Ein Mann, der in die Zukunft blickt

Aus dem FALTER 51-52/2013

Stefan Ederer will herausfinden, wie es mit Österreichs Wirtschaft weitergeht. Aus dem Alltag eines Prognoseforschers

Porträt: Joseph Gepp
Foto: Heribert Corn

Was in diesem Büro geschieht, das kann darüber entscheiden, ob die Regierung wieder Sparmaßnahmen beschließt. Oder ob es ein Konjunkturpaket braucht, um die Wirtschaft anzukurbeln. Was hier geschieht, kann entscheiden, ob es weiterhin Förderungen gibt, damit sich Leute Solaranlagen aufs Dach schrauben können. Oder ob sich mehr Kinderbetreuung finanziell ausgeht.

Das Büro ist klein und sehr schlicht. Ein paar säuberlich beschriftete Ordner stehen im Regal. Ein englischsprachiges Ökonomie-Buch auf dem Schreibtisch, daneben ein Locher. Draußen stehen verstreut in einem Park die Ziegelsteinbauten des Arsenals in Wien-Landstraße. Dazwischen, in einem Neubau aus der Nachkriegszeit, versucht Stefan Ederer herauszufinden, wie es mit Österreichs Wirtschaft weitergeht.

Ederer – Anfang 40, blaues Hemd, Adidas-Sportschuhe, grün-grau gestreifte Socken – ist Prognoseforscher. Er arbeitet als einer von vier Prognoseverantwortlichen beim Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo). Was Ederer in seine Berichte schreibt, wird viermal jährlich unter viel medialem Getöse den Politikern und der Presse präsentiert. Dann liest man zum Beispiel, wie stark in den kommenden zwei Jahren das Bruttoinlandsprodukt wachsen wird. Oder wie sich Arbeitslosenquote, Inflation und Investitionstätigkeit der Unternehmen entwickeln.

Stefan Ederer ist einer von vier Prognoseverantwortlichen am Wifo

Stefan Ederer ist einer von vier Prognoseverantwortlichen am Wifo

Solche Informationen liefern in Österreich traditionell zwei Institute, neben Ederers Wifo auch das Institut für Höhere Studien (IHS). Auf ihrer Basis plant dann etwa der Staat seine Ausgaben. Unternehmen schätzen damit die künftige Nachfrage nach ihren Produkten ab. Anleger treffen Entscheidungen. Zeitungen formulieren Schlagzeilen. Nur wie die Informationen entstehen und wie aussagekräftig sie sind, das fragt kaum jemand.

Rund ein Monat Arbeit stecke in so einer Zweijahresprognose, sagt Ederer und öffnet ein paar Grafiken auf seinem Computer. Diagramme, Rohmaterial für Vorhersagen. Es sind etwa Umfragen darüber, mit wie viel Kaufbereitschaft Unternehmer rechnen oder wie Konsumenten ihre Finanzlage einschätzen. Dazu kommen harte Fakten, die nicht nur auf Umfragen basieren: Wie viele Produkte wurden in den vergangenen Monaten erzeugt? Wie viele verkauft? „Das“, sagt Ederer, „ist aber erst der Anfang.“

Seit sechs Jahren arbeitet der Forscher am Wifo, zuvor war er Assistent an der Wirtschaftsuniversität. Seine Doktorarbeit schrieb der Oberösterreicher über den Zusammenhang zwischen gesellschaftlicher Einkommensverteilung und Nachfrage. Heute koordiniert er ein Projekt, an dem rund 25 Experten beteiligt sind. Nicht alle davon beobachten wie Ederer die Volkswirtschaft als Ganzes. Manche der Fachleute sind ausschließlich für Branchen zuständig, etwa Tourismus oder Bauwirtschaft. Diese hören sich dann in ihren Gebieten um, lesen Berichte, taxieren Erwartungen.

Danach – es bleiben zwei Wochen bis zur Fertigstellung – gibt es eine Sitzung, in der jeder Experte Ergebnisse aus seinem Feld präsentiert. „Da wird abgeglichen“, sagt Ederer. Für ein stimmiges Gesamtbild revidieren die Fachleute ihre Einschätzungen. „Wir erheben ja keine fertigen Zahlen, sondern nur Schwankungsbreiten. Innerhalb derer kann sich jeder von uns bewegen.“

Diese Harmonisierung bildet
den Großteil der restlichen Arbeit. Gegen Ende schließlich folgt der entscheidende Schritt: Dann kommen die Zahlen, zu denen man sich durchgerungen hat, in den Computer. Es sei „ein hochkomplexes Excel-Sheet“, sagt Ederer. Mittels Erfahrungen aus der Vergangenheit ermittelt das Tabellenkalkulationsprogramm die mögliche Zukunft.

Mit dieser Methode gelingt es den Experten meist, Entwicklungen einigermaßen korrekt abzuschätzen. Auf Ederers Tisch liegen Prognosen aus vergangenen Jahren – oft stimmen sie bis auf wenige Zehntelprozent. Denn in normalen Zeiten bewegt sich die Wirtschaft in regelmäßigen, abschätzbaren Zyklen hinauf und hinunter. „In normalen Zeiten“, wiederholt Ederer. „Das ist eine wichtige Einschränkung.“

Dass etwa im Jahr 2009 Österreichs BIP im Gefolge der internationalen Bankenkrise um fast vier Prozent einbrach, hatte kein Wirtschaftsforscher vorhergesehen. Blasen könne man nicht prognostizieren, sagt Ederer. „Wenn sie platzen, reißen sie die Realwirtschaft mit sich. Oder aber es geht ihnen langsam und unmerklich die Luft aus.“

Demnach können in Zeiten eines liberalisierten Finanzmarktes überall Gefahren lauern, vor denen keine Prognose warnt. So wie beispielsweise momentan auf dem Aktienmarkt: Zur Wirtschaftsbelebung stellten Zentralbanken viel niedrigverzinstes Geld zur Verfügung. Weil jedoch in der Krise wenig konsumiert und investiert wird, lässt sich dieses in der Realwirtschaft kaum gewinnbringend anlegen. Also bringen es Anleger weltweit an die Börsen, wo die Kurse – entkoppelt von der echten Wirtschaftslage – in ungekannte Höhen schießen.

Ein etwaiges Absacken kann desaströs enden – fließt eine solche Gefahr in die Prognose ein? Nein, weil man sie kaum konkret einschätzen könne, sagt Ederer. „Wir nennen das nur im Begleittext.“

Prognosen sind Orientierungshilfen. Sie funktionieren am besten in berechenbaren Zeiten. Und auf kurze Dauer, so wie der Wetterbericht. „Wir sind keine Wahrsager“, sagt Ederer. „Wir wollen nur von der Vergangenheit auf die Zukunft schließen.“


Das Wifo wurde 1927 von Friedrich Hayek und Ludwig Mises gegründet; aktueller Chef ist Karl Aiginger.


Wer sind die wichtigsten Wirtschaftsforscher Österreichs? Geschichte vom Jänner 2013

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