Monatsarchiv: September 2011

Ein kleiner Grätzelkrieg: wenn 60 Meter Neubau zum Streitobjekt werden

Aus dem FALTER 39/2011

Joseph Gepp

Neubau darf nicht Pjöngjang werden“, fordert die FPÖ. Dem grünen Bezirksvorsteher Thomas Blimlinger sei „keine Methode zu nordkoreanisch“. Und auch andere sparen nicht mit harten Worten: „Skandalös“ und „diskriminierend“ sei das Vorgehen des Bezirks, empören sich Grätzelbewohner. „Blimlinger tritt die Ideale der Demokratie mit Füßen.“

60 Meter Spittelberg machen Neubau wütend: Vergangenes Jahr wurde die kurze Gardegasse zur provisorischen Fußgängerzone erklärt. Seitdem freuen sich Anrainer nicht nur über weniger Autolärm. Viele kritisieren auch den Wegfall von rund zwanzig Parkplätzen und die Entstehung einbahnbedingter Schleifen, die man nun mit dem Auto durch den Bezirk ziehen muss.

Blimlinger hat deshalb eine Volksbefragung angesetzt – und erntet dafür erst recht Kritik. Denn die Stimmzettel sind unterschiedlich gewichtet: Jene der direkten Bewohner der Gardegasse gelten mehr als die – andersfarbigen – der Anrainer der umliegenden Gassen. „Direkte Anrainer müssen ein stärkeres Stimmrecht bekommen“, beharrt der Bezirkschef in der Bezirkszeitung.

Betroffene Bürger wollen dagegen klagen. Am Donnerstag, 6. Oktober, wird ausgezählt.

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Eingeordnet unter Bürgerbeteiligung, Behörden, Wien

Generation Praktikum

Aus dem FALTER 39/2011

Dass BZÖ-Mandatar Peter Westenthaler laut Zeugen in einem Gebäude der Hypo Alpe Adria als Immobilienmakler auftrat und diese Nebenbeschäftigung nicht dem Parlament gemeldet habe, berichtete der Falter vergangene Woche. Diese Woche folgt Westenthalers Rechtfertigung: Er absolvierte lediglich einen „Praxislehrgang“, bei dem er keine Einkünfte beziehe, erklärte er dem ORF. Bereits seit Mai 2010 will Westenthaler „für befreundete Makler Häuser und Wohnungen besichtigen“. Mit der Hypo will Westenthaler gar nichts zu tun haben, auch die Bank selbst dementiert eine Geschäftsbeziehung zu dem Politiker.

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„Selbstmord mit Messer und Gabel“

Aus dem FALTER 39/2011

Karen Duve über die Piratenpartei, mongolischen Hammelbraten und banale Entscheidungen im Supermarkt

Das richtige Buch zur richtigen Zeit lieferte Karen Duve Anfang 2011. Als Selbstversuch probierte sie sich ein Jahr durch den vegetarischen, veganen und schließlich frutarischen Ernährungsstil – bei Letzterem isst man nur, was die Pflanze von sich aus hergibt. Ihr Buch wurde zum Bestseller, weil es das Unbehagen an ungesunder Ernährung und Massentierhaltung auf den Punkt brachte.

Falter: Frau Duve, am Ende Ihres Buches werden Sie sogar Frutarierin. Was sind Sie heute?

Karen Duve: Heute lebe ich vegetarisch – wobei es mir nicht auf Vereinszugehörigkeit ankommt. Ich kann nicht ausschließen, dass ich irgendwann wieder Fleisch esse. Dann macht es aber einen Unterschied, ob das einmal im Jahr passiert – oder ob ich sage: „Wenn ich einmal Fleisch esse, bin ich kein Vegetarier mehr und kann genauso gut ständig Fleisch essen.“

Aber wer einmal im Jahr Fleisch isst, bekommt Lust auf mehr, oder?

Duve: Genau. Deswegen lasse ich es auch. Aber falls ich mal eine Reise durch die Mongolei mache, gibt es dort womöglich bloß Hammelfleisch. Es geht mir nicht um Identität, sondern darum, möglichst wenig Leid und Schaden anzurichten.

Wer anständig essen will, muss vieles bedenken – Anbaumethoden, Artenvielfalt, Herstellungsweise, Herkunft. Wie kann man anständiger Esser werden, ohne für eine Buchrecherche Ernährungsstile zu studieren?

Duve: Mit Tierquälerei oder Kinderarbeit hergestellte Waren sollten eigentlich gar nicht erst in Supermärkte gelangen. Es ist eigentlich eine Zumutung, dass nicht Politiker, sondern Verbraucher selbst darauf achten müssen, dass sie beim Einkaufen keine Verbrechen unterstützen. Grundsätzlich soll man versuchen, sich mehr Zeit für Einkäufe zu nehmen und sich zu informieren. Eine so wichtige Angelegenheit wie Ernährung verdient Aufmerksamkeit. Lebensmittelauswahl im Supermarkt scheint banal, hat aber Auswirkungen auf Welthunger, Umwelt und Tierhaltung – und natürlich auf den eigenen Körper.

Welchen kurzgefassten Rat würden Sie einem durchschnittlichen Konsumenten geben, der kein besonderes Vorwissen mitbringt?

Duve: Je nachdem, was ihm wichtig ist. Wenn er Tieren Qualen ersparen möchte, sollte er vor allem kein Fleisch essen. Wenn er die Klimaerwärmung stoppen will, sollte er darüber hinaus Milchprodukte weitestmöglich reduzieren. Wenig Fleisch und tierische Produkte, das ist der gemeinsame Nenner von vielem. Außerdem: regional kaufen, saisonal und bio.

Der allergrößte Teil der Weltbevölkerung isst, was eine hochindustrialisierte Landwirtschaft hergibt. Ist es da nicht nur eine beruhigende Lüge, wenn sich der wohlhabende Berliner und Wiener seine Kresse auf dem Fensterbrett selber zieht?

Duve: Sicher auch. Letztlich muss die Politik das entscheiden. Allerdings können die Konsumenten durch einen Trend zu Bio-Lebensmitteln deutlich machen, was sie von Politikern erwarten. Konsumentenmacht ist letztlich eine sehr direkte Macht, vielleicht wirkungsvoller als wählen.

Wie könnte man auch jene zu mächtigen und bewussten Konsumenten erziehen, die beim Lebensmittelkauf auf die Geldbörse schauen müssen?

Duve: Es ist ein Mythos, dass konventionell hergestellte Lebensmittel billig sind. Wir alle zahlen hohe Preise über Subventionen. Statt die Landwirtschaft zu subventionieren, sollte das Geld lieber direkt an jene gehen, die knapp bei Kasse sind.

Würden Menschen gesünder essen, wenn sie mehr Geld dafür hätten?

Duve: Ach was! Gemüse ist doch nicht teurer als Fleisch. Unsere Gesellschaft hat ein Problem mit Überernährung. Selbst konservative Ärzte schätzen, dass die Europäer dreimal so viel Fleisch essen, wie ihnen gut tut – diesen Selbstmord mit Messer und Gabel sollte man nicht auch noch subventionieren. Bedenken Sie: Die meisten Menschen finden zwar, dass man Tiere grundsätzlich essen darf. Gleichzeitig gibt es aber auch einen Konsens, dass man Tiere nicht quälen darf. Niemand würde sich trauen, Tiere bei uns auf der Straße so zu quälen, wie es hinter den Wellblechwänden der Schlachthöfe tagtäglich passiert.

In Berlin wurden gerade die Grünen abgestraft, weil sie zu tugendhaft daherkommen. Hoch gewonnen hat dafür die Piratenpartei, die sich rebellisch gibt. Darf man Leuten vorschreiben, gegen Zigaretten, dicke Autos und schlechtes Essen zu sein?

Duve:Es stimmt, dass man schnell in den Verdacht gerät, moralinsauer zu sein. Man muss aber unterscheiden zwischen einen moralischen Kanon à la 1950er – und der legitimen Frage, ob mein Verhalten das Wohlbefinden anderer beeinträchtigt oder sogar Lebensraum zerstört. Die Grünen haben Fehler gemacht. Tempo 30 im gesamten Stadtgebiet – wer über eine Mindestration politischen Überlebenswillen verfügt, kommt vor einer Wahl nicht mit so einem Vorschlag. Die Piraten haben ihren Erfolg aber weniger den Fehlern der Grünen, sondern ihrer Nähe zum Internet zu verdanken. Mit Unmengen an Twitter-Freunden und deren Freunden konnten sie eine Masse mobilisieren, die die Wahl entscheidend beeinflusst hat.

Anständig essen: Was bitte hat essen mit Moral zu tun?
Am Donnerstag, 6. Oktober, spricht Karen Duve im Bildungszentrum der Arbeiterkammer mit Peter Huemer zum Thema. Die Veranstaltung beginnt um 19 Uhr, AK-Bildungszentrum, Großer Saal, 4., Theresianumgasse 16 bis 18.


Zur Person
Karen Duve ist eine deutsche Schriftstellerin und Journalistin.
Ihr Anfang des Jahres veröffentlichtes Buch „Anständig essen“ wurde zum Bestseller. Erschienen im Verlag Galiano, 335 S., € 20,60

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Eingeordnet unter Konsum

Auf dem Weg zum gläsernen Abgeordneten

Aus dem FALTER 39/2011

Immunität und Offenlegung: was sich an Rechten und Pflichten für heimische Parlamentarier ändern könnte

Bericht:
Joseph Gepp

Darf ein Parlamentsabgeordneter und Ex-Verteidigungsminister Beratungshonorar von einem Rüstungskonzern kassieren? Rechtlich gesehen schon. Herbert Scheibner (BZÖ) hat seit dem Jahr 2010 insgesamt 60.000 Euro von der Eurofighter GmbH erhalten. Strafbar wäre dies jedoch nur, wenn es sich um spätes Schmiergeld für den Kauf der Jagdflugzeuge 2002 handelt – es gilt die Unschuldsvermutung. Davon abgesehen darf der Abgeordnete Scheibner jedem Geschäft nachgehen, dem er nachgehen will.

Scheibners Deals, Ernst Strassers Lobbyisten-Tätigkeit in Brüssel oder etwa Peter Westenthalers möglicher Nebenjob als Makler (siehe Falter 38/11) – immer vehementer fordern Kritiker Gesetze für mehr Transparenz bei der Tätigkeit von Parlamentariern.

Scheibners Geschäfte kamen nur ans Licht, weil der Raiffeisen-Bank bei Zahlungseingängen auf sein Konto „außergewöhnliche Transaktionsmuster“ seltsam vorkamen. Der Öffentlichkeit hingegen müssen Abgeordnete nicht einmal ihre Kunden verraten, wenn sie nebenher als Selbstständige arbeiten. Welchen Nebenbeschäftigungen sie nachgehen, muss zwar – ohne Angabe ihres Einkommens – auf einer Liste auf der Homepage des Parlaments vermerkt werden. Aber wenn dies nicht passiert, sind „keine Konsequenzen vorgesehen“, erklärt der Sprecher von SPÖ-Nationalratspräsidentin Barbara Prammer. Prammer regt nun immerhin an, dass die Parlamentarier ihre Kunden künftig vertraulich dem Rechnungshof melden sollen.

Die Bestimmung könnte Teil des „Transparenzpakets“ werden, das derzeit im Parlament verhandelt wird. Neben neuen Lobbying- und Inseratenregelungen soll es auch eine Offenlegung von Nebeneinkünften und Parteispenden beinhalten. Weit ist die Debatte jedoch noch nicht gediehen.

Konkretere Überlegungen gibt es dafür in einem anderem Punkt, der die Arbeit von Abgeordneten reglementieren und schwarze Schafen überführen helfen könnte: bei der Reform der Immunität.

Der Grundgedanke: Bei der parlamentarischen Arbeit, die oft Aufdeckercharakter hat, sollen Abgeordnete umfassenden Schutz genießen – auch wenn sie außerhalb des Parlaments aus ihren Reden zitieren, zum Beispiel in Interviews oder auf Internetseiten. Weil die Reform als Verfassungsgesetz eine Zweidrittelmehrheit braucht, legten SPÖ, ÖVP, Grüne und FPÖ im September einen 4-Parteien-Entwurf vor – der jedoch, kaum an die Öffentlichkeit gekommen, bereits Kritik erfuhr.

Er sei ein „Freibrief für strafrechtlich relevante Handlungen“, meinen etwa das Justizministerium und Verfassungsrechtler Bernd Christian Funk. Extrembeispiel: Bezeichnet ein Parlamentarier bei einer Debatte seinen Nachbarn als Kinderschänder, kann er diese Aussage wiederholen, ohne dass der Nachbar mittels zivilrechtlicher Klage gegen ihn vorgehen könnte.

SPÖ und ÖVP wollen den umstrittenen Punkt nun überdenken. Die Grünen und Prammer hingegen beharren auf dem Entwurf. „Absurd“ ist für den Grünen Dieter Brosz das Beispiel mit dem Kinderschänder. In Wahrheit würden nicht beleidigte Nachbarn, sondern mächtige Konzerne und öffentlich relevante Personen wie Ex-Finanzminister Grasser oft gegen Parlamentarier klagen. Zu manchen Ermittlungen – etwa gegen Grasser oder die Rumpolds – wäre es ohne Recherchen von Parlamentariern gar nicht gekommen, sagt Brosz.

Was wäre nun anders, wenn im Fall von Scheibners Eurofighter-Deals schon die neuen Immunitätsregeln gelten würden? Gar nichts.

Scheibner könnte zwar durch die Behauptung, die Geschäfte stünden im Zusammenhang mit seiner parlamentarischen Tätigkeit, Straffreiheit für sich einfordern. Allein es würde ihm nicht helfen. Denn bei Vorwürfen der Bestechlichkeit macht der Entwurf dezidiert eine Ausnahme. Hier darf in jedem Fall ermittelt werden.

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Handelt Raiffeisen auf politischen Zuruf, Herr Stadler?

Aus dem FALTER 39/2011

Am Apparat – Telefonkolumne

Er könne nur „alle Österreicher davor warnen, bei Raiffeisen ein Konto zu haben“, verlautbarte der BZÖ-Abgeordnete Ewald Stadler. Grund: Die Bank hat der Polizei verdächtige Kontoflüsse seines Parteifreundes Herbert Scheibner gemeldet.

Herr Stadler, Raiffeisen hat verdächtige Kontobewegungen auf einem Scheibner-Konto den Ermittlern gemeldet. Sie orten dahinter ein politisches Komplott. Warum?

Es ist ja wohl kein Zufall, dass diese eigenartige Meldung an das Bundeskriminalamt ausgerechnet kommt, wenn die ÖVP in Bedrängnis ist. Außerdem schließe ich jede Wette ab, dass derartige Bewegungen bei prominenten schwarzen Politikern, etwa Ernst Strasser, keinem Raiffeisen-Funktionär auffallen würden.

Laut Experten schlägt eine Software automatisch Alarm, wenn bestimmte Bewegungen auf Konten auftreten. Außerdem verpflichtet das Gesetz zur Meldung von Geldwäscheverdacht. Was genau werfen Sie der Bank also vor?

Ewald Stadler ist böse auf Raiffeisen (Wikipedia)

Warum hat sie es bei anderen Politikern nicht gemacht? Diese Frage stelle ich Raiffeisen. Außerdem: Warum hat das Bundeskriminalamt Scheibner als politisch exponierte Persönlichkeit nicht verständigt, wie es im Bankwesengesetz steht? Er hat erst von der Sache erfahren, als sie über das Auslieferungsbegehren der Staatsanwaltschaft an die Öffentlichkeit gekommen war.

Handeln Österreichs Banken auf politischen Zuruf?

Nein. Ich glaube, dass Raiffeisen eine besondere Beziehung zur ÖVP hat und gegen ÖVP-Gegner eine besondere Beflissenheit an den Tag legt.

Sie raten ab, bei Raiffeisen ein Konto zu haben. Wo soll man eines haben?

Es geht nur um jene, die der ÖVP in die Quere kommen könnten. Meine eigene Erfahrung mit Raiffeisen, als ich im Gefolge des Rosenstingl-Skandals die FPÖ Niederösterreich sanieren musste, war mir Warnung genug.

Bei welcher Bank haben Sie Ihr Konto?

Jedenfalls nicht bei Raiffeisen.

Interview: Joseph Gepp

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Teurer Ballzauber: wie die UEFA Wiens Rathaus zur Verzweiflung brachte

Aus dem FALTER 39/2011

Joseph Gepp

Do hängst di auf“, so beschreibt ein Rathausmitarbeiter die Grundstimmung bei der Zusammenarbeit mit der UEFA zur Vorbereitung der Euro in Wien 2008.

Diese lief im Wesentlichen so: Die Sportfunktionäre wollten, die Wiener sprangen. Von „ungünstigen, durch zahlreiche Zusatzforderungen (…) geprägten, nahezu chaotischen Bedingungen“ schreibt das Wiener Kontrollamt in einem Bericht. Die Folge war eine Kostenexplosion. So schlug sich der Umbau des Ernst-Happel-Stadions mit 31 Millionen Euro statt der veranschlagten 18 zu Buche.

„Entscheidungsprozesse der UEFA dauerten extrem lange“, was eine „geordnete Projektabwicklung erheblich erschwerte“, rechtfertigt die Stadt die Kosten. So sei im letzten Moment eine Änderung bei Tribünen gefordert worden, erzählt Sandra Hoffmann, Leiterin des Sportamts. Trainergarderoben mussten urplötzlich drei Wochen vor EM-Beginn eingebaut werden. „Die UEFA drohte ständig damit, dass sie abzieht und die Euro in Deutschland oder Schottland abhält.“

Die UEFA wollte dazu keine Stellung nehmen. Das Kontrollamt nahm auch das Rathaus von der Kritik nicht aus. Durch ungünstige Verträge habe es sich mehr als unbedingt notwendig an die UEFA „ausgeliefert“.

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Eingeordnet unter Das Rote Wien

Die Wiener ÖVP löst sich auf: Eine Partei ohne Orientierung versucht die Neuaufstellung

Aus dem FALTER 38/2011

Bericht: Joseph Gepp

Dass nach der Wienwahl im Oktober 2010 die Grünen als Juniorpartner in die Stadtregierung aufstiegen, interpretierte mancher Beobachter als Chance für die Wiener ÖVP.

Die hatte zwar gerade mit 13 Prozent das schlechteste Wahlergebnis aller Zeiten eingefahren. Nun aber, hieß es, könne sie mit jener aufregenden Oppositionsarbeit glänzen, die vorher Sache der Grünen war. Im Rückblick erweist sich das als ziemlich optimistische Annahme.

Ein Jahr nach der Wahl zerbröseln die Stadtschwarzen. Parteichefin Christine Marek ist zurückgetreten. In den Nationalrat begleitet wird sie von Wolfgang Gerstl, bisher nicht amtsführender Stadtrat, der nun Wolfgang Schüssels Mandat übernimmt. Zu allem Überfluss trat Bildungssprecher Wolfgang Aigner aus dem VP-Klub aus und wird fortan Wiens einziger wilder Abgeordneter. ÖVP-Innenstadtchefin Ursula Stenzel fordert bereits eine Parteineugründung.

Was kommt jetzt? Bislang nur Orientierungslosigkeit. Ob die ÖVP nun eher urban-gesellschaftsliberal wie die Grünen sein will oder eine Art FPÖ light, ist unklarer denn je.

Wenig Aufschluss geben jedenfalls Neubesetzungen seit Mareks Abgang. Über ihren Nachfolger soll erst 2012 entschieden werden – derzeit übernimmt Parlamentsabgeordnete Gabriele Tamandl interimistisch. Dass Fritz Aichinger, 65, Wirtschaftskammer-Handelsobmann, neuer Klubchef wurde, quittierte die Partei nur mit Murren über dessen undemokratische Bestellung. Und auch der bisherige Hernalser Bezirkschef Manfred Juraczka als Stadtrat und Nachfolger von Gerstl gilt nicht eben als Symbol des Aufbruchs. „Reaktionär“ nennen ihn Parteifreunde. Sorge erregt auch, dass Juraczka zusammen mit ÖVP-Bundesrat Harald Himmer beim Elektronikkonzern Alcatel arbeitet – gerade jetzt, wo der ÖVP-nahe Konzern durch Schmiergeldvorwürfe infolge der Telekom-Affäre ins Gerede kam.

Im Antrittsinterview mit der APA verspricht Neo-Stadtrat Juraczka einen großen „bürgerlichen Gegenentwurf“ zu Rot-Grün. Auch das klingt nach einer ziemlich optimistischen Annahme.

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Eingeordnet unter Das Rote Wien

Echtes Gewehr contra Luftdruckgewehr: der feine Unterschied

Aus dem FALTER 39/2011

Medienkritik-Glosse 

Echtes Gewehr contra Luftdruckgewehr: der feine Unterschied

Medienkritik

Kürzlich weiten sich ganz plötzlich die Pupillen eines Gesprächspartners vor Entsetzen: „Ich habe gerade gelesen, dass da draußen ein Sniper seine Runden zieht und Leute niederschießt.“ Tags darauf bricht kurz Panik aus, als die ORF-Nachrichten mit einer Horrorzeile beginnen: „Schüsse auf Papstmesse in Deutschland.“

Zweimal Entwarnung. Es waren nur Luftdruckgewehre. Damit auf Stadtbenutzer oder Messbesucher zu schießen, ist zwar auch nicht die feine englische Art. Aber doch deutlich weniger gravierend als mit einer echten Waffe.

Der Kürze und Würze der Schlagzeile jedoch ist die sperrige Präzisierung „Luftdruck-“ abträglich. Außerdem klingt es ja gleich viel schlimmer. Dass die Anschläge nur mit Luftdruckgewehren erfolgten, erfährt man ohnehin früh genug.

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Eingeordnet unter Kurioses, Medien

Verführt Ihre Werbung Kinder zum Konsum, Herr Hromatka?

Aus dem FALTER 38/2011

Werbung Nachfragekolumne

Nein, nein, nein. Strenge Eltern wiegeln ab, als ihre Kinder sie schüchtern um Geld für nicht näher definierte Anschaffungen bitten. Dann aber: „Ja“. Ein sanft lächelnder Bankbeamter drückt einem Teenager-Buben, der sein Glück kaum fassen kann, eine nagelneue Kontokarte in die Hand. Auf dass alle seine Wünsche in Erfüllung gehen.

Seit April wirbt ein TV-Spot der Erste Bank für das Jugendkonto Spark7. Man kann es schon im zarten Alter von zehn eröffnen, sofern die Eltern einverstanden sind. Alle Wünsche gehen dann zwar trotzdem nicht in Erfüllung, denn das Konto für Kleine verfügt über keinen Kreditrahmen. Dennoch suggeriert die Werbung, dass man mit Spark7-Konto vor dem elterlichen Diktat in die absolute Konsumfreiheit entfliehen könnte.

Spark7-Werbung (Erste Bank)

Ist das die richtige Botschaft in Zeiten, in denen sich gerade Jugendliche immer höher verschulden, meist durch Handy-Rechnungen oder Internetkonsum? Ist es nur unnötige Schikane, wenn Eltern ihren Kindern Konsumwünsche verwehren? Verleitet die Werbung Jugendliche gar zum unreflektierten Konsum?

„Wir haben das eigentlich anders gemeint“, antwortet Christian Hromatka, Sprecher der Erste Bank. „Absichtlich und dezidiert“ wurden „keine konkreten Wünsche angesprochen, weil wir uns dieses Problems durchaus bewusst sind“. Jugendliche seien eben „oft in einer Welt aus Neins gefangen“ – und ein eigenes Konto lehre sie finanzielle Selbstständigkeit. Unreflektierter Konsum solle nicht die Botschaft sein, meint Hromatka. „Und wir hoffen, dass das auch nicht so rüberkommt.“

Es kommt leider so rüber – zumal in der Schlussszene des Spots der Bub zwischen herumschwebenden T-Shirt-Motiven und Platten-Covern steht. Und sein Glück immer noch kaum fassen kann.

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Eingeordnet unter Konsum, Medien

Eine Insel als Warnung

Aus dem FALTER 38/2011

Die abgelegene Pazifikinsel Nauru, eine der kleinsten Republiken der Erde, verfügte jahrzehntelang über das weltweit höchste Pro-Kopf-Einkommen. Grund war das wertvolle Phosphat, das unter dem Vogelkot der Felseninsel entstanden war. Um die Jahrtausendwende jedoch waren die Bestände aufgebraucht, und die Nauraner versanken in kurzer Zeit in bittere Armut.

Der junge französische Journalist Luc Folliet reiste auf die Insel, um „nachzusehen, ob das alles wahr ist“. Nüchtern beschreibt er die haarsträubende Verschwendung, die zu Zeiten des Phosphatbooms in Nauru herrschte – und die darauf folgende Tristesse. Heute steht die Insel permanent am Rand des Bankrotts. Folliets Beschreibung hat die Qualität einer Parabel – Nauru fungiert als Extrembeispiel dafür, was hemmungsloses Wachstumsdenken und Konsumismus auch anderswo anrichten können. Joseph Gepp

Luc Folliet: Nauru. Die verwüstete Insel. Verlag Klaus Wagenbach, 144 S., € 11,30

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