Monatsarchiv: August 2011

„Shitlist Telekom“

Aus dem FALTER 35/2011

Korrupte Spitzenpolitiker, kriminelle Manager und undurchsichtige Verträge: Wie der Telekom-Skandal zum Sittenbild der Wende-Ära wird

Funkbericht: Joseph Gepp, Wolfgang Zwander

Es war das Jahr 2004, und der glänzenden Karriere des Gernot Schieszler, damals 33, schien nichts im Wege zu stehen.

In kurzer Zeit hatte es der Jungmanager zum stellvertretenden Finanzvorstand der Telekom Austria gebracht, eines der wichtigsten Unternehmen in Österreich. Es gebe nur wenige Firmen, schwärmte Schieszler damals im Format-Interview, die sich so gut als Sprungbrett eignen. „Mein Ziel lautet, spätestens mit 40 Jahren Finanzvorstand eines größeren nationalen oder internationalen Unternehmens zu sein.“

Jetzt ist Schieszler 41, und sein Arbeitgeber hat ihn nicht in den Ledersessel eines Topmanagers katapultiert, sondern im schlimmsten Fall auf eine Pritsche im Gefängnis. Er wird beschuldigt, Akteur im Betrugs- und Bestechungsskandal um die Telekom zu sein. Er leugnet nicht, sondern bietet sich den Behörden als Kronzeuge an, um der Haft zu entgehen. Seine Aussagen sollen eine Affäre aufklären helfen, die derzeit täglich weitere Kreise zieht.

Es geht um die Manipulation der Telekom-Aktie 2004. Es geht um Millionenhonorare für unerklärliche Leistungen und Beraterverträge. Es geht um Korruption bis auf Ministerebene. Alle Vorwürfe fallen in die Ära der schwarz-blau-orangen Regierung 2000 bis 2006.

Es waren Umbruchsjahre in Österreich. Große Privatisierungen führten zum Zusammenbruch jahrzehntealter betrieblicher Strukturen. Sie brachten neue Chancen, Risiken und Machtverhältnisse. Gleichzeitig zerfiel das Proporzsystem, in dem SPÖ und ÖVP die Aufteilung von Pfründen institutionalisiert hatten. Stattdessen musste sich die alte Verstaatlichte nun mit rechtspopulistischen Aufsteigern arrangieren, die schnell wieder zu Absteigern wurden – und vorher, so scheint es, alles an sich rafften, was zu raffen war.

„In der schwarz-blauen Ära war es nicht so, dass wir als Firmen den Politikern Geld angeboten hätten“, erzählt der Sprecher eines staatsnahen Unternehmens, „sondern die Politiker sind zu uns gekommen und haben Geld gefordert.“ Wie stark sich auch die ÖVP von der Nehmermentalität ihres Juniorpartners anstecken ließ, wird in den kommenden Monaten zu klären sein.

Die Telekom-Saga beginnt 1996, als Österreichs Mobilfunkmarkt für Private geöffnet wurde. Zuvor hatten Telekom-Mitarbeiter als Postler gegolten, das Vierteltelefon pro Haushalt war staatlicher Versorgungsauftrag wie der Wasseranschluss. Doch wie überall mussten auch Österreichs Staatsbetriebe reif für die europäische Marktordnung gemacht werden. 2000 ging die Telekom an die Börse. Die Republik hält seither an ihr nur noch 28 Prozent. Technische Neuerungen jagten einander in diesen Jahren. Internetverbindungen und Mobiltelefone, anfangs handlich wie Ziegelsteine, wurden gefragter. Das Festnetz galt vielen bald als überholt wie der Telegraf.

In der Telekom fanden sich zwei Gruppen zusammengespannt, die auf diese Herausforderungen völlig unterschiedlich reagierten: Zum einen wollte eine Clique ambitionierter Jungmanager, darunter der heutige Chef Hannes Ametsreiter, das aufstrebende Handygeschäft entwickeln. Ihr gegenüber stand ein darbender Festnetzbereich mit Tausenden verbeamteten Mitarbeitern, für die sich keine Verwendung mehr fand. „Die Manager wussten nicht einmal, wie viele Angestellte ihr Reich hatte“, erzählt ein ehemals hochrangiger Mitarbeiter, „monatlich gingen 25.000 Festnetzkunden verloren, bis jeder zweite Anschluss weg war.“

Diese Umbruchzeit bildet den Hintergrund jener Betrugsfälle, die nun ans Licht kommen. In einem Markt, der sich rasant veränderte, brauchte die Telekom Nähe zur Politik, die den Wandel moderieren sollte. Dort allerdings hatten sich die Verhältnisse ebenso radikal verändert wie in der Kommunikationsbranche. Die neue politische Elite war fest entschlossen, „bei den diversen Privatisierungsprojekten von den in diesen Geschäften üblichen fees zu profitieren“. So drückte es Willibald Berner aus, Ex-Kabinettschef von FPÖ-Verkehrsminister Michael Schmid, als er im Jahr 2009 Ermittlern von einem Treffen freiheitlicher Persönlichkeiten rund um den Berater Peter Hochegger berichtete – wie der Falter vor einem Jahr enthüllte (Falter 30/10).

Trotz derartigen politischen Drucks und ökonomischer Widrigkeiten gelang es den Telekom-Managern bis 2004, das Unternehmen zu einem modernen Telekommunikationskonzern umzugestalten. Die Mobilfunksparte entwickelte sich zur Cashcow und ermöglichte Expansionen nach Osteuropa. Peter Michaelis, damals ÖIAG-Chef, zählte die Aktie 2004 gar zu den „attraktivsten Telekomwerten in Europa“.

Kurz darauf ereignete sich der erste Schritt jenes Skandals, der die Telekom heute einholt: Die damalige Geschäftsführung erschwindelte sich mutmaßlich mit einer Kursmanipulation neun Millionen Euro Boni für Manager. Die Auszahlung war an einen bestimmten Wert gebunden, den die Aktie am Stichtag 26. Februar 2004 erreichen musste. In letzter Minute kletterte sie tatsächlich auf den Wert – nicht zufällig, wie man heute weiß. Das Wiener Wertpapierhaus Euro Invest Bank soll auf Geheiß der Telekom den Kurs mit Aktienkäufen hochgetrieben haben. Der Mann, der zwischen der Telekom und Euro Invest vermittelte, war laut eigener Aussage Gernot Schieszler. Er nennt die damaligen Vorstände Heinz Sundt, Rudolf Fischer und Stefano Colombo (siehe Interview) als Auftraggeber. Ob die Vorwürfe zutreffen, wird vor Gericht zu klären sein.

Die Manipulation allein könnte man noch als einen Unfall betrachten, geschuldet der Gier eines jungen, hungrigen und übermütigen Managements. „Wir alle waren der Meinung, dass wir uns das Geld für unsere harte Arbeit und die vielen Nachtschichten verdient haben“, erinnert sich einer, der damals dabei war. Nach einigem Getuschel schien die Affäre ausgestanden: Die Finanzmarktaufsicht stellte ihre Untersuchungen ein, die Staatsanwaltschaft ignorierte die Sache vorerst. Doch es blieb nicht bei der Kursmanipulation.

2006 bestach die Telekom mutmaßlich den damaligen BZÖ-Vizekanzler Hubert Gorbach. Um 264.000 Euro soll er eine Verordnung zugunsten des Konzerns veranlasst haben. Sie handelt vom sogenannten „Universaldienst“. Die Frage trifft das Grundproblem eines Unternehmens, das zugleich privat wirtschaften und staatliche Versorgungsaufgaben übernehmen muss.

Der Universaldienst schreibt dem Ex-Monopolisten etwa vor, eine Telefonzelle in jedem Kaff zu betreiben oder Internetanschlüsse für jeden Bergbauernhof zu ermöglichen. Zwar zahlen die Privaten zum Ausgleich jährlich zweistellige Millionenbeträge an die Telekom. Trotzdem ist der Dienst Quelle ständigen Streits darüber, wie viel Geld jene Aufgaben wert sind, die in einem völlig liberalisierten Umfeld niemand übernehmen würde.

Im konkreten Fall hatte schon ein langer Rechtsstreit darüber getobt, ob aus Telefonzellen der Anruf von 0800-Gratisnummern möglich sein sollte. Normalerweise kostet das Telefonieren aus Zellen rund 25 Prozent mehr als sonst, weil diese von der Telekom finanziert werden müssen. Da solche Gebührenerhöhung bei Gratisnummern nicht möglich ist, sollten private Mitbewerber der Telekom die Kosten abgelten. Gorbachs Verordnung gab der Telekom nun ein mächtiges Instrument in die Hand – bei mangelndem Entgegenkommen der Privaten konnte sie die Gratisnummern schlicht abdrehen. Rund zehn Millionen Euro soll dies dem Konzern seit 2006 gebracht haben. SPÖ-Infrastrukturministerin Doris Bures will das Gesetz nun prüfen.

Ähnliches dürfte bereits 2004 passiert sein, wie der Falter im Vorjahr berichtete. 192.000 Euro kassierte das FPÖ-Parteiblatt Neue Freie Zeitung von der Telekom. Das Geld lief über den ehemaligen FPÖ-Politiker Walter Meischberger und diente offiziell als „Druckkostenzuschuss“. Laut Meischberger sollte die Zeitung dafür wohlwollend über den Konzern berichten – allerdings finden sich im Archiv des Blatts weder Inserate noch Berichte. Welche Leistung tatsächlich erbracht wurde, weiß man bis heute nicht. FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl, Geschäftsführer der Neuen Freien Zeitung, war für keine Stellungnahme zu erreichen.

Erst jetzt, sieben Jahre später, kommen die Causen nacheinander zum Vorschein. Wie fallende Dominosteine führt ein Skandal zum nächsten: Es begann 2008, als Ermittler in der Buchhaltung der Immobilienfirma Immofinanz Provisionsrechnungen an Hochegger und Meischberger entdeckten, die den Verkauf von 60.000 Bundeswohnungen betrafen. Das führte zu Ermittlungen in der sogenannten Buwog-Affäre, bei denen wiederum Scheinrechnungen betreffend Telekom und Schieszler auftauchten. Bei einer darauffolgenden Hausdurchsuchung bei Schieszler fand sich ein brisantes Tagebuch. Unter dem Titel „Shitlist TA“ stand zu lesen: „Vorstand besticht Politik“. Schnell erkannten die Behörden, dass sie hier einen potenziellen Kronzeugen gefunden hatten, der ein Sittenbild der Regierung Wolfgang Schüssel in Österreich liefern könnte.

Wer eine Gefälligkeit von Regierungsmitgliedern wollte, kam mitunter an „Beratern“ wie Hochegger und Meischberger nicht vorbei. So entstand ein System, meist mit Nähe zum freiheitlichen Lager, dessen korruptes Handeln erst jetzt ans Licht der Öffentlichkeit kommt.

„Ich war persönlich bei einigen Parlamentariern, deren Namen ich nicht nennen will. Ich war immer wieder im FPÖ- und BZÖ-Klub und habe im BMF (Finanzministerium, Anm.) Informationen geholt und auch dorthin gebracht“, sagt Meischberger in einer Einvernahme von 2009, deren Protokoll dem Falter vorliegt.

Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser, Meischberger, Haiders wegen Geldwäsche verdächtiger Gehilfe Franz Koloini, FPK-Chef Uwe Scheuch, nicht rechtskräftig verurteilt wegen illegaler Geschenkannahme – ihnen wird allesamt von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, sich auf Kosten der Allgemeinheit bereichert zu haben. Für alle gilt die Unschuldsvermutung. Das nicht rechtskräftige Urteil im Fall Scheuch zeigte erstmals, dass solche Machenschaften auch hinter Gitter führen könnten. Und der Fall Telekom legt nahe, dass die Aufarbeitung der schwarz-blau-orangen Ära erst begonnen hat.

Denn vieles ist noch ungeklärt in dieser Affäre, die täglich neue Enthüllungen bringt. Da wäre zunächst die Rolle des potenziellen Kronzeugen Schieszler. Vielleicht erzählt er nur, was die Polizei hören will, um seinen Hals zu retten. Schieszler hat zudem 2009 seinen Telekom-Job verloren und könnte eine Rechnung offen haben. Andererseits haben seine Worte bereits Folgen: Ex-Telekom-Mitarbeiter Josef Trimmel und Johann Wanovits, Chef des Broker-Hauses Euro Invest, sollen die Kursmanipulation bereits gestanden haben.

Erklärungsbedürftig ist weiters der Umgang von Telekom-Chef Ametsreiter mit der Affäre. Der Mann, der auch in den Jahren des Skandals schon hochrangiger Telekom-Manager war, fährt nun einen Zickzackkurs: Erst übergab er den Behörden zur Unterstützung einen 400-seitigen Revisionsbericht – danach diskreditierte er Schieszler in Interviews. Ein dem Falter vorliegender Vertrag zwischen Telekom und Schieszler, der Anfang Juli eine Zusammenarbeit einleiten sollte, deutet zusätzlich auf wenig Aufklärungsbereitschaft hin: Das Dokument sieht eine Auflösung der Kooperation vor, „wenn es zur Einleitung von Verfolgungsschritten gegen die A1 Telekom nach dem Verbandsverantwortlichkeitsgesetz“ kommt. Soll heißen: Wenn aufgrund Schieszlers Aussagen Manager rechtlich belangt werden können, wird der Vertrag nichtig. Die Telekom war für keine Stellungnahme erreichbar.

Ebenso unklar wie die Rolle der Telekom – nur politisch brisanter – ist die der ÖVP. Im Gegensatz zum einstigen blauen Juniorpartner deuten bei der Großpartei bislang nur Indizien auf eine Verwicklung hin. In den meisten taucht der ÖVP-nahe Rüstungslobbyist und Gatte von Ex-Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat, Alfons Mensdorff-Pouilly, auf.

So besuchte 2008 Markus Beyrer laut Profil Mensdorff-Pouilly auf seinem schottischen Schloss zur Jagd. Beyrer war damals Generalsekretär der ÖVP-nahen Industriellenvereinigung und ist heute als Chef des Telekom-Miteigentümers ÖIAG für die Aufklärung der Missstände zuständig. Die Telekom zahlte 21.800 Euro für Beyrers Flug. Ebenso sollen Mitarbeiter von Ex-Innenminister Ernst Strasser von Mensdorff nach Schottland eingeladen worden sein.

Mit Strasser hängt auch die Affäre um ein Funknetz zusammen, mit dem Österreichs Feuerwehr, Rettung und Polizei 2004 ausgestattet werden sollte. Den Auftrag hatte laut Profil ein Konsortium aus Siemens, Raiffeisen und Wiener Stadtwerken fix in der Tasche. 2003 jedoch wurde er plötzlich, wegen angeblicher Mängel, storniert – ein zweites Konsortium aus Motorola, Alcatel und der Telekom kam zum Zug. Laut Schieszler soll Mensdorff-Pouilly 3,7 Millionen Euro „Provision“ erhalten haben, weil er bei Strasser interveniert habe – eine Million davon zahlte die Telekom.

Die Vorwürfe sind brisant, weil Strasser selbst als EU-Parlamentarier sinngemäß erklärt hatte, dass man bei ihm Gesetze kaufen könne. Britische Journalisten, die sich als Lobbyisten ausgaben, deckten im Frühjahr sein korruptes Verhalten auf. Der Vermutung, Strassers moralische Standards seien als Innenminister von 2000 bis 2004 nicht anders gewesen als 2011, kann man nur mit Hinweis auf die Unschuldsvermutung antworten, die auch für Strasser gilt.

„Die Telekom-Affäre ist keine ÖVP-Affäre“, sagt Volkspartei-Chef Michael Spindelegger. Einem Untersuchungsausschuss, der diese Behauptung beweisen könnte, wollte er bislang nicht zustimmen.

Bleibt also die Staatsanwaltschaft, die Schieszler zu Österreichs erstem Kronzeugen erklären könnte. Das würde ihn zwar auch nicht mehr, wie er es einst ankündigte, zum Finanzvorstand eines internationalen Unternehmens machen. Aber es böte die Möglichkeit, die Machenschaften der schwarz-blau-orangen Ära breit und umfassend aufzuklären.

Die A1 Telekom Austria Group
ging 1996 aus der Post und Telekom AG hervor. Seit 2010 firmieren die Festnetz- und Mobilfunksparte unter dem Namen „A1 Telekom Austria Group“. Die Telekom Austria beschäftigt circa 16.000 Mitarbeiter und unterhält Auslandsbeteiligungen in acht Ländern. 72 Prozent der AG sind im Streubesitz, 28 Prozent hält die Republik über die Verstaatlichtenholdung ÖIAG

Dass in Telefonzellen keine 0800-Gratisnummern gewählt werden können, diese Möglichkeit soll sich die Telekom 2006 von BZÖ-Vizekanzler Alfons Gorbach mutmaßlich um 264.000 Euro erkauft haben

Beteiligte Personen

Gernot Schieszler Bis 2009 hoher Telekom-Manager. Er gibt zu, in den Betrugsskandal verwickelt zu sein – und bietet sich den
Behörden als Kronzeuge an

Heinz Sundt 2000 bis 2006 war er Telekom-Generaldirektor, davor Chef des Mobilfunks. Unter seiner Ägide fand die mutmaßliche
Kursmanipulation 2004 statt

Peter Hochegger PR-Berater mit FPÖ-Nähe und Geschäftspartner Karl-Heinz Grassers. Unter Schwarz-Blau soll er rund 25 Mio.
Euro Honorare von der Telekom kassiert haben

Alfons Mensdorff-Pouilly Der ÖVP-nahe Lobbyist soll 2004 von der Telekom 1,1 Mio. € bekommen haben. Es ging um die Vergabe eines neuen Funknetzes

Ernst Strasser
Der Ex-Minister bedachte 2004 überraschend ein Konsortium mit Telekom-Beteiligung mit einem neuen Funknetz. Sagte: „Of course I’m a lobbyist“

Hannes Ametsreiter Aktueller Telekom-Chef seit 2009. War während des Skandal auch schon hoher Manager. Sein Interesse an Aufklärung scheint schwankend

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Politik zweiten Grades oder: der neue Presseraum der Grünen

Aus dem FALTER 35/2011

Glosse
Polit-Inszenierung

„ACHTUNG FOTOREDAKTIONEN“ steht in Großbuchstaben am Anfang des E-Mails. Bei einer Wochenzeitung trudeln täglich Hunderte Nachrichten ein, die irgendwo zwischen unfreiwillig komisch und seltsam oszillieren. Und manch wichtig wirkende Notiz aus der Sphäre der Politik entpuppt sich auf den zweiten Blick als eher vernachlässigbar.

Nun, vernachlässigbar wollen wir das Mail der Grünen nicht gleich nennen. Sie laden zu einer Pressekonferenz über ihren neuen Pressekonferenzenraum. Offenbar wollen sie buchstäblich einen Blick hinter die Kulissen gewähren. Politik zweiten Grades machen, gewissermaßen. Davon könnten auch die Großparteien lernen. Würden die ihre Marketingmaßnahmen etwas besser vermarkten, sähe das nächste Wahlergebnis vielleicht nicht ganz so trist aus.

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Zwischen Staat und Privat: 6000 Wohnungen mit Rathauskrediten

Aus dem FALTER 35/2011

Joseph Gepp
Foto von Heribert Corn

Sechzig Millionen Euro weniger für den Wohnbau, eine Kürzung von zehn Prozent – im Herbst 2010 schienen die Aussichten für Wohnungssuchende in Wien trist. Ausgerechnet in einer Zeit von Bevölkerungswachstum und rasant steigender Immobilienpreise am Privatmarkt musste das Rathaus bei der Wohnbauförderung sparen: Statt der üblichen rund 6000 Wohnungen könnten 2011 nur etwa 4500 errichtet werden, hieß es.

Ludwig (Foto: Corn)

Im folgenden März präsentierte SPÖ-Wohnbaustadtrat Michael Ludwig eine eilig zusammengezimmerte Aktion, um die Lage zu entschärfen: die „Wohnbauinitiative“. Zu günstigen Konditionen, wie sie nur das Rathaus als Top-Schuldner bekommt, nahm es eine halbe Milliarde Euro an Krediten auf. Wirtschaftskrisenbedingt war das Zinsniveau gerade äußerst niedrig. Das Geld wird nun – ebenfalls günstig – an Baukonsortien weiterverliehen. Diese verpflichten sich dafür zum Bau von Wohnungen, deren Mieten kaum höher als im geförderten Wohnbau sind.

6250 Wohnungen werden solcherart ab 2012 entstehen, verkündete Ludwig vergangenen Mittwoch. Die Zahl liegt etwas unter den 7500 Wohnungen, die man sich zu finanzieren vorgenommen hat. Sie entstehen vor allem am ehemaligen Südbahnhofgelände und am Flugfeld Aspern.

Kritiker befürchten, dass die Qualität der Wohnbauinitiative nicht jener entspreche, die der – streng reglementierte – geförderte Wohnbau in Wien aufweist. Ludwig besänftigte sie, indem er einen Fachbeirat einberief, in dem bekannte Experten die Projekte bewerten.

Den Stadtrat freut nun das „ausgezeichnete“ Ergebnis seiner Aktion. Allerdings: Sie wird wohl einmalig bleiben. Denn realisieren ließ sich die Wohnbauinitiative vor allem wegen der historisch niedrigen Zinsen. Steigen sie, erhöhen sich auch die Kosten für Kredite. Dann muss man wieder mit der klassischen Form städtischer Wohnraumfinanzierung auskommen: dem im Budget beschlossenen geförderten Wohnbau.

SPÖ-Stadtrat Michael Ludwig gleicht Budgetkürzung mit Krediten
aus

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Eingeordnet unter Das Rote Wien, Soziales, Stadtplanung

Löhne im Handel: eine Ziffer mit großen Konsequenzen

Aus dem FALTER 34/2011

Soziales – Kommentar

Eine Ziffer entscheidet über Millionenbeträge. Handelsangestellte der Verwendungsgruppe 2, heißt es in heimischen Kollektivverträgen, führen lediglich „einfache oder mechanische Arbeiten (…) nach genauer Arbeitsanweisung“ durch. Gruppe 3 hingegen erledigt „technische oder kaufmännische Arbeiten“ bereits „selbstständig“.

Eine Supermarktkassierin aus dem Burgenland sah sich eher in Gruppe 3 als in 2 – und klagte. Nun gab ihr der Oberste Gerichtshof in letzter Instanz Recht. „Richtungsweisend“ nennt die Gewerkschaft das Urteil: Ein Drittel bis die Hälfte der rund 40.000 Handelskassierer in Österreich könnten wie die Verkäuferin falsch eingestuft worden sein. Die Wirtschaftskammer weist diese Angabe zurück.

Richtungsweisend ist das Urteil in der Tat. Denn österreichische Handelsangestellte befinden sich oft in prekären Lebens- und Arbeitssituationen: Bis zu 80 Prozent von ihnen sind Frauen, viele alleinerziehend, pendelnd, teilzeitbeschäftigt und von immer kundenfreundlicheren Arbeitszeiten abhängig. Verbunden mit den Realverlusten der vergangenen Jahre – für heuer rechnet das Wifo mit 0,8 Prozent – entsteht hier eine Spirale nach unten, zu jenen working poor, die jetzt schon zehn Prozent von Österreichs Arbeitnehmern ausmachen. Tendenz: 38 Prozent Zuwachs im ersten Jahrzehnt der Nullerjahre.

In dieser Situation bringt das OGH-Urteil für Betroffene (mit vier bis sechs Dienstjahren) rund 150 Euro mehr pro Monat. Außerdem kann entgangenes Gehalt bis zu 3000 Euro im Nachhinein eingeklagt werden.

Fazit: Eine gerichtliche Zuerkennung einer Ziffer im Kollektivvertrag wirkt sich hier sozial äußert treffsicher aus.

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Eingeordnet unter Soziales

War Ihre Mission bei Muammar Gaddafi ein Fehler, Herr Lasar?

Aus dem FALTER 34/2011

Telefonkolumne

Bei seinem Versuch, die FPÖ als Instanz internationaler Friedensvermittlung zu etablieren, setzte der jüdische Wiener Gemeinderat David Lasar Mitte Juli auf das falsche Pferd: Libyens Diktator Muammar Gaddafi, den er als „Emissär“ seiner Partei in Tripolis besuchen wollte, ist dieser Tage praktisch schon besiegt.

Herr Lasar, sehen Sie Ihren Vermittlungsversuch im Nachhinein als Fehler?

Mit Sicherheit nicht. Wenn die Sache geklappt und Gaddafi mit den Rebellen verhandelt hätte, dann hätte man sich in den letzten Wochen noch viel Leid erspart. Deshalb habe ich diese Fahrt in Kauf genommen, die ja auch mit gewissen Gefahren behaftet war.

Vor sechs Wochen verwiesen Sie auf den Häuserkampf in Tripolis und meinten, der Kampf und das Nato-Bombardement würden noch 100 Jahre dauern. Warum ging es jetzt doch so schnell?

Das kann ich nicht beantworten. Als ich anwesend war, war Gaddafi noch so stark, dass er mit Sicherheit sehr lange durchgehalten hätte. Dass das Nato-Bombardement nicht gefruchtet hat, hat man außerdem ja gesehen.

Also hat etwas anderes die Rebellen entscheidend gestärkt?

Richtig, bei den Rebellen oder bei Gaddafi selbst muss etwas passiert sein. Aber ich weiß nicht, was.

Wird sich die FPÖ bei Konflikten weiterhin als Vermittlerin anbieten?

Wir haben uns nicht angeboten. Man hat mich gefragt, ob ich hinfahren möchte, um zwischen den Streitparteien zu vermitteln. Das waren Freunde aus Israel und Amerika aus republikanischen Kreisen.

Was ist, wenn die Freunde Sie wieder fragen?

Das kann ich nicht beantworten. Es kommt darauf an, wer einen um welche Message bittet.

Sollte das nicht die Aufgabe staatlicher Außenpolitik sein?

Normalerweise schon. Aber 14 Tage vor meiner Reise nach Libyen hatte Österreich ja den Rebellenrat anerkannt und damit Partei gegen Gaddafi ergriffen.

Interview: Joseph Gepp

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Eingeordnet unter Weltpolitik, Wien

Subventionen: Im Sold, aber nicht im Dienst des Wiener Rathauses

Aus dem FALTER 34/2011

Joseph Gepp

„Versteckte Subventionen“ nennt es ÖVP-Kultursprecherin Isabella Leeb. Weil das Rathaus dem Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung unentgeltlich Gemeindebedienstete zur Verfügung stellt – darunter einen SPÖ-Gemeinderat -, wollte die Oppositionspolitikerin von SPÖ-Stadträtin Sandra Frauenberger wissen: Wo überall arbeiten Rathausmitarbeiter auf Kosten des Steuerzahlers?

In 29 Institutionen, lautet nun Frauenbergers Antwort. Darunter sind so verschiedene Einrichtungen wie eine Fachhochschule, ein Flugrettungsverein, die Drogenkoordination, Schülerheime und das Institut für Bautechnik. Den größten Posten – mit 145 beigestellten Mitabeitern – bekommt der Fonds Soziales Wien, eine 2004 ausgegliederte Magistratsabteilung.

218 Menschen stehen solcherart im Sold, aber nicht im Dienst der Gemeinde. Laut Beamtendienstrecht müssen sie dabei der „Förderung der Interessen Wiens“ dienen und dürfen keinem gewinnorientierten Unternehmen nutzen.

Diese Voraussetzungen erfüllen jene Institutionen, die das Rathaus mit Mitarbeitern unterstützt, wohl allesamt. Weniger klar ist indes, wie viel die personellen Zuwendungen kosten. Das kann oder will Stadträtin Frauenberger nicht verraten – weil man solcherart auf die Einkommen einzelner Rathausmitarbeiter schließen könne, wie sie meint.

Rechnet man den Durchschnittsverdienst eines Gemeindebediensteten, dann kostet der Mitarbeitertransfer ungefähr zehn Millionen Euro pro Jahr. ÖVP-Frau Leeb, die „grundsätzlich nichts gegen diese Form der Unterstützung“ hat, verlangt nun einen „Subventionsbericht“, der aufschlüsselt, wer wie viel erhält: „Wir Oppositionspolitiker erfahren ja gar nicht erst, welche Vereine möglicherweise erfolglos um die Beistellung von Mitarbeitern ansuchen.“

Für Sandra Frauenberger kommt dergleichen nicht infrage. Der notwendige Verwaltungsaufwand, sagt die Sprecherin der Stadträtin, wäre viel zu hoch.

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Eingeordnet unter Behörden, Das Rote Wien

Gebührenerhöhungen: Die fetten Jahren sind auch in Wien vorbei

Aus dem FALTER 34/2011

Joseph Gepp

Parkschein, Kanal, Müll, Autoabschleppung, Wasser: Ab 2012 müssen Wiener teils empfindlich höhere Gebühren zahlen. So wird ein 30-Minuten-Parkschein 65 statt bisher 60 Cent kosten – 8,3 Prozent mehr. Die Entleerung eines Mistkübels schlägt sich mit 4,24 statt 3,99 Euro zu Buche. Wasser verteuert sich gleich um ein Drittel, von 1,30 auf 1,73 Euro je Kubikmeter.

Offiziell spricht die rot-grüne Koalition von Inflationsanpassung und Qualitätssicherung – tatsächlich ist die Finanzlage der Stadt trist: Der Schuldenstand hat sich seit 2005 auf 3,07 Milliarden Euro verdoppelt. Die Krise schlägt sich darin ebenso nieder wie teure Sozialmaßnahmen à la Gratiskindergarten.

Zu den Erhöhungen kommen weitere Preissteigerungen bei Gas und Fernwärme ab Herbst – dies ist jedoch auch auf Rohstoffpreise zurückzuführen. Zusätzlich wurden im letzten Budget die Wohnbauausgaben um 60 Millionen Euro oder zehn Prozent gekürzt. Die Folge: Laut Angaben von Bauträgern warten heute rund doppelt so viele Leute auf eine geförderte Neubauwohnung wie 2010.

Fazit: Nach drei Jahren ist die Wirtschaftskrise auch im Säckel des wohlhabenden Wien zu spüren. Mit weiteren Einsparungen ist zu rechnen.

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Eingeordnet unter Behörden, Das Rote Wien

Einstürzender Altbau

Aus dem FALTER 34/2011

Obwohl alle Fakten seit Jahren bekannt sind, gerät die Parlamentssanierung zur unendlichen Geschichte

Bericht: Joseph Gepp

Nicht nur der Energieverlust im Parlament sei „exorbitant“. Auch könne das Haus wegen mangelnden Schutzes zur „Brandfalle“ werden. Und das Dach sei „nur bedingt tragfähig“. Im Hohen Haus am Ring bestehe solcherart „Gefahr für Leib und Leben“.

Die Einschätzung des Architekturkonsulenten Matthias Rant ist nicht etwa neu. Sie stammt aus dem Jahr 2009. Zwei Jahre später muss wie zur Bestätigung der Nationalratssaal gesperrt werden. Das Glasdach ist akut einsturzgefährdet. Nun verstellen Stahlträger den Blick auf den Saal von 1956. Einige hunderttausend Euro kostet die Reparatur, dann geht das Wursteln weiter.

Seit Jahren ist bekannt, wie sanierungsbedürftig Theophil Hansens Prachtbau ist. In 1600 Räumen gibt es keine einzige Brandschutztür. Damit Schneemassen im Winter nicht das Dach eindrücken, muss es von innen beheizt werden.

Trotzdem zieht sich – Kosten für Sofortmaßnahmen hin oder her – seit Jahren eine Debatte hin, um wieviel Geld das Gebäude zu renovieren sei.

Bei der Parlamentssanierung hat die Öffentlichkeit den Überblick verloren. Das könnte, auch abseits von Zusatzkosten, zu einem bösen Erwachen führen. Denn 2015 laufen die feuerpolizeiliche und sonstige Genehmigungen aus. In vier Jahren also ist das Haus, wenn nichts passiert, endgültig nicht mehr benutzbar.

Die Geschichte des Projekts beginnt 2002, als alle Parteien den Umbau des Plenarsaals beschließen. Diese Entscheidung folgte einem jahrelangem Muster: Statt das gesamte Haus anzugehen, befasste man sich nur mit jeweils notwendigem Stückwerk. So wurden 2004 die Rampe erneuert und ab 2000 die Quadrigen, die Streitwägen auf dem Dach. Ab 2002 sollte nun der große Brocken Sitzungssaal drankommen.

2008 gewann der Linzer Architekt Andreas Heidl den Wettbewerb: 17 Millionen soll der neue Plenarsaal kosten, Fertigstellung 2012. Während der Vorarbeiten jedoch bemerkten die verantwortliche SPÖ-Nationalratspräsidentin Barbara Prammer und einige mit dem Umbau befasste Abgeordnete: Sofort das ganze Haus zu sanieren, käme am Ende billiger als die Summe der vielen Einzelschritte.

Die Idee mochte gut sein, der Zeitpunkt war schlecht: Denn erstens wurde Heidls Saalentwurf nun nach hinten gereiht, er soll jetzt am Schluss ins fertig sanierte Parlament eingefügt werden. Zweitens musste Prammer der Öffentlichkeit erklären, dass nicht mehr nur ein Saalumbau für Dutzende Millionen Euro ansteht – sondern eine Totalsanierung für Hunderte.

Auf 335 Millionen schätzte ein Experte 2011 die Gesamtkosten. Fachleute halten dies zwar für angemessen für die Totalsanierung eines denkmalgeschützten Großbauwerks. Die Klubchefs jedoch streiten, seit sich 2009 der Schwenk vom Saalumbau zur Totalsanierung abzeichnete. Prammer scheiterte mit ihrem Versuch, Einigkeit herzustellen. Entscheidungen wurden hinausgeschoben; Prammers Ankündigung von 2010, dass noch heuer mit der Arbeit begonnen würde, blieb ein Wunsch. Noch 2011 stritten die Parteien monatelang, ob man das Projekt einer ausgegliederten Gesellschaft überantworten solle oder nicht.

Inzwischen ist nach drei Jahren immer noch nicht klar, wie weit die Sanierung gehen und wieviel sie kosten darf. Die Entscheidung wurde auf 2014 vertagt. Im selben Jahr, heißt es, soll der Baubeginn erfolgen. Dass die Parlamentarier in die alte Wirtschaftsuni am Alsergrund ausweichen, gilt als fix. Der Neubau der WU entsteht gerade im Prater.

Wer aber sind die Verhinderer, die den Bau verzögern? Vordergründig polemisieren FPÖ und BZÖ gegen den „Luxuspalast“. Im Hintergrund scheinen auch die Regierungsparteien, aus Angst um Stimmen, das Projekt nicht mit Nachdruck zu unterstützen. Darauf lässt zumindest eine in der Kleinen Zeitung kolportierte Aussage von Prammer im kleinen Kreis schließen: Als sie sich über die „Feigheit der Regierung“ beschwerte, habe ihr Parteichef Faymann einzig mit dem Ratschlag reagiert, in der Sache doch „etwas leiserzutreten“.

Nun soll das Projekt 2017 fertig sein – mit einem Unsicherheitsfaktor: 2013 wird gewählt. Eine nächste Regierung, etwa mit FPÖ-Beteiligung, könnte danach das Budget blockieren. Denn erst 2014 soll über die Sanierungskosten entschieden werden.

Möglicherweise könnte Österreichs Abgeordneten solcherart ein längerer Aufenthalt in der WU bevorstehen – zum Studium der Wirtschaftlichkeit.

Die Geppbloggt-Chronik zur Parlamentssanierung

Fotos der Schäden auf der Parlaments-Homepage
Gutachten zum Download auf der Parlaments-Homepage

Ein Kommentar

Eingeordnet unter Stadtplanung, Wien

Österreichs Parlamentssanierung 2000 bis 2017

Bald zehn Jahre dauert die Vorbereitung zur Sanierung des Parlaments auf der Ringstraße. Eine Chronologie der Ereignisse seit 2000 samt Vorausblick bis 2017

2000-2009:
Restaurierung der Quadrigen auf dem Parlamentsdach

2001:
Die Vorbereitungsarbeiten für Umbau und Modernisierung des Sitzungssaales beginnen

2002:

Einstimmiger Grundsatzbeschluss zum Umbau des Plenarsaals

2004-2006:
Erneuerung der Parlamentsrampe

August 2008:
Architekt Andreas Heidl gewinnt den Plenarsaal-Wettbewerb. Kosten: 17 Mio. Fertigstellung: Anfang 2012

August 2008
Bei Matthias Rant wird – zur Vorbereitung des Plenarsaals neu – ein Überblicksgutachten über den Zustand des Parlaments in Auftrag gegeben

16. Jänner 2009:
SPÖ-Nationalratspräsidentin Barbara Prammer stoppt den Plenarsaal-Umbau aufgrund der Wirtschaftskrise. Kündigt Entscheidung bis Mitte 2009 an.

22. Jänner 2009:
Drei Grüne Abgeordnete durch undichtes Dach betröpfelt

Februar 2009:
Prammer will nach drei Wochen den Baustopp doch zurücknehmen. Neben dem Umbau des Plenarsaals zeigt sie sich auch „größeren Baumaßnahmen“ bereit. Ein Baukomitee (Vertreter aller Parteien) soll bis Mitte März eine Mängelliste evaluieren.

Ende Februar 2009:
Matthias Rants Überblicksgutachten ist fertig. „Gefahr für Leib und Leben“, „exorbitante Wärmeverluste im Nationalratssaal“, „Brandfalle“, Dach „bedingt tragfähig“. Rant schlägt eine sofortige Sanierung vor. Kosten: ca. 20 Mio. Euro.

Anfang März 2009:
Parlamentskomitee gibt weitere Gutachten zu den Mängel in Auftrag

Ende März 2009:
Das Baukomitee (Vertreter aller Parteien, Vorsitz: Wolfgang Großruck, ÖVP) drängt auf einen raschen Umbau des NR-Saals. Bis Ende April sollen Sanierungsvarianten berechnet werden. Man präferiert einen „großzügigen Umbau“.

Ende April:
Umbau laut Großruck in „heißer Vorbereitungsphase“, Ergebnisse bis Mitte Mai

Mitte Mai:
Verzögerung bis Ende Juni

Anfang Juli:
Rant legt ein zweites zusätzliches Gutachten vor, in dem er sinnvolle Zusatzprojekte zum Plenarsaal definiert (Besucherfoyer, Kommunikationsflächen etc.). Am 8. Juli soll das Baukomitee fix über den Umfang des Umbaus entscheiden.

9. Juli:
Prammer verkündet, dass das Parlament ab Anfang 2011 eine „echte Baustelle“ sein wird. Kosten für Plenarsaal inklusive Rants Zusatzprojekte: 57 Mio. mit 30 % Schwankungsbreite. Ein genauer Zeitplan soll in den kommenden Monaten ausgearbeitet werden. Geplante Fertigstellung 2013

Ende Oktober 2009:
Die BIG steigt aus dem Projekt aus. Das Parlament verantwortet das Projekt nun alleine.

Anfang Dezember 2009:
Das Projekt Parlamentsumbau liegt auf Eis, bis sich die Nationalratsparteien einig sind, was nun genau umgebaut wird. Prammer gibt den Klubobleuten eine Frist zur Entscheidungsfindung bis zum 11. Dezember. Bei einer Fact Finding Mission in Bern überzeugt sich das Baukomitee davon, dass eine Gesamtsanierung besser sei als ein Saalumbau inklusive Zusatzkosten

Mitte Dezember 2009:
Weil es keine Entscheidung gibt, beruft Prammer eine Klausur der Parlamentsparteien für Ende Jänner ein

Anfang Jänner 2010:
Prammer spricht nun – auf Anregung der Bern-Erfahrung des Baukomitees – von einer „Totalrenovierung“ und „Gesamtlösung“ für das Haus. Das Baukomitee habe sich nach Bern dafür ausgesprochen. Die Klausur für die Entscheidungsfindung wird auf Februar verlegt

Anfang Februar
Klausur wird auf Faschingsdienstag verlegt. Das Baukomitee plädiert nun für eine „Gesamtnutzungskonzept“. Prammer sagt, dass noch heuer mit der Sanierung begonnen werden könne. Kostenschätzung: 70 Mio.

10. Februar
Ein weiteres Rant-Gutachten (über „Abwicklungsmodelle“) zeigt, dass die Umsetzung eines Gesamtkonzept zirka 261 Mio. kosten würde. Nächsten Dienstag soll die Entscheidung fallen, wie nun weiter vorzugehen sei – also ob man wirklich eine Totalsanierung will oder nur den Plenarsaal samt Zusatzprojekten

16. Februar

Die Sanierung des Parlaments wird sich weiter verzögern: Bei einer Klausur des Baubeirats (das sind Abgeordnete, Klubchefs plus Baukomitee) hat man sich darauf geeinigt, in exakt einem Jahr ein Gesamtkonzept auf dem Tisch haben zu wollen, erklärt Prammer. Dieses (Kosten: 2 Mio.) solle enthalten, was tatsächlich sanierungsbedürftig ist, wie man gesetzliche Normen, etwa zur Barrierefreiheit, herstellen könne und wie man Flächen ausbauen bzw. besser nutzen könne. Gewisse Renovierungsmaßnahmen sollen vorgezogen werden.

April 2010
Ein „Gebäuderöntgens“ über Schäden und Mängel beginnt. Das ist eine Vorarbeit zum Gesamtkonzept, das in einem Jahr vorliegen wird. Es wird von Matthias Rant und dem Architekturbüro Herbert Beier gefertigt.

Juli 2010
Architekt Sepp Frank und Partner/Werner Consult werden mit dem Gesamtkonzept beauftragt

Mitte September 2010
Prammer legt fünf Gutachten zum baulichen Zustand des Parlaments vorher (erster Teil des Gebäuderöntgens). Dringender Sanierungsbedarf. Schätzung: 260 bis 320 Millionen Euro – „eine Grobschätzung, plus/minus 40 Prozent“. Realistischer Baubeginn 2013.

Mitte Oktober 2010
Gebäuderöntgen (zweiter Teil) ist fertig. Autoren sind Frank und Werner Consults. Der Bericht ist zugleich ein Zwischenbericht zu Gesamtkonzept. Erneut: Gravierende bauliche Mängel, unbedingter Sanierungsbedarf. Laut Prammer ist aber „keineswegs Gefahr in Verzug“. Grund: Im Vergleich zu 2009 wurden etwa Fluchtwege freigeräumt und kleinere Reparaturen vorgenommen

Mitte Jänner 2011
Das Gesamtkonzept von Frank/Werner ist fertig. Gesamtkostenschätzung Totalsanierung inkl. Absiedelung der Abgeordneten und „effizienzsteigernde Maßnahmen“: 335 Mio. Euro. Mitte Februar soll die Entscheidung fallen, was nun genau passiert.Fertigstellung: 2017. Sollte keine Sanierung erfolgen sieht er ab 2014/15 die Betriebsgenehmigung des Hauses (Stichwort: Brandschutz) gefährdet. Für die Abwicklung der Arbeiten soll ein Generalplaner gesucht werden.

Mitte Februar:
Absiedelung ab 2014 so gut wie fix. Kommende Woche soll die Präsidiale die Sanierung in einem Papier außer Streit stellen. Danach soll ein Generalplaner gesucht werden und Rechnungshof seine Plausibilitätsprüfung starten.

Ende Februar:
Die Präsidiale berät stundenlang und kann sich nicht einigen. Ein neue Gesetz, dass dem RH ermöglicht, den Bau von Anfang an zu prüfen, soll im Sommer durch den NR. In welchem Ausmaß saniert wird, ist weiter unentschieden.

Ende Februar:
Der RH lehnt die Vorab-Prüfung ab

28. Februar:
Prammer erwartet „keine Verzögerung“ beim Umbau. Zwar gibt es keine Entscheidung über das Ausmaß der Sanierung – allerdings läuft trotzdem plangemäß die Suche nach einem Generalplaner. „Ab 2015 ist das Haus soundso nicht mehr benutzbar“, sagt Prammer. Prammer kündigt eine Errichtungsgesellschaft an. Dort sollen alle Entscheidungen der Sanierung gebündelt werden. Prammer will „die gesetzlichen Grundlagen dafür möglichst noch bis Sommer vorliegen haben“

Mitte Juni
Der Gesetzesentwurf für die Gründung einer Errichtungsgesellschaft liegt vor (FPÖ und BZÖ haben das gefordert)

Ende Juni
Die Errichtungsgesellschaft kommt doch nicht, der Entwurf scheiterte am Widerstand von FPÖ und BZÖ. Nun soll doch wie ursprünglich geplant ein Generalplaner gesucht werden. Erst nach Vorliegen der vom RH geprüften Grobplanung und einer seriösen Kostenschätzung solle eine Entscheidung über den Umfang der Sanierung getroffen werden (also im Jahr 2014)

Achter August
Das Glasdach im NR-Saal muss wegen Einsturzgefahr provisorisch saniert werden. Bis September soll es repariert sein.

Derzeit
Wie es mit dem Parlamentsumbau insgesamt weitergeht, bleibt offen. Die Vorbereitung der Ausschreibung bei der Suche nach einem Generalplaner soll bis Ende des Jahres fertig sein. Wenn dieser gefunden ist, wird es noch mindestens bis Ende 2013, wahrscheinlich aber bis Anfang 2014 dauern, bis eine Entscheidung über den konkreten Umfang des Projekts getroffen wird. 2015 sollte dann mit dem Bau begonnen werden, denn da laufen wichtige Betriebsgenehmigung für das sanierungsbedürftige Hohe Haus ab. Knackpunkt sind die Kosten. Zumindest 295 Millionen soll die Umsetzung des Projekts benötigen. Vor allem Freiheitliche und BZÖ halten solche Aufwendungen für nicht vertretbar. (Quelle: APA)

Ende 2011

Die Ausschreibung für die Suche nach einem Generalplaner ist fertig

2012 bis 2013
Ein Jahr lang macht der Generalplaner exakte Planungen

2013
Nationalratswahl

2013 bis 2014

Ein halbes bis ein dreiviertel Jahr prüft der Rechnungshof die vom Generalplaner abgeschlossenen Planungen

Mitte 2014

Die Präsidiale (also die drei Nationalratspräsidenten) bzw. der Baubeirat entscheiden endgültig über den Umfang und die Kosten der Sanierung. Das Plenum im Nationalrat bewilligt das Budget.

2014/2015
Baubeginn. Die Parlamentarier übersiedeln in die alte WU am Alsergrund (deren Neubau entsteht gerade im Prater)

2017
Fertigstellung

Ein Kommentar

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Herr Plesser, wie wird man der beste Austro-Chinese?

Aus dem FALTER 33/11
Am Apparat – Telefonkolumne

Thomas Plesser, 21 Jahre, Student aus Mödling, ist ganz offiziell der beste nichtchinesische Chinesischsprecher der Welt. Vergangenen Donnerstag setzte er sich in einer bombastischen Fernsehshow in der Provinz Hunan gegen 120 Mitbewerber aus 60 Ländern durch. Plesser verbrachte ein Schuljahr und den zivilen Auslandsdienst in China. Der Falter erreichte ihn nahe Schanghai.

Herr Plesser, wie viele Leute haben die Fernsehshow gesehen?

Es gibt noch keine Zahlen. Aber in den letzten Jahren waren es immer mehrere Millionen.

Sie haben Diabolo gespielt und auf Mandarin eine Rede über Helden gehalten. Wie waren die Reaktionen?

Durchwegs sehr gut. Der Auswahlprozess geht ja schon seit Monaten, die Fernsehshow war das Finale. Wir bekamen eine Debatte über die Frage vorgegeben, wie man Helden beurteilen solle: allein aufgrund ihres Erfolgs oder Misserfolgs oder auch aufgrund ihres Strebens und ihrer Ideale.

Weltweit bester nicht-chinesischer Chinesischsprecher: Thomas Plesser (Mitte) auf Hunan TV

Welchen Preis haben Sie gewonnen?

Urkunden und einen Pokal, der so schwer ist, dass ich gar nicht weiß, wie ich ihn nach Hause transportieren soll. Der eigentliche Hauptpreis ist ein Studium in China, das die chinesische Regierung finanziert, inklusive Flügen, Unterkunft und Taschengeld.

Wann treten Sie es an?

Das weiß ich noch nicht. Ich habe ja nicht damit gerechnet, dass ich den Preis gewinne. Zuerst werde ich mein Studium in Österreich fertigmachen. Und vorher mache ich zwei Wochen Urlaub in China.

Chinesisch gilt ja gemeinhin als ziemlich schwere Sprache. Wie lernt man so etwas eigentlich?

Ich habe es ohne große Textbücher und Vokabel gemacht, indem ich mit 15 Jahren ein Austauschjahr in China verbracht habe. In diesem chinesischen Umfeld habe ich viel mehr gelernt als in jedem Klassenzimmer. Man muss halt möglichst viel im Land sein, sich möglichst integrieren und viel mit den locals sprechen.

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