Wer sich vorm Budgetloch fürchtet

Aus dem FALTER 46/2013

Ökonomin Margit Schratzenstaller über falsche Hysterie und harte Fakten des Kassasturzes

Interview: Joseph Gepp, Barbara Tóth

Bei den Koalitionsverhandlungen nach der Nationalratswahl taucht es plötzlich auf: das Budgetloch. 40 Milliarden Euro könnten, über mehrere Jahre verteilt, im Budget fehlen, verriet Vorarlbergs ÖVP-Landeshauptmann Markus Wallner vergangene Woche. Politische Beobachter und Oppositionelle werfen der Regierung seither Täuschung vor: Schließlich regieren eben jene Leute, vor denen sie sich nun die unerwartete Finanzierungslücke auftut, bereits viele Jahre. Der Falter befragte dazu Österreichs bekannteste Budgetexpertin, Margit Schratzenstaller vom Wifo. Konkrete Zahlen will Schratzenstaller keine nennen, dies hält sie „zum aktuellen Zeitpunkt für unproduktiv“.

Falter: Frau Schratzenstaller, warum weiß die Politik immer erst nach den Wahlen, dass es ein Budgetloch gibt?

Margit Schratzenstaller: Man muss sich zunächst fragen, was dieses Budgetloch überhaupt ist. Es handelt sich um eine Abweichung von der aktuell geltenden mittelfristigen Finanzplanung. Diese Planung ist etwas relativ Neues, das aus der Haushaltsrechtsreform 2009 resultiert. Damals hat man sich geeinigt, Budgetpfade auf jeweils vier Jahre festzulegen. Diese Zahlen werden etwa in Strategieberichten kundgetan und an die EU übermittelt. Nun gibt es von diesen mittelfristigen Pfaden eben Abweichungen.

Wie lange kennt man schon die Höhe der Abweichungen?

Schratzenstaller: Der aktuelle Budgetplan stammt vom Frühjahr 2013. Seitdem gab es diverse Entwicklungen, die nicht absehbar waren. Manche von ihnen sind neu; bei anderen hat man im Frühjahr die quantitative Dimension noch nicht abschätzen können. Im Bereich Banken zum Beispiel ist ab 2014 überhaupt kein Geld im Budget einkalkuliert. Der Grund: Man wusste schlicht nicht, wie hoch die weiteren Bankenhilfen zu diesem Zeitpunkt sein würden.

Das heißt, die Regierung hat nichts falsch gemacht? Sie konnte das Budgetloch bis zum jetzigen Zeitpunkt gar nicht kennen?

Budgerexpertin Margit Schratzenstaller (Foto: Wifo)

Budgerexpertin Margit Schratzenstaller (Foto: Wifo)

Schratzenstaller: Zum Teil ja. Zwar haben Experten und Politiker durchaus gewusst, dass es große Unsicherheiten gibt und dass noch Kosten kommen werden. Aber dies in konkrete Zahlen zu gießen, ist nochmal eine andere Geschichte. Zum Teil ist es sicher auch der politischen Rationalität im Wahlkampf geschuldet, dass man erst heute so intensiv über die Budgetlage diskutiert. Denn es wurde auch die Verschlechterung der mittelfristigen Wirtschaftsprognose nicht ausreichend berücksichtigt. Aber einiges konnte man im Frühjahr 2013 tatsächlich noch nicht wissen.

Andere europäische Länder müssen ebenfalls viel Geld in angeschlagene Banken stecken. Haben sie ähnliche Probleme mit unberechenbaren Budgets?

Schratzenstaller: Das Problem ist, dass es keine verbindlichen Regeln für solche Verfahren gibt. Angeschlagene Banken sind ja erst mit der Wirtschaftskrise zu relevanten Budgetposten in vielen Ländern geworden. Dadurch stehen Budgetersteller vor einem Dilemma, das gerade in Zeiten von Krise und Unsicherheit virulent wird: Was macht man mit Ausgabenposten, die sich vorläufig nicht quantifizieren lassen? Die Antwort: Man rechnet in Szenarien. Das Hauptszenario schlägt sich im Budgetpfad nieder, daneben gibt es weitere, positive wie negative.

Nun scheint in Österreich eher das negative Szenario wahr zu werden als das positive. Was trägt neben der Bankenrettung noch dazu bei?

Schratzenstaller: Neben dem Kapitalbedarf für die Hypo Alpe Adria entwickeln sich auch die Konjunkturaussichten schlechter als erwartet. Weiters werden wohl die staatlichen Zuschüsse zu den Pensionen höher ausfallen. Der Pensionskommissionsbericht erschien vorletzte Woche; er zeigt, dass das faktische Pensionsantrittsalter nicht so stark steigt wie angenommen.

Derzeit wird ein Budgetloch von 40 Milliarden Euro kolportiert, das sich aus all dem ergibt. Die Zahl scheint horrend hoch.

Schratzenstaller: Obwohl ich keine Zahlen nennen will, muss ich hier ein wenig relativieren: Die Zahl ist deshalb so hoch, weil sie über fünf Jahre zusammengefasst ist und sowohl strukturelle als auch einmalige Kosten enthält. Strukturelle Kosten sind beispielsweise laufende Ausgaben für Pensionen oder Arbeitslose, die nun höher ausfallen als erwartet – einmalige sind etwa die Bankenhilfen.

Wer macht eigentlich so einen Kassasturz?

Schratzenstaller: Die Experten im Finanzministerium plus zugezogene Wirtschaftsexperten, die ihre eigenen Berechnungen miteinfließen lassen.

Und wie läuft so etwas ab?

Schratzenstaller:
Es ist jedenfalls nicht nur eine technische Übung, sondern auch eine Frage von Bewertungen und Einschätzungen. Man muss zuerst Annahmen machen und danach wird quantifiziert, was sie fürs Budget heißen. Wohlgemerkt – das Schwierigste in diesem Stadium hat noch nicht einmal begonnen: die politischen Maßnahmen, die sich aus dem Kassasturzergebnis für das Budget ergeben.

Apropos politische Maßnahmen: Vor der Wahl wurde viel über eine Steuerreform diskutiert. Ließe sie sich angesichts der klammen Budgetlage noch realisieren?

Schratzenstaller: Für eine größere Entlastung sehe ich definitiv keinen Spielraum bis 2016.

Bis 2016 sollte auch der Haushalt ausgeglichen sein, hieß es. Hält das?

Schratzenstaller: Ohne massives Gegensteuern sicher nicht.

Einerseits will der Staat gegen die wachsende Verschuldung steuern, andererseits würgt zu viel Sparen das Wachstum und die Beschäftigung ab. Was wäre der Mittelweg?

Schratzenstaller: Es gibt einerseits großes Effizienzpotenzial, zum Beispiel im Spitalsbereich oder bei altersgerechten Arbeitsplätzen – wobei bei Letzterem nicht nur die Republik, sondern auch die Unternehmen gefordert wären. Andererseits glaube ich auch, dass im Steuerbereich einiges möglich wäre. Man könnte etwa zahlreiche Ausnahmeregeln bei der Einkommensteuer abschaffen. Weiters ließe sich die Grundsteuer erhöhen. Schließlich könnten die Umweltsteuern ausgebaut und die Erbschaftssteuer reaktiviert werden. Allerdings sollten Mehreinnahmen für eine aufkommensneutrale Abgabenstrukturreform verwendet werden. Und es muss in Zukunftsbereiche investiert werden.

Zurück zum Budget: Was sollte die Regierung vor der nächsten Wahl anders machen?


Schratzenstaller:
Vielleicht sollte sie bei der Ankündigung von kostenintensiven Vorhaben noch zurückhaltender sein. Wir dürfen aber auch nicht vergessen, dass die derzeitige Debatte über den Kassasturz ein Nebeneffekt einer grundsätzlich positiven Entwicklung ist: Man versucht, vom einjährigen Budgetieren wegzukommen. Diese neue Praxis widerspricht nicht nur den alten österreichischen Gepflogenheiten. Sie bringt auch ganz logisch größere Unsicherheiten als bisher mit sich, weil eben die Zeiträume länger sind. Also gilt es nun, eventuell auftretende Budgetlöcher nicht zu bagatellisieren – aber auch keine Katastrophe aus ihnen zu machen.

Die vier Budgetweisen der Regierung beraten die Politiker beim Kassasturz:

Christian Keuschnigg ist Direktor des Instituts für Höhere Studien in Wien sowie Professor für Nationalökonomie, insbesondere öffentliche Finanzen, an der Universität St. Gallen

Karl Aiginger ist Direktor des Wifo und Spezialist für Finanzkrisen und polit-ökonomische Strategien

Konrad Pesendorfer
ist Generaldirektor der Statistik Austria und promovierter Volkswirt mit internationaler Beratungserfahrung

Ewald Nowotny ist Gouverneur der Österreichischen Nationalbank und langjähriger Politiker und Ökonom

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