Monatsarchiv: Juni 2014

Glücksspiel: Kampf um Millionen – und die Stadt Wien hält sich raus

Aus dem FALTER 25/2014

Joseph Gepp

Die Argusaugen mehrerer Konzerne und ihrer Lobbyisten richten sich zurzeit auf das Wiener Finanzministerium. Dort soll bis Ende Juni eine Entscheidung fallen, bei der es um Millionenprofite geht: Wer bekommt Lizenzen zur Eröffnung von Casinos in Wien und Niederösterreich?

Zur Auswahl stehen – in Wien – vier Bewerber: Der Ex-Monopolist Casinos Austria will im 19. Bezirk eine neue Spielbank eröffnen, die Novomatic ihr Casino im Böhmischen Prater ausbauen. Dazu gesellen sich zwei Luxusoptionen: Der Investor Michael Tojner und ein US-Konzern wollen ein Casino im Hotel Intercontinental aufmachen; die deutsche Gauselmann-Gruppe und die Schweizer Stadtcasinos Baden eines im derzeit leerstehenden Palais Schwarzenberg.

In Niederösterreich rittern die Casinos Austria und Novomatic um Lizenzen, mit Wunschstandorten in Krems und Bruck an der Leitha.

Im Finanzministerium hat sich laut Presse inzwischen ein dafür zuständiger Beirat in allen Fragen für die Casinos Austria entschieden – doch die Letztentscheidung steht noch aus.

Interessant ist dabei auch die Rolle der Länder. Die dürfen laut Glücksspielgesetz eine Stellungnahme mit ihrer Lieblingsvariante abgeben. Niederösterreich hat dies laut Presse schon getan: Das Gumpoldskirchner Unternehmen Novomatic und sein geplanter Standort in Bruck an der Leitha seien „klar zu präferieren“. Und Wien?

Laut dem Büro von SPÖ-Vizebürgermeisterin und Finanzstadträtin Renate Brauner macht die Gemeinde von ihrem Recht zur Stellungnahme keinen Gebrauch. Weder betreffend Standortfrage noch etwa in Sachen Spielerschutz oder Arbeitsplätze scheint das Rathaus eine bevorzugte Option zu haben. Die Sache sei „bundesweit geregelt“, es bestehe zur Stellungnahme „kein Anlass“, so Brauner-Sprecher Klaus Kienesberger.

Dabei müsste das Rathaus noch nicht einmal den Gemeinderat für die Stellungnahme bemühen. In dem festgelegten Prozedere würde ein Brief des Magistrats ausreichen.

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Brasilien: wenn der ORF-Sport in die Klischeekiste greift

Aus dem FALTER 24/2014

Glosse: Joseph Gepp

Wir wissen schon: Wenn man will, dass einen viele Leute verstehen, muss man ein Stück weit in die Klischeekiste greifen. Zum Beispiel Samba-Tänzerinnen und Capoeira-Artisten auspacken, wenn es um Brasilien geht. Wovon gerade dieser Tage ja doch hin und wieder die Rede ist.

Besonders sticht der meisterhafte Umgang mit Klischees in der ORF-Berichterstattung zur Weltmeisterschaft hervor. Hier vereint sich das fleischgewordene Österreich-Klischee in Form der Fußballkommentatoren, das ja fast liebenswert daherkommt, mit einem raffiniert durchdachten Brasilien-Ambiente aus exakt drei Samba-Tänzerinnen und drei Palmen. Die Luftmatratze in Cocktailglas-Form fehlt noch, die regen wir hiermit an.

Das Resultat: herrliche Klischee-Exotik. Wie in der Nachkriegszeit, als die Welt noch groß und fremd war.

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Aeryn Gillern: Police re-opens case

Originally published in „FALTER“ 24/14 in German language

Six years ago the US citizien disappeared without a trace after visiting a sauna in Vienna. Now, a murder investigation is finally on its way.

Words: Joseph Gepp
Photo: Heribert Corn
Translation: Dominique Gromes

There are stories that just don’t make sense. Where contradictions remain, no matter how you look at it. Like the story of Aeryn Gillern, US citizen, who lived in Vienna, worked at the UN and was gay.

When Gillern disappeared on the evening of the 29th of October 2007, he was 34 years old.

On that day, more than six years ago, that man ran out of the Kaiserbründl, a discrete gay sauna in Vienna’s first district, completely naked. Since then he is gone. „He jumped into the Danube Canal to commit suicide“, is was police said after the incident. But inconsistencies and doubt remain until today.

Gillern’s case is one of the most mysterious in recent Austrian history – however police never cared much about him. For years now critics, such as members of the Green Party, and Gillern’s mother Kathy, have accused the investigators of sloppiness, indifference and homophobia. In 2008 the “Falter” exposed numerous and severe shortcomings that took place during the investigation.

Gillern's mother Kathy and others holding a vigil in front of the "Kaiserbründl" in Vienna in 2013 (Photo: Corn)

Gillern’s mother Kathy and others holding a vigil in front of the „Kaiserbründl“ in Vienna in 2013 (Photo: Corn)

Now things are about to change. “We are re-opening the case and looking at every detail”, says Mario Hejl, spokesperson of the Federal Office of Criminal Investigation. Before that, the Ombudsman Board re-evaluated the case. On the part of the police, the new Cold Case Squad is now responsible for the case. This department, founded 2010, is using special investigative methods to deal with complex cases that date back some time. Among these are the cases of Julia Kührer and Natascha Kampusch.

Is is possible, that the mysterious disappearance of the US citizien was no suicide at all, but a crime case? Even after six years time, some heavy weight evidence is pointing in that direction. For example they never found his dead body in the Danube, which is very implausible. Furthermore there was a dubious quarrel at the sauna right before Gillern’s disappearance. Details about that were never brought to light, as the owners of the sauna stay silent until today.

And it’s not only the quarrel, and the absence of a dead body that are leading to more questions, it is also Gillern’s run through the City Centre. No one saw the running, naked man – 6 feet tall, muscular, with a shaved head – in the very lively streets of the first district. Only two students from Germany came forward in 2008, after an article in the „Falter“, who had seen Gillern running by Stubentor. They thought he had just lost a bet.

Apart from the low number of witnesses it is the chronology of events from that evening in October 2007 that doesn’t add up. At exactly 8:21pm a fisherman at the Danube Canal heard a splash – perhaps Gillern jumping into the water. But that is 90 minutes after he had left the sauna. And the distance between the Kaiserbründl and the Danube Canal is only about half a mile.

„We want to resolve these oddities now“, says police spokesperson Hejl. He is asking potential witnesses to get in contact with the Federal Office of Criminal Investigation.

ARTIKEL AUF DEUTSCH

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Fall Aeryn Gillern: Die Polizei rollt die Causa neu auf

Aus dem FALTER 24/2014

Vor sechs Jahren verschwand ein US-Amerikaner nach einem Saunabesuch spurlos. Nun beginnen endlich Mordermittlungen

BERICHT: JOSEPH GEPP
FOTO: HERIBERT CORN

Es gibt Geschichten, die einfach keinen Sinn ergeben. Die Widersprüche bleiben groß, wie man sie auch dreht und wendet. So wie die Geschichte von Aeryn Gillern, US-Amerikaner, in Wien lebend, Uno-Mitarbeiter, homosexuell.

Als Gillern am Abend des 29. Oktober 2007 spurlos verschwand, war er 34 Jahre alt.

An diesem Tag vor über sechs Jahren rannte der Mann nackt aus dem Kaiserbründl, einer diskreten Schwulensauna im ersten Bezirk. Seither ist er weg. Er habe durch einen Sprung in den Donaukanal Selbstmord begangen, meinte die Polizei nach dem Vorfall. Doch die Ungereimtheiten und Zweifel sind bis heute immens.

Der Fall Gillern ist einer der rätselhaftesten in Österreich in den vergangenen Jahren – doch die Polizei hat sich bisher nie besonders für ihn interessiert. Seit Jahren machen Kritiker wie die Grünen oder Gillerns Mutter Kathy den Ermittlern Schlamperei, Desinteresse und Homophobie zum Vorwurf. Im Jahr 2008 deckte der Falter zahlreiche schwere Mängel bei den Ermittlungen auf.

Nun aber soll alles anders werden. „Wir gehen die Causa neu und gründlich an“, sagt Mario Hejl, Pressesprecher des Bundeskriminalamts. Zuvor hatte auch die Volksanwaltschaft den Fall Gillern komplett neu aufgerollt. Aufseiten der Polizei ist nun die neue Cold-Case-Einheit dafür zuständig. Diese 2010 gegründete Abteilung behandelt mit speziellen Ermittlungsmethoden komplizierte und länger zurückliegende Causen, etwa auch jene von Julia Kührer und Natascha Kampusch.

Aeryn Gillerns Mutter Kathy and andere trauern um den Verschollenen, in Wien vor dem Kaiserbründl 2013 (Foto: Corn)

Aeryn Gillerns Mutter Kathy and andere trauern um den Verschollenen, in Wien vor dem Kaiserbründl 2013 (Foto: Corn)

Ist das rätselhafte Verschwinden des Amerikaners vielleicht doch nicht auf einen Selbstmord zurückzuführen, sondern auf einen Kriminalfall? Darauf deuten auch nach sechs Jahren noch schwerwiegende Indizien hin. So tauchte niemals eine Leiche aus der Donau auf, was äußerst selten vorkommt. Zudem gab es unmittelbar vor Gillerns Verschwinden einen ominösen Streit in der Sauna. Genaueres darüber hat man nie erfahren, die Betreiber schweigen bis heute eisern.

Doch nicht nur der Streit und die fehlende Leiche werfen Fragen auf, sondern auch Gillerns Lauf durch die Innenstadt. Niemand will den rennenden nackten Mann gesehen haben – 1,85 Meter groß, muskulös, rasierte Glatze –, und das mitten in den belebten Gassen des ersten Bezirks. Einzig ein deutsches Studentenpärchen meldete sich im Jahr 2008 nach Falter-Berichten. Das Paar sah Gillern am Stubentor vorbeilaufen und hielt dies für eine verlorene Wette.

Neben der geringen Zahl an Zeugen ist auch die zeitliche Abfolge an jenem Oktoberabend 2007 total unstimmig. Exakt um 20.21 Uhr vernahm ein Angler am Donaukanal ein Platschen – möglicherweise Gillern, der ins Wasser sprang. Doch zu diesem Zeitpunkt waren bereits fast eineinhalb Stunden vergangen, seit der Mann aus der Sauna gerannt war. Dabei beträgt die Entfernung zwischen dem Kaiserbründel und dem Donaukanal nicht einmal einen Kilometer.

„All diese Merkwürdigkeiten wollen wir jetzt aufklären“, sagt Polizeisprecher Hejl. Etwaige Zeugen bittet er, sich beim Bundeskriminalamt zu melden.

Hier geht’s zum Artikel in englischer Sprache

Bisheriges zum Fall Aeryn Gillern:

Der Tag, an dem Aeryn verschwand (November 2008)
„Einen total perplexen, verfolgten Eindruck“ (Dezember 2008)
Der Fall Aeryn Gillern: Die Grünen bringen eine parlamentarische Anfrage ein (Februar 2009)
Ein kleiner Streit mit großen Folgen (Februar 2009)
GONE: Der Film zum Fall (Oktober 2011)
Vier Jahre ohne Spur (November 2011)
Abgängig mitten im ersten Bezirk (November 2012)
Sechs Jahre ohne Spur: Eine Mutter trauert um ihren verschollenen Sohn (November 2013)

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Auf der Suche nach den fünf Milliarden: Woher soll das Geld kommen?

Aus dem FALTER 24/2014

Reichensteuer oder Strukturreform: SPÖ und ÖVP haben ihre Vorschläge zur Finanzierung einer Steuerentlastung für 2015/16 präsentiert. Was ist von den Ideen zu halten?

VARIANTE EINS: Holt es von den Reichen! Die SPÖ will eine Millionärssteuer. Doch was bringt sie wirklich? Hier geht’s zur Analyse von Barbara Tóth

VARIANTE ZWEI: Holt es vom Staat! Holt es vom Staat! Die ÖVP will eine schlankere Bürokratie. Schafft sie es, ihre Parteigänger zu überzeugen?

ANALYSE: JOSEPH GEPP

Das konservative Österreich mag sie nicht, die „Eigentumssteuer“. Sie sei „politischer Populismus“, warnte etwa vergangene Woche Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl, schädlich für die Wirtschaft und den Mittelstand. Eine „Reform auf Pump“ durch Vermögenssteuern lehnt er ab, denn: „Der österreichische Staatshaushalt hat ein Ausgaben-, aber kein Einnahmenproblem.“

Ins gleiche Horn bläst ÖVP-Vizekanzler und Finanzminister Michael Spindelegger – und präsentiert als Gegenentwurf das Schlagwort von der Strukturreform.

Doch was verbirgt sich dahinter? Was taugen Spindeleggers Vorschläge? Was könnten sie bringen? Und in welchem Zeitraum?

Bislang blieb all das eher im Dunkeln. Denn Spindelegger blieb stets vage, was die Konkretisierung seiner Ideen betrifft. Nur von einem „großen Wurf“ und „einigen Milliarden“ Einsparpotenzial war die Rede. Erst Mitte vergangener Woche präzisierte der Vizekanzler – durch die öffentliche Debatte und parteiinterne Kritik unter Druck geraten – seine Strategie.

Spindelegger zufolge sollen verschiedene Maßnahmen rund 5,5 Milliarden Euro bringen. Das würde für eine spürbare Entlastung der Beschäftigten reichen. Eineinhalb Milliarden davon kämen laut Kronen Zeitung durch eine Kompetenzenbereinigung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden zusammen. Weitere 1,5 Milliarden soll die Streichung von Mehrfachförderungen bringen – das wären zehn Prozent des heimischen Fördervolumens. Dazu kämen die Anhebung des faktischen Pensionsalters, Einsparungen bei ÖBB, Post und Telekom sowie eine kleine Steuerreform, die etwa die Absetzbarkeit von Sonderausgaben einschränkt.

Wer wissen will, wie brauchbar diese Vorschlägen sind, der könnte sich zum Beispiel durch einen Bericht des Rechnungshofs aus dem Jahr 2011 arbeiten. Darin präsentiert die Prüfbehörde des Bundes 599 Reformvorschläge aus allen denkbaren Bereichen, von Gesundheit über Förderwesen bis zu Justiz. Bei der Lektüre erkennt man: Spindeleggers Vorschläge sind zwar alles andere als neu -aber der Vize liegt damit durchwegs nicht falsch, sowohl inhaltlich als auch bei der Abschätzung der Einsparpotenziale. Fragwürdig bis unwahrscheinlich ist lediglich, ob die Einspareffekte tatsächlich derart schnell zustande kommen würden, dass sie bereits im Jahr 2016 eine Steuerreform finanzieren könnten -genauso hat es der Vize angekündigt.

Der Rechnungshof fordert etwa eine „sachgerechte Aufgabenverteilung“ zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Derzeit liegen die Verwaltungskosten pro Einwohner in Österreich aufgrund von Überschneidungen um 27 Prozent höher als beispielsweise im Nachbarland Deutschland. Auch im Förderungswesen könnte man mit einer „einheitlichen Datengrundlage“ viel Geld sparen, schreibt der Rechnungshof. Konkret wären es laut Wifo 3,5 bis fünf Milliarden Euro Ersparnis, dazu kommen nochmals 0,75 bis 2,5 Milliarden an potenziellen Einsparungen im Verwaltungswesen.

Fazit: Über die Art der notwendigen Maßnahmen besteht weitgehend Einigkeit, über Einsparpotenziale ebenso. Eine umfassende Strukturreform könnte tatsächlich eine Steuerreform finanzieren -samt spürbarer Entlastung der Arbeitnehmer. Auch ohne Vermögenssteuer. Offen bleibt nur die Frage: Wenn die Art der notwendigen Maßnahmen so klar ist, warum ist dann bisher nie etwas geschehen?

Seit den frühen 1990er-Jahren gibt es immer wieder Anläufe zu einer großangelegten Verwaltungsreform. Doch die Ergebnisse blieben stets mager. In einigen Bereichen steht Österreich zwar gut da, beispielsweise im E-Government oder in Sachen Bürgernähe in Gemeindeämtern. Trotzdem: Die große Reform wurde bisher „trotz umfangreicher Vorschläge nicht umgesetzt“, konstatierte der Rechnungshof 2011. Verhindert wurde sie vor allem von der „komplexen, zumeist verfassungsrechtlich verankerten Aufgaben-und Ausgabenverteilung zwischen den verschiedenen Gebietskörperschaftsebenen“ – also zwischen Bund, Ländern und Gemeinden.

Im Klartext: Man müsste vor allem das Kompetenzwirrwarr zwischen den drei Ebenen auflösen, um Fortschritte zu erzielen. „In den Bereichen Bildung und Pflege beispielsweise überschneiden sich Kompetenzen und Verantwortlichkeiten massiv“, erklärt der Verwaltungsexperte Peter Biwald vom Zentrum für Verwaltungsforschung. Weiters könnte man rund zehn Prozent an Personalressourcen einsparen, würde man Vereinfachungen bei Bau-, Gewerbe-und Veranstaltungsordnungen vornehmen.

Wenn sie wollte, dann könnte die ÖVP bereits im heurigen Sommer darangehen, viele dieser Missstände abzustellen. Denn dann beginnen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden die Neuverhandlungen zum Finanzausgleich. Dieses System regelt die Aufteilung der Gelder; eineinhalb Jahre sollen sie dauern. Doch Strukturreform hin oder her – bislang hat sich Spindeleggers Partei gegenüber den mächtigen Landesfürsten stets eher defensiv verhalten.

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Eingeordnet unter Behörden, Innenpolitik, Wirtschaft

Aufgedeckt: Spindis Brief an die Steuerzahler

Aus dem FALTER 24/2014

Glosse: Joseph Gepp

Liebe unselbstständig beschäftigte Steuerzahler!

Ich weiß, ihr fordert eine Steuerreform, und bisher schaut ’s eher schlecht damit aus. Und wisst ihr was: Ihr habt recht. Wir wollen die Reform jetzt auch. Aber anders als unser Koalitionspartner.

Ich habe nämlich einen Plan: Das Steuersystem wird freiwillig. Bei den Reichen fangen wir an. Ich habe ihnen schon einen netten Brief geschrieben. Und glaubt mir, sie klingen gar nicht so abgeneigt. Als Nächstes seid ihr dran, liebe Beschäftigte. Lohnsteuer, Mehrwertsteuer – jeder zahlt, was er will! Ist das nicht super? Die beste Idee seit der Flat Tax. Gut für die Wirtschaft, gut für den Konsum – gut für euch.

Ich bin sicher, liebe Beschäftigte, ihr wisst, was ihr mir und eurem Land zu verdanken habt. Also: Ich warte.

Euer Finanzminister Michael S.

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Eingeordnet unter Innenpolitik, Kurioses

Erdoğan in der Stadthalle? Bisher wurde er lediglich angefragt

Aus dem FALTER 23/2014

Ruhig ist es diesen Nachmittag vor der Wiener Stadthalle. Im Park gegenüber vertreiben sich Jugendliche die Zeit; aus dem nahen Beisl tritt ein altes Paar, das sich Mittagsmenüs und Bier gegönnt hat. Doch glaubt man einer Facebook-Nachricht des Wiener Arms der türkischen Regierungspartei AKP, dann könnte es mit der Ruhe im Grätzel bald vorbei sein.

Demnach soll Premier Recep Tayyip Erdoğan im Juni nach Wien kommen – und wohl in der Stadthalle sprechen. Damit stünde dem Ort neben dem Songcontest ein weiteres, ungleich umstritteneres, Großevent bevor. In Köln haben kürzlich 65.000 Leute gegen Erdoğan demonstriert.

Organisiert wird der Auftritt vom AKP-nahen Verein UETD Austria. Dort jedoch will man auf Falter-Nachfrage nichts bestätigen. Wie Wiener Türken im Hintergrund erzählen, ist Erdoğan lediglich angefragt worden. Die Facebook-Nachricht, die Medienberichte in ganz Österreich zur Folge hatte – sie war wohl leicht verfrüht.

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Eingeordnet unter Migranten, Minderheiten, Wien

Buch: Bei den kleinen Völkern Europas

Aus dem FALTER 23/2014

Rund um die Jahrtausendwende reiste der Salzburger Essayist Karl-Markus Gauß, der dieser Tage 60 Jahre alt wurde, zu fünf ethnischen Minderheiten in Europa – und verfasste darüber fünf groß angelegte Reportagen.

Gauß besuchte etwa in Sarajevo sephardische Juden. Er bereiste weiters das Land der Gottscheer, Abkömmlinge deutscher Siedler in Slowenien, und jenes der Arbëreshe, süditalienischer Albaner. Schließlich schaute Gauß bei den slawischen Sorben im Osten Deutschlands vorbei und bei den Aromunen, auch genannt Vlachen, der romanischsprachigen Minderheit in Mazedonien.

Das Ergebnis all dieser Reisen ist ein über weite Strecken grandioses Reportagenbuch. Es zeigt, wie kleinräumig und vielschichtig der europäische Kontinent immer noch ist, trotz aller Vernichtung und ethnischer Flurbereinigung im Zweiten Weltkrieg. Gerade angesichts der EU-Wahlen und der Vorgänge in der Ostukraine lohnt es sich, das Buch wieder zu lesen.

Karl-Markus Gauß: Die sterbenden Europäer. Zsolnay, 2001,260 S., € 20,35

Karl-Markus Gauß: Die sterbenden Europäer. Zsolnay, 2001,260 S., € 20,35

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Eingeordnet unter Bücher, Die vielschichtigen Verbindungen zwischen Osteuropa und Wien, Europa, Minderheiten, Osteuropa

Die Wirtschaft braucht mehr Wirklichkeit!

Aus dem FALTER 23/2014

Die moderne Volkswirtschaftslehre ist viel zu formalistisch, sagt WU-Professor Wilfried Altzinger

Interview: Joseph Gepp

Wer heutzutage Ökonomie studiert, muss hauptsächlich Formeln ableiten und Kurven zeichnen können. Die Wirtschaftswissenschaften leiden unter einem viel zu mathematisierten und formalisierten Zugang, kritisiert eine Initiative aus Ökonomen aus 19 Ländern. Statt echtes menschliches Verhalten und gesellschaftliche Bedingungen zu erforschen, konzentriere sich die Lehre auf den fiktiven Homo œconomicus, dessen Entscheidungen in abstrakten Modellen berechnet werde. Im Mai haben die Kritiker deshalb eine Petition verfasst. Ein Unterzeichner aus Wien: WU-Professor Wilfried Altzinger.

Falter: Herr Altzinger, was läuft schief im VWL-Hörsaal?

Wilfried Altzinger: In einer standardmäßigen volkswirtschaftlichen Grundausbildung wird viel Wert auf die formale Herleitung von Theorien gelegt. Das ist zweifelsohne wichtig. Aber ich würde mir auch mehr Aspekte in Richtung einer politischen Ökonomie wünschen. Zum Beispiel Wirtschaftsund Dogmengeschichte sowie Wirtschaftspolitik und ihr institutioneller Rahmen – all das kommt derzeit zu kurz. Wir brauchen eine realitätsbezogenere Ausbildung.

Was kann man sich unter der formalen Herleitung von Theorien vorstellen?

Altzinger: Wer eine Theorie herleitet, geht mathematisch und formal vor. Das allein reicht aber nicht, um ökonomische Zusammenhänge zu verstehen. Teilweise hat man den Eindruck, das zentrale Kriterium sei heute die formale Korrektheit. Der britische Ökonom John Maynard Keynes hat einmal geschrieben, ein zu hoher Anteil an Mathematik in der Ökonomie lenke die Wissenschaft nur von der Komplexität und den Abhängigkeiten der realen Welt ab – und führe sie in ein Labyrinth aus hochtrabenden und wenig hilfreichen Symbolen.

Wie kam es zu dieser Entwicklung?

Altzinger: Wissenschaftliche Karrieren werden stark über die Anzahl der Publikationen bestimmt – und in international wichtigen Journals der Mainstream-Ökonomie ist der formalistische Zugang das Um und Auf. Deshalb entsteht Anpassungsdruck. Dadurch lassen die Ökonomen wichtige Dinge außer Acht. Ein Beispiel: In Österreich braucht man fundierte Kenntnisse des Systems der Sozialpartnerschaft, um etwa Lohnabschlüsse bewerten zu können. Diese werden zumeist in einem Gesamtpaket der Sozialpartner geregelt, gemeinsam mit Mindestlöhnen, Arbeitszeitregelungen und anderem. Solche institutionellen Aspekte sind entscheidend für Ökonomen, kommen aber in unserer Ausbildung viel zu kurz.

Sie gehen anscheinend davon aus, dass Ihre Studenten später in der Wirtschaftspolitik oder im Wissenschaftsbetrieb landen – tatsächlich gehen sie aber oft in Banken oder andere Unternehmen. Wird nicht genau dieser Zugang dort gefordert? Sonst hätte er sich wohl nicht derart durchgesetzt.

Altzinger: Mein Anspruch an die Ausbildung lautet, Erkenntnisse über ökonomische Gesamtzusammenhänge zu gewinnen. Natürlich – wenn man im Bankensektor Derivatgeschäfte durchführt und Computerprogramme dafür schreibt, war die Ausbildung goldrichtig. Dafür braucht man aber keine Ökonomen, dafür gibt es echte Mathematiker und Statistiker. Sobald ich mich als Ökonom mit der realen Wirtschaft auseinandersetze, brauche ich zwangsläufig Kenntnisse über Institutionen, über Historie, Psychologie und Soziologie. Das gilt im Übrigen auch für jene Ökonomen, die in den volkswirtschaftlichen Abteilung von Banken oder Großunternehmen arbeiten.

Wilfried Altzinger, 55, ist Makroökonom an der Wiener Wirtschaftsuni. Er befasste sich unter anderem mit Österreichs Außenhandel und der Wirksamkeit von Direktinvestitionen im Ausland (Foto: WU)

Wilfried Altzinger, 55, ist Makroökonom an der Wiener Wirtschaftsuni. Er befasste sich unter anderem mit Österreichs Außenhandel und der Wirksamkeit von Direktinvestitionen im Ausland (Foto: WU)

Wann hat die Mathematisierung der ökonomischen Lehre begonnen?

Altzinger: Schon sehr früh, um das Jahr 1870. Damals hat sich mit der Entwicklung der Grenzproduktivitätstheorie die volkswirtschaftliche Lehre sehr stark an den Naturwissenschaften orientiert und stärker formalisiert. Zuvor haben Ökonomen – zum Beispiel Adam Smith, John Stuart Mill oder Karl Marx – viel juristisches und historisches Wissen in ihre Werke einfließen lassen. Diese Klassiker sind bis heute spannend zu lesen. Sie zeigen uns, was Ökonomen alles wissen sollen, um seriöse Aussagen über mittel-und langfristige Entwicklungsperspektiven treffen zu können.

Hat die formalistische Ausbildung, die Sie kritisieren, auch etwas mit der Ausbreitung des berühmten Neoliberalismus zu tun, der vor rund 30 Jahren eine Ära des strikten Marktglaubens einläutete?

Altzinger: Nein, der Prozess der Formalisierung dauert schon länger, mehr als 100 Jahre. In den vergangenen Jahrzehnten hat er sich zwar intensiviert – doch dies ist vor allem auf die Digitalisierung zurückzuführen. Auch keynesianische Theoretiker arbeiten heute häufig extrem formal. Es gibt jedoch auch positive Beispiele gegen diesen Trend. Das neue Buch von Thomas Piketty etwa, „Das Kapital im 21. Jahrhundert“, ist ein Musterbeispiel für politische Ökonomie: ein einfaches und interessantes theoretisches Konzept, unterfüttert mit umfassender Empirie, und all das wird interpretiert im Rahmen einer großen wirtschaftshistorischen Abhandlung. Echt fesselnd!

Auch an der WU, an der Sie unterrichten, klagen Studenten über die formalistische Ausbildung. Das Institut für heterodoxe Ökonomie etwa, das als kritisch gilt, wird langsam abgedreht. Wie ist es in der heimischen Uni-Landschaft um die ökonomische Lehre bestellt?

Altzinger: Mein Befund gilt durchaus auch für Österreich, wobei aber auch Verbesserungen in Richtung Diversifizierung der Lehrpläne erkennbar sind. An der WU zum Beispiel besteht durch das System der Wahlpflichtfächer eine große Wahlfreiheit. Wenn Sie allerdings Studenten fragen, ob sie Werke John Stuart Mills kennen, werden das 95 Prozent trotzdem verneinen. Denn es steht schlicht nicht in ihren Lehrplänen.

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Eingeordnet unter Wirtschaft

Braucht es platte Botschaften für Erfolg, Frau Maurer?

Aus dem FALTER 23/2014

Interview: Joseph Gepp

Vor der EU-Wahl schickte die grüne Wissenschaftssprecherin Sigrid Maurer ein E-Mail an die Parteiführung, in dem sie die Substanzlosigkeit der Wahlkampagne kritisierte. Bald darauf stellte sich heraus, dass die Grünen ihr bestes bundesweites Wahlergebnis überhaupt eingefahren hatten. Falsch gelegen, Frau Maurer?

Frau Maurer, war Ihre Kritik unrichtig?

Ich freue mich über das Ergebnis, aber meine Kritik bleibt aufrecht. Wir müssen diskutieren, wie wir Politik und Kampagnen machen. Ich habe das E-Mail bewusst vor der Wahl verschickt, es gilt unabhängig vom Ergebnis.

Haben die Grünen trotz oder wegen der Kampagne gewonnen?

Ich würde sagen: trotz!

Geht man mit einfachen Botschaften nicht auch über Kernanhängerschichten hinaus und erschließt sich neue Wähler?

Ich denke, der Erfolg der Grünen ist jedenfalls viel weniger der Kampagne zuzuschreiben als der Person Ulrike Lunacek. Sie hat bewiesen, dass sie eine ausgewiesene Fachfrau und gute Politikerin ist.

Gut, aber wie soll eine Kampagne der Grünen Ihrer Ansicht nach aussehen?

Ich habe jetzt keinen Masterplan dafür, ich hätte jedenfalls gerne mehr inhaltlichen Tiefgang. Mir geht es prinzipiell um die Entpolitisierung der Politik infolge der kommunikativen Verflachung – nicht nur bei den Grünen.

Sigrid Maurer (Foto: Grüne)

Sigrid Maurer (Foto: Grüne)

Verändern denn solche Kampagnen auch die Politik der Grünen?

Genau das ist der Effekt. Durch platte und populistische Kampagnen wie diese ziehen wir uns auf die Wohlfühlebene zurück. Wir sprechen nur noch angenehme Dinge an und weichen vor inhärent politischen Fragen zurück, etwa nach Machtverhältnissen. Die Verteilungsfrage zum Beispiel – so etwas lassen wir aus. Wir suggerieren stattdessen oberflächlich, dass es Lösungen gibt, die niemandem wehtun. Aber Politik ist in Wahrheit das Gegenteil. Sie besteht aus Macht- und Verteilungskämpfen, dem Ausgleich widerstrebender Interessen. Happy-Peppi-Politmarketing bringt uns da nicht weiter.

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Eingeordnet unter Innenpolitik