilfsgeld nach Athen fließt, heißt es. Es geht um 15,5 Milliarden Euro, mit denen der griechische Staatshaushalt bis November ausfinanziert wäre. Kommt das Geld nicht, wäre Griechenland pleite und der Euro-Austritt wohl unvermeidbar.
Nun tagen permanent Finanzminister, Regierungschefs sowie die Beamten von der EZB und vom Internationalen Währungsfonds (IWF). Die Entscheidung soll am 27. und 28. Juni (nach profil-Redaktionsschluss) erfolgen. Das ist der letztmögliche Zeitpunkt. Die Lösung muss, sofern sie erzielt wird, anschließend noch in mehreren europäischen Parlamenten abgesegnet werden – unter anderem im deutschen und im griechischen. Ob es überall eine Mehrheit dafür geben wird, ist fraglich. In Griechenland etwa ist unklar, ob die gesamte Syriza-Fraktion die Entscheidung mittragen würde, wenn sie den Gläubigerforderungen zu weit entgegenkommt.
Aber was genau wurde in der vergangenen, entscheidenden Woche besprochen? Chronologie eines Nervenkriegs:
Montag, 22. Juni
Die griechische Regierung legt den Gläubigern einen weitreichenden Vorschlag vor. Er sieht massive Sparmaßnahmen vor, die vielen Wahlversprechen der linken Syriza-Regierung entgegenstehen.
So erklärt sie sich mit weiteren Pensionskürzungen und der Erhöhung der Mehrwertsteuer in vielen Bereichen einverstanden – das sind Massensteuern, deren Erhöhung einfache Griechen stark treffen würde. Alexis Tsipras’ Regierung schlägt aber auch Maßnahmen vor, die eher auf Reiche zielen, etwa höhere Steuern auf Unternehmensgewinne. Hohe Profite sollen sogar von einer Sondersteuer von zwölf Prozent betroffen sein.
Ziel all dessen: Griechenland soll einen Primärüberschuss von einem Prozent erreichen: also mehr einnehmen als ausgeben, wenn man den Schuldendienst nicht berücksichtigt. In diesem Punkt hat Syriza bereits viel erreicht. Ursprünglich wollten die Gläubiger ganze drei Prozent Überschuss.
Trotzdem würde die Realisierung von Tsipras’ nunmehrigen Vorschlägen die Fortsetzung des harten Sparkurs bedeuten. Also kündigen in Athen einige Syriza-Abgeordnete an, den Kompromiss nicht mittragen zu wollen. In Brüssel hingegen zeigen sich die Gläubiger einigermaßen zufrieden. Es seien „die ersten echten Vorschläge seit vielen Wochen“, sagt etwa der Pole Donald Tusk, der als EU-Ratspräsident für die Regierungen der Mitgliedsstaaten spricht.
Mittwoch, 24. Juni
Eine Weile sah es am Montag so aus, als könnte man sich auf einen Kompromiss einigen. Doch am Mittwoch zeigt sich: Der griechische Vorschlag geht den Gläubigern nicht weit genug. Sie lehnen ihn ab.
Er enthalte lediglich Steuererhöhungen, nicht aber Ausgabenkürzungen, kritisiert etwa Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble. Ausgabenkürzungen jedoch sind genau das, was die griechische Regierung um jeden Preis verhindern will. Sie argumentiert mit Verweis auf die extrem gestiegenen Arbeitslosen- und Armutsraten in Griechenland: In den vergangenen Jahren sei schon zu viel gekürzt worden.
Die griechische Zeitung „Kathimerini“ veröffentlicht den Gegenvorschlag der Gläubiger. Es handelt sich um das ursprüngliche griechische Papier – das jedoch im Korrekturmodus durch rote Ausbesserungen völlig verändert wurde. Sogar Grammatikfehler sind korrigiert worden. Der Gegenvorschlag erinnert ein wenig an die ausgebesserte Fassung einer Uni-Arbeit, die zuvor vor Fehlern gestrotzt hat.
Die Gläubiger bestehen auf weiteren massiven Einsparungen – größere, als die Griechen in ihrem Vorschlag zugestanden haben. Diese betreffen etwa die Mehrwertsteuer oder den Pensionsbereich. So soll ein Bonus auf Mindestpensionen schon 2017 auslaufen, nicht 2018. Auch verweigert man die griechische Forderung nach einem Erlass der griechischen Staatsschulden.
Höhere Steuern auf Unternehmensgewinne oder etwa eine neue Steuer auf Glücksspiel, wie von Tsipras vorgeschlagen, lehnen die Geldgeber zugleich ab. Das sei „wachstumsfeindlich“, heißt es aus Verhandlungskreisen.
Warum weisen die Gläubiger das griechische Angebot zurück? Hier dürfte der IWF eine entscheidende Rolle spielen. Vor allem besteht er auf Ausgabenkürzungen statt Steuerhöhungen. Die Satzung des Währungsfonds sieht nämlich vor, dass nur jene Staaten unterstützt werden können, bei denen eine realistische Chance darauf besteht, dass sie ihre Schulden jemals zurückzahlen können. Es muss, wie es heißt, eine „Schuldentragfähigkeit“ bestehen.
Wenn im Fall Griechenlands die Steuern steigen, aber die Schulden nicht sinken, verringert sich – rechnerisch gesehen – die Schuldentragfähigkeit. Deshalb besteht vor allem der IWF darauf, dass Griechenland weiterhin Ausgaben kürzt.
Donnerstag, 25. Juni
Die Griechen weisen – wenig überraschend – den Gegenvorschlag der Gläubiger scharf zurück. Syriza-Fraktionschef Nikos Filis etwa spricht von „Erpressung“ und „vernichtenden Vorschlägen“.
Im Lauf des Tages wird deshalb noch geringfügig nachverhandelt. Einige wenige Forderungen, etwa im Pensionsbereich, schwächen die Gläubiger ab. Trotzdem bleiben sie im Großen und Ganzen bei ihrem Gegenvorschlag.
„Wir haben vom EU-Gipfel den Auftrag, bis 16 Uhr eine Lösung zu finden“, sagt Österreichs Finanzminister Hans Jörg Schelling Donnerstagmittag. Griechenland sei nun an der Reihe, die Vorschläge anzunehmen.
Nur wenige Stunden später ist alles anders. Die finalen Verhandlungen finden erst am Wochenende statt, heißt es jetzt.
Freitag, 26. Juni
Gegen Mittag wird bekannt: Die Gläubiger machen den Griechen ein Angebot. Allerdings müssten sie dafür zuerst dem Gegenvorschlag zustimmen, den sie ja erbittert ablehnen.
Das Angebot lautet: Sollte sich Griechenland mit den Sparmaßnahmen einverstanden erklären, fließt mehr Geld als ursprünglich geplant nach Athen. Bislang ging es um 7,2 Milliarden Euro, die letzte Rate des derzeit laufenden zweiten Hilfspakets. Nun bieten die Gläubiger den Griechen 15,5 Milliarden. Damit wäre das Land bis ungefähr November vor der Zahlungsunfähigkeit gerettet.
Hintergrund der Entscheidung: Würde man lediglich die ursprünglich geplanten 7,2 Milliarden auszahlen, stünde man wohl in nur wenigen Wochen vor der gleichen Pattsituation wie heute. Weil Griechenland kein Geld mehr hat.
Nun hat man im Fall einer Einigung einige Monate Zeit gewonnen. Danach werden die Verhandlungen, unter welchen Bedingungen Griechenland Kredite bekommt, wohl munter weitergehen.