20. April 2011 · 09:57
Aus dem FALTER, 16/2011
Woran krankt Österreichs Flüchtlingspolitik? Rubina Möhring arbeitet in ihrem neuen Buch anhand zweier Fälle ein Grundproblem heraus
Rezension: Joseph Gepp
Migranten sind das beherrschende politische Thema unserer Zeit. Kocht es in den Medien hoch, was geschätzt alle zwei Monate aus irgendeinem Grund der Fall ist, dann hat man das Gefühl, dass kein anderer Gegenstand mit Emotionalisierungspotenzial dagegen ankommt – dass sogar im Gegenteil allen Aufregern das Ausländerhütchen übergestülpt wird: von Sicherheit und Kriminalität über Bildung und prekäre Lebensverhältnisse bis zur allgemeinen Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft.
Ist es hingegen, wie derzeit, eher still um das Thema, wirkt es ein wenig, als habe sich ein böser Drache bis zur nächsten Heimsuchung in seine Höhle zurückgezogen.
Über diese Hysterie ist das Augenmaß verlorengegangenen. Denn paradoxerweise wissen viele Österreicher trotz aller politischer Debatten und persönlicher Dispute, trotz aller Zeitungsartikel und Fernsehdiskussionen, ziemlich wenig über Migranten. Nicht nur, was die Kulturräume angeht, aus denen sie überwiegend stammen. Sondern auch, was Kategorien und Abläufe der sogenannten „Ausländerpolitik“ in Österreich betrifft.
So waren beispielsweise 2009 von insgesamt 20.596 Menschen, die sich in Österreich niederließen, nur 2486 Asylwerber. Diese geringe Zahl löst nichtsdestotrotz bei einer breiten Masse die diffuse Angst aus, von Betrügern systematisch ausgenutzt und für dumm verkauft zu werden. Die verantwortlichen Politiker spielen das Spiel mit, statt über den wahren Zweck von Asyl und die Zahl von Asylwerbern aufzuklären. Asylrecht und -standards werden strenger. Ende April steht im Parlament die nächste Novelle an, die uns beschützen soll vor den einigen tausend Menschen, die jährlich in Österreich Schutz suchen.
Zwei verschiedene Asylfälle …
Rubina Möhring, ehemalige ORF-Journalistin und langjährige Chefin von Reporter ohne Grenzen in Österreich, hat über Österreichs Asylpolitik ein lesenswertes Buch geschrieben. Lesenswert ist es allein deshalb, weil es einen Überblick verschafft über ein Themenfeld, in dem sonst oft der Blick für die Relationen verlorengeht, weil die einzelnen Beteiligten das Ganze gern ihrer Botschaft unterordnen.
Möhring hingegen informiert unaufgeregt über die österreichische Rechtslage und ihre Neuerungen. Sie analysiert die Asylpolitiken der einzelnen europäischen Länder ebenso wie die Abwesenheit einer gesamteuropäischen Koordination. Sie zeigt Alternativen auf, zum Beispiel in Kanada. Sie beschreibt in Reportagekapiteln die Arbeit von Flüchtlingshelfern, etwa jene Ute Bocks, des Vereins Hemayat oder des Wiener Integrationshauses.
Als Leitmotiv ihres Buchs dienen zwei konträre österreichische Asylfälle, die doch Parallelen aufweisen: jener von Rakhat Aliyev und von Jovan Mirilo.
Die beiden Fälle, über die auch der Falter breit berichtete, haben vor allem eins gemeinsam: In ihren Heimatländern Kasachstan und Serbien besteht für Aliyev wie für Mirilo definitiv Lebensgefahr.

Rakhat Aliyev (Foto: Wikipedia)
Aliyev ist ehemaliger Botschafter Kasachstans in Wien. 2007 wurde er von seinem Schwiegervater, Diktator Nursultan Nasarbajew, entmachtet und angeklagt. In Kasachstan hätten ihm 20 Jahre Hochsicherheitsgefängnis oder Schlimmeres gedroht. Doch die österreichische Justiz verweigert die Auslieferung. Ohne offiziell Asyl zu beantragen, erhielt Aliyev eine Niederlassungsbewilligung, ein Schengenvisum und kann weiterhin unbehelligt sein Firmennetzwerk verwalten.

Jovan Mirilo (Foto: Katharina Gossow)
Jovan Mirilo hingegen ist jener Serbe, der 2005 ein belastendes Video vom Massaker in Srebrenica an den Europäischen Gerichtshof schickte. In Serbien wurde dafür ein Kopfgeld auf den Menschenrechtspreisträger ausgesetzt. Deshalb floh Mirilo 2007 samt Familie nach Österreich. Von der Sphäre hoher Diplomatie und Politik ungleich weiter entfernt als Aliyev, wurde er hier Opfer einer menschenfeindlichen und vor allem willkürlichen Asylpraxis. So warf ein anonymer Gutachter des Bundesasylamts Mirilo Betrug vor – mittels Aussagen, die derselbe Gutachter durch Weglassungen manipuliert hatte. Vier Jahre sind seit der Ankunft der Familie vergangen, ohne dass ihr Status geklärt wurde.
… zeigen ein Problem auf
„Asyl mit zweierlei Augenmaß“ nennt Rubina Möhring die beiden Fälle Aliyev und Mirilo, deren Abläufe sie exakt und detailreich rekonstruiert – und damit zu einem Grundübel der österreichischen Asylpolitik samt all ihren unübersichtlichen Verschärfungen gelangt: Nicht die Härte per se wäre das Problem, wenn diese nur zweckmäßig und nachvollziehbar gehandhabt würde. Doch über die Härte hat sich eine Willkür eingeschlichen, die Asylwerber in einer Art rechtsfreiem Raum dem Gutdünken der Behörden ausliefert.
Möhring illustriert dies nicht nur anhand des Vergleichs zwischen Aliyev und Mirilo oder der Manipulation des Gutachtens betreffend Mirilo. Sie schildert etwa auch den Fall einer Tschetschenin 2008, bei der eine Gutachterin „kein Abschiebehindernis“ feststellen wollte. Sie sei eine blonde Frau mit Minirock, die „gut im Leben“ stehe. Tatsächlich handelte es sich um ein traumatisiertes Vergewaltigungsopfer, das weder Minirock noch blonde Haare trug. Hier werde, so Möhring, „eine andere Wirklichkeit beschrieben, um mit gutem Gewissen abschieben zu können“.
Anhand solcher und anderer Fälle beschreibt die Autorin, wie einige tausend Menschen jährlich gegängelt werden, um es jener Masse rechtzumachen, die in Asylwerbern eine Gefahr sehen. Bleibt am Ende der Lektüre nur zu hoffen, dass die Behördenwillkür und Rechtsunsicherheit, wie sie im Asylwesen Einzug gehalten haben, nicht eines Tages auf die breite Bevölkerungsmehrheit zurückfallen.

Rubina Möhring: Die Asylfalle. Wie Österreich mit seiner Flüchtlingspolitik scheitert. Czernin, 184 S., € 19,80