Aus dem FALTER 49/2011
Interview: Joseph Gepp
Foto: Heribert Corn
Der Ökonom Sandor Richter über alptraumhafte Kredite, wankende Banken und Orbáns Freiheitskampf
Ungarns Medien seien durch das Mediengesetz von Viktor Orbáns Fidesz-Regierung vor einem Jahr weitgehend gleichgeschaltet worden. Zu diesem Befund kam vergangene Woche eine Diskussionsrunde beim Mediengipfel in Lech am Arlberg, an der auch der Autor dieses Berichts teilnahm. Fazit der Runde: Vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen abwärts passiere eine Gleichschaltung, der sich momentan nur Internet-Medien einigermaßen entziehen können.
Zugleich schlittert Ungarn auch wirtschaftlich immer tiefer in eine Krise: Ende November wurde das Land auf Ramsch-Status herabgestuft, Ungarn musste EU und Währungsfond um Hilfe bitten. Dies könnte Orbáns Allmachtsanspruch politisch untergraben, meint der Wiener Ökonom Sandor Richter.
Falter: Herr Richter, könnten sich Ungarns wirtschaftliche Probleme politisch sogar positiv auswirken, beispielsweise auf die Medienfreiheit?
Sandor Richter: Wohl schon, allerdings lässt sich derzeit nicht sagen wie. Man kann die wirtschaftliche Entwicklung Ungarns nicht von der politischen entkoppeln, weil beide derselben Logik folgen: Orbán will einen zentralisierten Machtraum schaffen, eine sogenannte „Kraftkonzentration“. Die Zweidrittelmehrheit nutzt Fidesz politisch wie wirtschaftlich aus. In ihren Augen braucht es für Entscheidungsfindungen keine Experten, Sozialpartner oder Interessensvertreter. So etwas verlangsamt die Sache nur. In wirtschaftlicher Hinsicht ist der Weg der Kraftkonzentration jetzt gescheitert. Politisch wird er sich wohl auch noch auswirken.
Orbán beschreitet einen wirtschaftspolitischen Sonderweg in Europa. Privatpensionen wurden verstaatlicht, Zinssätze bei Fremdwährungskrediten staatlich festgesetzt, hohe Bankensteuern eingeführt. Wie autonom kann nationale Wirtschaftspolitik im Jahr 2011 noch sein?
Richter: In Orbáns Ideologie spielt der Freiheitskampf gegen Brüssel, Moskau und die ganze Welt eine große Rolle. In der Realität kollidieren die Maßnahmen dann mit europäischen Gesetzgebungen. Es laufen schon diverse Klagen bei europäischen Institutionen, etwa betreffend der Verstaatlichung der Pensionskassengelder oder der staatlich festgelegten Wechselkurse bei Fremdwährungskrediten. Ich denke, dass manche Dinge am Ende zurückgenommen werden müssen oder Sanktionen nach sich ziehen.
Die Rating-Agentur Moody‘s hat Ungarn auf Ramsch-Status herabgestuft. Ist das nur eine Reaktion auf den wirtschaftspolitischen Sonderweg oder steht Ungarn wirklich schlechter da als andere osteuropäische Staaten?
Richter: Es gibt natürlich auch eine europäische und internationale Komponente der Krise. Aber was hausgemachte Faktoren betrifft, kann ich die Herabstufung Ungarns nachvollziehen: Schaut man auf wirtschaftliche Indikatoren, scheint zwar alles in Ordnung – Ungarns Haushaltsbilanz ist sogar im Plusbereich relativ zum BIP, im Gegensatz zu vielen anderen Staaten. Aber das liegt nur an Aktionen, die kurzfristig enorme Schübe bringen. Ohne die Einziehung der Pensionskassengelder etwa läge das Defizit bei minus fünf bis sechs statt bei plus eins bis zwei Prozent. Zugleich bleiben tiefergehende Reformen aus. Die Herabstufung ist erfolgt, weil Ungarn ab 2013 keine stabile Haushaltsbilanz vorweisen kann. Man kann Moody’s dafür schimpfen – aber hätte die Agentur nichts gesagt, wäre das Problem trotzdem da.
Wie soll man später Pensionen bezahlen, wenn man Pensionsgeld ins laufende Budget einspeist?
Richter: Das ist die große Frage. Bisher gab es eine staatliche und eine private Säule der Pensionsvorsorge. Kurzfristig passiert nichts, wenn man die privaten Gelder einzieht. In 20, 25 Jahren wird Ungarn ein Problem haben.
Eine weitere umstrittene Maßnahme ist die staatliche Festlegung der Zinsen bei Fremdwährungskrediten. Die hat in Österreich weit mehr Empörung erregt als das Mediengesetz. Wieviel haben Österreichs Banken verloren?
Richter: Das kann man derzeit nicht einmal schätzen. Die Aktion läuft ja noch bis Jahresende, viele Kreditnehmer überlegen bis zuletzt. Es können ja nur jene von den niedrigen Wechselkursen profitieren, die den Kredit auf der Stelle und in einem Stück zurückzahlen. Viele versuchen deshalb gerade, ihr Auto zu verkaufen oder Geld von Verwandten zu borgen. Was Banken betrifft, weiß man bislang nur, dass es eine sehr große Belastung für sie sein wird.
Wenn man bedenkt, dass sich Millionen Osteuropäer hoch verschuldet haben, weil ihre Währung gegenüber Euro oder Franken an Wert verloren hat – ist die Maßnahme so schlecht?
Richter: Die Leute müssen durchaus höhere Zinsen zahlen, als sie selbst in ihren schlimmsten Alpträumen gedacht haben. Sie rechneten mit 15 Prozent Mehrkosten im schlimmsten Fall – jetzt zahlen sie das Doppelte und mehr. Das betrifft rund eine Million Menschen in Ungarn, aber auch viele Kroaten und Rumänen. Ohne Zweifel verlangt dieses Problem eine Lösung. Aber Ungarns Regierung hat die Maßnahme völlig einseitig eingeführt, ohne jedwede Konsultation der Banken. Dieses Diktat halte ich für wenig zielführend. Man müsste die Belastung auf Banken, Bürger und Staat aufteilen. Niemand kann wollen, dass Banken pleite gehen und das ganze System ins Wanken gerät. Außerdem trifft die Maßnahme nur reiche Haushalte: Sie allein können die Mittel aufbringen, den Kredit sofort und in einem Stück zu tilgen.
Wie wird es sich auswirken, dass Ungarn die EU und den IWF um Finanzhilfe gebeten hat?
Richter: Die Regierung will damit international ihre Glaubwürdigkeit zurückgewinnen. Der IWF soll analysieren und seinen Sanktus geben. Ich hoffe – und dafür muss ich den IWF nicht lieben -, dass damit Konditionen verbunden werden. Dadurch könnten die wildesten Auswüchse der unkonventionellen ungarischen Wirtschaftspolitik eingestellt werden. Vernunft wird zurückkehren nach Ungarn.
Orbán gibt Spekulanten die Schuld an der Wirtschaftsmisere und hat sogar den Geheimdienst mit der Suche nach Schuldigen beauftragt.
Richter: Das passt ins übliche Muster, wonach immer die anderen schuld sind: der IWF, die Opposition, die West-Konzerne. Es fehlt an Selbstreflektion. Eine gute Regierung braucht Entscheidungsfreiheit und die Möglichkeit zum Widerspruch, nicht den Geheimdienst.
Zur Person
Sandor Richter, 58, selbst Ungar, arbeitet als Ökonom am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW). Seine Schwerpunkte sind Ungarn, das EU-Budget und die Osterweiterung. 1990 kam er nach Österreich, davor war er in Budapest Fachmann für österreichische Wirtschaft