Monatsarchiv: März 2014

Haut die EU die Mittelschicht aus dem Gemeindebau?

Aus dem FALTER 13/2014

Bürgermeister Michael Häupl warnt vor einem Anschlag auf den sozialen Wohnbau durch die EU-Kommission. Zu Recht?

BERICHT: JOSEPH GEPP

Auf knappen vier Seiten blasen Europas Bürgermeister zum Aufstand. Von Amsterdam bis Zagreb, von Barcelona bis Bukarest haben sich 30 Stadtchefs aller politischen Lager vereint und eine Resolution verfasst. Sie fühlen sich nicht „respektiert“, schreiben sie. Und sie bangen um ein Herzstück kommunaler Politik: den sozialen Wohnbau.

Dieser müsse auch künftig „für breite Schichten der Bevölkerung zugänglich sein“, heißt es in dem Schreiben, das im Jänner an die EU-Kommission in Brüssel ging. Aktuelle Pläne der Kommission, so die Bürgermeister, könnten die Zukunft des sozialen Wohnbaus gefährden und das Leben in Großstädten teurer und unangenehmer machen. Initiator der Aktion ist Wiens rotgrüne Stadtregierung. Sie hat besonders viel zu verlieren, wohnen doch 60 Prozent der Wiener in städtisch geförderten Gemeindeoder Genossenschaftswohnungen.

Vor einem Jahr erregte die mögliche Privatisierung der Wasserversorgung die europäischen Gemüter – jetzt mobilisieren Bürgermeister gegen Wohnbaupläne. Agiert die EU allzu liberalisierungs-und privatisierungsfreudig? Im beginnenden EU-Wahlkampf jedenfalls haben sich Europas Sozialdemokraten, vom EU-weiten Spitzenkanditaten Martin Schulz abwärts, des Themas angenommen. Auch heimische SPÖ-Politiker wie EU-Spitzenkandidat Eugen Freund oder Wiens Bürgermeister Michael Häupl trommeln neuerdings gegen den Neoliberalismus der EU. Vergessen scheint, dass bis zur Krise auch sozialdemokratische Politiker wie Gerhard Schröder oder Tony Blair maßgeblich für Liberalisierungen eintraten.

Die Krise verändert den Diskurs: Martin Schulz, europaweiter Spitzenkandidat der Sozialdemokraten, kampagnisiert neuerdings gegen den Neoliberalismus der EU (Wikipedia)

Die Krise verändert den Diskurs: Martin Schulz, europaweiter Spitzenkandidat der Sozialdemokraten, kampagnisiert neuerdings gegen den Neoliberalismus der EU (Wikipedia)

Europas Sozialdemokraten betreten damit ein Feld, das zuvor vor allem NGOs und Gewerkschaften beackert haben. Entscheidende Akteure in der EU, kritisieren diese schon seit Jahren, würden blind auf den Markt vertrauen. Die Bürgerinitiative Right2Water etwa, die Wasserversorgung als Grundrecht außerhalb des Marktes fordert, organisierte vergangenes Jahr fast zwei Millionen Unterschriften. Vor allem bei der sogenannten „Daseinsvorsorge“, also etwa Wasser, Müll oder Öffis, lehnen die Bürger Privatisierungen ab – das zeigt auch eine neue Studie, die dem Falter exklusiv vorliegt. Adressat der Kritik ist meist die EU-Kommission unter José Manuel Barroso, jene Behörde, die EU-Gesetze vorschlägt und über die Einhaltung der Verträge wacht.

Aber ist der Widerstand auch berechtigt? Oder basiert er auf Linkspopulismus und Anti-EU-Ressentiment, wie Kritiker meinen? Wer sich diese Frage anschaut, stellt zunächst fest: Die EU ist nicht gleich die EU. Akteure arbeiten gegeneinander; Interessen von Gemeinschaft und Einzelstaaten fließen kompliziert ineinander. Unbestritten gibt es aber in diesem Gefüge eine Entwicklung hin zu mehr Liberalisierung.

Liberalisierung bedeutet, dass Regeln geschaffen werden, damit in vormals staatliche Monopole Wettbewerb einzieht. In der Praxis folgt auf Liberalisierung oft Privatisierung. Aber ist das denn so schlecht? Und wie kam es überhaupt dazu?

Wer das wissen will, muss zurück ins Jahr 1957. Damals unterschrieben die Gründungsstaaten der späteren EU die Römischen Verträge. Dienstleistungen und Waren sollten frei zwischen Mitgliedern zirkulieren. Damit das aber fair abläuft, darf kein Staat seine Güter subventionieren. Jede staatliche Unterstützung, die Europas „Wettbewerb verfälscht“ und „den Handel zwischen Mitgliedsstaaten beeinträchtigt“, ist „mit dem Binnenmarkt unvereinbar“ – und somit verboten, heißt es im Artikel 107 des EU-Grundlagenvertrags.

Dass theoretisch auch eine städtische Müllabfuhr oder ein Wasserwerk den Wettbewerb verfälschen könnte, daran dachten die Gründerväter 1957 nicht. Und doch ist es heute ein Stück weit so: Sobald irgendjemand in der EU eine private Müllabfuhr gründet, hat diese ja potenziell einen Wettbewerbsnachteil gegenüber der staatlich finanzierten. Doch solche Szenarien schienen in den 1950ern absurd. Zu selbstverständlich war es, dass die Grundversorgung immer in staatlichen Händen bleiben würde.

Heute jedoch tobt auf EU-Ebene ein ständiger Kampf darum, welche Bereiche man vom Binnenmarkt ausnehmen soll, weil sie als Grundversorgung allen Menschen zugänglich sein müssen. Seit den späten 1980er-Jahren drehen sich unzählige Kommissionsentscheide, EuGH-Prozesse und EU-Richtlinien darum: Was sind Ausnahmen? Und was, wenn es dann trotzdem noch irgendwo in Europa private Konkurrenz gibt? Was nicht dezidiert vom Markt ausgenommen ist, unterliegt ihm – eine Konstellation, die, wie Kritiker meinen, alles Öffentliche in Europa erodieren lässt.

So wie derzeit beim sozialen Wohnbau.
Hier beginnt die Geschichte im Jahr 2005 in den Niederlanden. Zwei private Immobilieninvestoren wenden sich an die damalige Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes, selbst Niederländerin. Wohnbaugenossenschaften, die mit staatlicher Unterstützung geförderte Wohnungen errichten, würden vom Staat bevorzugt, argumentieren die Investoren – und das verschaffe ihnen Wettbewerbsvorteile. Kommissarin Kroes entscheidet: Sozialer Wohnbau dürfe künftig nur den Ärmsten zugutekommen; alles andere verzerre den europäischen Wettbewerb.

Entschied im Sinne der Investoren: Ex-EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes

Entschied im Sinne der Investoren: Ex-EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes

In der Folge mussten die Niederlande im Jahr 2010 die Einkommensgrenzen senken. Nun darf nur noch in den Genossenschaftsbau, wer weniger als 33.000 Euro im Jahr verdient – zuvor waren es 38.000 Euro. Zum Vergleich: In Wien liegt die Einkommensgrenze bei 42.000 Euro. Über eine halbe Million Niederländer verloren damit das Recht auf eine geförderte Wohnung. „Das ist fatal für die soziale Durchmischung“, sagt Barbara Steenbergen vom internationalen Mieterbund IUT. „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Ghettos entstehen.“

Hintergrund: Viele Städte, auch Wien, lassen bewusst auch die Mittelschicht in geförderte Wohnungen ziehen. Das soll verhindern, dass sich Arme zusammenballen; auch sollen dadurch Wohnpreise in Städten insgesamt nicht allzu hoch werden.

Zwar betreffen die Änderungen vorerst nur die Niederlande – denn die Verfahren der Kommission befassen sich immer nur mit einzelnen Mitgliedsstaaten. Doch die Causa könnte Investoren dazu bringen, in anderen Ländern ebenfalls einzufordern, was sie für ihr Recht halten.

Wer in den Archiven des EU-Wettbewerbskommissariats stöbert, stellt fest: Wie beim Wohnbau gibt es unzählige Verfahren wegen mutmaßlicher Wettbewerbsverzerrung. Allein Österreich betreffend finden sich 583 Fälle. Sie reichen von Förderungen von Biomasse-Anlagen in Vorarlberg bis hin zur Gebührenfinanzierung des ORF. Bekanntester Fall: die Kärntner Hypo, die laut EU bald verkauft sein muss -denn andauernde Staatshilfen sind mit dem Binnenmarkt nicht vereinbar.

Der aktuelle Wettbewerbskommissar ist der Spanier Joaquín Almunia (Wikipedia)

Der aktuelle Wettbewerbskommissar ist der Spanier Joaquín Almunia (Wikipedia)

Meist reagiert die Kommission mit solchen Verfahren auf die Beschwerden Privater, manchmal wird sie aber auch selbst tätig. Oft enden sie mit Kompromissen zwischen Kommission und Mitgliedsstaat. NGOs kritisieren die Verfahren als intransparent, weil allein Kommissionsbeamte über sie entscheiden. Immer wieder werden auch Lobbyismus-Vorwürfe laut, etwa bei der Frage nach den Beratern von EU-Kommissaren. Der deutsche Politologe Daniel Seikel ortete 2011 in einer Studie über die Liberalisierung deutscher Landesbanken einen „liberalisierungs-und integrationsfreundlichen Aktivismus der Kommission“. Sie handle „proaktiver, als man es sich von einer neutralen Behörde erwarten würde“. Das Büro von Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia, Nachfolger von Neelie Kroes, war für den Falter nicht zu sprechen.

Die Verfahren wegen Wettbewerbsverzerrungen sind aber nur eine Art, wie die EU-Kommission Liberalisierungen vorantreibt. Eine zweite sind Richtlinien zur Liberalisierung. Dabei handelt es sich um Gesetzesvorgaben für die Mitgliedsstaaten, die von Kommission, Rat und EU-Parlament zusammen beschlossen werden.

Die Geschichte dieser Richtlinien beginnt in den 1980er-Jahren. Damals schwächelte die Wirtschaft. Vom Vordringen des freien Marktes in vormals staatliche Bereiche erhofften sich Mitgliedsländer wie Kommission neues Wachstum. Überall schuf man also Regeln, damit private Konkurrenten am Wettbewerb teilnehmen können. Es begann mit Telekommunikation, dann folgten Elektrizität, Postwesen und Bahn. Vorgeschrieben wurde etwa, wie staatliche Unternehmen organisiert sein müssen. Oder dass Kunden die Möglichkeit eines raschen Umstiegs auf private Anbieter zu ermöglichen ist.

Die Abschaffung der Monopole erfolgte scheibchenweise, erklärt der Politologe Christoph Hermann vom Wiener Institut Forba. Beim Strom etwa wurde erst der Markt für Großkunden liberalisiert, dann jener für kleine. Beim Postwesen ging es von Paketen zu Briefen. Was diese Liberalisierungen gebracht haben, darüber gehen die Meinungen heute stark auseinander.

Gewerkschaftsnahe Experten betonen Arbeitsplatzverluste und schlechtere Arbeitsbedingungen in betroffenen Branchen – und kaum Vorteile für den Konsumenten. Bei der Liberalisierung der europäischen Energiemärkte beispielsweise wurden „öffentliche Monopole durch private Oligopole ersetzt“, sagt der Arbeiterkammer-Experte Oliver Prausmüller.

Wirtschaftsliberalere Fachleute hingegen heben Erfolgsgeschichten früherer Staatsfirmen gern hervor, die unter liberalisierten und oft teilprivatisierten Umständen expandieren konnten. Mitunter räumen sie aber auch ein, dass Privatisierungen in Branchen mit teuren und wartungsintensiven Netzen schwierig sein können. „Privatisierungen sind dann erfolgreich, wenn Wettbewerbsmärkte vorliegen“, sagt etwa Wifo-Ökonom Michael Böheim. Als erfolgreiche Beispiele in Österreich nennt er Industriebetriebe wie die Voest und Boehler-Uddeholm.

Obwohl Kommunen hauptsächlich über Einrichtungen mit Netzen verfügen, privatisierten sie nach der Jahrtausendwende dennoch eifrig – getrieben von EU-Liberalisierungen und dem Glauben an einen schlanken Staat. Inzwischen jedoch scheint man die Maßnahmen vielerorts zu bereuen. „Bei hunderten Gemeinden in Europa beobachten wir Rekommunalisierungen“, sagt die Soziologin Barbara Hauenschild. Sie hat zusammen mit Susanne Halmer im Auftrag der SPÖ-nahen Österreichischen Gesellschaft für Politikberatung eine aktuelle Studie zum Thema erstellt.

Oft angetrieben von Bürgerinitiativen, haben europäische Städte in den vergangenen Jahren massiv Anlagen zurückgekauft, vom Kraftwerk über die Müllabfuhr bis zur Kläranlage. Die Beispiele reichen von den Pariser Wasserwerken bis zu Straßenlaternen in Düren, Nordrhein-Westfalen. Viele Fälle finden sich in Deutschland -Österreich hielt sich bei der Privatisierung städtischer Infrastruktur stets vergleichsweise zurück. Die Gründe für Rekommunalisierung sind immer die gleichen: gestiegene Preise, Wartungsmängel und schlechte Servicequalität infolge der Privatisierung.

Der soziale Wohnbau jedoch ist von der
Rekommunalisierungswelle kaum betroffen. Er verblieb, zumindest in Österreich und Deutschland, weitgehend in kommunaler Hand. Damit das so bleibt, verlangen die 30 Bürgermeister nun von Wettbewerbskommissar Almunia, dass sozialer Wohnbau als Ausnahme vom europaweiten Wettbewerb definiert wird -unabhängig von jeglicher Einkommensgrenze.

Bisher jedoch, heißt es aus dem Wiener Rathaus, soll Almunias Reaktion eher ablehnend gewesen sein.

Zwei Studien zum Thema
(-) Daniel Seikel, 2011: Wie die Europäische Kommission Liberalisierung durchsetzt (Zu finden auf Google mit den Schlagworten „Seikel Kommission Liberalisierung“)
(-) Susanne Halmer/ Barbara Hauenschild, 2014: (Re-)Kommunalisierung öffentlicher Dienstleistungen in der EU (nachzulesen auf www.politikberatung.or.at)

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Was spricht gegen Winter-Schanigärten, Frau Brauner?

Aus dem FALTER 13/2014

INTERVIEW: JOSEPH GEPP

Ob Grüne, ÖVP, FPÖ oder Wiens Gastronomen: Fast alle halten Schanigärten im Winter für eine gute Sache. Bisher jedoch sind sie von November bis März verboten – woran die SPÖ auch festhalten will. Doch was spricht dagegen, die Regelung zu ändern? Das fragte der Falter die zuständige SPÖ-Vizebürgermeisterin Renate Brauner.

Frau Brauner, alle außer der SPÖ sind gegen die Wintersperre bei Schanigärten. Warum ziehen Sie nicht mit?

Renate Brauner (Wikipedia)

Renate Brauner (Wikipedia)

Ganz so schwarz-weiß ist die Welt nicht: Die neue Reform ist erst seit der letzten Saison in Kraft. Die haben wir gemeinsam mit dem grünen Koalitionspartner und der Wirtschaftskammer im Jahr 2012 ausgearbeitet. Am Ende kam ein Zonenmodell raus, in dem Schanigärten je nach Attraktivität der Lage unterschiedlich viel kosten. Und es ist flexibler: Früher musste man immer für eine ganze Saison bezahlen, jetzt ist es auch monatlich möglich. Wir haben vereinbart, dass wir uns die Sache anschauen und dann eine Evaluierung machen.

Aber was spricht dagegen, die Schanigärten einfach ganzjährig zu öffnen?

Es gab viele Einwände von Umweltschützern wegen der Heizschwammerln. Ich bin ja keine Grüne, sondern eine Rote – aber bei der Energieverschwendung von Heizschwammerln drückt es mich schon ein wenig. Dazu gibt es Dinge, die für das Funktionieren einer Stadt einfach wichtig sind – Schneeräumungen und Anrainerinteressen zum Beispiel. Deswegen unser Ergebnis: Prüfen wir einmal, wie dieses Modell funktioniert.

Und wann sind Sie bereit, über eine Reform der Reform zu reden?

Jetzt wollen wir einmal erfahren: Welche Wünsche gibt es noch? Was sagen Interessengruppen? Die Stadt ist ja ein öffentlicher Raum, in dem auf viele Interessen Rücksicht genommen werden sollte. Wir bemühen uns, Konsens anzustreben, statt auf Wickel aus zu sein. Auf jeden Fall werden wir in dieser Saison einmal evaluieren, ob dieses System gut läuft oder nicht. Dann sehen wir weiter.

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Die rätselhafte Festnahme des Dmitry F.

Aus dem FALTER 12/2014

Ein ukrainischer Oligarch mit engen Österreich-Verbindungen wird in Wien verhaft et – zu einem verdächtigen Zeitpunkt


Bericht: Joseph Gepp

Vergangenen Donnerstag veröffentlichte das Bundeskriminalamt eine knappe Bekanntmachung. Der „ukrainische Staatsbürger Dmitry F.“ sei in Wien von Cobra-Polizisten verhaftet worden. Der Vorwurf lautet auf Bestechung und Bildung einer kriminellen Vereinigung. Bei der Festnahme handle es sich um „Rechtshilfe für amerikanische Behörden“.

Was nüchtern klingt, ist bei genauerem Blick ein rätselhafter Fall, der Österreich ins Zentrum internationaler Ukraine-Verwicklungen rückt: F. ist nicht irgendein Ukrainer, sondern Dmitry Firtash, 48, einer der umstrittensten Oligarchen des Landes. In der Ukraine gilt Firtash als Russland-Verbinder. Sein Vermögen machte er im russisch-ukrainischen Zwischenhandel mit Erdgas.

Warum wurde er ausgerechnet jetzt verhaftet, drei Wochen nach dem Umsturz in Kiew? Darauf wollen oder können weder Polizei noch Staatsanwaltschaft antworten. Und auch Firtashs Firma selbst, die DF Group, spricht in einer dünnen Aussendung lediglich von einem „Missverständnis“ – es gilt die Unschuldsvermutung.

Etwas konkreter wird die US-Botschaft. Ihr zufolge soll Firtash ein „internationales Korruptionsnetzwerk“ betreiben. Das habe das FBI in jahrelangen Ermittlungen herausgefunden. Nun soll Firtash im US-Staat Illinois angeklagt werden, falls Österreich ihn ausliefert. Mit den aktuellen Umwälzungen in der Ukraine jedoch hat Firtashs Verhaftung laut Botschaft nichts zu tun.

Der Zeitpunkt ist trotzdem auffällig – zumal Firtash bis zuletzt mit dem gestürzten Regime von Viktor Janukowitsch kooperierte. Ein Stück weit hat Firtashs Engagement die Proteste auf dem Maidan ab Herbst 2013 sogar mitverursacht. Denn vergangenen Oktober bot Russland der Ukraine einen Erdgasrabatt von 30 Prozent an. Dies sollte als Anreiz dienen, das bevorstehende Assoziierungsabkommen mit der EU auszusetzen. Dass sich die Ukraine auf den Deal einließ und das EU-Abkommen aufkündigte, löste dann die Proteste aus. Offi zieller Abnehmer des verbilligten Gases hätte jedoch laut Reuters nicht der ukrainische Staat sein sollen, sondern eine Zwischenhandelsfirma namens Ostchem. Diese Ostchem gehört Firtash und ist in Wien registriert.

Überhaupt handelt es sich bei Firtash einmal mehr um einen Oligarchen mit enger Wien-Verbindung. Neben der Firma Ostchem findet sich in Wien auch die DF Group, Firtashs Dachfirma für etliche ukrainische Fabriken, Banken und TV-Kanäle. Registriert ist die DF Group in der Schwindgasse im vierten Bezirk, wo der Oligarch auch hauptgemeldet ist. Vergangenen Donnerstag wurde er in der Schwindgasse auch festgenommen, im Beisein von acht Leibwächtern.

Dmitry Firtash verdiente mit Erdgashandel zwischen Russland und der Ukraine Milliarden

Dmitry Firtash verdiente mit Erdgashandel zwischen Russland und der Ukraine Milliarden

Firtashs Verbindungen nach Wien reichen zurück bis 2004. Damals stritten die Ukraine und Russland ums Erdgas. Der Streit wurde beigelegt, indem die Staaten eine Zwischenfirma gründeten, die beiden Ländern gehört – die Rosukrenergo. Diese kaufte im Wesentlichen russisches Gas auf und verkaufte es an die Ukraine weiter. Auf diese Weise lukrierte Rosukrenergo jährlich fast eine Milliarde Dollar Gewinn. In der Ukraine wurden der Firma laut der USTransparenz-NGO Global Witness kriminelle Verbindungen vorgeworfen.

Eine Hälfte von Rosukrenergo gehörte dem russischen Staatskonzern Gazprom, die zweite mehrheitlich einem ukrainischen Geschäftsmann. Dieser jedoch blieb im Dunklen. Seine Anteile verwaltete bis 2006 treuhändisch die Raiffeisen-Investment, eine Tochter des Raiffeisen-Konzerns. Raiffeisen machte also die Mauer für Gas-Oligarchen – ein Vorgehen, das national und international hart kritisiert wurde. Erst 2006 gab die Bank auf US-Druck den Mehrheitseigentümer der Rosukrenergo-Hälfte bekannt: Dmitry Firtash.

Das Raiffeisen-Engagement befasste nicht nur den Banken-U-Ausschuss im Jahr 2007. Auch die Amerikaner beschwerten sich 2006 im Wiener Finanzministerium über das Geschäft, wie eine Wikileaks-Depesche 2010 enthüllte. Grund: Die USA verdächtigen Firtash, Kontakt zum russischen Mafiaboss Semjon Mogilewitsch zu unterhalten. Mogilewitsch, der bis heute unbehelligt in Moskau leben soll, gilt als einer der weltweit meistgesuchten Verbrecher. Firtash selbst soll 2008 Kontakte zu Mogilewitsch zugegeben haben, angeblich im Gespräch mit dem damaligen US-Botschafter in Kiew, wie eine weitere Wikileaks-Depesche 2010 enthüllte. Firtash jedoch bestreitet jeglichen Kontakt zu Mogilewitsch vehement.

Derzeit jedenfalls sitzt Firtash in der Justizanstalt Josefstadt – offiziell wegen einer Causa, die mit Mogilewitsch und dubiosen Gasgeschäften nichts zu tun hat. Das Gericht hat eine Kaution von 125 Millionen Euro für den Oligarchen festgelegt, die höchste der österreichischen Justizgeschichte. Zahlt Firtash diese Summe, kommt er vorerst frei. Zumindest so lange, bis über eine Auslieferung in die USA entschieden wird.

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Eingeordnet unter Die vielschichtigen Verbindungen zwischen Osteuropa und Wien, Osteuropa, Wirtschaft

Buch: Was ist schuld an der Krise?

Aus dem FALTER 12/2014

Was hat die Finanz-und Wirtschaftskrise seit 2008 samt all ihren desaströsen Folgen ausgelöst? Ein außer Rand und Band geratener Bankensektor, der Kreditnehmer ohne Vermögen mit Krediten zuschüttete, wie die Keynesianer gern glauben? Oder maßlose Staaten, die unverantwortlich Geld ausgaben und derweil auf Reformen verzichteten, wie die Neoliberalen oft dagegenhalten?

Der Wiener Historiker Anatol Schmied-Kowarzik legt ein Buch vor, das sich über solche Erklärungsansätze erhebt. Zunächst befasst sich der Autor mit der Definition von Grundbegriffen wie „Wert“,“Preis“ und „Geld“. Danach entwirft er mithilfe dieser Begriffe eine Theorie, die in einer grundlegenden Kritik des Gewinns gipfelt – und die derzeitigen Kreditblasen und -risiken in so vielen Bereichen der Wirtschaft erklärt. Ein streckenweise schwer lesbares, aber sehr interessantes Buch.

JOSEPH GEPP

Anatol Schmied-Kowarzik: Die Sackgasse. Warum die Finanzkrise nicht begriffen wird. New Academic Press, 145 S., € 25,-

Anatol Schmied-Kowarzik: Die Sackgasse. Warum die Finanzkrise nicht begriffen wird. New Academic Press, 145 S., € 25,-

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Eingeordnet unter Bücher, Wirtschaft

Gemeinwohlökonomie: Veranstaltung

Aus dem FALTER 12/2014

In unsicheren Zeiten blühen neue ökonomische Konzepte. Zum Beispiel die sogenannte „Gemeinwohlökonomie“, die weitgehend auf einer Idee des Publizisten Christian Felber basiert. Der Grundgedanke: Unternehmen sollen sich nicht mehr nur ihrem eigenen Gewinn verpflichtet fühlen, sondern einem Gemeinwohl, das ziemlich exakt durchdacht und durchdefiniert ist. Kommenden Mittwochabend diskutiert im Rahmen von „streit@bar: Geld oder leben?“ eine hochkarätige Runde über das Konzept. Neben Felber selbst nehmen Standard-Journalist Eric Frey, WU-Vizerektorin Regina Prehofer, Erste-Stiftung-Vorstandsmitglied Franz Karl Prüller und der Waldviertler Schuhrebell Heini Staudinger teil. Eine Konstellation, die kontroversiell zu werden verspricht. Wen also nicht abschreckt, dass die Diskussion erst recht spät beginnt nichts wie hin.

Joseph Gepp

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Eingeordnet unter Wirtschaft

Wer hat Ihre Reise auf die Krim bezahlt, Herr Stadler?

Aus dem FALTER 12/2014

Anruf: Joseph Gepp

Ewald Stadler, EU-Abgeordneter und EU-Spitzenkandidat der Reformkonservativen („Rekos“), war auf der Krim, um das Referendum zu beobachten – wie auch die FPÖ-Politiker Johann Gudenus und Johannes Hübner. Wer bezahlt für solche Reisen?, wollte der Falter von Stadler wissen – und bekam nicht viele Antworten.

Herr Stadler, wer hat Ihre Reise finanziert?

Ich habe mich im Rahmen einer Wahlbeobachtungsmission auf Einladung der Nichtregierungsorganisation Eurasian Observatory for Democracy & Elections, kurz EODE, auf der Krim befunden. Ich konnte mich dabei frei bewegen. Auf der gesamten Reise habe ich keinen einzigen Vertreter von Polizei oder Militär angetroffen. Meiner Ansicht nach konnten die Bürger auf der Krim frei ihre Stimmen abgeben.

Wer finanziert die NGO EODE? Russland?

Zur Finanzierung von EODE habe ich leider keine Informationen. Fix ist, dass weder die EU noch der Steuerzahler diese Reise finanzieren musste.

Ewald Stadler

Ewald Stadler

Medien zufolge wird EODE von Luc Michel betrieben, einem belgischen Rechtsaußen-Politiker. Auf seiner Homepage deklariert sich Michel als Unterstützer des sogenannten „Nationalbolschewismus“ und der russischen Kommunistischen Partei. Sie selbst leiten eine christlich-konservative Partei. Wie passt das zusammen?

Auf der Krim geht es um völkerrechtliche Selbstbestimmung, wie sie in Artikel 1 der UN-Sozialcharta verankert ist. Ich war auf der Krim ein neutraler Wahlbeobachter – als einer von mehreren Abgeordneten, die eingeladen waren.

Das heißt, die Mission der Wahlbeobachtung steht für Sie über der ideologischen Ausrichtung des Organisators, die Ihrer eigenen widerspricht?

Ja, definitiv. Hier geht es um die Wahrung des Friedens. Der Kalte Krieg ist noch nicht lang vorbei – und wenn ich mir die russophobe Stimmung vieler EU-Parlamentsabgeordneter anschaue, fürchte ich, dass er sich bald wieder in einen heißen verwandeln könnte.

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Eingeordnet unter Die vielschichtigen Verbindungen zwischen Osteuropa und Wien, Kurioses, Osteuropa

Gegen den Klimawandel: Schafft ein, zwei, viele Alt-Wiener Vorhänge!

Aus dem FALTER 13/2014

Glosse: Joseph Gepp

Eine verantwortungsvolle Stadtzeitung wie der Falter achtet stets darauf, welche Wiener Besonderheit das Potenzial hat, der Welt in der schwierigen Zeit des Klimawandels weiterzuhelfen. Und hier sind wir kürzlich auf etwas Brauchbares gestoßen: den Alt-Wiener Windschutzvorhang.

Den Windschutzvorhang findet man in Kaffeehäusern, wo er hinter der Eingangstür ein Halbrund beschreibt. Wind und Kälte bleiben draußen, Zigarettenrauch bleibt drinnen. Dort bewirkt er auch eine angenehme Ritterburg-Atmosphäre. Eine Abart des Vorhangs findet sich auch in Straßenbahnen, wo er als schwerer Lederlappen Fahrer von Fahrgästen trennt.

Wie viel Energie könnte man sparen, würde man den Vorhang einfach allen Bürgern gesetzlich vorschreiben. Also, EU oder sonst wer: Baut keine Mauern – spannt Vorhänge!

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Eingeordnet unter Kurioses, Stadtleben, Wien

Warum will die EU Bierkrüge verbieten, Herr Corazza?

Aus dem FALTER 11/2014

Interview: Joseph Gepp

Da ist sie angeblich wieder, die EU- Regulierungswut. Die EU wolle den traditionellen bayrischen Bierkrug, den „Keferloher“, verbieten, berichten Medien aus Österreich und Deutschland. Grund: Weil der Krug nicht durchsichtig ist, erkenne man nicht, ob er auch vollgefüllt ist. Der Falter hat bei Carlo Corazza nachgefragt, Sprecher des EU-Industriekommissars Antonio Tajani – und festgestellt, dass die Sache nicht so einfach ist.

Herr Corazza, warum will Ihr Ressort den bayrischen Bierkrug verbieten?

Das stimmt nicht, wir verbieten ihn nicht.

Es handelt sich also schlicht um eine Falschinformation?

So, wie es in der deutschen Presse dargestellt wurde, ist es sicherlich falsch. Biergläser oder etwa Weinkaraffen in Restaurants fallen unter die EU-Messgeräte-Richtlinie. Das heißt, Trinkgläser mit Eichstrich werden als „Messinstrumente“ definiert. Darauf haben sich die EU-Mitgliedsstaaten, also auch Deutschland, und das Europaparlament im Jahr 2004 geeinigt.

Warum gelten sie als Messinstrumente?

Die Absicht ist, dass der Konsument sofort erkennen kann, ob sein Glas jene Menge an Flüssigkeit enthält, für die er in der Gaststätte oder im Restaurant bezahlt – wenn der Mitgliedsstaat dies so gesetzlich vorgesehen hat.

Der bayrische Bierkrug als Beispiel für die EU-Regulierungswut? Nein, sagt Carlo Corazza, Pressesprecher von EU-Industriekommissar Antonio Tajani

Der bayrische Bierkrug als Beispiel für die EU-Regulierungswut? Nein, sagt Carlo Corazza, Pressesprecher von EU-Industriekommissar Antonio Tajani

Und was hat das alles mit den bayrischen Bierkrügen zu tun?

Gemäß der Richtlinie können Mitgliedsstaaten beispielsweise Biergläser in Bars und Restaurants vorschreiben -wenn sie das wollen. Noch einmal: Gläser mit Eichstrich gelten eben als Messinstrumente und Steinkrüge nicht. Ein mögliches Verbot wäre aber eine rein deutsche Entscheidung. Die EU schreibt das nicht vor.

Plant Deutschland etwas in dieser Art?

Wir von der EU-Kommission wissen gar nichts über eine mögliche Absicht der deutschen Behörden in diese Richtung. Auch ist uns nicht bekannt, dass sich Bayern gegen ein EU-Verbot gewehrt hätte – das es ja gar nicht gibt.

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Eingeordnet unter Europa

FP-Sprecher: Es war keine Wiederbetätigung, sagt das Gericht

Aus dem FALTER 11/2014

JOSEPH GEPP

Vor einem Jahr berichtete der Falter über die „Lieblingssprüche“ des Stefan Gotschacher, damals Pressesprecher von FPÖ-Vizechef Johann Gudenus. Gotschacher hatte Textzeilen aus Waffen-SS-Liedern und von Rechtsrockbands auf Facebook gepostet. Das Zitat „Wenn sich die Reihen auch lichten, für uns gibt es nie ein Zurück“ etwa stammt aus dem Lied „SS marschiert im Feindesland“.

Gotschacher selbst behauptete stets, die Herkunft der Sprüche nicht gekannt zu haben. Nach dem Falter-Bericht verlor er seinen Job bei der FPÖ; dazu begann die Staatsanwaltschaft zu ermitteln.

Vergangenen Dienstag nun wurde Gotschacher – nicht rechtskräftig – vom Vorwurf der Wiederbetätigung freigesprochen. Fünf von acht Geschworenen glaubten ihm, dass die Sprüche „völlig unpolitisch“ gedacht waren und beliebig aus dem Internet zusammenkopiert worden waren – auch wenn vier von fünf der Zitate laut Richterin Susanne Lehr eine Nähe zum Nationalsozialismus aufwiesen.

Daneben war Gotschacher auch wegen seiner Teilnahme an einer Facebook-Gruppe, die Freiheit für einen deutschen Neonazi forderte, angeklagt. Auch hier glaubten ihm die Geschworenen, dass ihm diese Mitgliedschaft lediglich „durchgerutscht“ sei.

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Eingeordnet unter Wien

Causa Hypo: ein Schlingerkurs, der den Staat Milliarden kostet

Aus dem FALTER 11/2014

Kommentar: Joseph Gepp

Es ist schon interessant, wie in der Causa Hypo Erkenntnisse ständig als neu präsentiert werden, die allen Beteiligten längst bekannt sind. Zum Beispiel diese: Die Taskforce Hypo rät dringend von einer Insolvenz der notverstaatlichten Bank ab.

Das ist eine uralte Position jenes Gremiums, das die Regierung über die Zukunft der Hypo berät. Ex-Taskforce-Chef Klaus Liebscher vertrat sie ebenso vehement wie sein Nachfolger Nationalbankchef Ewald Nowotny. Beide machten nie ein Hehl daraus. Nun wurde die Position neuerlich bekräftigt, von Nowotny, als er vergangenen Montag den Endbericht der Taskforce Hypo präsentierte.

Und was macht ÖVP-Finanzminister Michael Spindelegger? Er kündigt zerknirscht an, den Empfehlungen der Taskforce zu folgen. Als hätte er diese nicht längst gekannt. Und als hätte es in den vergangenen Wochen keine intensive Debatte über eine etwaige Insolvenz der Hypo gegeben – die schließlich Spindelegger selbst veranlasste, von den wohlbekannten Positionen der Taskforce abzurücken.

Fassen wir zusammen: Auf Anraten von Experten wie Liebscher und Nowotny ist Spindelegger stets gegen eine Hypo-Insolvenz. Mitte Februar jedoch kündigt er auf Druck der Öffentlichkeit an, diese Option doch prüfen zu wollen. Schließlich präsentiert die Taskforce einmal mehr ihre Uralt-Meinung – und Spindelegger schwenkt um, als wäre nichts gewesen.

Den Hypo-Kurs der Regierung als schlingernd zu bezeichnen ist untertrieben. Die Kosten der Unentschlossenheit dürften Milliarden betragen. Erst wollte Maria Fekter vor der Wahl 2013 keine Hypo-Debatte schüren, indem sie die Gründung einer Bad Bank veranlasst. Und jetzt eiert ihr Nachfolger Spindelegger herum.

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Eingeordnet unter Wirtschaft