Monatsarchiv: Juli 2015

Wald und Krise

Aus profil 30/2015

Ein österreichischer Holzkonzern will vor einem internationalen Schiedsgericht gegen ein Gesetz in Rumänien klagen. Das Fallbeispiel aus dem Osten zeigt, wie sich das EU/USA-Handelsabkommen TTIP ganz konkret auswirken könnte.


Von Joseph Gepp
Fotos: Matthias Schickhofer

Wenn es um die abgelegenen Wälder Rumäniens geht, geraten Naturliebhaber gern ins Schwärmen. Zum Beispiel der Wiener Fotograf Matthias Schickhofer, der gerade an einem Buch über die letzten Urwälder Mitteleuropas arbeitet. Dort herrsche ein „anarchisches Chaos von Werden und Vergehen“, sagt er: „Totes Holz stapelt sich. Spechte klopfen. Durch das Kronendach dringt Zwielicht.“

In Rumänien hat sich erhalten, was im größten Teil Europas längst der Vergangenheit angehört: Urwald. Ganze 11.000 Hektar sind bis heute vom Menschen völlig unberührt. Und dabei handelt es sich lediglich um den inneren Kern eines großen, wilden Waldgebiets.

Das ist nicht nur schön anzuschauen, sondern bietet auch Schutz für Arten, die anderswo verdrängt wurden, wie etwa Wölfe und Braunbären. Allein von Letzteren schätzt man die Population in Rumänien auf 5000 Exemplare. Der komplette Alpenraum bringt es, zum Vergleich, auf ungefähr 50 Braunbären.

Doch die rumänischen Wälder sind massiv gefährdet. Illegale Holzschläger setzen ihnen zu. Seit der Wende ist in Rumänien illegal ungefähr so viel Wald abgeholzt worden, wie das Burgenland Fläche hat, beklagen Umweltschützer.

Glaubt man lokalen Aktivisten, sind dafür auch österreichische Holzunternehmen verantwortlich. Sie sind die mächtigsten Player auf dem rumänischen Markt. Vor allem der Marktführer steht in der Kritik. Das Wiener Unternehmen Schweighofer Holzindustrien soll, behaupten Kritiker, seit Jahren kaum darauf achten, wo das Holz für seine vier Säge- und Holzwerke herkommt. Schweighofer weist die Vorwürfe zurück.

Doch es geht nicht nur um angeblich fragwürdige Praktiken österreichischer Unternehmen in Osteuropa. Es geht auch um die Auswirkungen des geplanten EU/USA-Freihandelsabkommens TTIP („Transatlantic Trade and Investment Partnership“).

Das Abkommen sieht vor, dass Konzerne künftig vor internationalen Schiedsgerichten gegen Staaten klagen können, sollten sich die Unternehmen diskriminiert fühlen. Ein solches Instrument steht österreichischen Unternehmen in Rumänien bereits heute zur Verfügung (und in einer Vielzahl anderer Staaten), denn Rumänien und Österreich schlossen im Jahr 1996 ein zwischenstaatliches Investitionsschutzabkommen ab, welches diese Möglichkeit vorsieht.

Schweighofer will sie nun nutzen. Das Unternehmen fühlt sich durch ein neues Forstgesetz in Rumänien benachteiligt. Die sozialdemokratische Regierung des Landes – sie steht selbst unter massivem Korruptionsverdacht – hat das Gesetz Ende Mai beschlossen. Es soll zu mehr Waldschutz und einer verträglicheren Nutzung des Holzes führen, argumentiert die Regierung.

Der Streit zwischen Schweighofer und dem rumänischen Staat zeigt, exemplarisch und quasi als Vorgriff, wie sich TTIP auswirken könnte – abseits aller Kampagnen der Gegner und Befürworter. Und der Fall Schweighofer führt hinein in einen erbitterten Kampf um eine der letzten naturbelassenen Landschaften, der sieben Autostunden östlich von Wien stattfindet.

Die Geschichte beginnt im Jahr 2002, als Schweighofer in den rumänischen Holzmarkt einsteigt, der bis dahin von Kleinbetrieben geprägt ist. Der Konzern ist sogleich überlegener Marktführer. Der geschäftstüchtige Alleineigentümer Gerald Schweighofer hat seine Firma vom einstigen Familienbetrieb im Waldviertel in ein multinationales Unternehmen verwandelt. Zu den Kunden in Österreich zählen heute etwa das Heizunternehmen Genol, der Holzverarbeiter Drauholz und die Handelskette Spar. Im Jahr 2013 erzielt Schweighofer in Rumänien einen Umsatz von ungefähr 700 Millionen Euro. Der Marktanteil bei Nadelhölzern erreicht etwa 27 Prozent.

Problem Abholzung: Riesige Waldflächen sind in Rumänien seit der Wende verschwunden, oft illegal (Foto: Matthias Schickhofer)

Problem Abholzung: Riesige Waldflächen sind in Rumänien seit der Wende verschwunden, oft illegal (Foto: Matthias Schickhofer)

Das sei zu groß für den rumänischen Markt, lautet von Anfang an die Kritik. Schweighofer holze selbst zwar keine Wälder ab, setze aber durch seine Marktmacht andere Firmen unter Druck. Da das Unternehmen noch dazu gutes Geld für Holz bezahle, entstehe ein Anreiz, möglichst viel abzuholzen. Und sei es illegal.

Einer der schärfsten Kritiker heißt Gabriel Paun, Umweltaktivist der NGO „Agent Green“. Paun filmte im November 2014 einen Lastwagen mit angeblich illegalem Holz. Jeder Holztransport ist in Rumänien registriert, dadurch kann man die Herkunft der Ladung per Telefon-Hotline nachprüfen. Dort hieß es, dieser Transport sei illegal. Der Lastwagen rollt später in Sebeș, Zentralrumänien, in ein Werksgelände von Schweighofer ein.

Dazu bringt auch ein Gerichtsurteil, das profil vorliegt, Schweighofer mit illegal geschlägertem Holz in Verbindung. Es richtet sich gegen einen staatlichen Forstmanager in der Stadt Sibiu im Jahr 2011.

Am schwersten wiegt schließlich ein weiteres Video vom heurigen April. US-amerikanische Umweltschützer der Organisation „Environmental Investigation Agency“ geben sich darin mit versteckter Kamera als Holzverkäufer aus, die einen Deal mit Schweighofer machen wollen. Es sei „kein Problem“, mehr Holz zu kaufen, als das erlaubte Kontingent vorsieht, erklären die Schweighofer-Mitarbeiter ihren vermeintlichen Geschäftspartnern. Fazit der Umweltschützer: Nicht nur „akzeptiert Schweighofer wissentlich und geplant illegal geschlägertes Holz“. Mehr noch, das Unternehmen „animiert zu zusätzlichen Schlägerungen durch ein Bonus-System“.

Schweighofer weist alle Vorwürfe zurück. Das Video sei „stark zusammengeschnitten und inhaltlich im falschen Kontext dargestellt“, heißt es in einer Stellungnahme gegenüber profil. Auch das Bonus-System habe nicht etwa mit illegalen Schlägerungen zu tun, sondern lediglich „mit bestmöglicher Erfüllung von Lieferantenverträgen“. Insgesamt kaufe Schweighofer „nachweislich nur Holz aus einwandfreien Quellen“. Die betroffenen Mitarbeiter sind trotzdem vorübergehend suspendiert, eine Prüfung der Vorwürfe erfolgt.

Doch Schweighofer kämpft nicht nur gegen die Anschuldigungen von Aktivisten, sondern auch an einer zweiten Front. Am 20. Mai brachte die rumänische Regierung nach langer Debatte ein neues Forstgesetz durch das Parlament. Es soll, so der sozialdemokratische Premierminister Victor Ponta, dazu führen, dass sich auch künftige Generationen noch an Rumäniens Wäldern erfreuen.

Das Gesetz schreibt Waldbesitzern beispielsweise
strikte Management-Pläne vor – so weit noch kein Politikum. Doch es gibt auch einen höchst umstrittenen Aspekt, der sich vor allem gegen Schweighofer richtet: In Artikel 63, Paragraf 5, begrenzt Rumänien künftig den Marktanteil großer Unternehmen auf dem rumänischen Holzmarkt. Pro Holzsorte darf eine Firma nur noch 30 Prozent verarbeiten. Schweighofer steht derzeit bei rund 27 Prozent, aber ein neues Sägewerk steht vor seiner Eröffnung.

Die vielen Vorwürfe, mit denen sich Schweighofer konfrontiert sieht, haben wohl zusätzlich zur Einführung dieser 30-Prozent-Klausel beigetragen. Doch der Gedanke dahinter ist ein größerer: Rumäniens Regierung will die Macht großer Unternehmen in der Branche beschränken. Dann können sie, so die Hoffnung, ihren kleinen Mitbewerbern nicht mehr Bedingungen diktieren, was illegale Schlägerungen reduzieren helfen könnte.

Ob dieser Plan aufgeht, ist in Rumänien umstritten. Die staatliche Wettbewerbsbehörde und der liberale Staatspräsident Klaus Johannis etwa sehen darin einen unrechtmäßigen Eingriff in den freien Markt und halten die aktuelle Gesetzeslage für ausreichend. Umweltschützer hingegen bewerten die Maßnahme eher positiv. Magor Csibi beispielsweise, Direktor des WWF Rumänien, befürwortet, dass „Monopole eingeschränkt“ werden: „Für eine nachhaltige Zukunft des Waldes müssen wir dafür sorgen, dass in erster Linie lokale Marktteilnehmer von seiner Bewirtschaftung profitieren. Dann werden sie auch Interesse daran haben, den Wald langfristig zu schützen.“

Schweighofer jedenfalls mobilisiert mit allen Mitteln gegen die Gesetzesänderung. Und hier kommt TTIP ins Spiel. Oder besser gesagt: die Art, wie sich das Handelsabkommen nach Inkrafttreten auch in Österreich und Resteuropa auswirken könnte.

Im September 2014 und Mai 2015 schickte Gerald Schweighofer zwei Briefe an Premier Victor Ponta. Darin legte er mit durchaus drastischen Worten die Konsequenzen für den Fall dar, dass das Gesetz in Kraft treten sollten. Nicht nur könnte sein Unternehmen abwandern, wodurch 2600 Arbeitsplätze verloren gingen. Schweighofer kündigte auch an, Rumänien vor dem „Internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten“ (ICSID) in Washington zu klagen. Denn die 30-Prozent-Klausel, so der Unternehmer, „verletzt definitiv das zwischenstaatliche Investitionsschutzabkommen zwischen Österreich und Rumänien“.

Das ICSID ist ein halböffentliches Schiedsgericht,
das zur Weltbank gehört, zuständig für Streitigkeiten zwischen Regierungen und Unternehmen. Die Verfahren sind teuer, die Öffentlichkeit ist ausgeschlossen, nicht einmal die Urteile müssen publiziert werden. Die Befürworter solcher Schiedsgerichte argumentieren, dass sie Unternehmen vor willkürlichen Regierungsmaßnahmen schützen, etwa Enteignungen. Die Gegner warnen vor zu viel Konzernmacht und der Aushebelung nationaler Justizapparate – und davor, dass schon die Drohung mit dem Gang vor ein Schiedsgericht als starke Waffe gegen einen Staat eingesetzt werden könne.

Schweighofer-Werk in Sebes, Zentralrumänien (Foto: Matthias Schickhofer)

Schweighofer-Werk in Sebes, Zentralrumänien (Foto: Matthias Schickhofer)

Zumindest diese Befürchtung bestätigt der Fall Schweighofer. Mit Verweis auf das ICSID macht nicht nur der Firmenchef Druck beim Premier – auch die österreichische Botschaft in Rumänien interveniert. Im September 2014 schreibt Botschafter Gerhard Reiweger an Rumäniens damaligen Umweltminister Attila Korodi. Das geplante Gesetz beeinträchtige die Investitionen Schweighofers in Rumänien, heißt es in dem Brief. Er hoffe, so der Botschafter, man werde eine für alle Seiten günstige Lösung finden.

Die Firma Schweighofer selbst hat die angekündigte Klage beim ICSID bislang nicht eingebracht. Man warte noch ab, „da erst die Ausführungs- und Umsetzungsbestimmungen des Gesetzes von den zuständigen Behörden ausgearbeitet werden“, so das Unternehmen in einer Stellungnahme gegenüber profil.

Der Fall Schweighofer ist ein Schulbuchbeispiel, was internationale Schiedsgerichte betrifft. Und er zeigt, wie komplex das Thema ist. Es geht in dieser Causa um eine Gesetzesänderung, die in den Augen vieler Umweltschützer durchaus wünschenswert ist. Zugleich jedoch ist das Unternehmen Schweighofer – bei allen schweren Vorwürfen seitens der Umweltaktivisten – tatsächlich mit einem unerwarteten Schritt der rumänischen Politik konfrontiert, der seine Zukunft in Rumänien gefährdet.

Der Gang vor ein Schiedsgericht, den Schweighofer nun antreten will, ist einer, den Jahr für Jahr mehr Unternehmen beschreiten. Die Zahlen zeigen eine enorme Zunahme einschlägiger Klagen. Beim ICSID zum Beispiel, vor das auch Schweighofer ziehen will, wurden im Jahr 1996 noch 38 Fälle behandelt. Ende 2011 waren es schon 450.

Zwar gewinnen vor derartigen Gerichten angeblich Staaten häufiger als Unternehmen – genau lässt sich das jedoch nicht beziffern, weil die Entscheidungen nicht öffentlich sind. Doch mit der Möglichkeit einer Klage verfügen die Unternehmen definitiv über ein mächtiges Instrument. Wenn man aus dem Fall Schweighofer eine Lehre ziehen will, könnte es diese sein: Investor-Staat-Klagen müssen – wenn es sie schon gibt – höchst transparent und ihre Einsatzgebiete strengstens definiert sein. Nur dann können sie sinnvolle Gesetzesvorhaben nicht behindern.

Ob eher Schweighofer oder der rumänische Staat gewinnen wird, sollte es tatsächlich zu einem Verfahren kommen, wagen Juristen auf profil-Anfrage nicht einzuschätzen. Aber vielleicht wird man es bald wissen. Denn die rumänische Politik scheint dem Ansinnen des österreichischen Unternehmens nicht nachzukommen.

Laut eigenen Angaben bekam die Firma Schweighofer bislang auf die Briefe an Premier Ponta keine Antwort.

RAND-INFOS:

TTIP
Der Verhandlungsbeginn für das EU/USA-Handelsabkommen erfolgte im Sommer 2013. Ursprünglich wollte man bereits 2014 fertig sein. Nun soll zumindest bis 2016 eine prinzipielle Einigung erfolgen. Da das Abkommen das EU-Parlament und alle nationalen Parlamente passieren muss, könnte es sogar bis 2018 oder 2019 dauern. Einer der strittigsten Punkte von TTIP sind die internationalen Schiedsgerichtsverfahren.

Investitionsschutzabkommen
Von Ägypten bis Vietnam – 63 internationale Investitionsschutzabkommen hat Österreich in den vergangenen Jahrzehnten abgeschlossen. Sie legen zum Beispiel die Regeln für den Einsatz internationaler Schiedsgerichte fest. Das Abkommen mit Rumänien stammt aus einer Zeit (1996), als das Land noch nicht in der EU war. Trotzdem macht der EU-Beitritt die Abkommen nicht überflüssig, denn Instrumente wie die Schiedsgerichte sind im regulären EU-Recht nicht vorgesehen.

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Athens leise Katastrophe

Aus dem profil 28/2015

Geplatzte Verhandlungen, geschlossene Banken, verängstigte Menschen. Die Griechen sind zerrissen zwischen pragmatischer Fügsamkeit und zorniger Auflehnung. Ja oder Nein – Chronik eines Machtkampfes.

Von Joseph Gepp, Athen

Es gibt zwei Arten von Katastrophen. Die einen donnern unüberhörbar, die Terror anschläge, Kriege und Erdbeben. Die anderen flüstern leise. Wüsste man nichts von ihnen, man würde nicht ahnen, dass sie da sind.

Athen wirkt in diesen ersten Julitagen des Jahres 2015 wie jede andere Großstadt in Südeuropa. Die Plätze und U-Bahnen sind voll. Die Menschen drücken Plastikbecher mit kaltem Kaffee dicht an ihre Körper, damit er im Gedränge nicht überschwappt. Immer mehr Touristen treffen in der Stadt ein. Sie schieben sich Kopfhörer in ihre Ohren oder fachsimpeln auf Bahnsteigen miteinander, welche Insel die schönste in der Ägäis sei.

Doch zugleich verlieren diese Stadt und dieses Land gerade das, was für das moderne Leben unabdingbar ist – das Geld. Jeden Tag ein bisschen mehr davon.

Seit einer Woche haben Griechenlands Banken geschlossen. Wenn sich das nicht rasch ändert, wird sich in Athen jener Alltag nicht aufrechterhalten lassen, den man in Westeuropa seit Jahrzehnten als selbstverständlich betrachtet. „Das griechische Wirtschaftssystem ist momentan wie eingefroren“, sagt Andreas Exarchos, ein Geschäftsmann am Athener Syntagma-Platz.

Der 41-Jährige entwirft und verkauft Brillen im Retro-Stil. Er trägt Bart und, auf der Nase, ein Produkt aus eigenem Haus. Derzeit könne er seine elf Angestellten nicht bezahlen, sagt Exarchos. Genauso wenig wie die Lieferanten. „Ich komme ja nicht an mein Konto heran.“ Exarchos kann weder Aufträge annehmen noch vergeben. „Unter diesen Umständen überlebt meine Firma noch zwei Wochen.“ Dann muss er vorläufig zusperren. Und genauso wie sein Laden müssten wohl auch die Cafés von Athen schließen. Und die Boutiquen. Und die Supermärkte.

Was derzeit in Griechenland geschieht, hätte kaum jemand für möglich gehalten. Am Freitag, 27. Juni, kündigt Premier Alexis Tsipras zunächst ein Referendum an. Die umstrittene Aktion platzt mitten in die Verhandlungen zwischen die Griechen und ihren europäischen Gläubigern.

Zwei Tage später sperrt der griechische Staat die Banken zu. Nur 60 Euro pro Tag dürfen Griechen seither an den Bankomaten beheben. Die Regierung will damit verhindern, dass verunsicherte Bürger den Banken vollends die Existenzgrundlage entziehen. Sie heben seit Wochen massenhaft ihr Geld ab.

Am nächsten Tag schließlich, 30. Juni, Mitternacht, wird Griechenland vorläufig zahlungsunfähig. An diesem Tag muss das Land einen 1,6-Milliarden-Euro-Kredit an den Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington zurückzahlen. Doch der Scheck bleibt aus. Sie habe das Geld nicht, sagt die Regierung. Nie zuvor seit dem Zweiten Weltkrieg ist dies einem Staat in der westlichen Welt widerfahren.

Wie konnte es zu all dem kommen? Wie kann im hochvernetzten 21. Jahrhundert, in Europa, gar in der vermeintlich stabilen Eurozone, ein Staat an den Rand von Bankrott und Chaos geraten?

Die Geschichte Griechenlands handelt eigentlich von der ganzen EU. Vor 13 Jahren haben sich zwölf ihrer Mitgliedsstaaten eine gemeinsame Währung verpasst. Heute wirft die Causa Griechenland die Frage auf, wie viel autonome, staatliche Politik in Zeiten des Euro noch möglich ist. Und, wenn sie auf nationaler Ebene nicht mehr funktioniert, wer sonst über sie bestimmt.

***

Montag, 29. Juni. „Oxi“, „nein“, hallt es tausendfach über den Syntagma-Platz vor dem Parlament, wenige Schritte entfernt von Andreas Exarchos’ Brillengeschäft. Nein zu noch mehr Sparen, sagen die Demonstranten. Nein beim Referendum.

Das Lager der linken Regierung hat sich versammelt. Anfang 2015 wählten die Griechen Alexis Tsipras’ junge Syriza-Partei („Allianz der radikalen Linken“) an die Macht. Gemeinsam mit einem rechtspopulistischen Juniorpartner, den „Unabhängigen Griechen“, liefert sich Syriza seither harte Verhandlungen mit den Gläubigern um die Beendigung der Sparpolitik. Doch man konnte sich bislang nicht durchsetzen. Also setzt Tsipras alles auf seinen letzten, vermeintlich größten Trumpf: das Referendum.

Griechische Fahnen und Nein-Schilder ragen aus dem Menschenmeer. Manche lassen Handschellen über ihren Fingern baumeln, als Symbol für den angeblichen Raub ihrer Freiheit. Mehr als 10.000 Menschen sind gekommen. Eine davon ist Natassa Karafoulidou*, eine 22-Jährige Jus-Studentin, die nebenher bei der Coffeeshop-Kette Starbucks arbeitet.

Vier Euro pro Stunde verdiene sie dort, sagt Karafoulidou. „Das Verrückte ist, dass ich mich noch glücklich schätzen kann. Ich arbeite schon seit drei Jahren bei Starbucks. Die neuen Mitarbeiter bekommen nur zwei Euro.“ Weil derart viele junge Griechen Jobs suchen, zahlen die Firmen Hungerlöhne, sagt sie. „Ich will mein Leben nicht bei Starbucks verbringen. Deshalb stehe ich hier.“

„Oxi“-Transparente vor dem griechischen Parlament (Gepp)

Viele Griechen finden, sie hätten bereits genug gelitten. Nicht nur die Löhne sanken in den vergangenen Jahren extrem. Auch Sozialleistungen wurden radikal beschnitten, die arbeitsrechtlichen Absicherungen, allein die Pensionen sanken um rund 40 Prozent. Diese Maßnahmen diktierten die Gläubiger – die Eurostaaten, allen voran Deutschland, sowie EZB und IWF – in den Jahren 2010 und 2011 den Vorgängerregierungen der Syriza, den griechischen Sozialdemokraten und Konservativen.

Viele der Reformen wirken sich fatal aus. Zum Beispiel die Abschaffung von Kollektivverträgen. Oder ein Gesetz, dass Griechenlands Bürger nach zwei Jahren Arbeitslosigkeit den Anspruch auf kostenfreie staatliche Krankenversicherung verlieren. Allein die letztgenannte Maßnahme traf geschätzt ein Drittel der Bevölkerung.

Die Sparpolitik habe zu einer Verarmung in Griechenland geführt, sagt Dimitris Psarras, Journalist von der linksliberalen „Zeitung der Redakteure“. Die Zahl der Selbstmorde stieg um 35 Prozent. „Vor ein paar Jahren waren wir noch wie jedes andere Land in Europa. Wir hatten eine große Mittelschicht. Heute existiert sie nicht mehr.“

Natassa Karafoulidou, die Demonstrantin, fürchtet den Euro-Austritt nicht besonders. „Ich will den Euro, aber nicht um jeden Preis“, sagt sie. Sie habe nicht mehr viel zu verlieren. Hat sie Angst vor einem möglichen Chaos infolge eines Euro-Austritts? „Es wird irgendwie weitergehen.“

Während die junge Frau in Athen demonstriert, findet in Brüssel die letzte Etappe eines politischen Machtkampfes statt. Die griechische Regierung und ihre Gläubiger feilschen erbittert um einen weiteren Kredit von 7,2 Milliarden Euro für das Land. Am 30. Juni, so haben es die Verhandler festgelegt, endet die Frist für eine mögliche Einigung.

Abwechselnd debattieren nun Euro-Finanzminister, Regierungschefs, Beamtendelegationen. Griechenland braucht das Geld, sonst geht es pleite. Zudem fordert das Land einen Erlass oder eine Streckung seiner Staatsschulden. Griechenland sieht sich aber außerstande, die Bedingungen der Gläubiger dafür zu akzeptieren. Es geht um Pensionshöhen, Budgetüberschüsse und Mehrwertsteuersätze. Dienstagnacht schließlich scheitert die Einigung.

Ein Plakat in Athen wirbt für das

Ein Plakat in Athen wirbt für das „Oxi“ (Gepp)

In der Öffentlichkeit tobt zugleich eine Propagandaschlacht. Griechische Politiker werden gemaßregelt wie Schulkinder, sie wiederum werfen dem Gegenüber Erpressung und kriminelle Machenschaften vor. Wer in welchem Ausmaß Schuld an dieser Eskalation trägt, lässt sich aufgrund der Intransparenz der Verhandlungen kaum klären. Doch im Kern ist die Sache klar: Athen will keine weiteren Einschnitte, man pocht auf den Willen der Wähler. Der Rest der Eurozone pocht auf die Pflicht eines Schuldners.

„Tsipras hat völlig falsch eingeschätzt, wie weit ihm die Gläubiger entgegenkommen werden“, sagt der Journalist Psarras. Zwar waren sie zu kleineren Zugeständnissen bereit. Beispielsweise hätten sich die Gläubiger im Fall einer Einigung einverstanden erklärt, Griechenland dieses Jahr einen niedrigeren Budgetüberschuss zuzugestehen. Das bedeutet, das Land hätte einige Monate lang weniger sparen müssen. Aber immer noch sehr viel.

Mehr Erfolge konnte Tsipras aber nicht erzielen. Die Gläubiger hätten mit einem Entgegengekommen riskiert, dass die komplette europäische Krisenpolitik der vergangenen Jahre infrage steht. Nicht nur in Griechenland, auch andere Krisenstaaten wie Irland und Portugal wurden einem radikalen Sparkurs unterzogen, wenn auch milder als in Griechenland. Zudem findet die linke Syriza bereits Nachahmer. Zum Beispiel in Form der stark wachsenden Podemos-Bewegung in Spanien.

Die Gläubiger bleiben also hart in den Verhandlungen. Tsipras gerät unter Druck. In seiner eigenen Partei und beim griechischen Volk, das zunehmend fürchtet, Tsipras werde das Land endgültig ins Chaos führen.

***

Dienstag, 30. Juni. Gestern hallte „Oxi“ über den Syntagma-Platz, heute ist es „Nai“. Das Ja-Lager demonstriert. Es fordert, dass Griechenland den Forderungen seiner europäischen Gläubiger nachkommt. EU-Fahnen wehen über den Platz. Immer mehr Menschen strömen aus allen Richtungen herbei. Am Ende wird ihre Zahl die der Nein-Demonstration des Vortags übertreffen.

Er finde die Sparpolitik zwar schrecklich, die europäische Gläubiger dem Land abringen, sagt Yanis Moustaki*, Mitte 40, von Beruf Lehrer. „Aber was bezweckt die Regierung mit dem Referendum? Und mit der Bankensperre?“ Ein Euro-Austritt würde Chaos bedeuten, sagt er, schlimmer als die schlimmste Sparpolitik. „Versteht Tsipras das nicht?“

Moustakis Ehefrau daneben nickt, eine arbeitslose Selbstständige. Die Krise hat auch die Teilnehmer der Ja-Demonstrationen hart getroffen. Aber im Gegensatz zu den Syriza-Anhängern fürchten sie noch um den Rest, der ihnen geblieben ist.

Beim Protest des Ja-Lagers geht es ruhiger zu als bei jenem der Gegner. Keine wilden Tänze, kein Trommelwirbel. Das ist eine Demonstration aus Pragmatismus, nicht aus Leidenschaft. „Mein Herz lehnt ab, was Europa von uns verlangt“, sagt die Frau des Lehrers. „Aber mein Verstand sagt, es muss sein.“

Polizei-Sondereinheiten beschützen den

Polizei-Sondereinheiten beschützen den „Ja“-Protest vor anarchistischen Gegendemonstranten

Nachdem Syriza zu Jahresbeginn die Wahlen erfolgreich geschlagen hatte, gewann die Partei stetig an Zulauf. Der Kampf gegen die Sparpolitik erschien immer mehr Griechen nach den vielen Einschnitten alternativlos. Doch jetzt bekommen viele Angst. Angst, dass die geschlossenen Banken nur der Anfang sind. Angst, dass alles zusammenbricht.

Schlange wartender Pensionisten vor einer Bank: Jetzt bekommen viele Angst, dass die geschlossenen Banken nur der Anfang sind (Foto: Gepp)

Schlange wartender Pensionisten vor einer Bank: Jetzt bekommen viele Angst, dass die geschlossenen Banken nur der Anfang sind (Foto: Gepp)

Die Umfragen über den Ausgang des Referendums schwanken zwar täglich, dennoch zeigt sich eine Tendenz: Ja und Nein liegen ungefähr gleichauf, allerdings gewinnt Ja an Boden.

Tsipras hat seinen Rücktritt angedeutet, falls das Referendum nicht in seinem Sinne ausgeht. Er ist mit dem großen Vorsatz angetreten, die Sparpolitik in Griechenland zu beenden. Er stieß bei den Gläubigern auf unerwartet starken Widerstand. Jetzt setzt er alles auf eine Karte, das Referendum. Unterliegt er, ist er politisch tot.

Möglicherweise wird in diesem Fall in Athen eine Allparteienregierung die Amtsgeschäfte übernehmen, die das Land in Richtung Neuwahlen führt. Den Forderungen der europäischen Gläubiger würde diese neue Regierung auf ganzer Linie nachkommen. Die Kredite würden wieder fließen. Der bislang größte Aufstand gegen die europäische Sparpolitik in Zeiten der Wirtschaftskrise, er wäre, nach kurzem, heftigem Kampf, gescheitert.

Was hingegen geschehen wird, falls die Griechen die Fortsetzung der Sparpolitik ablehnen, das ist völlig offen. Die Frist für eine Einigung mit den Gläubigern ist am 30. Juni offiziell verstrichen. Europa und Griechenland müssten daher ganz von vorne mit Verhandlungen beginnen. Vielleicht werden die Gläubiger nach einem Nein-Votum der griechischen Regierung doch irgendwie entgegenkommen. Oder Griechenland stürzt aus der Eurozone. Die Banken bleiben geschlossen, Chaos bricht aus.

Man kann aus dieser Geschichte, wenn man will, ein Versagen der Griechen herauslesen. Sie haben die harten Sparprogramme Europas nicht durchgehalten. Sie haben schließlich eine unerfahrene Partei gewählt, die unrealistische Versprechungen gemacht und die Instabilität vergrößert hat.

Doch diese Geschichte handelt genauso von einem Systemfehler im vereinten Europa. Seit mittlerweile fünf Jahren, seit dem Beginn der Krise 2010, werden entscheidende Teile der griechischen Politik von den Gläubigern in Brüssel gemacht. Die längste Zeit haben sich die Griechen gefügt. Heute ist die Lage Griechenlands schlimmer denn je. Die wirtschaftliche Situation, die politische Instabilität, die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenbruchs. Egal, welcher Ausweg jetzt noch aus dieser Krise führen kann, es wird für alle Beteiligten teurer und steiniger sein als jemals zuvor.

Andreas Exarchos, der Brillenhändler vom Syntagma-Platz, findet, dass Griechenland die Forderungen der Gläubiger akzeptieren soll. „Ich will nicht den Euro riskieren und die Zukunft in Europa.“

In wenigen Tagen fliegt Exarchos nach Berlin. Eine Modemesse hat ihn eingeladen, er soll dort seine Retro-Brillen präsentieren. „Das ist eine große Chance für mein Geschäft“, sagt er. Seit Krisenbeginn 2010 ist der Umsatz von Exarchos’ Firma auf die Hälfte geschrumpft. Jetzt hofft er wegen der Einladung nach Berlin auf neue Kunden. Glücklicherweise habe er das Flugticket gebucht, noch bevor der griechische Staat alle Geldüberweisungen ins Ausland verboten hat, sagt er.

Exarchos hat – trotz aller Chancen, die diese Geschäftsreise bringt – lange überlegt, ob er sie antreten soll. Aber dann beschloss er zu fahren. Wenn er irgendwie an die Zukunft seines Geschäftes glaubt, müsse er zu dieser Messe nach Deutschland, sagt er.

Es gibt zwei Arten von Katastrophen, die lauten und die leisen. Andreas Exarchos hofft, dass aus der leisen keine laute geworden ist, wenn er aus Berlin nach Athen zurückkehrt.

*Namen geändert

Tage darauf: ein Referendums-Wahllokal auf einer Ägäis-Insel (Foto: Gepp)

Tage darauf: ein Referendums-Wahllokal auf einer Ägäis-Insel (Foto: Gepp)

WAS DANACH GESCHAH (Stand: 15. Juli)

Das Referendum am 5. Juli brachte einen überraschenden Sieg des „Nein“-Lagers. 61 Prozent der Griechen stimmten dafür, das geforderte Sparprogramm der europäischen Gläubiger abzulehnen. In den darauffolgenden Tagen stellte sich heraus, dass die Banken weiterhin geschlossen bleiben, weil sie im Fall des Wiederaufsperrens kollabieren würden. Dies soll auch in den kommenden Wochen so bleiben.

Zwei Tage nach dem Referendum begannen Griechenland und seine Gläubiger wieder zu verhandeln. Nun ging es um ein etwaiges drittes Kreditpaket, und nicht mehr – wie zuvor – um die Beendigung des zweiten. Denn dafür war die Frist ja am 30. Juli ausgelaufen.

In den Verhandlungen übten die Gläubiger massiven Druck auf Griechenland aus. Deutschlands konservativer Finanzminister Wolfgang Schäuble befürwortete gar offen einen Grexit auf Zeit, also einen zeitweiligen Austritt aus der Eurozone. Am Montag schließlich, 13. Juli, gab Griechenland in nahezu allen Punkten nach.

Premier Tsipras stimmte einem harten Sparprogramm zu, das etwa den Ausverkauf griechischen Staatsvermögens in einem Privatisierungsfonds unter Aufsicht der Gläubiger beinhaltet. Nun steht die Abstimmung über das Paket im griechischen Parlament bevor; zudem gibt es erneut Demonstrationen in Athen. Und auch in die Gläubiger sind untereinander uneins, zum Beispiel über einen möglichen Schuldenerlass für Griechenland oder über die Herkunft der so genannten „Brückenfinanzierung“, also von jenem Geld, das sofort an Athen fließen soll, bevor das dritte Kreditpaket in Kraft tritt

Ein Kommentar

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Die Chaos-Formel

Aus dem profil 27/2015

Vorschläge. Gegenvorschläge. Gegengegenvorschläge. Wer wo steht im Nervenkrieg zwischen Athen und Brüssel

Von Joseph Gepp

Am besten trifft es vielleicht ein Beobachter im Kurznachrichtendienst Twitter. „Die Griechenland-Verhandlungen sind wie das Wetter in England“, schreibt er: „Wenn man nicht mag, was gerade geschieht, muss man nur ein bisschen warten.“

Unentwegt dringen dieser Tage widersprüchliche Neuigkeiten an die Öffentlichkeit. Einmal scheint sich Griechenland durchzusetzen, dann wieder die Gegenfront der Gläubiger. Die Verhandlungen stehen Spitz auf Knopf. Diesmal aber wirklich!

Spätestens am 30. Juni, Dienstag dieser Woche, müsste endlich und verbindlich geklärt sein, unter welchen Voraussetzungen neues Hilfsgeld nach Athen fließt, heißt es. Es geht um 15,5 Milliarden Euro, mit denen der griechische Staatshaushalt bis November ausfinanziert wäre. Kommt das Geld nicht, wäre Griechenland pleite und der Euro-Austritt wohl unvermeidbar.

Nun tagen permanent Finanzminister, Regierungschefs sowie die Beamten von der EZB und vom Internationalen Währungsfonds (IWF). Die Entscheidung soll am 27. und 28. Juni (nach profil-Redaktionsschluss) erfolgen. Das ist der letztmögliche Zeitpunkt. Die Lösung muss, sofern sie erzielt wird, anschließend noch in mehreren europäischen Parlamenten abgesegnet werden – unter anderem im deutschen und im griechischen. Ob es überall eine Mehrheit dafür geben wird, ist fraglich. In Griechenland etwa ist unklar, ob die gesamte Syriza-Fraktion die Entscheidung mittragen würde, wenn sie den Gläubigerforderungen zu weit entgegenkommt.

Aber was genau wurde in der vergangenen, entscheidenden Woche besprochen? Chronologie eines Nervenkriegs:

In harten Verhandlungen: Alexis Tsipras, Griechenlands linker Premier (Foto: Wikipedia)

In harten Verhandlungen: Alexis Tsipras, Griechenlands linker Premier (Foto: Wikipedia)

Montag, 22. Juni

Die griechische Regierung legt den Gläubigern einen weitreichenden Vorschlag vor. Er sieht massive Sparmaßnahmen vor, die vielen Wahlversprechen der linken Syriza-Regierung entgegenstehen.

So erklärt sie sich mit weiteren Pensionskürzungen und der Erhöhung der Mehrwertsteuer in vielen Bereichen einverstanden – das sind Massensteuern, deren Erhöhung einfache Griechen stark treffen würde. Alexis Tsipras’ Regierung schlägt aber auch Maßnahmen vor, die eher auf Reiche zielen, etwa höhere Steuern auf Unternehmensgewinne. Hohe Profite sollen sogar von einer Sondersteuer von zwölf Prozent betroffen sein.

Ziel all dessen: Griechenland soll einen Primärüberschuss von einem Prozent erreichen: also mehr einnehmen als ausgeben, wenn man den Schuldendienst nicht berücksichtigt. In diesem Punkt hat Syriza bereits viel erreicht. Ursprünglich wollten die Gläubiger ganze drei Prozent Überschuss.

Trotzdem würde die Realisierung von Tsipras’ nunmehrigen Vorschlägen die Fortsetzung des harten Sparkurs bedeuten. Also kündigen in Athen einige Syriza-Abgeordnete an, den Kompromiss nicht mittragen zu wollen. In Brüssel hingegen zeigen sich die Gläubiger einigermaßen zufrieden. Es seien „die ersten echten Vorschläge seit vielen Wochen“, sagt etwa der Pole Donald Tusk, der als EU-Ratspräsident für die Regierungen der Mitgliedsstaaten spricht.

Mittwoch, 24. Juni

Eine Weile sah es am Montag so aus, als könnte man sich auf einen Kompromiss einigen. Doch am Mittwoch zeigt sich: Der griechische Vorschlag geht den Gläubigern nicht weit genug. Sie lehnen ihn ab.

Er enthalte lediglich Steuererhöhungen, nicht aber Ausgabenkürzungen, kritisiert etwa Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble. Ausgabenkürzungen jedoch sind genau das, was die griechische Regierung um jeden Preis verhindern will. Sie argumentiert mit Verweis auf die extrem gestiegenen Arbeitslosen- und Armutsraten in Griechenland: In den vergangenen Jahren sei schon zu viel gekürzt worden.

Die griechische Zeitung „Kathimerini“ veröffentlicht den Gegenvorschlag der Gläubiger. Es handelt sich um das ursprüngliche griechische Papier – das jedoch im Korrekturmodus durch rote Ausbesserungen völlig verändert wurde. Sogar Grammatikfehler sind korrigiert worden. Der Gegenvorschlag erinnert ein wenig an die ausgebesserte Fassung einer Uni-Arbeit, die zuvor vor Fehlern gestrotzt hat.

Die Gläubiger bestehen auf weiteren massiven Einsparungen – größere, als die Griechen in ihrem Vorschlag zugestanden haben. Diese betreffen etwa die Mehrwertsteuer oder den Pensionsbereich. So soll ein Bonus auf Mindestpensionen schon 2017 auslaufen, nicht 2018. Auch verweigert man die griechische Forderung nach einem Erlass der griechischen Staatsschulden.

Höhere Steuern auf Unternehmensgewinne oder etwa eine neue Steuer auf Glücksspiel, wie von Tsipras vorgeschlagen, lehnen die Geldgeber zugleich ab. Das sei „wachstumsfeindlich“, heißt es aus Verhandlungskreisen.

Warum weisen die Gläubiger das griechische Angebot zurück? Hier dürfte der IWF eine entscheidende Rolle spielen. Vor allem besteht er auf Ausgabenkürzungen statt Steuerhöhungen. Die Satzung des Währungsfonds sieht nämlich vor, dass nur jene Staaten unterstützt werden können, bei denen eine realistische Chance darauf besteht, dass sie ihre Schulden jemals zurückzahlen können. Es muss, wie es heißt, eine „Schuldentragfähigkeit“ bestehen.

Wenn im Fall Griechenlands die Steuern steigen, aber die Schulden nicht sinken, verringert sich – rechnerisch gesehen – die Schuldentragfähigkeit. Deshalb besteht vor allem der IWF darauf, dass Griechenland weiterhin Ausgaben kürzt.

Donnerstag, 25. Juni

Die Griechen weisen – wenig überraschend – den Gegenvorschlag der Gläubiger scharf zurück. Syriza-Fraktionschef Nikos Filis etwa spricht von „Erpressung“ und „vernichtenden Vorschlägen“.

Im Lauf des Tages wird deshalb noch geringfügig nachverhandelt. Einige wenige Forderungen, etwa im Pensionsbereich, schwächen die Gläubiger ab. Trotzdem bleiben sie im Großen und Ganzen bei ihrem Gegenvorschlag.

„Wir haben vom EU-Gipfel den Auftrag, bis 16 Uhr eine Lösung zu finden“, sagt Österreichs Finanzminister Hans Jörg Schelling Donnerstagmittag. Griechenland sei nun an der Reihe, die Vorschläge anzunehmen.

Nur wenige Stunden später ist alles anders. Die finalen Verhandlungen finden erst am Wochenende statt, heißt es jetzt.

Freitag, 26. Juni

Gegen Mittag wird bekannt: Die Gläubiger machen den Griechen ein Angebot. Allerdings müssten sie dafür zuerst dem Gegenvorschlag zustimmen, den sie ja erbittert ablehnen.

Das Angebot lautet: Sollte sich Griechenland mit den Sparmaßnahmen einverstanden erklären, fließt mehr Geld als ursprünglich geplant nach Athen. Bislang ging es um 7,2 Milliarden Euro, die letzte Rate des derzeit laufenden zweiten Hilfspakets. Nun bieten die Gläubiger den Griechen 15,5 Milliarden. Damit wäre das Land bis ungefähr November vor der Zahlungsunfähigkeit gerettet.

Hintergrund der Entscheidung: Würde man lediglich die ursprünglich geplanten 7,2 Milliarden auszahlen, stünde man wohl in nur wenigen Wochen vor der gleichen Pattsituation wie heute. Weil Griechenland kein Geld mehr hat.

Nun hat man im Fall einer Einigung einige Monate Zeit gewonnen. Danach werden die Verhandlungen, unter welchen Bedingungen Griechenland Kredite bekommt, wohl munter weitergehen.

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Schaler Nachgeschmack

Aus dem profil 26/2015

Kommentar: Joseph Gepp

Wer sich heute nicht um Datenschutz sorgt, ist von gestern. Von der Kundenkarte im Supermarkt über den Facebook-Auftritt bis zur Vorratsdatenspeicherung: Staatliche und private Akteure zeichnen auf, was wir kaufen, was wir liken, wohin wir gehen.

Doch ausgerechnet in Steuer- und Bankangelegenheiten herrscht totale Intransparenz. Die Finanzbehörden können bisher nur mit großer Mühe in ein Konto schauen. Komplexe Wirtschaftskrimis zu lösen, die dem Steuerzahler mitunter Milliarden kosten, ist da schwierig.

Damit ist es jetzt vorbei. Die rot-schwarze Regierung hat, diesmal nicht untätig, einen weitreichenden Entwurf vorgelegt. Er schränkt das Bankgeheimnis stark ein und erleichtert Prüfungen und Ermittlungen bei mutmaßlichem Steuerbetrug.

Mit an Bord: die Grünen. Deren Zustimmung ist notwendig, denn dieses Gesetz braucht eine Zweidrittelmehrheit. Zwar sind die Grünen immerhin als einzige Oppositionspartei gegen ein strenges Bankgeheimnis. Dennoch zeigen sie sich nun bockig. Denn es gibt da ja auch noch den Datenschutz.

Deshalb haben die Grünen der Regierung nun eine Alibi-Aktion abverlangt: Jede Kontoöffnung muss von einem Richter bewilligt werden. Der ohnehin geplante Schutz vor Missbrauch (Vier-Augen-Prinzip, Rechtsschutzbeauftragter) – reiche nicht.

De facto ändert das zwar nicht viel. Aber es bleibt ein schaler Nachgeschmack. Da geht es in Sachen Steuergerechtigkeit endlich zur Sache – und ausgerechnet die Grünen steigen auf die Bremse.

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„Sie wollen Panik schüren“

Aus dem profil 26/2015

Theodoros Paraskevopoulos, Wirtschaftsberater des griechischen Premiers Alexis Tsipras, über Reichensteuern, gläserne Bankkonten und die Methoden Brüssels.

Interview: Joseph Gepp

Theodoros Paraskevopoulos berät Griechenlands Syriza-Premier Alexis Tsipras, den er bereits seit dessen Kindheitstagen kennt, in Wirtschaftsangelegenheiten. Er gilt als wirtschaftspolitischer Vordenker der griechischen Linkspartei. Paraskevopoulos studierte in Deutschland Wirtschaft und sitzt im griechischen Parlament.

profil: Halten Sie es für klug, dass sich Ihr Finanzminister Yanis Varoufakis in den entscheidenden Verhandlungstagen taktische Spielchen erlaubt?

Theodoros Paraskevopoulos: Welche taktischen Spielchen meinen Sie? Ich habe keine gesehen. Ich sehe nur einen ernsten Vorschlag, den Varoufakis unseren Partnern vorgelegt hat. Unsere Partner hingegen haben ein schnell zusammengeschriebenes Papier übermittelt, mit Forderungen, die in den vergangenen fünf Monaten nie zur Diskussion standen. Deshalb kommen die Gespräche nicht weiter.

profil: Die anderen Finanzminister berichten aber übereinstimmend davon, dass Varoufakis nur altbekannte Ideen referiert, ohne harte Zahlen vorzulegen.


Paraskevopoulos:
Ich weiß, was die griechische Regierung vorgelegt hat. Ich kann die Kritik nicht verstehen, milde formuliert.

profil: Was meinen Sie damit?

Paraskevopoulos:
Ich bin der Meinung, dass das ein taktisches Spiel ist. Die Gläubiger wollen in Griechenland Panik schüren und möglicherweise die Räumung der Konten beschleunigen. Das soll die Verhandlungsposition der griechischen Regierung schwächen.

profil: Heben die Griechen nicht ohnehin schon ihr Geld zu Milliarden von den Bankkonten ab?

Paraskevopoulos: Nicht ohnehin, sondern eben deshalb. Vieles spricht dafür, dass das gewollt ist. Aus manchen europäischen Hauptstädten, und aus Brüssel.

profil: Gibt es denn noch eine Chance auf Einigung?

Paraskevopoulos: Natürlich, beim Gipfeltreffen der Regierungschefs am Montag. Es muss allerdings eine politische Einigung herbeigeführt werden, nicht eine, die nur auf technischer Ebene stattfindet.

profil: Jedenfalls läuft die Zeit am 30. Juni ab.

Paraskevopoulos: Vorerst.

profil:Warum vorerst?

Paraskevopoulos:
Weil es nicht leicht ist, in solchen Situationen Prognosen zu machen – und nicht klug, von letzten Tagen zu sprechen.

profil:Aber am 30. Juni muss Griechenland 1,6 Milliarden Euro an den Internationalen Währungsfonds (IWF) zurückzahlen. Außerdem endet an diesem Tag die Frist, in der man sich noch einigen kann, unter welchen Bedingungen neues Hilfsgeld an Athen ausbezahlt wird. Bleibt Griechenland zahlungsfähig ohne neues Geld am 30. Juni?

Paraskevopoulos: Nein, bleibt es nicht. Griechenland hat allein heuer vier Milliarden Euro an den IWF und die EZB gezahlt. Mehr geht nicht. Ich weiß auch nicht, was nach dem 30. Juni passieren wird. Das müssen Sie auch die Gläubiger fragen.

profil: Anfang des Jahres ist die linksdominierte Syriza-Regierung in Athen unter großem Jubel angetreten. Wie schätzen Sie seither Ihren Erfolg ein?

Paraskevopoulos: Sie konnte wichtige Teile ihres Programms umsetzen. Es gibt ein Gesetz zur Bekämpfung der humanitären Krise. Eine Bildungs- und Gesundheitsreform sowie rechtliche Schritte zur Bekämpfung der Steuerflucht und Korruption wurden eingeleitet. Inzwischen haben viele Menschen in Griechenland Angst davor, dass ein Brief von der Staatsanwaltschaft kommt.

profil: Welche Dinge gestalten sich schwieriger, als Sie vor dem Amtsantritt gedacht hätten?

Paraskevopoulos: Es war uns bewusst, dass wir es mit einem feindlichen Umfeld zu tun haben werden. Vielleicht haben wir trotzdem gehofft, dass sich unsere Verhandlungspartner „erwachsener“ zeigen werden, wie IWF-Chefin Lagarde es ausdrückte.

Theodoros Paraskevopoulos berät Griechenlands Syriza-Premier Alexis Tsipras

Theodoros Paraskevopoulos berät Griechenlands Syriza-Premier Alexis Tsipras

profil: Bei ihrer Amtsübernahme betonte Syriza, man wolle keine neuen Schulden. Man möchte sich das Geld stattdessen von den Reichen holen, hieß es. Bislang gab es aber nur ein einziges Gesetz in diese Richtung, eine Art Erleichterung für Leute, die ihre Steuerrückstände bezahlen. Woran scheitern bisher die kompromisslosen Reichensteuern, die viele von Syriza erwartet haben?

Paraskevopoulos: Daran, dass es für ein neues Steuergesetz eine Einigung mit unseren EU-Partnern geben muss. Das ist Teil eines Pakets, das Ende Februar vereinbart wurde. Aber es gibt noch ein weiteres Problem: Die früheren Regierungen haben die Besitzer großer Vermögen nicht nur steuerlich geschont, ihre Einkommen und Vermögen wurden auch nicht erfasst.

profil: Das griechische Steuersystem ist also in einem schlechten Zustand.

Paraskevopoulos: Gelinde gesagt.

profil: Sie können die Steuern nicht einheben, weil Sie nicht wissen, wie hoch sie sind?

Paraskevopoulos: Die Spitzensteuersätze zu erhöhen, hat überhaupt keinen Sinn: Nur 0,3 Prozent der Griechen geben offiziell ein Einkommen von mehr als 100.000 Euro im Jahr an. Wir haben deshalb ein Gesetz vorgelegt, um große Einkommen und Vermögen zu erfassen. Die Griechen werden gläserne Bankkonten haben.

profil: Deutschland hat Griechenland angeboten, 500 Finanzbeamte zur Verfügung zu stellen. Eine hochnotwendige Maßnahme, sollte man meinen. Man hat aber niemals mehr von dieser Sache gelesen oder gehört.

Paraskevopoulos:
Sie läuft trotzdem. Es gibt im Moment Gespräche über technische Hilfen zwischen Griechenland und der Regierung des deutschen Bundeslandes Nordrhein-Westfalen. Noch im Juni sollen sie abgeschlossen sein.

profil: Offenbar ist es derzeit nicht möglich, dass sich Griechenland das Geld von den Reichen holt. Zugleich jedoch verweigert Ihre Regierung Mehrwertsteuererhöhungen, weil sie unsozial sind. Wenn man Reichensteuern nicht haben kann und Massensteuern nicht haben will – welche Möglichkeit bleiben dann für den Staat, sich zu finanzieren?

Paraskevopoulos: Man kann von einer Regierung nicht erwarten, dass sie innerhalb von fünf Monaten die Reichen erfolgreich zur Kasse bittet. Wir leben in einem Rechtsstaat. Es müssen Gesetze erlassen, vorgelegt und diskutiert werden. Zur vollen Umsetzung wird es bis Anfang 2016 dauern. Aber ich rechne damit, dass wir nach dem heurigen Sommer erste handfeste Erfolge haben werden.

profil: Griechenland leistet sich auch – in Relation zur Größe des Staates – die größte Armee Europas. Auch hier gab es bislang keine Einschnitte. Tun Sie das aus Rücksicht auf Ihren kleinen, rechtsgerichteten Koalitionspartner Anel?

Paraskevopoulos: Im Rahmen der Sparprogramme der vergangenen Jahre gab es bereits einen Kahlschlag beim Militär. Die Rüstungsausgaben sind um 53 Prozent gesenkt worden. Inzwischen nehmen die Soldaten die Putzmittel von zu Hause in die Kasernen mit. Trotzdem werden wir die Militärausgaben noch heuer um 250 Millionen Euro reduzieren. Dazu werden keine neuen Rüstungsgüter gekauft – übrigens zum großen Ärger unserer Partner in Deutschland und Frankreich.

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Soll Griechenland weiter sparen müssen? Nein, denn …

Aus dem profil 26/2015

… alle Zahlen zeigen, dass Griechenland einen Weg beschritten hat, der beispiellos in Europa ist. Das Land hat im Gegensatz zu fast allen anderen Staaten in den vergangenen Jahren Primärüberschüsse erwirtschaftet. Das heißt, es hat weniger Geld ausgegeben als eingenommen, sofern man den Schuldendienst nicht berücksichtigt. Das gilt übrigens auch für die viel gescholtene Syriza-Regierung.

Dieser Befund ist vordergründig ein guter. Er bedeutet aber keinesfalls, dass man den Weg des kompromisslosen Sparens fortsetzen soll. Kein Zweifel, hohe Schulden schaden einem Land mittelfristig. Die entscheidende Frage ist aber: Unter welchen Umständen lassen sie sich wirkungsvoll abbauen?

Griechenland hat für seinen Sparkurs, der seit dem Jahr 2010 von den internationalen Gläubigern oktroyiert wird, einen hohen gesellschaftlichen Preis gezahlt. Die Arbeitslosenrate steht heute bei 25 Prozent. Drei Millionen Griechen haben keine Krankenversicherung. Das griechische Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist seit 2009 um 25 Prozent gesunken. Das heißt, ein Viertel der griechischen Wirtschaftsleistung ist einfach verschwunden. Das entspricht ungefähr dem, was in der Sowjetunion im Jahr 1991 geschah.

Vor diesem Hintergrund lässt sich auch ein Paradoxon verstehen: Griechenland erwirtschaftet Überschüsse, zugleich jedoch werden aber seine Schulden nicht weniger, sondern mehr. Im Verhältnis zum BIP betrugen die Staatsschulden vor Krisenbeginn 2009 130 Prozent, heute stehen sie bei 175 Prozent.

Verblüffend ist das nur auf den ersten Blick. Auf den zweiten wird klar: Die Schulden können gar nicht sinken, weil sich die Substanz – die Wirtschaftsaktivität insgesamt – derart rasch verringert.

Solche Zahlen zeigen etwas, das die politische und ökonomische Elite Europas dringend einsehen müsste: Die kompromisslose Austeritätspolitik ist nicht nur demokratiepolitisch fragwürdig, sie scheitert auch ökonomisch. Diese Therapie tötet den Patienten.

Bislang sind Griechenlands Gläubiger trotzdem nur zu minimalen Zugeständnissen bereit. Wenn das Land nachgibt, wird der Sparkurs also fortgesetzt. Noch mehr ökonomische und soziale Verwerfungen verträgt Griechenland aber nicht, genauso wenig wie die EU. Deren Stabilität würde unter einem Grexit viel mehr leiden, als weithin angenommen wird.

Stattdessen braucht das Land, im Interesse aller Beteiligten, zunächst eine längere Atempause. Man muss die soziale Situation in den Griff bekommen. Danach braucht es ernst gemeinte internationale Unterstützung, vor allem beim Aufbau eines funktionierenden Steuersystems. Es muss Planungssicherheit ohne fortdauernde Horrorszenarien geben. Dann werden einheimische und internationale Unternehmen wieder in Griechenland investieren.

Nachdem sich die Situation stabilisiert hat, kann ein Abbau der Staatsschulden beginnen, und zwar ein nachhaltiger, der nicht lediglich dazu führt, dass sie sich noch weiter erhöhen.

„Die Bedingungen in Griechenland erinnern an jene in Deutschland im Jahr 1933“, schreibt dieser Tage ausgerechnet Jeffrey Sachs, der liberale US-Ökonom, der Osteuropa nach der Wende die berüchtigten Schocktherapien verschrieb. Im Gegensatz zu Deutschland 1933 hat sich Griechenlands Demokratie bisher jedoch als resistent erwiesen. Den Neonazis von der Goldenen Morgenräte erteilten die Griechen eine Abfuhr. In Umfragen stehen sie mit großer Mehrheit zur EU. Auch das sollte man ihnen abgelten, indem man ihnen heute entgegenkommt.

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