Aus der Parallelwelt der Superreichen

Aus der FALTER-Beilage „Die Krise verstehen“ 34/2014


Die kanadische Journalistin Chrystia Freeland tut sich in einer fremden Welt um – und entdeckt Verblüffendes

Rezension: Joseph Gepp

Manch einer kann sich vielleicht noch an das Schlagwort vom „Global Village“ erinnern. Zu diesem wachse die Welt angesichts der digitalen Revolution zusammen. Heute ist das Global Village Wirklichkeit geworden – aber anders als erwartet. Seine Hauptstraßen liegen in London oder Mumbai, seine Ausbildungsstätten in Harvard, und den schönsten Ausblick hat man im Schweizer Davos. Immer stärker formiert sich ein Dorf der Milliardäre, eine „transglobale Gemeinde von Gleichen, die mehr miteinander als mit ihren Landsleuten zu Hause gemein hat“, schreibt Chrystia Freeland.

Die kanadische Wirtschaftsjournalistin hat sich in dem abgezirkelten Dorf auf bislang einzigartige Weise umgesehen. Ihr vielfach prämiertes Buch verbindet ökonomische und soziologische Hintergründe mit konkretem Anschauungsmaterial und Interviews aus der Parallelwelt der Superreichen – und dies äußerst gelungen.

Freeland lässt dabei glücklicherweise die üblichen Muster der Reichendebatte außer Acht: Weder gibt sie sich klassenkämpferisch-polemisch noch kommen die Reichen als Helden des Kapitalismus daher, deren Wohlstand uns allen am Herzen liegen muss, weil er sicherlich noch auf die Normalbürger heruntertröpfeln wird.

Stattdessen konstatiert Freeland nüchtern: An der Spitze der Gesellschaft findet eine Reichtumskonzentration wie zuletzt in den 1920ern statt – im Westen ebenso wie in Russland, China oder Indien. Nie zuvor wurden so riesige Vermögenswerte in so kurzer Zeit in private Hände transferiert. „Wer je daran zweifelt, welche Macht eine Idee entfalten kann, sollte den erstaunlichen, ohne Blutvergießen errungenen Sieg des neoliberalen Denkens betrachten.“

Kurios daran: Innerhalb des reichsten Prozents ist die Vermögensungleichheit nicht kleiner als innerhalb der gesamten Gesellschaft. Nicht das oberste Prozent ist also der wahre Gewinner, sondern das oberste Promille. Bei diesem offenbart Freeland verblüffende Merkmale.

So sind die wahrhaft Reichen keine Angestellten, sondern Selbstständige – und dies vor allem im Finanzsektor. Die fünf obersten Hedgefonds-Investoren etwa verdienten 2004 zusammen mehr als alle Vorstände der 500 wichtigsten US-Unternehmen.

Auch stammen die neuen Plutokraten nicht etwa aus der Mitte der traditionell reichen Establishments ihrer Länder. Stattdessen kennzeichnet sie „die richtige Mischung aus Insidertum und Randständigkeit“. In den USA etwa erkannte niemand so rasch die Chancen von technischer Digitalisierung und finanzieller Deregulierung wie „die Harvard-Burschen mit Provinzschulbildung“, schreibt Freeland. Und in Russland schaffte es nicht etwa der Kern des vormals kommunistischen Kaders in die neue Oligarchie – sondern jene, „die nahe genug an den Hebeln der Macht waren, um den Übergang zur Marktwirtschaft zu ihrem Vorteil zu nutzen, aber weit genug davon entrückt, um zu verstehen, dass das alte Regime auseinanderbrach“.

Chrystia Freeland: Die Superreichen. Westend 2013, 368 S., € 23,70

Chrystia Freeland: Die Superreichen. Westend 2013, 368 S., € 23,70

Was bei all diesen faszinierenden Betrachtungen etwas zu kurz kommt, sind die strukturellen Vorbedingungen des Aufstiegs der Plutokraten. Was war die Ursache? Das schwache Wirtschaftswachstum? Die angeblich ineffi zienten verstaatlichten Industrien? Diese Fragen bleiben außen vor. Dafür beschreibt sie meisterhaft, wie die Reichen -einmal einflussreich geworden – laufend mehr Macht erringen.

Dazu nutzen sie einerseits „legale Korruption“, etwa wenn sie sich in den USA in Gesetzgebungsprozesse einkaufen. Und andererseits das, was Freeland „die kognitive Kaperung des Staates“ nennt. Also die nachhaltige öffentliche Verankerung jener Mär, wonach mehr Privilegien für Reiche letztlich allen Bürgern nutzen.

Und noch eine Tendenz arbeitet Freeland heraus: Gerade in der westlichen Technikelite verbirgt sich der Reichtum gern hinter einer egalitären Fassade und Betriebskultur. So sind im kalifornischen Silicon Valley Limousinen und Chauffeure verpönt, erzählt Ex-Google-Chef Eric Schmidt, der geschätzte 4,6 Milliarden Euro besitzt.

An einem Privatjet hingegen findet niemand etwas Verwerfliches. Und wenn Schmidt gerade nicht da ist, dann dürfen die Untergebenen sein kleines Büro im Google-Gebäude mitbenutzen.

Diese Rezension erschien zuerst im Falter 43/2013

Hier gibt es die komplette Ökonomie-Beilage zu bestellen

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