Monatsarchiv: April 2014

Buch: Am k. u.k. Außenposten

Erschienen im FALTER 18/2014

Einem fast vergessenen Militäreinsatz Österreichs widmet sich die Wiener Historikerin Tamara Scheer in einem neuen Buch: Im Jahr 1879 marschierte die Armee der Donaumonarchie in den Sandžak von Novipazar ein, eine Region im serbisch-montenegrinischen Grenzgebiet. Es war ein „konzilianter“ Akt mit Einverständnis des Osmanischen Reiches, das zuvor Machthaber über das Gebiet war.

Mithilfe zahlreicher Originalzitate schildert Scheer drei Jahrzehnte der Besatzung – und liefert ein farbenfrohes, detailreiches Bild soldatischen Lebens im balkanischen Hinterland. Der wahre Zweck der Mission – Österreich als Großmacht dastehen zu lassen -erschloss sich den Militärs allerdings nicht. So beschäftigten sich die Österreicher etwa mit der Verschönerung von Kasernen und der Frage, ob es der lokalen Bevölkerung erlaubt sein soll, Sliwowitz und Schafwolle auszuführen. Scheer schildert den Alltag bis hin zum Garnisonstratsch, etwa über den Hund, der verjagt wurde, weil er sich gegenüber einer Brigadiersgattin „unerhört respektwidrig“ benommen hatte. Insgesamt entsteht das lebendige Bild einer absurden Mission, deren einziger Zweck es war, die Illusion alter Größe zu wahren.

Joseph Gepp

Tamara Scheer: "Minimale Kosten, absolut kein Blut". Österreich-Ungarns Präsenz im Sandžak von Novipazar (1879-1908). Peter Lang, 282 S., € 56,50

Tamara Scheer: „Minimale Kosten, absolut kein Blut“. Österreich-Ungarns Präsenz im Sandžak von Novipazar (1879-1908). Peter Lang, 282 S., € 56,50

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Eingeordnet unter Bücher, Die vielschichtigen Verbindungen zwischen Osteuropa und Wien

Der übersehene Palast

Aus dem FALTER 17/2014

Von der Hauskapelle bis in den Eiskeller – ein Rundgang durch das Palais Schwarzenberg, das bald zum Casino werden soll

ERKUNDUNG: JOSEPH GEPP
FOTOS: HERIBERT CORN

Es gibt Sehenswürdigkeiten in Wien, die es nicht schaffen, sich im Bewusstsein der Stadtmenschen festzusetzen. Man kennt sie zwar vom Sehen und geht auch oft an ihnen vorbei. Aber man schaut nie richtig hin. Auf diffuse Weise fallen sie nicht weiter auf, bis man das erste Mal genauer hinsieht – und staunt. So eine Sehenswürdigkeit ist das Palais Schwarzenberg.

Erbaut wurde es um das Jahr 1700 von Lukas von Hildebrandt, einem der bedeutendsten Barockarchitekten Österreichs, der etwa auch das Belvedere oder das Schloß Hof im Marchfeld errichtete. Residiert hat hier über Jahrhunderte die Familie Schwarzenberg, eine der wichtigsten Dynastien im Staat gleich nach den Habsburgern. Doch aus irgendeinem Grund schafft es der barocke Prunkbau heute nicht heraus aus dem Hinterstübchen im städtischen Bewusstsein. Vielleicht liegt es daran, dass das Palais vom Hochstrahlbrunnen und vom Russendenkmal verdeckt wird, wenn man über den Schwarzenbergplatz zu ihm blickt. Oder daran, dass der einst prächtige Vorhof in einen Parkplatz verwandelt wurde, weshalb sich die Fassade des Schwarzenberg hinter Autos erhebt.

Steht leer, seit ein Hotelprojekt hier scheiterte: das Hotel Schwarzenberg vom Park aus gesehen (Foto: Corn)

Steht leer, seit ein Hotelprojekt hier scheiterte: das Hotel Schwarzenberg vom Park aus gesehen (Foto: Corn)

Eigentümer ist jedenfalls bis heute die Familie Schwarzenberg. Deren Oberhaupt, Karl Schwarzenberg, zugleich tschechischer Außenminister, bewohnt nach wie vor eine Wohnung in einem Seitentrakt, wenn er sich in Wien aufhält. Beim Rest des Palasts stellt sich immer dringender die Frage: Was tun damit?

Tapeten hängen in Fetzen von der Wand (Foto: Corn)

Tapeten hängen in Fetzen von der Wand (Foto: Corn)

Bis 2006 war das Palais ein Luxushotel, was allerdings scheiterte. Und auch die Vermietung für Edelevents – beispielsweise für Präsentationen des Lederwarenunternehmens Louis Vuitton oder für die Hochzeit der Tochter des Wiener Milliardärs Martin Schlaff vergangenen Sommer – sorgt kaum für Auslastung. Deshalb gibt es nun eine neue, umstrittene Idee: Mit dem Sanctus der Familie wollen das Schweizer Stadtcasino Baden und die deutsche Gauselmann-Gruppe in den geschichtsträchtigen Sälen ein Luxuscasino eröffnen. Derzeit bemüht man sich um eine Konzession. Die Kommunikationsagentur Trummer, die für das Casinoprojekt wirbt, hat dem Falter eine exklusive Führung durch das verwaiste und etwas heruntergekommene Palais Schwarzenberg gewährt. Von abgenutzten barocken Festsälen bis zum verlassenen Hoteltrakt, von einer einst schicken 1980er-Jahre-Bar bis zu Kellergewölben tief unter der Erde – das Gebäude erzählt auch viel über die Geschichte der Stadt und ihre Veränderungen.

Blick auf den Altar in der Hauskapelle (Foto: Corn)

Blick auf den Altar in der Hauskapelle (Foto: Corn)

Die Kapelle zum Beispiel. Hier feierten die Schwarzenbergs einst ihre Hausmessen, umgeben von Marmor und Blattgold. Nein, hier seien keine Roulettetische geplant, wird heute versichert, höchstens eine kleine Sektbar.

Ein Sicherheitsmann zeigt den originalen Intarsienboden, der unter dem neuen Parkett liegt (Foto: Corn)

Ein Sicherheitsmann zeigt den originalen Intarsienboden, der unter dem neuen Parkett liegt (Foto: Corn)

Oder die Festsäle nebenan. An manchen Stellen kann man die Bretter des Holzbodens anheben, darunter kommt das originale Parkett aus der Barockzeit zum Vorschein, voller prächtiger Intarsien, die aussehen wie Kaleidoskope aus Experimentalfilmen der 1960er-Jahre. Die Stofftapeten daneben hängen teils in Fetzen von den Wänden.

Festsaal im Palais Schwarzenberg (Foto: Corn)

Festsaal im Palais Schwarzenberg (Foto: Corn)

Ein Stockwerk tiefer wird es modernistischer. Hier hat der Architekt Hermann Czech 1984 ein Restaurant samt Bar eingerichtet. Deren nischenreiche, ausladende Gestaltung zählte damals zum Feinsten, was Wiens Gastronomie in puncto Innenausstattung hergab. Heute riecht es an der Holztheke nach Schimmel. Einige Räume weiter zeugen rostige Umrisse an der Wand von etlichen Geräten einer Großküche, in der einst für Gäste gekocht wurde. Wer von hier eine enge, bröckelnde Treppe nach unten klettert, erreicht einen jahrhundertealten Eiskeller. Es ist ein hoher, kuppelförmiger Raum, ausgekleidet mit Ziegeln. Dienstboten füllten ihn früher mit Eis, um Lebensmittel im Sommer einzukühlen. Weil der Keller so tief unter der Erde liegt, schmolz es monatelang nicht ab.

Der Eiskeller tief unter der Erde: Durch die Rundung floss das Schmelzwasser ab (Foto: Corn)

Der Eiskeller tief unter der Erde: Durch die Rundung floss das Schmelzwasser ab (Foto: Corn)

Jener Flügel des Palais Schwarzenbergs, der als Hotel fungierte, schaut hin zur Prinz-Eugen-Straße. Hier finden sich niedrige, meist leergeräumte Hotelzimmer. Im grünen Teppichboden erkennt man noch die Umrisse von Doppelbetten. Zimmernummern hängen noch an Türen. Eine Preisliste für Kleiderreinigung liegt noch neben einer Badewanne, verziert mit einem kleinen Krönchen, dem Hotellogo. Sollte das Schwarzenberg übrigens tatsächlich ein Casino werden, dann werden die Hotelzimmer zu Verwaltungsräumen umfunktioniert, erklärt der Herr von der PR-Agentur. In die barocken Prunkräume kommen die Spieltische.

Nochmals die Kapelle, betrachtet vom ersten Stock (Foto: Corn)

Nochmals die Kapelle, betrachtet vom ersten Stock (Foto: Corn)

Für den Fall, dass die Betreiber die Konzession bekommen, haben sie der Republik Österreich jedenfalls ein Angebot gemacht: Große Teile des barocken Parks hinter dem Palais Schwarzenberg sollen in diesem Fall für die Öffentlichkeit zugänglich werden. Derzeit liegt die verwilderte Grünfläche – sie ist eine der größten im Stadtinneren und reicht fast bis zum Gürtel – im Dornröschenschlaf. Nur ein paar Anrainer dürfen sie bislang betreten. Dies soll sich nun unter Umständen ändern.

Vielleicht wird das prächtige Palais Schwarzenberg auf diese Weise ja doch noch im Bewusstsein der Wiener ankommen.

Der Park hinter dem Palais Schwarzenberg könnte der Öffentlich zugänglich gemacht werden, so den Betreibern erlaubt wird, im Palais ein Casino zu eröffnen (Foto: Corn)

Der Park hinter dem Palais Schwarzenberg könnte der Öffentlich zugänglich gemacht werden, so den Betreibern erlaubt wird, im Palais ein Casino zu eröffnen (Foto: Corn)

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Eingeordnet unter Stadtgeschichte, Wien

Eine Milliarde pro Minute

Aus dem FALTER 17/2014

Rund 75 Milliarden Staatsausgaben, rund 75 Minuten Redezeit: Alles, was Sie über die kommende Budgetrede von Finanzminister Michael Spindelegger wissen müssen

FRAGEN & ANTWORTEN: JOSEPH GEPP EDUARD MÜLLER

Demnächst gibt es wieder diese Budgetrede, oder nicht?

Richtig! Am Dienstag, 29. April, wird sich ÖVP-Finanzminister und Vizekanzler Michael Spindelegger dem Parlament stellen und die Abgeordneten über den Haushalt der Republik Österreich und die Höhe des Budgetdefizits aufklären.

Findet das immer um diese Zeit statt?

Nein, normalerweise finden die Budgetreden im Oktober statt. Aber diesmal gab’s ja im September 2013 Nationalratswahlen, da wäre das Budget ungelegen gekommen. Also verschob man es auf diesen April und fasst dafür nun gleich zwei Jahre zusammen, 2014 und 2015.

Aha, und bis jetzt weiß noch keiner, was in diesem Budget drinsteht?

Oh doch, durchaus. Die Budgeterstellung ist ein komplexer Prozess, politische Vorhaben mit budgetären Auswirkungen ziehen sich über das ganze Jahr hin. Seit einer Haushaltsrechtsreform 2009 werden bereits im Frühjahr die sogenannten „Ausgabenobergrenzen“ definiert, also errechnet, wie viel Geld man in kommender Zeit zur Verfügung haben wird. Demgegenüber stehen die Wirtschaftsprognosen, aus denen sich die Entwicklung der Einnahmen herauslesen lässt – denn in ihnen werden das Wirtschaftswachstum und die Arbeitslosigkeit vorausgesagt. Heuer wissen die Ministerien seit Jänner, wie viel sie sparen müssen oder zusätzlich ausgeben dürfen.

Was nun, sparen oder ausgeben?

Nun, Ende März war zwar die Freude groß, als bekannt wurde, dass das österreichische Budgetdefizit im vergangenen Jahr geringer als erwartet ausgefallen war. Der Fehlbetrag des Jahres 2013 lag nämlich, wie sich herausstellte, bei nur 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – während das Finanzministerium zuvor mit einem Minus von 2,3 Prozent gerechnet hatte. Die Antwort ist aber trotzdem eindeutig: Es muss gespart werden.

Michael Spindelegger hält kommenden Dienstag die Budgetrede

Michael Spindelegger hält kommenden Dienstag die Budgetrede

Und wie viel?

In Summe müssen alle Ministerien heuer gemeinsam rund 500 Millionen Euro einsparen. Nächstes Jahr sollen weitere rund 300 folgen.

Und Genaueres weiß man noch nicht?

Man weiß zwar, welche Ressorts wie viel sparen müssen – aber noch nicht genau in welchen Bereichen. In vollem Umfang wird dies wohl erst im Zuge der Budgetrede und des anschließenden parlamentarischen Prozesses herauskommen. Viele Informationen sind aber schon bekannt, zum Beispiel Einsparungen in der Bildung, in der Verteidigung und im sozialen Wohnbau.

Huch, in der Bildung, das ist aber heikel!

Das kann man wohl sagen. Mittlerweile ist SPÖ-Unterrichtsministerin Gabriele Heinisch-Hosek nach massiven Protesten auch zurückgerudert und hat angekündigt, das Vorhaben nochmals zu überarbeiten. Im Bildungsbudget müssen zwar nur 0,75 Prozent eingespart werden, aber die geplanten Effekte waren hart: Klassen mit mehr als 30 Schülern in der neunten Schulstufe, viel weniger sogenanntes „Teamteaching“ in der neuen Mittelschule – solche Maßnahmen werden Eltern, Lehrer und Kinder direkt spüren.

Und sonst? Bei der Verteidigung? Beim sozialen Wohnbau?

Das Bundesheer etwa muss 38 Millionen Euro einsparen – hereingeholt wird dies beispielsweise, indem man Ersatzteile für die bekannten Pinzgauer nicht mehr nachkauft. Und was den sozialen Wohnbau betrifft, hat die Regierung vor der Wahl im vergangenen Herbst ein „Konjunkturpaket Wohnen“ versprochen. Mit 276 Millionen Euro extra für geförderte Wohnungen wollte der Bund damit auf gestiegene Wohnpreise reagieren – aber nur, wenn die Bundesländer mitziehen und ihrerseits in ähnlicher Höhe fördern. Diese allerdings sträuben sich mit Ausnahme von Wien ohnehin allesamt. Nun hat man sich auf eine Streckung des Projekts bis zum Jahr 2018 geeinigt. Die Zahl von 276 Millionen nennt derzeit niemand mehr.

Wenn man kein Geld hat, warum erhöht man nicht einfach die Steuern, statt in sensiblen Bereichen wie Bildung und Wohnbau zu sparen?

Gute Frage. Laut Experten und NGOs gäbe es in manchen Bereichen großes Potenzial, zum Beispiel bei Vermögenssteuern oder bei Körperschaftssteuern auf Unternehmensgewinne. Aber zu solchen Schritten fehlen derzeit der politische Wille und die koalitionäre Harmonie. Zudem fürchtet man, in einem internationalen Steuerbewettbewerb gegenüber anderen Staaten ins Hintertreffen zu geraten. An ein paar kleineren Schrauben hat man aber dennoch gedreht: 770 Millionen extra sollen heuer durch eine Steuerreform hereinkommen, die Anfang März in Kraft trat. Ab nächstem Jahr sollen gar jährlich 1,2 Milliarden fließen. Die höheren Steuern treffen vor allem Autofahrer mittels einer Erhöhung der Normverbrauchsabgabe und der Versicherungssteuer. Auch Tabak und Alkohol werden höher besteuert als bisher.

Allgemein gefragt: Wo gibt der Staat Geld aus, wo nimmt er es ein?

Die größten Einnahmen kommen traditionellerweise von der Lohn- und von der Mehrwertsteuer. Sie machten im vergangenen Jahr rund ein Drittel der gesamten Staatseinnahmen von 156 Milliarden aus – Tendenz steigend. Neben diesen Steuern gibt es immer wieder Sonderquellen, die freilich vergleichsweise klein sind. So verdiente der Staat 2013 rund zwei Milliarden Euro am Verkauf von Mobilfunklizenzen. Oder das Schwarzgeldabkommen mit der Schweiz: Daraus flossen im vergangenen Jahr 717 Millionen Euro zurück nach Österreich.

Und wofür gibt der Staat Geld aus?

Von den öffentlichen Ausgaben machen die Sozialleistungen fast die Hälfte aus, der Großteil davon entfällt mit knapp zehn Milliarden Euro auf die Sozialversicherung. Dahinter folgen die Pensionen mit etwas weniger als neun Milliarden Euro. Auch der Personalaufwand für Bedienstete der öffentlichen Hand und die Förderungen sind große Posten – sie betragen gemeinsam ein gutes Drittel der Gesamtausgaben. Und nicht zuletzt kamen der Republik die Bankenhilfen teuer zu stehen: Sie kosteten das Land im vergangenen Jahr 1,9 Milliarden Euro und vergrößerten das Budgetdefizit um 0,6 Prozentpunkte – nachdem bereits 2012 2,6 Milliarden Euro in den Bankensektor gepumpt wurden.

Ach ja natürlich, die Kärntner Hypo.

Nicht nur die. Auch weitere Banken mussten mit Hunderten Millionen Euro Steuergeld vor der Pleite gerettet werden, etwa die Kommunalkredit und die Volksbanken-AG in den Jahren 2008 und 2012. Dazu werden auch gesündere Banken seit der Bankenkrise 2009 mit Staatsgeld unterstützt – doch die zahlen es immerhin mit Zinsen zurück. Aber ja: Vor allem belastet heuer die Hypo das Budget massiv.

Wie wichtig ist sie für das Budget?

Nun, wer über das Doppelbudget 2014 und 2015 spricht – der spricht im Wesentlichen über die Hypo. Die Abwicklung der Kärntner Problembank und die Einrichtung einer Abbaugesellschaft dürften den Staatshaushalt allein heuer mit stolzen vier Milliarden Euro belasten, erwarten die Wirtschaftsforschungsinstitute IHS und Wifo. Zum Vergleich: Das ist rund die Hälfte der jährlichen Bildungsausgaben des Staates. Laut Fiskalrat wird die Hypo das heurige Budgetdefizit um 0,4 Prozent erhöhen. Und nach 2014 ist es längst noch nicht vorbei: Der sogenannte „Abbauteil“ der Bank, also die maximale Summe aller faulen Kredite und unverkäuflicher Assets, könnte in den kommenden Jahren Gesamtkosten von bis zu 17 Milliarden Euro bringen -was allerdings nur eine grobe Schätzung ist. Das Hypo-Desaster wird uns also jahrelang begleiten. Und die derzeit kurzfristig anfallenden Milliardenkosten für die Bank sind der Grund dafür, warum sich die Koalition mit dem Schnüren eines Sparpakets herumschlagen muss.

Hat die Regierung diese Kosten nicht vor der Wahl noch geleugnet? Da gab es doch dieses „Budgetloch“.

Stimmt, wobei: „Geleugnet“ ist zu viel gesagt. Das viel kritisierte Budgetloch, das sich bei den Koalitionsverhandlungen im Herbst 2013 auftat, war genau genommen eine Abweichung von der Budgetplanung der nächsten vier Jahre. Im Frühjahr zuvor hatte man manche Dinge nicht miteinberechnet – etwa Bankenhilfen oder Zuschüsse zu Pensionen. Zum Teil war es für die Regierung sicherlich politisch nicht opportun gewesen, drohende Zusatzkosten vor den Wahlen laut herauszuposaunen. Andererseits konnte man aber auch die Höhe vieler Ausgaben tatsächlich noch nicht abschätzen, wie beispielsweise die Wifo-Budgetexpertin Margit Schratzenstaller im vergangenen November im Falter sagte. Dass die Regierung nach den Wahlen das Budgetloch zum „Prognoseloch“ kleinredete, brachte ihr damals zwar viel Kritik in den Medien. Doch im Grunde lag sie nicht ganz falsch.

So oder so, jetzt kommt uns die Hypo teuer.

Ja, leider, obwohl die Wirtschaftsdaten besser als erwartet ausfielen, muss nun gespart werden.

Aber warum sofort? Können wir nicht einfach in ein paar Jahren für die Hypo zahlen?

Nein, dem stehen die Budgetvorgaben der Europäischen Union entgegen. Ihnen zufolge darf das jährliche Maastricht-Defizit der Mitgliedstaaten nicht über drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen. Eben diesen Rahmen droht die Hypo zu sprengen.

Was ist das, ein Maastricht-Defizit?

Damit betreten wir das komplexe Lehrgebäude der Budgethüter in Brüssel. Das Maastricht-Defizit ist sozusagen das Gesamtminus -im Gegensatz zum sogenannten „strukturellen Budgetdefizit“. Aus Letzterem werden nämlich Einmalzahlungen und Staatsausgaben für Konjunkturschwankungen herausgerechnet. Der Hintergedanke dieser Rechnung, die unter Ökonomen umstritten ist: So sollen Sparpotenziale offengelegt werden, manifestiert eben im strukturellen Defizit. Die Hypo jedoch schlägt sich, weil sie eine Einmalzahlung ist, vor allem im Maastricht-Defizit nieder.

Was bitte haben Brüssel und Maastricht mit unserem Budget zu tun?

Ziemlich viel. Vor allem mit der Euro-Krise seit dem Jahr 2010 sind die europäischen Institutionen zu entscheidenden Akteuren bei der Budgeterstellung der Nationalstaaten geworden.

Aha, und wie ist es dazu gekommen?

Das hat ursprünglich mit der Einführung des Euro zu tun. Wenn sich Staaten eine Währung teilen, so der Gedanke, dann kann nicht zugleich jeder eine autonome Schuldenpolitik fahren und die gemeinsame Währung damit vielleicht gefährden. Deswegen einigte man sich im Rahmen des Maastricht-Vertrags von 1992 auf den sogenannten „Stabilitätspakt“: Ihm zufolge darf das jährliche Haushaltsdefizit der Staaten nicht über drei Prozent liegen und die Gesamtverschuldung im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt nicht über 60 Prozent. Die Regel wurde allerdings sehr lax gehandhabt.

Kommt den Staat extrem teuer: Das Logo der Hypo Alpe Adria zeigt die Alpen (oben) und die Adria (unten)

Kommt den Staat extrem teuer: Das Logo der Hypo Alpe Adria zeigt die Alpen (oben) und die Adria (unten)

Bis die Schulden zu hoch wurden?

Genau, und zwar in der Krise. Seitdem verschärft die EU ihr Schuldenregime. Im Jahr 2011 trat das sogenannte „Sixpack“ in Kraft. Dieses Paket aus sechs verschiedenen Gesetzen enthält unter anderem eine Präzisierung des Stabilitätspakts. Es sind umstrittene Maßnahmen, weil sie Staaten auch in wirtschaftlich schlechten Zeiten zur Sparpolitik zwingen.

Und erfüllt Österreich die Vorgaben?

Nein, aber das bedeutet nicht viel. Gegen ganze 17 EU-Staaten läuft derzeit ein Defizitverfahren -seit Oktober 2009 ist darunter auch Österreich. Laut Stabilitätspakt muss Österreich nun ab dem Jahr 2015 ein ausgeglichenes Staatsbudget vorweisen. Zusätzlich muss die Staatsschuldenquote langfristig auf 60 Prozent des BIP sinken. Der Weg zu dieser Schuldensenkung muss jedes Jahr laut EU um mindestens ein Zwanzigstel voranschreiten. Beginnen soll der Abbau der Staatsschuldenquote im Jahr 2017 – wenn das Budget bis dahin ausgeglichen ist. Wenn nicht, muss der Abbau bereits 2015 beginnen.

Das sind ja ziemlich strikte Vorgaben.

Ja, wie gesagt, die EU-Institutionen in Brüssel sind mittlerweile zu wichtigen Playern in der österreichischen Budgeterstellung geworden. Jedes Frühjahr und jeden Herbst schickt das Wiener Finanzministerium die geplanten Budgetzahlen zur sogenannten „Notifikation“ nach Brüssel. Dort wird dann geprüft, ob sich budgetär alles im Lot befindet.

Wird Österreich die Ziele erreichen?

Teilweise. Der Fiskalrat, der frühere Staatsschuldenausschuss, rechnet mit einer Einstellung des Defizitverfahrens im heurigen Jahr. Finanzminister Spindelegger will zudem im Jahr 2016 unbedingt das Nulldefizit erreichen – ob dies gelingt, zweifeln allerdings der Internationale Währungsfonds und viele Experten an. Das Nulldefizit wäre übrigens kein echter vollständiger Schuldenabbau, denn damit ist lediglich das strukturelle Defizit gemeint.

Apropos Spindi – warum tut sich der den schwierigen Job des Finanzministers überhaupt an, er steht doch schon als ÖVP-Chef unter Druck?

Das denken sich in der ÖVP auch viele. Aber für den Job spricht: Als Finanzminister ist man mit dem Bundeskanzler auf Augenhöhe, wenn nicht sogar der mächtigste Mann in der Regierung. Über Spindeleggers Schreibtisch laufen alle Ressortbudgets. Es gibt allerdings auch einen großen Nachteil: Der Job des ÖVP-Chefs und Finanzministers wird spätestens dann ungemütlich, wenn die Finanzausgleichsverhandlungen mit den Bundesländern beginnen. Der jetzige Pakt läuft 2016 aus. Dann wird Spindelegger seinen mächtigen Landeshauptleuten nahetreten müssen. Daran ist schon Josef Pröll gescheitert.

Und wie geht es nach Spindeleggers Budgetrede am 29. April weiter mit der Budgeterstellung?

Es folgen vor allem Formalitäten: Nach der Budgetrede und meist einer „Ersten Lesung“ im Plenum geht der Entwurf in den Budgetausschuss des Nationalrats. Dessen nächste Sitzung ist für den 3. Juli angesetzt. Der Entwurf wird im Budgetausschuss und dann auch im Plenum diskutiert und beschlossen. Dieser Budgetausschuss kontrolliert dann auch die Umsetzung des Bundesfinanzgesetzes – fachlich unterstützt vom Budgetdienst des Parlaments.

Mitarbeit: Ruth Eisenreich, Barbara Tóth

ZAHLEN:

14 %
des BIP werden für staatliche Pensionen aufgewendet. Zum Vergleich: In die Hochschulen fließen nur 1,51 %des BIP

18,1 Mrd.
an Rücklagen haben die Ministerien mit Stand Ende 2013 angespart

155,7 Mrd.
nahm der Staat 2013 ein, die Ausgaben betrugen 160,4 Milliarden Euro

4 Milliarden
kostet Österreich heuer die Hypo. 2013 belastete das Bankenpaket das Budget mit 2,6 Milliarden Euro. Ohne dem hätte das Staatsdefizit 2013 0,9 % betragen. So waren es 1,5 %

1
EU-Land soll 2014 ein Nulldefizit machen: Deutschland. Österreich strebt 2016 ein „strukturelles Nulldefizit“ an

92%
des Budgets des Bildungsministeriums sind fix verplant, etwa für Lehrergehälter

500.000.000
an Ermessensausgaben kürzt die Regierung 2014.60.000.000 davon in den Schulen

18,9%
Um so viel stiegen die Einnahmen aus der Lohn- und Einkommenssteuer seit 2010, die Bruttolöhne stiegen aber nur um 7,4 %

38 Mio.
muss das Verteidigungsressort 2015 an Ermessensausgaben einsparen

4%

Um so viel erhöht sich die Familienbeihilfe ab Juli 2014. Sie könnte dann auch monatlich ausbezahlt werden

35
Prozent des BIP betrug Österreichs Staatsverschuldung 1980.2013 waren es 75

Auf der Website offenerhaushalt.at sind viele heimische Haushalte von Gemeinden transparent aufgelistet -neuerdings auch jener von Wien

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Eingeordnet unter Wirtschaft

Das „Zukunftsbudget“: Woher das Geld für nötige Reformen kommen könnte

Aus dem FALTER 17/2014

Ein Budget, sagt Alexandra Strickner, das sei „in Zahlen gegossene Politik“. Strickner, 45, Ökonomin, ist eine der Begründerinnen des globalisierungskritischen Netzwerks Attac in Österreich. Und sie steht federführend hinter einem Projekt, das Klarheit und Transparenz in den schwierigen Bereich des Budgets bringen soll: dem sogenannten „zivilgesellschaftlichen Zukunftsbudget“.

Attac-Ökonomin Alexandra Strickner

Attac-Ökonomin Alexandra Strickner

Dieses Zukunft sbudget ist kein Projekt von Attac allein. 16 Organisationen von der ÖH über Greenpeace bis zur Gewerkschaft Bau-Holz haben sich zusammengetan. Die Idee entstand im Krisenjahr 2009. Der Gedanke? „Wir wollten Alternativen zur Kürzungspolitik aufzeigen, die sich abzeichnete“, sagt Strickner. „Und dabei den Blick auf die Frage lenken, wer welche Steuern zahlt und wer nicht.“ Herausgekommen ist dieses, nun ja, Budget. Die Organisationen listen Forderungen auf – und präsentieren Finanzierungsquellen dafür. Im Vergleich zum echten Budget ist das hier ausgeglichen.

Weil sich alle teilnehmenden Organisationen einig sein müssen, fehlen allzu revolutionäre Konzepte wie etwa das bedingungslose Grundeinkommen. Stattdessen finden sich eher Ideen, die im österreichischen Kontext realisierbar scheinen. Auch seien die Maßnahmen durchwegs auf österreichischer Ebene durchsetzbar, sagt Strickner – von Ausnahmen wie einer Finanztransaktionssteuer oder einer Flugzeugkerosinsteuer abgesehen.

Wer sich durch die 78 Seiten des Budgets arbeitet – die Ausgabe für 2014 liegt bereits vor -, stellt fest: Über weite Strecken fordert das alternative Budget nichts anderes als viele etablierte Wirtschaftsexperten: vor allem eine steuerliche Entlastung der Arbeitseinkommen, der eine höhere Besteuerung von Vermögen gegenüberstehen müsste. Immerhin stammen 57 Prozent des heimischen Steueraufkommens von Löhnen und Sozialversicherungsabgaben sowie weitere 25 von der Umsatzsteuer – und lediglich 14 Prozent kommen von Gewinnen und Vermögen.

Auf der Ausgabenseite im alternativen Budget findet sich wenig Überraschendes: Mithilfe etlicher konkreter Maßnahmen soll etwa Armut bekämpft, Pflege und Kinderbetreuung ausgebaut werden. Beigefügt sind jeweils auch praktische Umsetzungsmöglichkeiten. So weit, so gut – aber die interessantere Frage lautet: Wie könnten all die Projekte finanziert werden?

Hier schlagen die Autoren eine Vermögenssteuer auf Geld, Wertpapiere und Immobilien vor. Ab 500.000 Euro Vermögen würde sie abgestuft 0,25 bis 1,45 Prozent betragen. Einnahmen laut Zukunftsbudget: jährlich 3,5 Milliarden Euro.

Weitere 300 Millionen könnten aus einer Anhebung der Lohnsteuer für Spitzenverdiener von derzeit 50 auf 60 Prozent resultieren. Weitere Maßnahmen wären etwa eine Grundsteuerreform sowie die Besteuerung von Gewinnen, die aus dem Verkauf von Beteiligungen in Stiftungen stammen.

Nächster Brocken: Unternehmen. Hier fordern die Autoren die Anhebung der Körperschaftssteuer, also der Steuer auf Unternehmensgewinne, von derzeit 25 auf 27,5 Prozent – das wäre dann der Durchschnitt in den OECD-Staaten. Mehreinnahmen pro Jahr: rund 500 Millionen. Weiters wird eine Reform der Gruppenbesteuerung angeregt, jener Maßnahme von Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser, die es Firmengruppen ermöglicht, ausländische Verluste mit Gewinnen im Inland gegenzurechnen. Auch der Rechnungshof bemängelte vergangenes Jahr die durch dieses Steuerprivileg verursachten hohen Kosten und die mangelnden Kontrollmöglichkeiten. Die Regierung hat bereits eine Reform in Angriff genommen – doch die Macher des Zukunftsbudgets schlagen eine noch umfassendere vor.

Zugutekommen sollten diese Veränderungen vor allem Pensionisten und Niedrigverdienern mit bis zu 3400 Euro brutto pro Monat. Diese zahlen in Österreich weitaus höhere Lohnsteuern als im EU-Schnitt. Die Maßnahme könnte per Gutschrift erfolgen, profitieren würden fast fünf Millionen Arbeitnehmer und Pensionisten.

Interessieren all diese Zahlen auch irgendjemanden außerhalb eines kleinen Kreises im NGO- und Gewerkschaftsbereich?“Wir tragen zu einem Bewusstseinswandel bei“, antwortet Strickner. „Und der schlägt sich durchaus auch in der Politik nieder.“ Das zeige sich beispielsweise in Reformen wie der Besteuerung von Zinsgewinnen aus Stiftungsvermögen, die die Regierung im Jahr 2011 beschloss. Oder in der Bankenabgabe aus demselben Jahr. „Die Krise“, sagt Alexandra Strickner, „hat unseren Forderungen Auftrieb gegeben.“

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Eingeordnet unter Wirtschaft

Krieau: Wird die Affäre um billige Grundstücke Folgen haben?

Aus dem FALTER 17/2014

Vergangene Woche berichtete der Falter von kostbaren Gründen an der Trabrennbahn Krieau im Prater, die die Gemeinde Wien zum Spottpreis an eine Privatfirma verscherbelt haben soll. Der Deal geschah 2011, wurde aber bereits 2004 fixiert, unter dem damaligen SPÖ-Wohnbaustadtrat Werner Faymann. Bei der Rathausopposition sorgte die Nachricht für großes Aufsehen.

„Lückenlose Aufklärung“ fordern unisono Wiens ÖVP und FPÖ. Die Parteien wollen den Stadtrechnungshof einschalten, die FPÖ hat darüber hinaus gar Anzeige gegen Bundeskanzler Faymann eingebracht. Die ÖVP betont, dass sie schon 2004 im Gemeinderat gegen den Deal aufgetreten sei. Die verantwortliche Wiener SPÖ hingegen schweigt – und wiederholt nur das immergleiche Statement: Es habe keine Unregelmäßigkeiten gegeben. Denn einerseits habe ein unabhängiger Sachverständiger den billigen Kaufpreis für die Krieau ermittelt, andererseits entspreche eben dieser Preis „umliegenden Vergleichswerten“.

Einer näheren Betrachtung allerdings halten diese Argumente nicht stand. Warum nicht?

Es stimmt zwar, dass ein unabhängiger Sachverständiger 2011 den Preis ermittelt hat. Dies jedoch geschah auf Basis eines Vertrags von 2004. Darin ist die Art der Preisermittlung festgeschrieben – ganz unabhängig vom Sachverständigen. Zum Beispiel auch, dass das Rathaus hohe Sanierungskosten für den Privaten übernimmt – weshalb Rathausbeamte 2007 gar vor einem „negativen Kaufpreis“ warnten.

Das zweite Argument betrifft die „umliegenden Vergleichswerte“: Auch hier ist es zwar richtig, dass die Krieau-Gründe nicht billiger waren als andere, umliegende Grundstücke, die das Rathaus vor der Fußball-EM verkaufte. Allerdings: Eben diese Verkäufe wurden vom Wiener Kontrollamt wegen des viel zu niedrigen Kaufpreises 2006 massiv kritisiert. Fazit: Dass Nachbargrundstücke nicht teurer als die Krieau waren, ist kein entlastendes Argument – eher im Gegenteil.

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Eingeordnet unter Das Rote Wien, Stadtplanung

Rathaus: Mehr Transparenz bei Immobilien-Deals!

Aus dem FALTER 17/2014

Kommentar: Joseph Gepp

Ob beim Baugrund in Wienerwald-Nähe, beim Altbau im Gründerzeit-Grätzel oder bei der Fläche für den Büroturm auf der Donauplatte – wenn die Gemeinde Wien Immobilien verkauft, klingen die Vorwürfe später oft ähnlich. Ob Stadtrechnungshof oder Opposition, ob Betroffene und Branchenkenner: Alle klagen über intransparente Umstände und niedrige Kaufpreise. Vergangene Woche etwa berichtete der Falter über einen krassen Fall in der Krieau. Hier warnten Rathausmitarbeiter gar intern vor einem „deutlich negativen Kaufpreis“ bei hochlukrativen Grundstücken.

Hintergrund solcher Fälle: Die Gemeinde wendet nicht das sogenannte „Bieterverfahren“ an, in dem der Verkauf öffentlich angekündigt wird und der Bestbieter den Zuschlag bekommt. Stattdessen verkauft die Gemeinde gern direkt, ohne Ausschreibung. Den Preis ermittelt dann ein Sachverständiger.

Dass ebenjener doch unabhängig sei, betont die Stadt dann gerne, wenn es Kritik an Deals gibt. Allerdings zeigen viele Fälle: Ein Sachverständiger ersetzt keine Ausschreibung. Im Fall der Trabrennbahn Krieau beispielsweise wurde festgelegt, dass die Stadt hohe Sanierungskosten für den privaten Käufer übernimmt – ein Arrangement, das mit dem Sachverständigen gar nichts zu tun hatte. In anderen Fälle – geschehen etwa im Prater – gibt es nicht einmal Sachverständige. Sondern nur interne Gutachten in zuständigen Magistratsabteilungen.

Fazit: Die Gemeinde Wien braucht dringend ein transparenteres Immobilienmanagement. Warum sie wofür wie viel Geld verlangt, das muss nachvollziehbar sein.

Sonst muss sich die Gemeinde den Vorwurf gefallen lassen, schlampig mit Steuergeld umzugehen.

Ein Kommentar

Eingeordnet unter Das Rote Wien, Stadtplanung

Der Deal auf der Trabrennbahn

Aus dem FALTER 16/2014

Hat die Gemeinde Wien wertvolle Gründe in der Krieau zum Spottpreis an einen Privaten verscherbelt? Chronologie eines dubiosen Millionengeschäfts

BERICHT: JOSEPH GEPP
FOTO: HERIBERT CORN

Seit die Sportwetten-Fans lieber ins Wettcafé oder ins Internet gehen, ist es still geworden auf der Trabrennbahn Krieau. An guten Tagen kommen gerade einmal 3000 Besucher, nicht mehr 50.000 wie einst. Die denkmalgeschützten Stallungen bröckeln. Von drei historischen Tribünen sind zwei wegen Baufälligkeit gesperrt.

Die altehrwürdige Trabrennbahn im zweiten Bezirk, eröffnet 1878, wirkt wie aus der Zeit gefallen. Rundherum blüht das Viertel nördlich des Praters, seit im Jahr 2008 die U2 hierher verlängert wurde. Gleich neben der Rennbahn entstanden etwa in den vergangenen Jahren die neue Wirtschaftsuni, das Büroquartier Viertel Zwei und das Einkaufszentrum Stadion Center. Und mittendrin liegt die Krieau, verwaist und von Subventionen ihres Eigentümers abhängig, der Gemeinde Wien.

Nun wird ein Teil der Rennbahn verbaut. Ab kommendem Jahr sollen auf dem Areal Büros und freifinanzierte Wohnungen für 5000 Menschen entstehen, verkündete Wiens rot-grüne Stadtregierung Anfang März. Fertig werden soll das Projekt 2021. Die Rennbahn selbst bleibt erhalten, versichert das Rathaus. Die Neubauten sind am Rand der Anlage geplant, wo heute noch Stallungen und Freiflächen liegen.

Bauherr in der Krieau ist nicht die Stadt Wien, sondern ein privates Immobilienunternehmen namens IC Projektentwicklung. Vor zwei Jahren hat die Gemeinde die zu verbauenden Teile der Krieau an diese Firma verkauft. Die IC Projektentwicklung ist in der Gegend nicht unbekannt; sie hat bereits im Jahr 2010 das danebenliegende Büro-und Wohnungsareal Viertel Zwei errichtet. Dieses wird nun in Richtung Trabrennbahn erweitert.

Wer sich den Verkauf der Krieau-Gründe genauer anschaut,
stößt auf einen Deal, der über viele Jahre läuft und dessen Umstände völlig unklar sind. Offenbar hat die Gemeinde die hochlukrativen Gründe viel zu billig verkauft, nicht zuletzt aufgrund gefinkelter Klauseln im Kaufvertrag von 2011, der dem Falter vorliegt. Laut diesem zahlt die IC Projektentwicklung für die Krieau-Gründe 300 Euro pro Quadratmeter bebauter Fläche. Das Geld fließt erst nach Fertigstellung des Projekts. Der gesamte Kaufpreis beträgt ungefähr 60 Millionen Euro. Das allein wäre laut Kritikern schon weit unter dem Marktwert für die begehrten Gründe, deren Größe circa einem Drittel des Wurstelpraters entspricht. Doch von den 60 Millionen werden noch hohe Summen abgezogen, etwa weil die Gemeinde Sanierungskosten für den privaten Partner übernimmt. Möglicherweise handelt es sich dabei um Dutzende Millionen Euro, die der Gemeinde – und damit dem Steuerzahler – entgehen. Oder gar um noch mehr. Darauf lässt zumindest ein Rathaus-internes Schreiben schließen, das dem Falter vorliegt.

Der Aktenvermerk stammt aus dem Jahr 2007. Im Vorfeld des Krieau-Verkaufs warnen darin Rathausbeamte die damaligen Chefs der Wien-Holding, Brigitte Jilka und Peter Hanke. Der Deal bedürfe sofort „einer Korrektur bzw. Auflösung“, steht in dem Schreiben. Grund: Weil sich der Käufer so viel vom Kaufpreis abziehen darf, stehe am Ende möglicherweise gar ein „deutlich negativer Kaufpreis“. Das heißt: Die Gemeinde zahlt schlimmstenfalls dafür, dass ihr eine Privatfirma lukrative Gründe abnimmt. Weil das nur ein „Irrtum“ sein könne, empfehlen die Beamten, „das Vertragsverhältnis wegen Irrtums anzufechten“. Die Warnung bleibt ungehört – der Deal wird einige Jahre später wie vorgesehen abgeschlossen.

In einem internen Aktenvermerk warnen Rathausbeamte die Wien-Holding-Chefs vor einem „negativen Kaufpreis“, raten zur „Korrektur bzw. Auflösung“ des Deals und empfehlen eine „Anfechtung wegen Irrtums“

Die Geschichte der Krieau zeigt, wie im Rathaus undurchsichtige Immobiliengeschäfte gemacht werden, bei denen die private Seite bemerkenswert gut aussteigt. Die Verträge sind hochkomplex. Die politischen Verantwortlichkeiten sind unklar, auch deshalb, weil die Vorgänge über viele Jahre laufen. Ausschreibungen gibt es nicht. Der Wiener Gemeinderat nickt die schwierigen Deals ab, durchschaut die Konstrukte aber nicht. Das Kontrollamt, Wiens Pendant zum Rechnungshof, kritisiert die Zustände, aber seine Empfehlungen verhallen ungehört. Aber der Reihe nach.

Traber auf der Rennbahn: Heute kommen gerade 3000 Besucher hierher. Links im Hintergrund das neue Viertel Zwei (Foto: Joseph Gepp)

Traber auf der Rennbahn: Heute kommen gerade 3000 Besucher hierher. Links im Hintergrund das neue Viertel Zwei (Foto: Joseph Gepp)

Die Geschichte des Krieau-Verkaufs beginnt im Jahr 2004 – und hat vorerst mit der Krieau wenig zu tun. Damals stehen die Vorbereitung für die Fußball-EM in Wien 2008 an. Wiens allein regierende SPÖ ruft deshalb unter viel Jubel eine große Public-private-Partnership ins Leben. Bis zur EM sollen rund um das Stadion im Prater viele Neubauten entstehen, etwa Viertel Zwei und Stadion Center. Dafür vorgesehene Gründe werden an private Investoren verkauft, die dort Gebäude errichten.

Hier kommt Michael Griesmayr ins Spiel, Gründer der IC Projektentwicklung („Integrated Communication“). Der Unternehmer, der in den 1990er-Jahren bei Raiffeisen Immobilienfinanzierungen managte, wird nun ein wichtiger Partner der Stadt. Griesmayrs Firma errichtet das 2010 fertiggestellte Viertel Zwei, das heute etwa die OMV-Zentrale beherbergt.

Später veröffentlicht das Kontrollamt einen vernichtenden Bericht über die Geschäfte der Gemeinde mit Griesmayr und anderen Privaten. Es sei schleierhaft, „warum gerade diese Investoren für das Projekt ausgewählt wurden“, heißt es darin. Weiters hätte ein „weit höherer Kaufpreis“ erzielt werden können als jene 32,1 Millionen Euro, um welche die Investoren die Grundstücke kauften. Statt einer öffentlichen Ausschreibung diente zur Preisermittlung lediglich ein „äußerst knapp ausgefallenes“ Gutachten der MA 69 für Immobilienmanagement, schreibt das Kontrollamt. Und überhaupt „entbehrt“ das Geschäft „in vielerlei Hinsicht kaufmännischer und juristischer Sorgfalt bzw. den üblichen Gepflogenheiten im Immobilienwesen“. Fazit: schlecht für die Stadt, gut für die Privaten.

Doch zurück zur Krieau – auch
sie ist ein wichtiger Teil des Geschäfts von 2004. Griesmayrs IC Projektentwicklung bekommt nämlich ein kostenloses Vorkaufsrecht auf die Trabrennbahn, die praktischerweise gleich neben seinem geplanten Viertel Zwei liegt. Bis Ende 2012 darf sich der Geschäftsmann die Rennbahn kaufen, wenn er will. In der Öffentlichkeit verlieren die SPÖ-Stadtpolitiker über dieses vertragliche Vorkaufsrecht kein Wort. Während andere Projekte wie Viertel Zwei oder Stadion Center bejubelt werden, verrät keine Presseaussendung oder Werbebroschüre, dass auch die traditionsreiche Trabrennbahn einem Privaten überantwortet wurde. Und nicht nur die Öffentlichkeit bekommt den Krieau-Deal nicht mit, auch die Opposition im Rathaus durchschaut ihn nicht.

Zwar stimmt 2004 der Gemeinderat über das Geschäft ab. Doch das Vorkaufsrecht auf die Rennbahn bekommt pro forma nicht Griesmayrs Privatfirma, sondern eine andere, die zur Gänze der Gemeinde gehört: die Firma LSE („Liegenschaftsstrukturentwicklung“). Diese LSE ist jedoch nur ein Vehikel – sie reicht die Immobilie nach dem Kauf sofort an Griesmayr weiter. Warum diese Konstruktion? Wenn die LSE Geschäfte macht, bedarf dies im Gegensatz zu direkten Geschäften des Rathauses „nicht einer Genehmigung durch den Gemeinderat“, schreibt das Kontrollamt. Das bedeutet: Die Abgeordneten bekommen lediglich ein harmloses Geschäft zwischen Rathaus und Rathausfirma zu sehen – und merken nichts vom darauffolgenden, heiklen Deal zwischen Rathausfirma und Privatfirma.

Stallungen neben der Trabrennbahn: Unter anderem hier sollen ab 2015 Büros und Wohnungen entstehen (Foto: Heribert Corn)

Stallungen neben der Trabrennbahn: Unter anderem hier sollen ab 2015 Büros und Wohnungen entstehen (Foto: Heribert Corn)

Im Dezember 2011 jedenfalls macht Griesmayr von seinem Vorkaufsrecht Gebrauch und kauft die Krieau – wenn auch nicht zur Gänze. Er erwirbt ein großes Areal am Rand der Bahn rund um Westkurve, zwei Tribünen und Stallungen. Insgesamt ist es ungefähr die Hälfte der Anlage. Der Kaufpreis von 300 Euro pro gebautem Quadratmeter wird – bis auf einen Vorschuss von sieben Millionen – erst in vielen Jahren überwiesen, wenn die Neubauten stehen. Immobilienexperten bezeichnen den Preis als viel zu niedrig. „Man hätte das Vielfache dafür bekommen können“, sagt etwa Alexander Neuhuber, Gemeinderat der oppositionellen Wiener ÖVP und selbst Chef einer Immobilienfirma. Gerüchten zufolge haben sich in den vergangenen Jahren auch andere Firmen für das Areal interessiert – und das Doppelte geboten.

Plan des Areals: Links oben das "Viertel Zwei" im Besitz der IC Projektentwicklung, das 2010 fertiggestellt wurde. Die roten Bereiche sind jene, die die IC Projektentwicklung 2011 dazugekauft hat. Die Bahn selbst und eine von drei Tribünen verbleiben bei der Stadt. (Der Bereich rechts von der Bahn gehört nicht zur Anlage). Plan: IC Projektentwicklung

Plan des Areals: Links oben das „Viertel Zwei“ im Besitz der IC Projektentwicklung, das 2010 fertiggestellt wurde. Die roten Bereiche sind jene, die die IC Projektentwicklung 2011 dazugekauft hat. Die Bahn selbst und eine von drei Tribünen verbleiben bei der Stadt. (Der Bereich rechts von der Bahn gehört nicht zur Anlage). Plan: IC Projektentwicklung

Doch auch der ohnehin günstige Kaufpreis von insgesamt rund 60 Millionen Euro wird nie im Rathaus ankommen. Denn laut Kaufvertrag darf sich die IC Projektentwicklung bedeutende Summen abziehen. So übernimmt die Gemeinde alle „Abbruchskosten samt Entsorgungskosten“, die beim Umbau anfallen. Und noch wichtiger: Die Stadt zahlt auch für Sanierungen der denkmalgeschützten Gebäude auf den verkauften Krieau-Gründen. „Die hierfür anfallenden Kosten“, heißt es im Kaufvertrag, sind vom Kaufpreis „in Abzug zu bringen“.

Vor allem diese Klausel könnte dem Rathaus teuer zu stehen kommen. Denn sowohl die Krieau-Stallungen als auch zwei von drei historischen Tribünen stehen auf dem nunmehrigen Grund der IC Projektentwicklung – und sind denkmalgeschützt. Die Sanierungskosten dieser baufälligen Gebäude werden wohl in die Dutzenden Millionen Euro gehen. Vor allem die Wiederherstellung der historischen Tribünen von 1912 gilt unter Architekten als Herausforderung. Eine der drei Tribünen – jene, die der Stadt geblieben ist – wurde bereits in den 1990erJahren saniert: Das kostete damals knapp 15 Millionen Euro. Diesmal wären aber gleich zwei Tribünen zu sanieren, plus weitere Bauwerke – wohlgemerkt allesamt in Privatbesitz. Auch wenn die Gemeinde in den kommenden Jahren für die Sanierung berappt, kann der private Eigentümer danach mit den Immobilien verfahren, wie er will. Angeblich möchte die IC Projektentwicklung die Tribünen zu Luxus-Penthäusern umbauen, nachdem sie mit Steuergeld renoviert worden sind.

Dazu kommen weitere Kosten, die das Rathaus trägt – etwa für neue Stallungen, weil auf dem Areal der alten Büros und Wohnungen geplant sind. Es sind all diese Kosten, die Rathausbeamte 2007 vor einem „negativen Kaufpreis“ warnen ließen. Ob die Stadt am Ende wirklich draufzahlt, lässt sich jedoch erst in vielen Jahren sagen. Fest steht: Viel Gewinn aus dem Verkauf der lukrativen Krieau-Gründe wird dem Steuerzahler sicher nicht bleiben.

Angeblich möchte die IC Projektentwicklung die Tribünen zu Luxus-Penthäusern umbauen, nachdem sie mit Steuergeld renoviert worden sind.

Offen bleiben schwerwiegende Fragen: Wer setzt einen Vertrag auf, der offenbar überaus vorteilhaft für die private Seite ausfällt? Warum hat die SPÖ-Stadtregierung keinen angemessenen Preis verlangt? Warum trägt der private Käufer nicht selbst die Sanierungskosten? Warum hat das Rathaus niemals kommuniziert, dass man die Trabrennbahn in private Hände zu geben gedenkt? Und: Wer ist politisch verantwortlich?

 Als Wiens SPÖ-Wohnbaustadtrat 2004 für den Deal verantwortlich: Werner Faymann (Wikipedia)


Als Wiens SPÖ-Wohnbaustadtrat 2004 für den Deal verantwortlich: Werner Faymann (Wikipedia)

Zuständig für den Deal war die MA 69 für Immobilienmanagement. Diese unterstand 2004, als die Public-private-Partnership samt Krieau-Verkauf fixiert wurde, dem damaligen SPÖ-Wohnbaustadtrat Werner Faymann. Gerüchteweise waren auch andere SPÖ-Stadträte involviert, etwa Wiens mächtige Ex-SPÖ-Vizebürgermeisterin Grete Laska. Der Falter bat im Büro von Bundeskanzler Faymann um Auskünfte – doch sein Büro verwies an die Gemeinde Wien. Deswegen hat der Falter bei Faymanns Nachfolger als SPÖ-Wohnbaustadtrat Michael Ludwig nachgefragt.

Faymanns Nachfolger Michael Ludwig sieht heute keine Unregelmäßigkeiten (Foto: mein Bezirk)

Faymanns Nachfolger Michael Ludwig sieht heute keine Unregelmäßigkeiten (Foto: mein Bezirk)

Dieser bezeichnet in einer schriftlichen Stellungnahme den Kaufpreis für die Krieau-Gründe als angemessen, weil er „umliegenden Vergleichswerten“ entspreche. Zudem habe „ein erfahrener, externer und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger“ den Preis ermittelt. Wie hoch werden die Sanierungskosten sein, die sich die IC Projektentwicklung am Ende vom Kaufpreis abziehen darf? Zwar liege „die genaue Höhe derzeit noch nicht vor“, antwortet Ludwig – aber prinzipiell seien die Abzüge durchaus gerechtfertigt, weil sich der Kaufpreis von 300 Euro pro Quadratmeter auf „frei verfügbare Grundflächen“ beziehe. Ludwig betont weiters, dass das Geschäft ordnungsgemäß im Gemeinderat beschlossen worden sei. Warum der Krieau-Deal nicht der Öffentlichkeit kommuniziert wurde, dazu sei heute „keine Stellungnahme“ mehr möglich.

Der Falter hat auch Griesmayrs IC Projektentwicklung per E-Mail befragt -etwa nach der Angemessenheit des Kaufpreises und der Abzüge. Doch von der Firma war, trotz mehrmaliger Nachfrage, keine Stellungnahme zu bekommen.

Bisher zur Krieau:
Sommer 2013: Die Krieau wird verbaut
Sommer 2013: Immobiliengeschäfte der Gemeinde Wien – unter anderem am Beispiel Krieau

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Die EU ist sehr geil, aber …

Aus dem FALTER 17/2014

…gute Ideen aus Brüssel bleiben regelmäßig auf der Strecke. Warum nur? Sechs Fallbeispiele von Bankenregulierung bis Datenschutz


Hier geht’s zu den anderen 4 anderen geilen EU-Ideen

Die europaweite Arbeitslosenversicherung

Im Jahr 2012 wurde in Brüssel ein geradezu revolutionärer Plan präsentiert: eine europaweite Arbeitslosenversicherung. Das Projekt, so der Gedanke, könnte die soziale Gerechtigkeit fördern und nebenher auch der Wirtschaft dienen. Doch seither sind die Pläne wieder in Brüssels Schubladen verschwunden.

arbeitsloseIm Dezember 2012 – die Euro-Krise hatte gerade ihren Höhepunkt überschritten – präsentierten EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy, EZB-Chef Mario Draghi, Kommissionspräsident José Manuel Barroso und der damalige Euro-Gruppen-Chef Jean-Claude Juncker das „Versicherungssystem auf zentraler Ebene“. Inhalt: Bis zu einem Jahr lang sollen Arbeitslose zentral von der EU unterstützt werden. Das Geld soll die nationalstaatliche Zuwendung für Jobsuchende wahlweise ergänzen oder ersetzen.

Hintergedanke: In der Krise sind manche Nationalstaaten, vor allem in Südeuropa, kaum noch in der Lage, ihre Arbeitslosen ausreichend zu unterstützen -und das schürt nicht nur Elend, es schwächt auch die Wirtschaft. Denn was Arbeitslose an Unterstützung erhalten, fließt normalerweise direkt in den Konsum. Der deutsche Ökonom Sebastian Dullien etwa errechnete, dass der krisenbedingte Wirtschaftseinbruch in Spanien mithilfe einer europaweiten Arbeitslosenversicherung um rund 25 Prozent geringer ausgefallen wäre.

Aus diesem Grund brachte der eher europafreundliche französische Präsident François Hollande die Idee als Erster aufs Tapet. Die Versicherung, so Hollande, solle sich aus einem eigenen, neu zu gründenden Haushalt aller Euro-Staaten speisen. Diesen Vorschlag griffen schließlich die Präsidenten Van Rompuy, Draghi, Barroso und Juncker auf. Vor allem der ungarische EU-Sozialkommissar László Andor gilt seither als Befürworter des Projekts, während sonst die Haltung in der EU-Kommission dazu eher geteilt sein soll. László Andor jedoch betont, dass mit der europaweiten Arbeitslosenversicherung auch das Gefühl entstehen würde, dass sich Europa der Nöte seiner Bürger annimmt. Und nicht zuletzt stünde die EU plötzlich direkt auf dem Kontoauszug.

Nach der Präsentation der Idee 2012 wurde es trotzdem bald still um den Plan. Grund: Vor allem der Widerstand aus Deutschland ist massiv. Das wirtschaftsstarke Land fürchtet, zum Zahlmeister für Millionen Arbeitslose im Süden zu werden. Dass Deutschland in schwachen wirtschaftlichen Phasen – wie zuletzt vor einem Jahrzehnt – ebenfalls vom Versicherungssystem profitieren würde, gerät darüber aus dem Blick. Angela Merkel äußerte sich wiederholt kritisch über das Projekt.

Die Welt zitierte vergangenen Oktober Stimmen aus der deutschen Regierung mit den unmissverständlichen Worten: „Wir sind dagegen.“

JOSEPH GEPP

Das EU-Kindergeld

Diese Idee steht noch ganz am Anfang – und hat eigentlich nur einen echten Befürworter in Brüssel: EU-Sozialkommissar László Andor, ein Ungar, ist bekannt dafür, dass er gern mit mutigen Projekten vorprescht. So auch im November 2012. Damals ließ Andor von drei Sozialexperten aus Großbritannien und Griechenland eine Idee ausarbeiten, die nicht besonders viel Geld kosten würde -und einiges Elend in Europa massiv lindern könnte.

Es geht um ein europaweites Kindergeld, eine Art Grundeinkommen für Kinder unter fünf Jahren. Es soll 50 Euro pro Kind und Monat betragen. 800.000 europäische Kinder samt deren Familien könnte man mit dieser Maßnahme aus der Armut holen, errechnen die Experten. Auch die Situation derjenigen, die in Armut verbleiben, würde sich erheblich verbessern. Finanziert werden könnte die Sozialhilfe mit einer Steuer von 0,2 Prozent auf alle europäischen Haushaltseinkommen, die auf nationalstaatlicher Ebene eingehoben werden sollte.

Von der Maßnahme würde vor allem arme Kinder aus Osteuropa profitieren

Von der Maßnahme würde vor allem arme Kinder aus Osteuropa profitieren

Mit einem derartigen Kindergeld, so die Experten, ließen sich zahlreiche positive Effekte erzielen. Nicht nur das Elend, vor allem in Teilen Osteuropas, würde gelindert. Die Sozialhilfe würde auch den Konsum ankurbeln. Und: Die Armutseinwanderung nach Westeuropa würde gedrosselt, weil die Armen ja nunmehr in ihren jeweiligen Ländern das Kindergeld erhalten würden. Damit würde das Geld auch zur besseren Integration von Randgruppen beitragen, vor allem von Roma in Osteuropa.

Freilich: Im Plan von Andor gibt es eindeutige Nettozahler und -empfänger. Kinderreiche, arme Staaten wie Bulgarien und Rumänien würden stark profitieren. Reiche, kinderarme Staaten wie Dänemark, Deutschland und auch Österreich würden draufzahlen. Damit sind Konfliktlinien bereits vorgezeichnet, sollte das Projekt einmal mehr sein als nur eine vage Idee des EU-Sozialkommissars. Dass es jedoch jemals so weit kommen wird, scheint momentan ohnehin eher unwahrscheinlich.

Denn nicht einmal die Kommission selbst steht hinter dem Plan: Der Expertenbericht aus dem Ressort Andor spiegle „nicht die Meinung der ganzen Kommission wider“, sagt Andors Pressesprecherin auf Falter-Nachfrage. Er sei lediglich ein Szenario.

Zwar gibt es einen Gesetzesvorschlag der EU-Kommission mit ähnlicher Stoßrichtung, das sogenannte „Social Investment Package“ vom Februar 2013. Dieses Paket allerdings definiert nur vage Zielvorstellungen beim Kinderwohlstand -ohne das Kindergeld im Konkreten auch nur zu nennen.

JOSEPH GEPP

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Wenn Tests auch nicht helfen: über Minister und Elche

Aus dem FALTER 16/2014

Glosse: Joseph Gepp

Soso, Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter will also einen Elchtest für Minister. In Zeiten schwindenden Vertrauens in Führungskräfte soll Derartiges wohl eine gewisse Mindestqualität sicherstellen.

Elchtest, dieses Wort stammt eigentlich aus der Autobranche und meint ein Szenario, in dem ein Hindernis – der Elch – den Wagen rammt. Aber Rupprechter meint das metaphorisch. In seinem Fall ist der Elch ein ungeplantes Ereignis. Die Hypo etwa, der fette Elch. Der elchgetestete Minister stellt sich ihr wie ein Stierkämpfer, statt in Deckung zu gehen und nichts zu tun. Dann erweist sich der Elch vielleicht als nicht so gefährlich wie gedacht, während ihn umgekehrt das Nichtstun richtig groß macht. Aber woher weiß man eigentlich, wie aggressiv so ein Elch werden kann? Tja – da hilft wohl nur ein Stresstest.

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Sozialer Wohnbau: Die SPÖ Wien lädt zum Symposium in die TU

Aus dem FALTER 16/2014

Ankündigung: Joseph Gepp

Ja, es ist eine Parteiveranstaltung – und die sind vor Wahlen erfahrungsgemäß mit Vorsicht zu genießen. Doch das „Europasymposium“ der SPÖ Wien am 23. März ist inhaltlich angelegt und könnte interessante Einblicke gewähren.

Es geht um zwei Themen: direkte Demokratie und sozialer Wohnbau. Bei Letzterem kampagnisiert die SPÖ gegen die EU-Kommission, seit diese (für die Niederlande) verfügt hat, dass sozialer Wohnbau nur mehr für Arme offen stehen sollte.

So spricht beim Symposium etwa Barbara Steenbergen vom Internationalen Mieterbund. Oder Wiens Planungsdirektor Thomas Madreiter. Anmeldung: wie.wien.europa@spw.at F

23.4., 16.30 Uhr, 4., TU Kuppelsaal

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