Monatsarchiv: Juni 2013

Verwechseln die Leute Portfolio mit Polio, Herr Kapfer?

Aus dem FALTER 26/2013

Gute Werbungen sollten sich auf Situationen beziehen, die möglichst jeder kennt, erklärt Michael Kapfer, der Geschäftsführer von Lowe GGK. Zum Beispiel auf den berüchtigten Zeitpunkt in einer Gruppendiskussion, ab dem der kollektive Fundus an Wissen langsam, aber sicher zu schwinden beginnt. „Dann gibt’s zwei Typen von Menschen“, sagt Kapfer. „Die einen hören auf mit dem Reden. Die anderen machen trotzdem weiter, und dann wird’s meist lustig.“

Genau auf diese Situation bezieht sich eine aktuelle Werbekampagne des Erwachsenbildungsinstituts Wifi, die von den Agenturen Lowe GGK und Lobster gestaltet wurde. In Fernsehspots und auf Plakaten geht es darin um Menschen, die mit komplizierten Begriffen aus Wirtschaft und Technik nichts anfangen können. „Portfolio? Dagegen bin ich doch geimpft“, heißt es da zum Beispiel. Oder: „Mikrochips? Gibt’s die auch mit Paprika?“

Die Herausforderung an der Kampagne sei gewesen, das Thema „lebenslanges Lernen“ breitenwirksam einem teils inhomogenen Publikum zu vermitteln, erklärt Kapfer. Deshalb seien die Werber schließlich auf die einfache Idee mit den Sprüchen verfallen. Als diese einmal stand, wucherten die Einfälle. „Unserem Kreativteam sind in zwei Stunden sicher 40 Sujets eingefallen“, sagt Kapfer. „Davon haben wir die besten ausgewählt.“

Anschließend blieb nur noch eine Kleinigkeit zu tun, bevor die Kampagne öffentlich gemacht wurde: Im Internet ließ Lowe GGK abtesten, wie die Sujets bei Usern ankommen. „Schließlich“, sagt Kapfer, „soll sich ja niemand beleidigt fühlen.“

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Wenn Städte Schulden machen: Ein alter Streit bricht neu aus

Aus dem FALTER 26/2013

Es ist ein alter Konflikt, der gerade neu auflebt. „Den Städten und Gemeinden ist ein direkter Zugang zur ÖBFA zu ermöglichen“, fordert der österreichische Städtebund in einer aktuellen Resolution – wieder einmal.

Der Hintergrund: Seit Jahren verlangen die heimischen Städte und Gemeinden, dass sie sich Kredite über die Österreichische Bundesfinanzierungsagentur verschaffen können. Diese Einrichtung hat das öffentliche Schuldenmanagement für den Bund und die Bundesländer über. Kommunen jedoch müssen sich bislang individuell an Kreditgeber wenden. „Dabei wäre die Zinslast geringer, wenn die Kredite zentral über die ÖBFA aufgenommen würden“, argumentiert Oliver Puchner, Finanzreferent vom Städtebund. Dazu wäre manch Dorfbürgermeister nicht mehr mit komplexen Finanzgeschäften überfordert. Zahlreiche Gemeinden, vor allem in Niederösterreich und im Burgenland, haben sich ja in vergangener Zeit bei Spekulationsgeschäften die Finger verbrannt.

Bisher jedoch wies das Finanzministerium das Ansinnen der Kommunen regelmäßig zurück. Im Hintergrund sollen vor allem die heimischen Banken dagegen arbeiten. Für sie ist es weit lukrativer, mit einzelnen Kommunen Kreditgeschäfte zu machen als mit einer zentral operierenden ÖBFA.

Den Druck der Banken räumt sogar die ÖBFA selbst ein. In einer Festschrift zum 20-jährigen Bestehen der Behörde vom heurigen Jahr heißt es über den Versuch einer Reform der Gemeindefinanzierung im Jahr 2003: Diese sei wegen „starken Widerstands, insbesondere der Banken“ nicht zustande gekommen.

So wird wohl auch die nunmehrige Resolution des Österreichischen Städtebundes folgenlos bleiben. Nach den zahlreichen Spekulationsskandalen der vergangenen Monate wird zwar derzeit das Bundesfinanzierungsgesetz neu überarbeitet. Der alten Forderung der Kommunen nach der Finanzierung über die ÖBFA wird dabei allerdings nicht Rechnung getragen. Wieder einmal.

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Doping für die Baustelle

Aus dem FALTER 26/2013

Nach der Alpine-Pleite will der Staat die Bauwirtschaft ankurbeln. Aber bringt das etwas?


Bericht: Ruth Eisenreich, Joseph Gepp

Zweieinhalb Milliarden Euro Schulden, 6800 gefährdete Jobs, 1400 betroffene Zulieferfirmen: Die Insolvenz des Baukonzerns Alpine vergangene Woche war die größte Firmenpleite der Zweiten Republik.

Zu retten ist die Alpine wohl nicht mehr. Die Barmittel des Konzerns belaufen sich laut Masseverwalter nur auf knapp sechs Millionen Euro – wenig bei einem Tagesbedarf von drei Millionen. Der Mutterkonzern der Alpine, das spanische Firmenkonglomerat FCC, will die Alpine nicht stützen, auch der Versuch einer Übernahme durch andere österreichische Bauunternehmen ist gescheitert. Am Montag beantragte der Masseverwalter die Schließung des Konzerns.

Politiker und Bauwirtschaft verhandeln nun hektisch über Übergangslösungen, Rettungspakete und die Weiterführung von Baustellen. Denn die Alpine-Pleite könnte, so fürchten die Verhandler, auch eine Art Dominoeffekt am Bausektor auslösen. Von rund 1400 heimischen Zulieferfirmen, die mit der Alpine in Geschäftsverbindung standen, sollen etwa 80 ebenfalls vom Konkurs bedroht sein.

Kein Wunder also, dass SPÖ wie ÖVP – auch wenn sie noch über Details streiten – im Gleichklang nach einem Konjunkturpaket für die Bauwirtschaft rufen. Aber bringt das etwas? Unter welchen Voraussetzungen kann ein derartiger Eingriff in den Markt funktionieren? Gibt es Vorbilder? Oder ist gar alles nur Wahlkampfgetöse?

Um zu verstehen, warum die Bauwirtschaft der Politik so wichtig ist, reicht ein Blick auf die Arbeitskräftestatistik: Millionen Arbeitsplätze in Europa hängen an ihr und an abhängigen Branchen, vom Innenarchitekten bis zum Leitungsinstallateur.

In Österreich beispielsweise arbeiteten laut Statistik Austria im ersten Quartal 2013 rund 346.000 unselbstständig Beschäftigte im Bausektor – das sind 8,4 Prozent der Erwerbstätigen. Damit ist die Branche die viertgrößte hinter der Warenherstellung, dem Handel und dem Gesundheitswesen.

Wenn so ein Sektor kriselt, sorgen sich die Politiker. Genau das ist in der Bauwirtschaft der Fall. „Seit Jahren schrumpft sie in Europa oder stagniert bestenfalls“, sagt die Bauexpertin Andrea Kunert vom Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo). Eine Erhebung von Forschungseinrichtungen in 19 europäischen Ländern ergab für das Jahr 2012 einen Rückgang des gesamten Bauvolumens um 4,7 Prozent; für 2013 sind minus 1,6 Prozent prognostiziert.

Wichtigste Ursache der Entwicklung: Vor dem Beginn der Wirtschaftskrise 2008 hatten eine hohe Nachfrage und schnelle Kredite zu einem Boom in vielen europäischen Bausektoren geführt – eine Situation, die sich während der Krise ins Gegenteil verkehrte, in einen umso schlimmeren Nachfrageeinbruch und Preisverfall. In Spanien beispielsweise kamen vor der Krise im Schnitt 20 Baubewilligungen auf 1000 Einwohner, in Österreich sind es seit eh und je gerade einmal circa fünf.

Österreich hält sich zwar verhältnismäßig stabil, große Rückgänge gibt es vor allem in Südeuropa und Irland. Trotzdem wird es auch hier immer schwieriger, Arbeitsplätze in der Bauwirtschaft zu halten. Heimische Baufirmen bekamen die Krise vor allem wegen ihres massiven Engagements in Osteuropa zu spüren. So schrumpft etwa der Baumarkt in Ungarn seit 2009 um rund ein Zehntel pro Jahr.

Um der Krise entgegenzutreten und Arbeitsplätze zu retten, beschloss Österreichs Regierung 2009 ein Konjunkturpaket bisher ungekannten Ausmaßes. Insgesamt 1,4 Milliarden Euro investierte der Staat in den Bausektor – hauptsächlich über die ÖBB, die Bundesimmobiliengesellschaft und die Förderung thermischer Sanierung.

Den Erfolg dieser Maßnahmen schätzte eine Arbeitsgruppe rund um die Wifo-Budgetexpertin Margit Schratzenstaller positiv ein: Ohne die Konjunkturpakete gegen die Krise wäre das BIP um zusätzliche 2,1 Prozent eingebrochen, heißt es; 41.500 Arbeitsplätze seien gesichert worden.

Kein Wunder also, dass nach der Alpine-Pleite erneut Rufe nach einem Konjunkturpaket laut werden. „Die Bauwirtschaft ist der Motor und Multiplikator der österreichischen Wirtschaft“, sagt beispielsweise Hans-Werner Frömmel, Chef der Bundesinnung Bau. „Wenn wir sie ankurbeln, bewahren wir tausende Arbeitsplätze.“

Im Gespräch sind derzeit vor allem vorgezogene Investitionen in Bereiche, in die der Staat ohnehin bereits Geld stecken wollte – zum Beispiel in den sozialen Wohnbau, den Hochwasserschutz oder den Ausbau von Kindergartenplätzen. „Solche strukturellen Investitionen haben Sinn“, urteilt der Wirtschaftsforscher Marcus Scheiblecker. „Sie verhindern eine Gefahr, die oft bei Konjunkturprogrammen auftritt – dass man Branchen oder Betriebe fördert, die eigentlich bereits todgeweiht sind.“

Die Frage ist nur: Woher soll das Geld kommen? Für große Sprünge wie im Jahr 2009 reicht es heute nicht mehr. Dies nämlich würde die Staatsverschuldung in die Höhe treiben – und damit Österreichs Kreditwürdigkeit gefährden und zu hohen Zinszahlungen führen. Deswegen suchen die Politiker nun verbissen nach Wegen, die Bauwirtschaft zu fördern, ohne zusätzliche Schulden zu machen.

Eine halbe Milliarde Euro versprach Bundeskanzler Werner Faymann beim Parteitag seiner SPÖ in Villach vergangenen Samstag. Wie viel davon budgetwirksam wäre, sich also als Defizit im Budget niederschlagen würde, das kann die Partei auf Falter-Nachfrage jedoch nicht beantworten.

Beim Koalitionspartner ÖVP hat man sich indes eine Finte ausgedacht: 100 Millionen Euro für den Bausektor sollen vor allem aus Reserven der Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) kommen. Weil es sich bei der BIG um ein ausgegliedertes Unternehmen handelt, scheint diese Ausgabe nicht im Budget auf.

Bei Falter-Redaktionsschluss verhandelten die Parteien noch über das endgültige Unterstützungspaket, das in den kommenden Tagen verkündet werden soll.

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Krieau Verbau

Aus dem FALTER 25/2013

Die traditionsreiche Trabrennbahn im Prater soll zumindest teilweise verbaut werden -für den Anfang

BERICHT: JOSEPH GEPP

Es ist ein anachronistisches Vergnügen, das hier am Nordrand des Grünen Praters ungefähr zweimal pro Monat stattfindet. Elegante Gäste taxieren in Katalogen ihre Wettchancen, während die Jockeys an ihnen vorbeiflitzen. Einige Gäste tragen Kleidung wie im 19. Jahrhundert; Frauen haben Hüte mit breiten Krempen auf. Die Wettbewerbe auf der Trabrennbahn Krieau, eröffnet 1878, entführen in eine andere Welt, irgendwo zwischen Kaiser Franz Joseph und Queen Elizabeth. Nur leider interessieren sich immer weniger Leute dafür.

Von den drei denkmalgeschützten Tribünen ist nur eine saniert und zugänglich, die anderen beiden verfallen hinter Bauzäunen. Von den 50.000 Besuchern, die einst zu Rennen kamen, sind heute an guten Tagen gerade einmal 3000 übrig geblieben.

Der Betreiberverein – der altehrwürdige Wiener Trabrennverein unter der Leitung des ehemaligen SPÖ-Nationalratsabgeordneten Anton Gaál -gerät dadurch zusehends unter Druck. Denn die Fläche der Rennbahn, die der Verein von der Gemeinde auf Dauer gepachtet hat, wird laufend wertvoller.

Seit im Vorfeld der Fußball-Europameisterschaft 2008 die U2 durch den zweiten Bezirk gezogen wurde, findet nördlich des Grünen Praters ein Immobilienrausch statt. Gleich neben der Trabrennbahn ist das sogenannte „Viertel zwei“ aus dem Boden gewachsen, ein Geschäftsviertel rund um das neue Hauptquartier der OMV. Unweit davon eröffnete 2007 das Einkaufszentrum „Stadion-Center“. Einen halben Kilometer weiter harrt die neue Wirtschaftsuniversität ihrer Fertigstellung, samt Restaurants und Studentenherbergen. Und mittendrin: die unrentable Trabrennbahn Krieau, die nur dank Rathaussubventionen überlebt.

Schon im Jahr 2008 wurde die Bahn von 1110 auf 1000 Meter verkürzt – auf der freigewordenen Fläche könnte nun bald ein Studentenwohnheim entstehen. 2,5 Millionen Euro bekam der Trabrennverein damals laut Gemeinderatsbeschluss vom Rathaus als Entschädigung. Jetzt könnte der nächste große Schritt in der lukrativen Immobilienverwertung folgen.

Es geht vorerst, wie Vereinspräsident Gaál erklärt, um eine der zwei baufälligen Tribünen sowie -vor allem -um die Verwaltungsgebäude und Stallungen neben der Bahn. Bei letzterem Gelände handelt es sich um ein großes denkmalgeschütztes Areal aus der Gründerzeit. Die private IC Projektentwicklung („Integrated Communication“) des ehemaligen Raiffeisen-Managers und Immobilienentwicklers Michael Griesmayr hat die Fläche von der Gemeinde erworben.

Jetzt verhandelt Griesmayrs Firma mit dem Rathaus, dem Bundesamt für Denkmalschutz und dem Trabrennverein über ihre künftige Nutzung. „Es gibt Überlegungen, hier ein Viertel aus Büros und Wohnungen zu entwickeln“, sagt Gaál. Seit Jänner würde darüber verhandelt, noch heuer sollen wesentliche Entscheidungen fallen. Für 2015 sei der Baubeginn avisiert. Laut Sabine Ullrich, Geschäftsführerin der IC Projektentwicklung, könnten die Gespräche im Oktober abgeschlossen werden. „Dann wird auch die Öffentlichkeit über die Sache informiert.“

Trabrennbahn Krieau: Die Neubauten (im Hintergrund) sind schon nahe an sie herangerückt (Foto: Gepp)

Trabrennbahn Krieau: Die Neubauten (im Hintergrund) sind schon nahe an sie herangerückt (Foto: Gepp)

Wie kommt ein privater Immobilienentwickler wie die IC Projektentwicklung überhaupt zu derart lukrativen Stadtflächen? Wer das wissen will, muss zurück ins Jahr 2004. Damals machte sich die absolut regierende SPÖ Wien anlässlich der herannahenden Fußball-EM und der U2-Verlängerung Gedanken über die Zukunft des Grätzels. Jene Flächen, die zur Entwicklung vorgesehen waren -das spätere Viertel zwei, das Stadion-Center und andere -übertrug sie einem Public-Private-Partnership-Projekt. Es bestand neben der städtischen Wien Holding und anderen Privaten auch aus jener Firma, aus der später die IC Projektentwicklung hervorging.

32,1 Millionen Euro zahlte das öffentlich-private Konstrukt laut einem Kontrollamtsbericht von 2006 für die Grundstücke. Die Begleitumstände des Deals wurden von den Prüfern damals massiv kritisiert: Er „entbehrt in vielerlei Hinsicht kaufmännischer und juristischer Sorgfalt bzw. den üblichen Gepflogenheiten im Immobilienwesen“, heißt es in dem Prüfbericht. Auch hätte möglicherweise ein „weit höherer Kaufpreis“ erzielt werden können. Schlecht für die Stadt, gut für die privaten Partner, so lautete damals der Tenor von Kontrollamt und Rathausoppositionellen.

Inkludiert in den damaligen Verträgen waren auch weitreichende Vorkaufsrechte für die spätere IC Projektentwicklung und andere Private bei umliegenden Grundstücken -so auch für jene Teile der Trabrennbahn, deren Verbauung nun im Raum steht.

Der Trabrennverein jedenfalls hofft, mit Preisgabe der Stallungen und der Tribüne die wirtschaftliche Weiterexistenz der Rennbahn sichern zu können. Wobei Vereinspräsident Gaál zugleich betont: „Die anderen Tribünen und die Rennbahn selbst bleiben unangetastet. Hier besteht keinesfalls eine Chance auf Verzicht von unserer Seite.“

Andere sehen diese Frage weniger in Beton gegossen. So spricht ein mit Bauagenden befasster Wiener Stadtpolitiker, der seinen Namen im Zusammenhang mit der Trabrennbahn nicht in der Zeitung lesen möchte, von einem „Riesenproblem in der Krieau“ – und ortet „einen gewissen Druck auf den Trabrennverein“:“Mittelfristig wird es wohl so weit kommen, dass auch die Rennbahn selbst verbaut wird.“ Nachsatz: „Immerhin braucht man sich dort nicht um den Grünraum zu sorgen, wo der riesige Prater gleich daneben liegt.“

Wer die übrige Krieau in diesem Fall verbauen könnte, ist jedenfalls sicher: die IC Projektentwicklung. Laut der Leopoldstädter Bezirksvorstehung steht der Firma – sofern der Trabrennverein auf sein Pachtrecht verzichtet – auch ein Vorkaufsrecht auf den Rest der Trabrennbahn zu.

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Beitritt ohne Freude

Aus dem FALTER 25/2013

Kroatien wird am 1. Juli das 28. Mitgliedsland der Europäischen Union. Was bedeutet der Beitritt konkret? Und wem nützt er?


Realitätscheck: Joseph Gepp

Wenn Kroatien am 1. Juli 2013 der EU beitritt, ist das vielleicht die letzte Erweiterung der Union für lange Zeit.

Denn die Freude, die bei den EU-Erweiterungsrunden 2004 und 2007 zumindest ansatzweise zu spüren war, ist längst verflogen. Das Adrialand mit den tiefreichenden wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zu Österreich kommt als Nachzügler in die Union – mitten in der europaweiten Wirtschaftskrise. „Das ökonomische Umfeld hat sich in den letzten Jahren radikal verändert“, sagt Hermine Vidovic vom Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche.

Entsprechend niedrig sind die Erwartungen. In Kroatien selbst assoziieren 58 Prozent der Bürger den Beitritt vor allem mit höheren Preisen, wie eine Umfrage der EU-Delegation ergab. Noch düsterer sieht ihn das EU-Ausland: In wichtigen Zeitungen, von der Bild bis hin zur renommierten Süddeutschen, wird Kroatien als wirtschaftlich schwach und kaum europareif geschildert. Den Tenor der Medien prägen die Schuldenkrise, Rettungsschirme und Staatsanleihennotkäufe. Er lautet: Europa hat auch ohne Kroatien schon genug Problemkinder.

Ist die Angst gerechtfertigt? Oder sehen Kroaten und EU-Ausländer den Beitritt zu negativ? Und überhaupt: Was ist das eigentlich genau, so ein EU-Beitritt?

Um diese Frage zu beantworten, muss man zunächst sagen, was der Beitritt nicht ist. Er bedeutet keine Grenzöffnung – diese erfolgt erst mit Kroatiens Eintritt in die Schengen-Zone ab 2015. Er bedeutet auch nicht den freien Verkehr von Arbeitskräften – hierfür existieren, wie bei vorangegangenen Erweiterungen, Übergangsfristen von maximal sieben Jahren. Der EU-Beitritt bedeutet schließlich auch nicht, und das ist ein entscheidender Punkt, dass Kroatien den Euro einführt. Dafür erfüllt Kroatien derzeit nicht die Kriterien. Dieser letzte Aspekt entlarvt etwaige Vergleiche mit Griechenland als irrational. Denn die hohen Rettungskosten in Europa sollen die Währung stabilisieren und fallen demnach für Euroländer an, nicht für jene außerhalb der Gemeinschaftswährung.

Was also bedeutet nun der EU-Beitritt? Im Wesentlichen eine Anpassung tausender Gesetze an die EU-Rechtslage. Von 2006 bis 2011 verhandelten darüber EU-Kommission und kroatische Regierung. Das Spektrum umfasste 35 Kapitel, vom „Schutz geistigen Eigentums“ bis hin zu „Statistiken“. Es sei um viele kleine Dinge gegangen, die im Ganzen viel ausmachen, erklärt Roman Rauch, Delegierter der Wirtschaftskammer in Zagreb. „Etwa Regeln für Lizenzierungen, Prozeduren beim Warenimport oder Qualitätskontrollen.“

Das klingt kompliziert, doch all diese Vereinheitlichungen dienen einem klaren Ziel: Zur Förderung von Wachstum und Wohlstand will man den grenzüberschreitenden Handel erleichtern – und zwar beidseitig: Kroatische Unternehmen sollen ebenso leichter im EU-Raum investieren können wie EU-Unternehmen in Kroatien.

Neu in der EU: Kroatien

Neu in der EU: Kroatien

Dies betrifft im hohen Maß Österreich. Denn heimische Firmen sind die größten Investoren in Kroatien, vor niederländischen und deutschen. Über ein Viertel aller dortigen Auslandsinvestitionen tätigen laut Wirtschaftskammer rund 750 heimische Unternehmen. Das reicht von der Skandalbank Hypo Alpe Adria bis zum Mittelständler, der auf dem Balkan produziert. Wie werden diese Firmen den EU-Beitritt konkret spüren? Der Baukonzern Porr beispielsweise, einer der größten heimischen Investoren im Osten, streicht auf Falter-Nachfrage die „an die europäische Norm angepasste Ausschreibungstätigkeit“ als künftigen Vorteil hervor. Der steirische Versicherer Merkur glaubt, von „weitreichenderen Möglichkeiten bei der Veranlagung“ von Geldern zu profitieren. Die Telekom Austria schließlich, größter heimischer Investor in Kroatien, führt auch einen Nachteil an: Der Wegfall der Roaming-Gebühren beim Telefonieren werde die Gewinne der Firma schmälern.

All diese Neuerungen gelten zwar umgekehrt auch für kroatische Unternehmen im Westen – nur wird sich dies viel weniger stark auswirken. Weil viele westliche Unternehmen nach der Wende massiv in den Osten expandierten, sind sie dort viel präsenter als östliche im Westen. „Heimische Unternehmen zählen sicher zu den Gewinnern des Beitritts“, sagt Rauch.

Der Beitritt bringt also vor allem vereinheitlichte Regeln, weniger Bürokratie und Rechtssicherheit für Unternehmen – schön und gut. Aber was haben die kroatischen Bürger davon? Abgesehen von speziellen Maßnahmen wie EU-Projektsubventionen hegen Ökonomen hier vor allem eine Hoffnung: dass all die Erleichterungen zu einer besseren Wirtschaftsentwicklung führen, die wiederum insgesamt eine Aufwärtsbewegung auslöst. So soll etwa die europäisierte Rechtslage in Kroatien Konzerne animieren, dort Arbeitsplätze zu schaffen.

Das wäre jedenfalls dringend notwendig. Die Jugendarbeitslosigkeitsrate in Kroatien liegt derzeit bei über 50 Prozent. Hinter Griechenland und Spanien wird sie die dritthöchste in der EU sein.

EU-Erweiterungen
2004 traten zehn osteuropäische Staaten von Estland bis Zypern der EU bei. 2007 folgten Rumänien und Bulgarien. Damals war die wirtschaftliche Lage noch weit rosiger

Kroatien
Das Land, Hauptstadt Zagreb, hat 4,5 Millionen Einwohner und rund zwei Drittel der Fläche Österreichs. Rund 18 Prozent des BIP erwirtschaftet das Land durch den Tourismus an der Adriaküste. Am 1. Juli tritt es der EU bei

Ö1-Schwerpunkt

Von 18.6. bis 6.7. präsentiert Ö1 einen umfangreichen Kroatien-Schwerpunkt. Infos unter: oe1.orf.at

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Damm drüber

Aus dem FALTER 24/2013

Grein, Theiß und Bratislava. Eine Reise zu drei Orten an der Donau, die der Flut trotzen

Reportage und Fotos: Joseph Gepp

Das ist die Geschichte einer Welle, die sich mit ungefähr 4,2 Stundenkilometern, also der Geschwindigkeit eines Fußgängers, durch die Donau bewegt. Das ist die Geschichte von drei Orten an der Donau, die zeitversetzt, innerhalb von 56 Stunden, von der Welle getroffen werden. Und das ist die Geschichte von drei Dämmen rund um diese Orte, die hielten.

Vergangener Mittwoch, 5. Juni, Grein, Oberösterreich. „Das Schlimmste ist vorbei“, sagt Bürgermeister Manfred Michlmayr. Zwei Nächte zuvor, um vier Uhr morgens, hat der Scheitel des Hochwassers sein Städtchen erreicht. Jetzt verschanzt sich Grein hinter einem mobilen Wall, der aussieht wie eine Lärmschutzwand an der Autobahn. Noch gestern habe das Wasser bis zum Rand des Damms gestanden, sagt Michlmayr und zeichnet mit der Handkante eine Linie in die Luft. Inzwischen ist es einen Meter gesunken. Michlmayr wirkt erleichtert. Der Damm hat gehalten.

Manfred Michlmayr, Bürgermeister von Grein

Manfred Michlmayr, Bürgermeister von Grein

100 Kilometer östlich, in Theiß, einem Dorf nahe Krems. 22 Stunden hat es gedauert, bis der Höhepunkt der Welle von Grein hierher geschwappt ist. Nun ist der Kampf in vollem Gange. Ein Damm droht zu brechen und den Ort zu überfluten. Feuerwehrmänner beschweren ihn mit Sandsäcken, Gatsch spritzt von Baggerreifen. Evelyn Gruber, Helferin beim Roten Kreuz, hat unterdessen ihre alte Französischlehrerin angerufen. Sie bat um Klassenräume. Gruber organisiert Unterkünfte für den Fall der Evakuierung von Theiß. „Ich hoffe nur“, sagt sie, „wir werden sie nicht brauchen.“

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Weitere 150 Kilometer flussabwärts, über der Grenze, im slowakischen Bratislava. Während man in Theiß zittert, ist die Lage hier noch ruhig. Das Wasser soll erst am nächsten Tag kommen, Donnerstagmittag. Tausende Schaulustige drängen dann ans Donauufer. Die Flut wird auf Smart Phones gebannt. „Die Leute sind sorglos“, sagt Ľubomír Andrassy, 40, Leiter des Krisenstabs. In Bratislava wurde kürzlich ein Wall errichtet, der sogar Hochwasser abhalten soll, die statistisch nur alle 1000 Jahre vorkommen. Trotzdem sagt Andrassy beim Abschied: „Wünschen Sie uns Glück!“ Man weiß ja nie, trotz aller Vorsichtsmaßnahmen.

Lubomir Andrassy, Krisenkoordinator in Bratislava

Lubomir Andrassy, Krisenkoordinator in Bratislava

Vergangene Woche gab es ein Hochwasser in Mitteleuropa, wie es sich statistisch gesehen in 100 Jahren nur einmal ereignet. Es war bereits das zweite Mal in elf Jahren. Fünf Menschen in Österreich sind ertrunken. Zuvor hatte es Niederschläge und Überschwemmungen gegeben, in Tirol, Salzburg, Oberbayern und Tschechien. Der Regen machte die Donau zum tosenden Strom. Baucontainer und Autowracks sollen in ihr gesichtet worden sein, berichten Betroffene. Doch im Gegensatz zum Hochwasser des Jahres 2002 traf die Flut diesmal auf Orte, die sich vorbereitet hatten. Seit 2002 wurden Dämme verstärkt und Wälle errichtet, 27 allein in Österreich. Jetzt zeigt sich, ob die Vorkehrungen richtig waren. Ob man aus 2002 gelernt hat. Und wo der Schutz an seine Grenzen stößt.

Manfred Michlmayr, 55, SPÖ-Bürgermeister von Grein, steht auf einem Spazierhügel und zeigt hinunter auf seine Stadt. Hübsche Bürgerhäuser säumen Gassen, die zum Donauufer abfallen – hin zu jenem filigran wirkenden Konstrukt, das die Stadt vor dem Wasser abschirmt. „Was Sie vom Damm sehen“, sagt der Bürgermeister, „ist aber nur ungefähr ein Achtel des Bauwerks.“ Überirdisch verläuft lediglich eine haushohe mobile Aluminiumwand, unter der Erde folgt „ein richtiges Bunkersystem“ aus Becken, Pumpen und Verankerungen, die das eindringende Wasser ableiten. Im Juni 2012, vor einem Jahr, wurde der Wall von Grein eröffnet. Gebaut hat ihn die deutsche Firma IBS (siehe Interview Seite 16), Kosten: rund 20 Millionen Euro. Niemand dachte, dass sich der Damm so bald bewähren wird müssen.

Das Bauwerk kann maximal ein Hochwasser wie im Jahr 2002 bewältigen. Doch nun trotzt es auch dieser Flut, obwohl sie jene von 2002 um sieben Zentimeter übersteigt. „Eine Meisterleistung“, sagt Michlmayr. „Der Damm hat uns vieles erspart.“

Seit fünf Tagen ist der Bürgermeister im Dauereinsatz. Er wirkt hellwach und konzentriert. Es ist die Ausnahmesituation, die ihn noch funktionieren lässt. Er erzählt vom Aufbau des Damms, von der Evakuierung der Bevölkerung aus Gassen am Donauufer. „Der merkwürdigste Moment kam aber danach, als die ganze Arbeit erledigt war“, sagt er. „Dann kehrt eine unheimliche Ruhe ein. Man will weitermachen, aber man kann nichts mehr tun, außer das Ereignis abzuwarten.“

Jetzt, wo sich die Situation wieder beruhigt hat, blickt ein Greiner Pensionistenpaar vom Rand der Sperrzone in Richtung seines Hauses, über Verbotstafeln und Polizeiwachen. Acht Hochwasser habe er hier schon erlebt, erzählt der Mann. „Diesmal ist zum ersten Mal alles trocken geblieben.“

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100 Kilometer weiter östlich, Krems, Niederösterreich. Die ehrenamtliche Rotkreuzhelferin Evelyn Gruber, 44, kontrolliert gerade die Klassenräume der Tourismusschule. An den Tafeln stehen noch halbverwischte Formeln aus der Mathematikstunde. Statt der Schultische reihen sich hier aber dicht an dicht Feldbetten, samt weicher Matratzen. „Wir schauen, dass es bequem ist“, sagt Gruber. „Die Leute haben es ja eh schon schwer genug.“

Im Gegensatz zu Grein befindet sich Theiß, ein 870-Seelen-Dorf zehn Minuten von Krems, noch mittendrin in der Gefahrenzone. Beim Damm, um dessen Erhalt gerade gekämpft wird, handelt es sich nicht um ein High-Tech-Wunderwerk wie in Grein. Er ist stattdessen ein alter Erddamm von 1965. Vergangene Nacht, Mittwoch, 0.59 Uhr, meldete eine Feuerwehrpatrouille, die Erde rundherum sei „kuhwampig“. Weich wie die Wampe einer Kuh also. Nun bestand dringender Handlungsbedarf.

Eine Stunde später, zwei Uhr, klingelte die Feuerwehr die Theißer aus ihren Betten. Sie sollten im Fall des Dammbruchs innerhalb von zehn Minuten ihre Häuser verlassen. Eine Überflutung von Theiß wäre bereits die zweite seit 2002, erzählt Gruber. Damals kam das Wasser jedoch nicht von der Donau, sondern vom nahen Fluss Kamp. Den dortigen Damm haben die Behörden dann verstärkt – ohne zu ahnen, dass die Wassermassen aus der anderen Richtung kommen könnten.

Nun könnte bald alles unter Wasser stehen, die schlichte Kirche in Theiß, der Nah & Frisch, die Einfamilienhäuser – und der kleine Bauhof, von dem aus die Theißer gerade versuchen, ihr Dorf zu retten.

Gut 200 von ihnen schaufeln Sand, um den Damm zu beschweren. Die Stimmung wirkt nicht etwa düster, sondern optimistisch, solidarisch, fast ausgelassen. Männer nehmen große Züge aus Bierflaschen, Frauen fachsimpeln übers Fernsehen. Nachbargemeinden haben ihre Bewohner zur Hilfe aufgerufen. Die Helfer tragen T-Shirts, um die es nicht mehr schade ist – Hard Rock Café, Puma, De Puta Madre 69. Am Tag darauf sind 6000 Tonnen Material zum Damm gekarrt worden. Evelyn Gruber konnte ihre Feldbetten wieder abbauen.

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Während die Theißer das Schlimmste überstanden haben, hat es Bratislava noch vor sich. Nächster Tag, 6. Juni. Als die Donau ihren Höchststand erreicht, ruhen alle Hoffnungen auf dem neuen Damm, einem 30-Millionen-Euro-Projekt, das seit Fertigstellung 2010 als Meisterleistung gepriesen wird und dessen Bauart jener von Grein entspricht. Nur ist die Belastungsgrenze des Dammes noch höher als in Grein. Theoretisch hält das Bauwerk sogar einem Jahrtausendhochwasser stand. „Damit wollten wir eine Situation wie 2002 verhindern“, sagt Krisenchef Andrassy.

Damals wäre es beinahe zur Katastrophe gekommen. Die Altstadt von Bratislava liegt, im Gegensatz zu jener Wiens, direkt an der Donau. 2002 versuchte man, sie lediglich mit Sandsäcken vor der Flut zu schützen. Das Wasser drang in die Nationalgalerie und das Nationalmuseum ein. Wenige Zentimeter hätten noch gefehlt, dann wäre der Kern von Bratislava überflutet worden. Der Schaden hätte hunderte Millionen betragen, 490.000 Menschen wären direkt betroffen gewesen.

Heute übersteigt der Wasserstand jenen von 2002 gar um einen halben Meter. Dennoch ist die Stimmung in der Stadt unbeschwert. Der Damm hält, was er verspricht. Es wären sogar Alusegmente übrig, um ihn noch höher aufzustocken. An der Uferpromenade sitzen die Bewohner in der Sonne. Dass sie ohne den Damm um ihre Gesundheit und ihr Eigentum bangen müssten, dieser Gedanke scheint weit weg. Fasziniert blicken die Leute, über den Damm, in die Flut. In Cafés rauchen sie Wasserpfeife und trinken Cappuccino. „Einige Leute“, erzählt Andrassy, „sind gar auf den Damm geklettert, um einen besseren Blick zu haben.“ Nur die ungeschützten Vororte Devín und Petržalka trifft das Hochwasser.

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Das Jahrhunderthochwasser ist bisher, trotz aller Schäden und Opfer, glimpflich verlaufen. Man sei „mit einem blauen Auge davongekommen“, resümierte etwa Oberösterreichs Landeshauptmann Josef Pühringer. Allerorten, wie in Grein, Theiß und Bratislava, hielten die Dämme. Experten warnen allerdings davor, sich allein auf sie zu verlassen. Je mehr Dämme es gibt, so die Befürchtung, desto größer werde die Gefahr für ungeschützte Orte. Diese – etwa Kritzendorf, Emmersdorf oder die Gegend um Hainburg – wurden vom aktuellen Hochwasser besonders schlimm getroffen. „Neben Dämmen muss es zum Schutz auch Überflutungsflächen geben“, sagt der Fließgewässerexperte Michael Tritthart von der Wiener Boku. „Es braucht auch unbebaute Gebiete, auf denen sich die Donau verlaufen kann.“ Diese Woche bewegt sich der Scheitelpunkt der Welle weiter nach Osten. Teile Ungarns stehen unter Wasser. Das Hochwasser wird aber bald an Dynamik verlieren. Denn weiter östlich vergrößert sich das Fassungsvermögen der Donau zunehmend, und die Zuflüsse führen kein Hochwasser, was die Überflutungsgefahr verringert.

Die Geschichte dieser Welle, die sich mit ungefähr 4,2 Stundenkilometern durch die Donau bewegt, wird in etwa drei Wochen enden. Im rumänischen Delta, wo der Fluss ins Schwarze Meer mündet. Die Welle wird dort allerdings wohl nur noch ein Wellchen sein. Ein leicht erhöhter Wasserstand.

„Söba schaufeln“: Wie die Polizei in Kritzendorf mit Flut-Helfern umspringt
Viel Solidarität und Hilfe für Hochwasseropfer hat man in diesen Tagen erlebt – aber auch manch haarsträubenden Zwischenfall. So zum Beispiel in Kritzendorf bei Klosterneuburg. Dort sieht es derzeit aus „wie nach der Apokalypse“, sagt Margit Landsgesell, 54, Bewohnerin eines der dortigen Stelzenhäuschen. Vergangenen Sonntag rückte sie deshalb mit drei ausländischen Arbeitern an, um aufzuräumen.

Dies sei allerdings von der Polizei unterbunden worden, erzählt sie. „Der Beamte am Eingang zum Strombad hat meine Arbeiter rüde angeschnauzt und Ausweise verlangt.“ Weil die Helfer keine Papiere dabeihatten, meinte der Polizist: „Ausländer lassen wir hier nicht rein, weil Ausländer sind Diebsbanden.“ Auf Landsgesells Protest hin rechtfertigte sich der Beamte, dass die Maßnahme von der Stadtgemeinde Klosterneuburg verfügt worden sei. Sie selbst, als Inländerin, durfte die Anlage betreten. Auf ihre Frage, was sie nun tun solle ohne ihre Arbeiter, sagte der Beamte laut Landsgesell: „Söba schaufeln!“

Landsgesell nennt den Vorfall nicht nur eine „unerhörte rassistische Entgleisung“, er sei auch eine „Verhöhnung von uns Bewohnern von Kritzendorf, die wir bis zum Hals in Problemen stecken.“ Denn der Schlamm muss rasch weggeschaufelt werden, bevor er eintrocknet.

Auf Falter-Nachfrage bestätigt die ÖVP-regierte Gemeinde, dass polizeiliche Ausweiskontrollen veranlasst wurden. „Es gab Beschwerden über Diebsbanden aus dem Ausland, die zum Beispiel Sperrmüllflächen verwüsten und sich Anrainern aggressiv aufdrängen“, sagt Birgit Maleschek, Sprecherin der Gemeinde. Nachsatz: „Aber es liegt an der Polizei, wie sie das handhabt.“

Bei der Polizei will man das Erlebnis von Margit Landsgesell weder bestätigen noch dementieren. Michael Scharf vom Polizeiposten Klosterneuburg sagt nur: „Es gibt in Kritzendorf derzeit Leute, die versuchen, die Notsituation der Anrainer auszunutzen.“

Firma IBS: „Für Melk und Dürnstein kam die Realisierung leider zu spät“
Rund 200 Mitarbeiter hat IBS, jener mittelständische Betrieb in der bayrischen Stadt Thierhaupten, der derzeit überall in Europa mobile Hochwasserdämme errichtet. Der Falter sprach mit Xaver Storr, dem technischen Geschäftsführer.

Falter: Herr Storr, wie viele mobile Dämme haben Sie in Österreich seit 2002 errichtet?

Xaver Storr: An der Donau haben wir zwischen Linz und Klosterneuburg bislang zehn Großprojekte durchgeführt. Das war unser Hauptgeschäft in dem Land in den vergangenen Jahren. Für Melk und Dürnstein gibt es auch Aufträge, aber da kam die Realisierung für das derzeitige Hochwasser leider zu spät.

Worauf muss man achten, wenn man so einen Damm baut?

Storr: Vor allem brauchen Sie eine Vorlaufzeit von ein bis zwei Tagen, in der Sie über die Ankunft des Hochwassers Bescheid wissen. Wenn also ein Gebirgsbach innerhalb von zwei Stunden anschwillt, haben solche Anlagen keinen Sinn. Die Donau ist der Klassiker, da gibt es auch ein entsprechendes Pegelwarnsystem.

Warum hat sich Ihre Firma auf Hochwasserschutz spezialisiert?

Storr: Wir kommen ursprünglich aus der Löschwasserrückhaltung – also von jenen Systemen, die kontaminiertes Löschwasser in einem Gebäude halten. In den 1990ern jedoch wurde der Ruf nach mobilen Dämmen laut, weil Hochwasserschadensereignisse immer häufiger auftraten, damals vor allem an Main und Mosel. Da dachten wir: Was beim Löschwasser von innen nach außen funktioniert, muss ja beim Hochwasser auch auf dem umgekehrten Weg möglich sein.

Und wo liegen heute Ihre Hoffnungsmärkte?

Storr: Österreich und Deutschland sind schon sehr weit ausgebaut. In Zukunft wird wohl in Ungarn entlang der Donau viel investiert werden. Rumänien steckt noch in den Kinderschuhen, was die Hochwasserplanung angeht. Darüber hinaus haben wir auch Projekte beispielsweise in Thailand, den USA, Neuseeland und Australien. Bei Großprojekten im Bereich der Mobilwandtechnik beherrschen wir den Markt zu 90 Prozent.

Ihre Dämme haben zweifelsohne viel Wasser abgehalten. Kritiker wenden aber ein, dass durch diesen Schutz andere – ungeschützte – Orte umso stärker überschwemmt werden. Stimmt das?

Storr: Wenn wir fragen, ob eine Hochwasserschutzanlage den Pegel in ungeschützten Orten zusätzlich anhebt, dann reden wir – wenn überhaupt – von zwei bis drei Zentimetern. Außerdem müssen bei modernen Planungen immer auch Ausgleichsflächen geschaffen werden. Am Ende geht es um einen insgesamten, effizienten Schutz – es ist Haarspalterei zu fragen, wer an diesem und jenem Zentimeter schuld ist.

Xaver Storr, 44, ist technischer Geschäftsführer der bayrischen Firma IBS. Der Betrieb ist Weltmarktführer bei der Errichtung großer mobiler Hochwasserdämme

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„Wir wachsen oder wir kollabieren“

Aus dem FALTER 24/2013

Wie sich der britische Ökonom Tim Jackson eine Welt ohne Wirtschaftswachstum vorstellt

Interview: Joseph Gepp

Tim Jackson, 56, ist einer wichtigsten Ökonomen, die sich mit dem Thema Wirtschaftswachstum auseinandersetzen. Sein Bestseller „Wohlstand ohne Wachstum“, erschienen 2009, erregte beim UN-Klimagipfel in Kopenhagen Aufsehen. Der Falter traf den Briten beim Festival „What Would Thomas Bernhard Do“ in der Kunsthalle, wo er einen Vortrag hielt.

Falter: Herr Jackson, Ihrer Ansicht nach hat das Streben nach Wirtschaftswachstum zur Wirtschaftskrise seit 2008 geführt. Andere verweisen eher auf deregulierte Finanzmärkte oder lockere Geldpolitik. Was hat die Krise mit dem Wachstum zu tun?

Tim Jackson: Vordergründig lösten durchaus deregulierte Finanzmärkte die Krise aus. Aber wir müssen uns fragen, warum wir sie dereguliert haben. Die wichtigste Antwort lautet: um das Wachstum anzutreiben. Die Konsumenten sollten weiter Dinge kaufen, die Firmen expandieren. Deshalb sorgte man dafür, dass eine deregulierte Finanzindustrie massenhaft Kredite zur Verfügung stellt. Deshalb gab es so viel Liquidität, eine derartige Expansion der Verschuldung.

Die Verschuldung sollte den Konsum am Laufen halten?

Jackson: Die Wirtschaft braucht den Konsum, sonst wird sie instabil. Steuereinnahmen sinken, die Staatsverschuldung steigt. All dies kann nur durch Wirtschaftswachstum verhindert werden. So ist das System: Wir wachsen oder wir kollabieren.

In Ihrem Buch beschreiben Sie, warum das Ihrer Ansicht nach so ist: Der Wettbewerb macht die Wirtschaft insgesamt effizienter, immer weniger Menschen können also immer mehr produzieren. Genau in diesem Ausmaß muss das System jedoch auch wachsen, sonst werden die Leute arbeitslos.

Jackson: Ja, und jetzt stößt das Modell an seine Grenzen. In Großbritannien werden wir voraussichtlich um das Jahr 2040 ein Nullwachstum erreichen. Uns bleibt nur die vage Hoffnung, dass alles weitergeht wie bisher: zwei bis drei Prozent BIP-Wachstum pro Jahr im Westen, fünf bis acht in den Entwicklungsländern. Aber das ist Selbsttäuschung.

Warum? Es gibt genug Potenzial in Ländern wie China oder Indien. Kann sich das Wachstum nicht einfach verlagern?

Jackson: Man kann die Konsummuster des Westens nicht einfach auf die Schwellenländer übertragen, dafür fehlen dem Planeten die Ressourcen. Abgesehen davon geht es am Wesentlichen vorbei, unsere Mühe weiter auf Wachstum und Materialzuwachs zu richten. Die sozialen, altruistischen Teile unserer Persönlichkeit sind essenziell für unser Wohlbefinden, kommen aber in der Wachstumsgesellschaft unter die Räder. Wir müssen stattdessen überlegen, wie wir das System prinzipiell reformieren können.

Wie denn?


Jackson:
Wir brauchen einen sinnvollen Begriff von Wohlstand, dem die Wirtschaft dient: Sie soll Dienste zuliefern, die unsere Lebensqualität verbessern. Dies erreicht man nicht allein durch kurzfristige Investments, sondern auch durch solche, deren Gewinne nicht nur finanzieller Natur sind – sondern auch sozialer und ökologischer.

Das klingt sehr allgemein. Wenn man sich konkret anschaut, was Wachstumskritiker wie Sie vorschlagen, stößt man etwa auf kürzere Arbeitszeiten oder Alternativen zum BIP. Auch das sind eher fragmentarische Maßnahmen. Warum gibt es keine große Theorie des Post-Wachstums?

Tim Jackson (Wikipedia)

Tim Jackson (Wikipedia)

Jackson: Wir stehen derzeit vor der Herausforderung, diese herauszuarbeiten. Grob gesagt müsste sie die theoretischen Grundlagen schaffen für einen beschäftigungsintensiven Firmensektor, ein langfristiges Finanzierungssystem und eine Neuorganisation von Arbeit und Arbeitszeit. Dafür braucht man geeignete Institutionen und eine makroökonomische Funktionsweise. Trotzdem sind Modelle immer nur so gut wie ihre dahinterliegenden Annahmen.

Könnte das Zeitalter nach dem Wachstum auch einfach so beginnen? Ohne Theorie?

Jackson: Ja, vielleicht. Regierungen werden schließlich gewählt, um Wohlstand zu schaffen. Langfristig werden nur solange auf Wachstum setzen, solange das Wachstum auch Wohlstand hervorbringt.

Um das Wachstum abzuschaffen, müssen Sie an eine Wurzel des Kapitalismus gehen: den Konkurrenzkampf der Marktteilnehmer untereinander. Kann es Kapitalismus ohne Wachstum überhaupt geben?


Jackson:
Begreift man Selbst- und Konkurrenzbezogenheit als die alleinige Basis des Kapitalismus, sprechen wir tatsächlich von seinem Ende. Aber die kapitalistische Realität ist nuancierter. Es gibt etwa den chinesischen und den schuldengetriebenen Kapitalismus sowie die sozialen Marktwirtschaften. Zwar steckt in diesen Formen durchaus das Element des Wettbewerbs. Aber man muss ja nicht alles gleich wegwerfen.

Die beiden vielleicht friedlichsten Epochen der Weltgeschichte waren das 19. Jahrhundert und die Zeit nach 1945. In beiden expandierten der Handel und die weltwirtschaftliche Verflechtung massiv. Wenn die Globalisierung zurückgeht – wie kann dann der Frieden bewahrt werden?

Jackson: In manchen Bereichen wird die Globalisierung in dieser neuen Vision des Wohlstands, wie ich sie hier skizziere, sicher zurückgehen – etwa in der Finanzwirtschaft. Aber diese Bereiche schaffen ja ihrerseits Instabilität. Es ist schon richtig, dass eine potenzielle Gefahr des Wandels die Entstehung isolierter Gemeinschaften möglicherweise feudalen Zuschnitts ist. Nur gibt es diese Gefahr auch jetzt schon – denken Sie nur an die horrende Jugendarbeitslosigkeit. Sollte das Wirtschaftssystem kollabieren, müssen wir sowieso zurück zu isolierten Gemeinschaften. Da ist es das kleinere Übel, vorher eine Struktur zu errichten, die den Crash vielleicht noch abwendet – etwa indem sie Arbeitslose auffängt und somit die Grundlage für Konflikte entschärft.

Tim Jackson: Wohlstand ohne Wachstum. Leben und wirtschaften in einer endlichen Welt. Oekom, 248 S., € 13,40  Jacksons Buch kann man auch - wie viele andere interessante - bei der deutschen Bundeszentrale für politische Bildung bestellen (um € 4,50). Siehe: www.bpb.de

Tim Jackson: Wohlstand ohne Wachstum. Leben und wirtschaften in einer endlichen Welt. Oekom,
248 S., € 13,40
Jacksons Buch kann man auch – wie viele andere interessante – bei der deutschen Bundeszentrale für politische Bildung bestellen (um € 4,50). Siehe: http://www.bpb.de

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Der große Tschisi Schmäh

Aus dem FALTER 23/2013

Im Internet fordern zehntausende die Wiedereinführung eines Eskimo Kulteises. Angeblich

Bericht: Joseph Gepp

Es gibt Geschichten, die lassen die Herzen von Marketingmenschen höher schlagen. Zum Beispiel die folgende.

Aus privater Leidenschaft gründet ein Mann eine Facebook-Gruppe, um sich für die Wiedereinführung seines Lieblingsprodukts aus der Kindheit einzusetzen. Innerhalb weniger Wochen unterstützen ihn wider Erwarten zehntausende Menschen. Doch der Konzern, an den sich die Appelle richten, ziert sich. Die alten Produktionsanlagen würden nicht mehr existieren, heißt es in Presseaussendungen. Zudem gebe es die Originalrezepte nicht mehr, und überhaupt sei im Supermarktregal wenig Platz. Schließlich jedoch gibt der Konzern klein bei. Er verkündet die Wiedereinführung des Produkts; die Fans jubeln.

Genau das ist Anfang des Jahres beim „Tschisi“ geschehen, einem Eis am Stiel mit Vanillegeschmack aus den 90er-Jahren. Es sieht aus wie ein Schweizer Käse. Fans schreiben dem Tschisi gerne einen gewissen Kultcharakter zu.

Der Sommer wird KŠse: ESKIMO bringt Tschisi zurŸck

Protagonisten der Geschichte: Peter Brandlmayer, Salzburger, Graswurzelkämpfer für die Rückkehr von Tschisi und im Zivilberuf Moderator bei einem kleinen Privatradio. Dazu Eskimo, das österreichische Tochterunternehmen des multinationalen Lebensmittelriesen Unilever. Und schließlich 80.000 Österreicher, die auf Brandlmayers Facebook-Seite erklärten, sie wollten das Tschisi-Eis zurück – also jeder Hundertste im Land.

Mitte Oktober 2012 begann Brandlmayer seine Initiative. Im Februar 2013 schließlich kapitulierte Eskimo aufgrund des regen Zulaufs. Man sei „weichgeklopft worden“, hieß es in einer Aussendung.

Zu diesem Zeitpunkt war die Tschisi-Geschichte bereits eine Art Schulbuchbeispiel in Sachen Markenbindung geworden. Es zeigt, wie viel Wucht und Dynamik Konsumenten entfalten können, wenn sie sich in sozialen Netzwerken im Internet organisieren. Und es zeigt, wie emotional Kunden an Produkten aus ihren Kindheitstagen hängen. Ganz so wie bei einer zweiten Süßigkeit mit Retrocharme, die es zurzeit häufig in die Schlagzeilen schafft: den Schwedenbomben der insolventen Wiener Firma Niemetz.

Im Fall Tschisi stellt sich jetzt aber heraus: Die Sache war wohl ein großer Schmäh. Peter Brandlmayer, Anführer von „Wir wollen das Tschisi-Eis zurück“, fungierte wohl als Frontmann eines äußerst geschickten Marketingcoups. Darauf deutet zumindest ein schwerwiegendes Indiz hin.

Am 18. Oktober 2012 gründet Brandlmayer seine Tschisi-Gruppe. „Bei einem Glaserl Wein“, schreibt er, sei er auf die Idee gekommen, 100.000 Unterstützer für die Wiedereinführung seines Lieblingseises zusammenzubekommen.

Am 4. Oktober jedoch, zwei Wochen vor Gründung der Gruppe, hinterlässt Brandlmayer eine verräterische Spur im Internet. Im Onlinedienst Twitter schreibt er: „I’m at Spinnwerk, Wien.“ So heißt jene Werbeagentur im fünften Bezirk, die die Social-Media-Agenden von Unilever betreut.

Hintergrund des Tweets: Brandlmayer verwendet Foursquare, eine Internetspielerei. Dabei loggt man sich an Orten ein, die man gerade frequentiert. Solcherart sammelt man Punkte und konkurriert mit anderen Usern von Foursquare.

War die Tschisi-Kampagne also ein abgekartetes Spiel? Eine inszenierte Werbeaktion, die nostalgischen Kunden weismachte, sie würden ihre Wünsche gegen einen Konzern durchsetzen – dabei ließen sie sich von genau diesem als Werbeträger und Mundpropagandisten einspannen?

Fotos: Unilever Österreich

Fotos: Unilever Österreich

Nein, sagt Brandlmayer auf Falter-Nachfrage. Zwar leugnet er nicht, Anfang Oktober bei Spinnwerk gewesen zu sein – doch alles sei reiner Zufall. „Der Kreativchef von Spinnwerk ist ein alter Schulfreund von mir, den ich immer wieder mal in Wien besuche“, sagt Brandlmayer, „über Tschisi haben wir nicht gesprochen.“ Der ange-sprochene Werbemann, Roland Trnik, bestätigt Brandlmayers Angaben, räumt aber auch ein: „Von der Optik her verstehe ich, dass die Angelegenheit nicht gut ausschaut.“

Auch bei Eskimo beharrt man darauf: Die Aktion entstand aus privater Leidenschaft, die Verbindung ihres Initiators zur zuständigen Werbeagentur sei Zufall. „Wir haben weder die Facebook-Seite gestartet, noch waren wir auf ihr tätig“, sagt Rebecca Widerin, die strategische Leiterin bei Eskimo. „Und auch in unserem Auftrag hat das niemand getan.“ Widerin betont auch, dass Konsumenten bereits seit der Abschaffung des Tschisi im Jahr 1999 immer wieder dessen Wiedereinführung verlangten, „die aktuelle Facebook-Kampagne ist da nur ein Teil davon“.

Wie auch immer: Der Erfolg der Tschisi-Aktion war überwältigend. Zeitungen porträtierten den beherzten Eisfan Brandlmayer. Im Internet feierten tausende User ihren Sieg über den Konzern. Eine Tschisi-Comeback-Party im Volksgarten Ende Februar steigerte zusätzlich die Bekanntheit des Produkts. Die Verkaufszahlen übertrafen schließlich alle Erwartungen: Seit Saisonbeginn im März hat Eskimo laut eigenen Angaben fünf Millionen Tschisi verkauft. Diese Menge geht beispielsweise bei Magnum in über einem Jahr über den Ladentisch.

Es war übrigens nicht das erste Mal, dass sich Eskimo bei der Wiedereinführung alter Eissorten vom vorgeblichen Druck der Konsumenten leiten ließ. In den 90er-Jahren führte das Buch „Wickie, Slime & Paiper“ zu einem Hype um das Paiper, ein Fruchteis aus den 70er-Jahren. Nicht Facebook, sondern Unterschriftenlisten führten damals dazu, dass Eskimo im Jahr 2000 das Paiper wieder einführte.

Vier Jahre darauf wurde es allerdings zum zweiten Mal abgeschafft. Das Interesse war rasch wieder abgeklungen.

ANMERKUNG: Der Mann heißt Peter Brandlmayr, nicht Brandlmayer. Ich bedaure den Fehler.

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Lasagne vom Nachbarn: Wiens erste Plattform für geteiltes Essen ist online

Aus dem FALTER 23/2013

Soziologen wie die US-Amerikanerin Rachel Botsman nennen es einen „Megatrend des 21. Jahrhunderts“: die neue Kultur des Teilens und Tauschens, die um sich greift. Ob Autofahrten (mitfahrgelegenheit.at), Übernachtungsmöglichkeiten (airbnb.com) oder neuerdings etwa Pakettransporte (checkrobin.com) – überall teilen sich Leute Waren und Wege, weil es ressourcenschonend ist, Geld spart und Leute zusammenbringt.

Nun ist die neue Tauschwirtschaft auch im Lebensmittelsektor angekommen. Die Idee zu myfoodsharing.at kam vom Filmemacher Valentin Thurn, der sich in seinem Film „Taste the Waste“ 2011 mit dem Wegwerfen von Lebensmitteln auseinandersetzte. Als Unterstützer fungieren die Sozialinitiative Wiener Tafel und das Umweltministerium.

Lebensmittel können auf der Plattform gratis bezogen, abgegeben oder auch gelagert werden. Am Anfang tippt man seine Postleitzahl ein, damit der Weg zum nächsten Krauthappel nicht übermäßig weit ist. Die Lebensmittel müssen genießbar sein und unterliegen strengen Hygienevorschriften.

Die Idee, die auf den ersten Blick weltfremd klingen mag, spart auch bares Geld: Der durchschnittliche heimische Haushalt wirft jährlich Lebensmittel um 300 Euro in den Müll.

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Vortrag: Wenn Wettbewerbe nur noch Unsinn hervorbringen

Aus dem FALTER 23/2013

Ob Wissenschaft, Bildung oder Gesundheitswesen – überall inszeniert man künstliche Wettbewerbe, die Abläufe effizienter machen sollen. Diese führten dann mitunter dazu, das beispielsweise in Spitälern mehr operiert werde als notwendig, kritisiert der Ökonom Mathias Binswanger. In seinem Buch „Sinnlose Wettbewerbe“ setzt sich der Schweizer mit den ungewollten Folgen des Effizienzwahns auseinander. „Fatal“ seien die Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft, meint Binswanger.

Kommenden Dienstagabend spricht Binswanger auf Einladung des Club of Vienna im Wiener Café Griensteidl. Anmeldung: sekretariat@clubofvienna.at

11.6., 18 Uhr, 1., Michaelerplatz 2

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