Monatsarchiv: Januar 2011

Abschied Ost

Osteuropas goldene Zeit ist vorbei. Jetzt ziehen sich westliche Konzerne zurück – allen voran die Mediengruppe WAZ

Bericht: Joseph Gepp

Katastrophal sei die Situation der Medien in Südosteuropa. Vergiftet von den engen Verflechtungen zwischen nationalen Oligarchen und politischer Macht. Ein Zukunftsmarkt sei der Osten deshalb längst nicht mehr. Davor verschließe Westeuropa die Augen, „ich finde diesen Zustand deprimierend“.

Kein kritischer Querdenker und keine zivilgesellschaftliche Organisation fand solche Worte. Sondern einer, dessen Berufsstand sonst eher Zurückhaltung gebietet. Bodo Hombach, 58, deutscher Spitzenmanager, steht der Mediengruppe WAZ (Westdeutsche Allgemeine Zeitung) in Essen vor. Seit dem Sommer lässt er immer wieder mit Kritik an Osteuropa aufhorchen. Hombach spricht von Verkaufsabsichten seiner Firma. Die Worte könnten einen Umbruch im Osten bedeuten. Eins sagen sie aber auf jeden Fall: Der Goldrausch ist vorbei.

Hombach weiß, wovon er spricht. Vor seinem Antritt bei der WAZ diente der frühere SPD-Politiker als EU-Balkankoordinator. Mit diesem Vorwissen ausgestattet, trieb er bei seinem neuen Arbeitgeber ab 2002 eine Expansion fort, die selbst in Zeiten der Hochkonjunktur ihresgleichen suchte. Als eines der ersten Medienhäuser hatte die WAZ schon Anfang der 90er am Balkan investiert. In 15 Jahren war sie auf diese Weise von einem Betrieb, der deutsche Regionalblätter wie die Westfalenpost und Thüringer Allgemeine herausgibt, zu einem der wichtigsten europäischen Medienkonzerne aufgestiegen. Sie kaufte Printprodukte in Ungarn, Bulgarien, Kroatien, Serbien, Mazedonien, Montenegro, Albanien und Russland – neben Österreich, wo die Deutschen seit 1988 je die Hälfte an Krone und Kurier besitzen. In Bulgarien etwa kontrollierte die WAZ bis zu 85 Prozent des Printmedienmarktes. Dagegen wirkt selbst Österreichs vielkritisierte Konzentration pluralistisch. Die WAZ machte im Osten reiche Ernte, weil sie im richtigen Moment die Zeichen der Zeit erkannt hatte.

Erkennt sie sie jetzt wieder?

Unbeachtet von der breiten Öffentlichkeit spielt sich derzeit auf europäischen Medienmärkten eine Umwälzung mit ungewissem Ausgang ab. Denn auf Hombachs harsche Osteuropa-Kritik vom Sommer folgen prompt Taten. Sukzessive stößt die WAZ Anteile ab. Das Imperium in Bulgarien wurde im Dezember 2010 ebenso zur Gänze verkauft wie ein kleineres in Rumänien. In Serbien trägt man sich mit Verkaufsabsichten, über Ungarn wird spekuliert. Noch ist nicht klar, wer am Ende profitieren wird, ob sich die Rochaden als förderlich oder hinderlich für die Demokratisierung erweisen werden. In Bulgarien etwa übernahm eine Investorengruppe um Kaiserenkel Karl Habsburg-Lothringen die Anteile, deren Zukunft bislang kaum einzuschätzen sind. In Serbien könnten, wie in Rumänien, lokale Geschäftsleute mit teils undurchschaubaren Absichten nachfolgen. Für andere Beteiligungen interessieren sich Westfirmen wie der deutsche Springer-Konzern oder Ringier aus Zürich, der den Schweizer Blick verlegt.

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„Ich finde diesen Zustand deprimierend“: Bodo Hombach kündigt dem Osten die Freundschaft auf (Bild: Horizont)

Doch die große Zeit des Westens im Osten scheint nicht nur für die WAZ vorbei.

Hinter der politischen Situation, die Hombach beklagt, steht eine Wirtschaftslage, deren Krise – im Gegensatz etwa zu Österreich – seit 2008 unverändert fortdauert. Springer und Ringier kämpfen ihrerseits bei Ostbeteiligungen mit großen Verlusten. Werbeerträge sacken in ganz Osteuropa ab. Die Zahl der Inserate in rumänischen Tageszeitungen etwa sank allein 2009 um 70 Prozent, in kroatischen um 45. Die im Osten getätigten Auslandsinvestitionen hätten sich 2010 das zweite Jahr in Folge halbiert, erklärt Gábor Hunya vom Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche. Immobilien, Banken, Medien – der Boom ist vorbei.

Dazu kommt ein allgemeines Desinteresse vonseiten der internationalen Politik und Öffentlichkeit. Die USA kämpfen mit eigenen Schulden, die EU bangt um ihre Gemeinschaftswährung. Die Erweiterungen sind darüber ebenso ins Stocken geraten, wie Beitrittsperspektiven für Kandidaten an Reiz verloren haben. Sind das nur temporäre Krisenphänomene? Oder rutscht Osteuropa, wie Bodo Hombach meint, dauerhaft in Korruption, Cliquenwirtschaft und Pressegängelung ab?

Manches deutet darauf hin. Das neue Mediengesetz in Ungarn beispielsweise ist nur der derzeitige Höhepunkt einer gesellschaftlichen Radikalisierung, die sich seit 2006 bemerkbar macht. Auch der jährliche Index der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen verheißt nichts Gutes: In den Rankings sind in fünf Jahren neue EU-Länder wie Rumänien und Bulgarien, aber auch Beitrittskandidat Kroatien hinter Länder wie Ghana, Namibia oder die Kapverden gerutscht.

Oliver Vujovic von SEEMO, der in Wien ansässigen „South East Europe Media Organisation“, sieht dafür zwei Gründe. Erstens fehle den EU-Staaten der Reformantrieb der Beitrittszeit – in Rumänien, Bulgarien und Ungarn würden Seilschaften aus Wendegewinnlern neu erstarken. Zweitens würden unabhängig davon Medien am radikal verkleinerten Werbekuchen leiden, sagt Vujovic. „Wenn am Balkan ein Journalist Material über einen Geschäftsmann zugespielt bekommt, dann muss er – viel mehr als vor ein paar Jahren – erst rechnen: Kann sich mein Medium eine Veröffentlichung leisten? Oder werden ihm die wegfallenden Inserate den Hals brechen?“ Vor allem wirtschaftlich gesehen seien Medien weniger frei als früher, ergänzt Branimir Zekic, Journalist aus Zagreb: „Viele kroatische Zeitungen, die nach dem Krieg Demokratisierung bewirkt haben, sind zu Sprachrohren ihrer Inserenten verkommen.“

Im konkreten Fall WAZ bezweifeln Beobachter aber, dass es dem Konzern allein um die hehre Pressefreiheit geht. „In Singapur zum Beispiel boomt der Markt, aber die Presse ist absolut unfrei“, sagt ein Insider, „das schaue ich mir an, dass eine WAZ dort nicht gern investieren würde.“ Vielmehr seien die desaströsen Wirtschaftszahlen Hauptgrund für den Rückzug. Und wenn Bobo Hombach politische und gesellschaftliche Gründe vorschiebe, liege dies wohl weniger am wirklichen Stand der Pressefreiheit in den Oststaaten – als an den konkreten Erfahrungen, die die WAZ mit manchen ihrer Beteiligungen machte.

Um diese Erfahrungen zu verstehen, muss man das wichtigste strategische Instrument des Konzerns kennen: das sogenannte „Mantelkonzept“. Zum Einsatz kommt es, seit sich die WAZ nach dem Jahr 1948 mit dem Sanktus der Besatzungsmächte Zeitungen im Ruhrgebiet einzuverleiben begann. Das Mantelkonzept besagt: Autonomie einzelner Redaktionen bei größtmöglichen Synergien in den Bereichen Druck, Vertrieb, Verwaltung und Anzeigen.

Das heißt, dass eine WAZ-Zeitung kein WAZ-Weltbild transportieren muss. Dies ist nicht selbstverständlich, wie etwa ein Blick auf Rupert Murdochs Medienimperium zeigt, das aus allen Rohren seine konservative Ideologie trompetet. Bei der WAZ hingegen arbeiten Redaktionen autonom. Ideologisch können die Blätter verschieden sein, solange für den Mutterkonzern die Kasse stimmt. Und dafür sorgt weniger die schreibende Zunft selbst als vielmehr eine maximale Straffung und Zentralisierung.

Das Mantelkonzept bringt der WAZ große Wettbewerbsvorteile – und vermeidet gleichzeitig inhaltliche Gleichschaltung. Es entwaffnet vordergründig Kritiker, für die Medienmonopole die Meinungsvielfalt gefährden. Unter dem Dach der WAZ existiert sie ja. Dass die Wirklichkeit jedoch nicht so einfach ist, zeigt ein Beispiel aus Österreich: Seit 1988 bündelt die WAZ in der Mediaprint die Wirtschaftstätigkeiten von Kurier und Krone. Weltanschaulich verschieden sind die Blätter zwar trotzdem – andere Zeitungen haben es aber bedeutend schwerer, neben ihnen zu bestehen.

Kurz darauf wurde das Mantelkonzept in den Osten transferiert. Dort bescherte es der WAZ vorerst Erfolge. Oliver Vujovics Organisation SEEMO etwa bescheinigt gerade Bulgarien mit seinem WAZ-Monopol Meinungsvielfalt und journalistische Qualität. Ein ähnlich positives Resultat ergab 2006 eine OSZE-Untersuchung von Mazedonien, wo der Konzern die drei größten Tageszeitungen kontrolliert.

Einen Aspekt jedoch hat Hombach übersehen, als er dem Osten das Mantelkonzept brachte: Damit es funktioniert, braucht es tiefe Eingriffe. Man muss Abteilungen auflösen, Druckereien zusammenlegen, Verwaltungsebenen streichen. Und das betrifft die Einflusssphären lokaler Partner.

Zum ersten Streit zwischen der WAZ und Miteigentümern kam es 2004 in Rumänien, als der Konzern einen Geschäftsführer abberief. Wahrhaft unappetitlich wurde es aber erst in Serbien. Hier hatten die Deutschen 2001 die Hälfte der Tageszeitung Politika erworben. Nun sahen sie sich einer feindlichen Clique gegenüber, die auf korrupte Politiker ebenso zählen konnte wie auf eine deutschfeindliche Öffentlichkeit. In der darauffolgenden jahrelangen Schlammschlacht agierte auch die WAZ undurchsichtig. So hatte ein serbischer Strohmann für den Konzern Zeitungsanteile erworben und die Herausgabe verweigert.

Am Ende richtete der Wirtschaftsminister den Deutschen aus, sie seien in Serbien nicht willkommen. Dies erzählte er – quasi ein später Erfolg des Mantelkonzepts – ausgerechnet einem WAZ-Blatt. Darauf kündigte Hombach den Rückzug an. Laut Spiegel hat man ihn „auf eine Weise an der Nase herumgeführt, die romanfüllend ist“.

Seitdem findet sich Serbien ganz oben auf Hombachs Liste, wenn es um mangelnde Pressefreiheit geht. Dicht gefolgt von Rumänien.

Steier im Südosten: die Zukunft der
Auslandsbeteiligungen der Styria-Gruppe

:: Bei all den Rückzügen aus Osteuropa stellt sich natürlich die Frage, wie es um die Beteiligungen der Styria-Gruppe steht. Der Grazer Konzern, der hierzulande etwa Presse und Kleine Zeitung herausgibt, besitzt Printmedien in Montenegro, Slowenien und vor allem Kroatien. Demgemäß unterstellten Beobachter gleich nach Bodo Hombachs Rückzugserklärung aus Serbien den Steirern Ambitionen. Doch auch die gehen inzwischen vorsichtig zu Werk. Im Standard-Interview sprachen die Geschäftsführer Wolfgang Bretschko und Klaus Schweighofer kürzlich über „Konsolidierungsphasen“ und „Strategiewechsel“. Auf Falter-Nachfrage präzisiert Finanzchef Peter Irlacher: „Mittel- und langfristig“ wollte man die Expansion in Südosteuropa schon fortsetzen, wenn auch „gebremst“. Zielländer sollen laut Irlacher hauptsächlich Serbien und Bosnien-Herzegowina sein.

Die Beteiligungen

Österreich
Styria: Presse, Kleine Zeitung, Wirtschaftsblatt, Furche, Regionalblätter, Wienerin, Miss, SportWoche etc.
WAZ: Krone (50 %), Kurier (49 %), gemeinsame Tochter Mediaprint, via Kurier Beteiligung an Verlagsgruppe News mit u.a. News, Profil, Format, TV-Media, Trend

Ungarn
WAZ: fünf regionale Tageszeitungen, ein Nachrichtenmagazin, Internetportale, Druckereien
VERKAUF NICHT AUSGESCHLOSSEN

Slowenien
Styria: größte Tageszeitung, weitere Tageszeitung, Wochenzeitungen

Kroatien
Styria: größte Tageszeitung, größte Boulevard-Tageszeitung, Wirtschaftszeitung, Internetportale
WAZ: 49 % an zweitgrößter Tageszeitung, Sport- und Wirtschaftstageszeitung, 18 Zeitschriften

Serbien
WAZ: 50 % an Tageszeitung, Sportzeitungen
VERKAUF GEPLANT

Montenegro
Styria: 25 % an Tageszeitung

Mazedonien
WAZ: Verlage, größte Tageszeitung, weitere Zeitungen

Rumänien
WAZ: Anteile an Zeitung Romania Libera
VERKAUFT

Bulgarien
WAZ: größte und zweitgrößte Tageszeitung, Magazine, sieben Zeitschriften, Druckhäuser, Verlage
VERKAUFT

Erschienen im Falter 4/2011

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Eingeordnet unter Medien, Osteuropa

„Karl-Heinz hat nichts falsch gemacht“

Die Kabarettisten Maurer, Palfrader und Scheuba über Narren als Protestfiguren und wütende Spaßbürger

Gespräch: Stefan Apfl, Joseph Gepp

Ende, der Saal tobt. Montag, 21.30 Uhr. Mehr als tausend Zuhörer haben sich den „Vortrag über die Realverfassung“, die Verlesung der Abhörprotokolle von Walter Meischbergers Telefonaten, im Audimax angehört. Noch einmal so viele mussten aus Platznot wieder umkehren. Florian Scheuba, Robert Palfrader und Thomas Maurer haben in den vergangenen neunzig Minuten selbst viel gelacht; über die Einfältigkeit Walter Meischbergers, über die Ratschläge Karl-Heinz Grassers und die Hemdsärmeligkeit Ernst Karl Plechs. Gerade haben die drei Kabarettisten den zum Bersten vollen Saal verlassen und im Backstage-Raum Platz genommen.

Falter: Was war das gerade? Eine Kabarettvorstellung, eine Lesung oder eine Demo?

Robert Palfrader: Das war definitiv eine Vorlesung. Wir waren Vortragende, worauf ich stolz bin.

Thomas Maurer: Ich war mir ein bisschen unsicher, ob ich nicht noch die Studienberechtigungsprüfung nachmachen hätte sollen, um an der Uni zu sprechen. Aber sie haben mich dann auch so reinlassen.

Florian Scheuba: Die Veranstaltung fand ja im Rahmen einer Uni-Vorlesung statt. Ich würde daher sagen, es war ein Informationsabend für Interessierte.

kabarett
„Wir sind Teil einer gesamtgesellschaftlichen Hefe – und
gestalten sie teilweise mit“: Robert Palfrader, Florian
Scheuba, Thomas Maurer im Audimax

Foto: Heribert Corn

Die Skandale rund um Grasser sind schwer zu kommunizieren. Es gibt unzählige Protagonisten und Verflechtungen. Warum lockt die sperrige Materie dennoch tausende Interessierte an?

Maurer: Ich vermute, dass der beste, bestangezogene und bestgeföhnte Finanzminister der letzten Dekaden einfach ungebrochen populär ist.

Palfrader: Vielleicht erhoffen sich die Leute, dass Irrtümer endlich aufgeklärt werden. Sie glauben noch immer ans Gute im Menschen. Am Ende sehen wir dann, dass Karl-Heinz wirklich nichts falsch gemacht hat.

Scheuba: Geradezu schulbuchmäßig hat er sich verhalten. Fragt sich nur, welches Fach es war.

Maurer: Nur ein einziges Problem hat er nicht bedacht: Wenn das Geld einer Stiftung gehört, die wieder einer Stiftung gehört – dann gibt es doch Brösel beim Bankomaten!

Unter normalen Umständen eignen sich Polizeiprotokolle nicht gerade zum Massenamüsement. Hier schon.

Scheuba: Ich schätze, weil viele vermeintlich komplizierte Dinge heruntergebrochen werden und als nachvollziehbare menschliche Regungen enden. Walter Meischberger, so zeigen die Protokolle, ist ja vom Sachverhalt mindestens genauso überfordert wie der Zeitungsleser. Man muss als Konsument kein schlechtes Gewissen haben, wenn man den Überblick verliert. Es geht den Beteiligten auch so.

Maurer: Nur kann Meischberger seinen väterlichen Freund Ernst Karl Plech anrufen, und wir nicht.

In den 90er-Jahren hieß es, das politische Kabarett sei tot oder zumindest eingeschlafen. Heute ist es nicht nur allgegenwärtig – die Kabarettisten haben es auch ziemlich leicht, weil sie Texte nicht einmal mehr erfinden müssen. Immer öfter arbeiten sie einfach mit Originalzitaten. Gibt es ein neues realpolitisches Kabarett?

Scheuba: Es gibt schon noch einen Unterschied zwischen freiwilliger und unfreiwilliger Komik. Aber definitiv übernimmt das Kabarett eine Art Gegenöffentlichkeit. Gewisse Dinge können Kabarettisten leichter thematisieren als zum Beispiel Medien, weil das rechtliche oder wirtschaftliche Folgen für sie hätte. Uns hingegen lässt die Narrenfreiheit viel Spielraum …

Maurer: … und wir können Dingen, die uns sauer aufstoßen, eher nachgehen.

Palfrader: Wobei ich die Auswirkungen für überschaubar halte. Wenn’s darum geht, welche gesellschaftlichen Folgen unser Handeln hat, sage ich: definitiv keine.

Scheuba: Ich bin nicht ganz dieser Meinung. Immerhin können wir Stimmungen beeinflussen. Haftbefehle wird es aufgrund unserer Programme natürlich keine geben. Aber manche Sachen bleiben einfach hängen. Die Leute denken: „Wahnsinn! So etwas ist möglich!“ Das ist besser als gar nichts.

Palfrader: Florian Scheuba und ich debattieren oft über dieses Thema.

Maurer: Man ist als Kabarettist halt Teil einer gesamtgesellschaftlichen Hefe – und gestaltet sie teilweise mit.

In Österreich heißt Korruption Lobbyismus. Die Justiz funktioniert ebenso schleppend wie die öffentliche Debatte. Wandert der politische Diskurs deshalb in die Nische der Kabarettbühne?

Maurer: Lobbyismus scheint mir mittlerweile überhaupt die dominierende Form der westlichen Demokratie zu sein – das ist kein spezifisch österreichisches Problem. Und auch in den USA lehrt „South Park“ mehr über Demokratie als Fox News. Die Rolle von Kabarett und Humor ist hierzulande wahrscheinlich dieselbe wie überall sonst. Darüber hinaus ist es aber – wie momentan – sicher günstig für Satire, wenn das Vertrauen ins reibungslose Funktionieren des Systems auf breiter Basis erschüttert ist. Vielleicht ist das politische Kabarett in den 90er-Jahren ja deshalb darniedergelegen. Im Vergleich zu heute waren die Zeiten fad und geordnet.

Vor drei Monaten rief der US-Komiker Jon Stewart zu einer Demonstration zur Wiederherstellung der Vernunft in Washington, D.C. auf. Hunderttausende kamen.

Maurer: So viel Einfluss sehe ich bei uns drei noch nicht ganz.

Wird der Narr zur Protestfigur mit hohem Mobilisierungspotenzial?

Palfrader: Einflussreiche Spaßmacher wie Stewart gibt’s auch in Italien und Frankreich.

Scheuba: Wir dagegen sind eher privat an Politik interessiert – und haben das Privileg, dies beruflich umzusetzen.

Palfrader: Sonst würden wir regelmäßig nach London fliegen, uns in den Speaker’s Corner im Hyde Park stellen und den Menschen erzählen, wie es wirklich ist.

Maurer: Im vorliegenden Fall dienen wir als Vehikel zur Erzeugung von möglichst viel Aufmerksamkeit. Ist doch gut. Man kann seine Popularität ja nicht immer nur dafür verwenden, dass man im Lokal den besten Tisch bekommt.

In Österreich witzelt man zunehmend über Themen mit großem Empörungspotenzial. Ist der deutsche oder griechische Wutbürger, von dem momentan so viel die Rede ist, in Österreich ein Spaßbürger?

Scheuba: Vielleicht ist er wütender Spaßbürger. Beim Stück „Unschuldsvermutung“ im Rabenhof erleben wir zum Beispiel immer wieder Zwischenrufe à la „Wahnsinn!“ oder „Frechheit!“.

Palfrader: Und bei manchen Passagen im Stück wird es so ruhig, dass man eine Stecknadel fallen hören könnte.

Maurer: Wobei durch die Auswahl der Originalzitate eine inhaltliche Verdichtung einsetzt, die die realen Geschehnisse noch aberwitziger erscheinen lässt. Wie auch bei Grasser.

Scheuba: Was politisches Kabarett betrifft, sind wir bis zu einem gewissen Grad sicher auch Chronisten. Informationen fließen und fließen, und irgendwann verliert man den Überblick über die ganzen Skandale und Missstände. Schließlich passiert genau das, was Akteure wollen: Gras wächst über die Sache. Dann aber kommen wir und mähen den Rasen. Das wirkt sich schon aus.

Maurer: Mittlerweile rückt zum Beispiel sogar die einflussreiche Kronen Zeitung von Grasser ab.

Was sagt es über die politische Kultur in Österreich aus, wenn etwa ein Auftritt von Heinz-Christian Strache bei „Wir sind Kaiser“ aussagekräftiger ist als jeder in ernsthaften TV-Formaten. Ist Humor die einzige Möglichkeit, um hinter der Phrasendrescherei noch die Wahrheit zu erblicken?

Maurer: Manchmal braucht es eben die grobe Klinge des kaiserlichen Schwertes. Wir leben schließlich in einem Land, in dem sich Haiders ehemaliger Anwalt und Justizminister Dieter Böhmdorfer allen Ernstes in den Club2 setzen und über Amoral in der Politik philosophieren kann. Und zwar als Debattant, und nicht zu Demonstrationszwecken als Präparat in Spiritus.

Scheuba: Es war unfassbar zu sehen, wie schmähstad der Strache bei „Wir sind Kaiser“ war. Kabarettisten können hier anders vorgehen als Journalisten. Auch ich mache manchmal Politikerinterviews. Dann gehe ich hin und weiß, dass ich nie wieder ein Interview mit dieser Person führen werde müssen.

Palfrader: Allerdings zeigt gerade das Beispiel Strache, wie wirkungslos politisches Kabarett eigentlich ist. Hätte der Auftritt irgendetwas bewirkt, dann wäre das Wahlergebnis für die FPÖ in Wien anders ausgefallen.

Scheuba: Es geht darum, dass Leute die Angst vor Strache verlieren, wenn sie zum Beispiel den Auftritt in „Wir sind Kaiser“ sehen.

Maurer: Wobei uns die Geschichte lehrt, dass auch lächerliche Menschen gefährlich sein können.

Scheuba: Trotzdem ist es wichtig, Dinge zu thematisieren und zu versuchen, die Akteure zu demaskieren. Kürzlich zum Beispiel wurde uns von einer interessanten Begebenheit berichtet: Ein Geschäftsmann, der in unseren Programmen immer wieder vorkommt, betrat ein Wiener Luxusrestaurant. Unter den Gästen regte sich bei seinem Anblick hörbarer Unmut – worauf er das Lokal wieder verließ.

Palfrader: Das ist immerhin ein Indiz dafür, dass nicht alles total wurscht ist.

Scheuba: Und auch Grasser steht heute ganz und gar nicht da wie vor drei Jahren.

audimax
Im Audimax: Eine Stunde vor Vorstellungsbeginn ging gar
nichts mehr
(Corn)

Was genau war eigentlich der humoristische Mehrwert der heutigen Lesung? Der Inhalt an sich ist ja eher tragisch.

Scheuba: Das Absurde und die menschliche Überforderung sind wesentliche Punkte. Am Anfang vermutet man als Medienkonsument, dass Grassers Netzwerk genial ist und man vor raffinierten Gangstereien steht. Dann sieht man in den Protokollen, wie supernackt die selbst sind.

Wäre es Ihnen lieber gewesen, wenn die Leute demonstriert hätten, anstatt Ihnen im Audimax zuzuhören?

Maurer: Eine klassische Gute-Fee-Frage. Das kann man sich nicht aussuchen.

Palfrader: Wenn ich die Wahl hätte, würde ich beides wollen. Erst sollen sie ins Audimax, dann demonstrieren. Vielleicht protestieren wenigstens die, die nicht hineingekommen sind.

Maurer: Glaube ich nicht. Die gehen stattdessen zum Meinl am Graben essen.

Es gibt einen Song der österreichischen Band Christoph und Lollo über jemanden mit dem Namen „Karl-Heinz“. Darin wird gefragt, wann er denn endlich in den Häf’n geht. Wann denn?

Palfrader: Never ever. Sicher niemals.

Scheuba: Fifty-fifty ist meine Einschätzung.

Maurer: Ich glaube, das wird davon abhängen, was in Zukunft noch alles über Grasser herauskommt. Aber Geld würde ich keines darauf setzen.

Zur Person

Thomas Maurer,
43, wurde bereits mit 24 Jahren mit dem Salzburger Stier ausgezeichnet. Neben zahlreichen Soloprogrammen als Kabarettist arbeitet er auch als Theaterschauspieler und Drehbuchautor. thomasmaurer.at

Robert Palfrader,
42, gelang der Vorstoß an die Spitze der heimischen Comedyszene mit seiner K.u.k.-Talkshow „Wir sind Kaiser“. Schon zuvor hatte er bei „Die kranken Schwestern“ und „echt fett“ mitgearbeitet. robertpalfrader.com

Florian Scheuba,
45, war bereits mit 16 Jahren einer der Mitbegründer der Gruppe Die Hektiker. Seither hat er an zahlreichen Produktionen mitgewirkt, unter anderem an „Dorfers Donnerstalk“ und „Die 4 da“.
florianscheuba.at

Erschienen im Falter 3/11

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Eingeordnet unter Allgemein, Stadtleben

Sind Sie mit dem Urteil einverstanden, Herr Brennan?

Telefonkolumne

Der schwarze Sportlehrer Mike Brennan, 36, wurde im Februar 2009 von einem Zivilpolizisten in der U-Bahn-Station Spittelau mit einem Drogendealer verwechselt, niedergeschlagen und verletzt. Jetzt wurde der Beamte wegen fahrlässiger Körperverletzung noch nicht rechtskräftigzu 2800 Euro Geldstrafe verurteilt.

Herr Brennan, sind Sie mit dem Urteil einverstanden?

Nein, ich halte das Urteil für nicht gerecht. Zwar freue ich mich, dass wenigstens irgendetwas geschehen ist. Aber das scheint mir doch eine ziemlich kleine Strafe für ein großes Vergehen zu sein.

Was hätten Sie sich denn erwartet?

Eine Freiheitsstrafe, zwei Jahre vielleicht. Dieser Beamte hat mich angefallen, geschlagen und verletzt. Ich wollte mit ihm reden, aber er hat nicht reagiert. In seinen Augen war nur Verachtung für mich.

Immerhin gab es jetzt eine Verurteilung durch die Justiz. Anfänglich hieß es ja vonseiten der Polizei, Sie hätten in Ihren Aussagen „ein bisschen übertrieben“.

Ich habe nicht das Gefühl, dass es dem Beamten leidtut – oder sonst jemandem. Während des Prozesses vermied er Augenkontakt. Es war schockierend für mich zu sehen, dass er nicht den Eindruck machte, als wäre er sich irgendeines Fehlers bewusst.

Haben Sie bleibende Schäden von dem Vorfall?

Ich muss zur Physiotherapie wegen meines Rückens.

Hatten Sie davor oder danach jemals Probleme mit Rassismus?

Gar nicht. Ich bin vor vier Jahren aus Florida hierhergezogen und habe die Österreicher immer als offene Gesellschaft erlebt. Ich will auch jetzt weder der ganzen Polizei noch der Gesellschaft Schuld geben. Schlimm war nur, was dieser eine Beamte getan hat. Eine angemessene Konsequenz ist in meinen Augen ausgeblieben. Jetzt kann ich nur hoffen, dass der Vorfall andere Menschen aufrüttelt.

Interview: Joseph Gepp

Erschienen im Falter 3/11

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Eingeordnet unter Behörden, Migranten

Schöne neue Stadt

Wiens Grüne waren schon immer eine Partei konkreter Projekte. Jetzt werden sie alle realisiert. Oder nicht?

Bericht: Joseph Gepp

„Das Schneckentempo ist das normale Tempo jeder Demokratie“, pflegt Deutschlands Altkanzler Helmut Schmidt zu sagen. Und: „Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen.“

Die Grünen würden diesen Worten wohl nicht uneingeschränkt beipflichten. Denn sie waren immer weniger Realpolitiker als Visionäre. Oder, weniger visionär gesagt: Anhänger konkreter Projekte. Vom 25-Schilling-Benzinliter im Jahr 1990 bis zum gemeinsamen Planungsressort für Wien, Niederösterreich und Burgenland 2002 – stets wollte die Partei mit mehr oder weniger utopischen Ideen die Welt besser machen. Die Konkretheit wurzelt in den späten 70er-Jahren, als die nachmaligen Grünen in Form einzelner Bürgerinitiativen gegen ganz bestimmte Vorhaben kämpften, etwa Zwentendorf oder Hainburg.

Überbordender Gestaltungswille muss aber nicht immer Vorteil sein für Politiker einer Demokratie. Denn für sie gilt es, Interessen sorgsam auszutarieren. Sie müssen Wünsche gegeneinander aufrechnen, damit niemand leer ausgeht. Und die kleine Differenz, die am Ende übrigbleibt, nennt man dann gesamtgesellschaftlichen Fortschritt.

Wer dagegen mit dem Anspruch auf Umwälzung antritt, scheitert oft. Das kann den großen internationalen Hoffnungsträger Barack Obama treffen. Oder Wiens kleine Grünen?

Vor mittlerweile acht Wochen wurde eine Wiener Landesregierung mit grüner Beteiligung angelobt. Parteichefin Maria Vassilakou bekleidet darin das Amt der Stadträtin für Verkehr, Stadtplanung, Klimaschutz und Energie. Ihr SPÖ-Vorgänger Rudolf Schicker musste als roter Klubchef in den Landtag.

Damit haben die Grünen in der ersten rot-grünen Koalition der Stadt eine Funktion übernommen, deren Erfolgsquote und deren grünen Gehalt man sehr leicht messen wird können. Denn etliche Ideen, die in der Vergangenheit propagiert wurden, haben die Wählererwartungen hochgeschraubt und halten nun als Wegmarken her.

Der Posten des Wiener Planungsstadtrats verfügt zwar über Einfluss und Gestaltungsmöglichkeit. Dennoch werden viele Projekte nicht einfach oder nur mit Abstrichen zu realisieren sein. Denn zum einen ist Maria Vassilakous neues Ressort zwischen den Zuständigkeiten von Bund und Bezirken zerrissen, von den Interessen Niederösterreichs tangiert, von den Vorgaben des Koalitionspartners beschränkt. Zum anderen tauchen nun, wo die Grünen Regierungsmacht innehaben, neue Einfluss- und Interessengruppen auf, die vormals außerhalb grüner Sphären lagen. Zum Beispiel Autofahrer, wie vor Weihnachten ein Vorgeschmack auf Bezirksebene zeigte: SPÖ, ÖVP und FPÖ vereinten sich gegen den grünen Bezirksvorsteher Blimlinger, der die Gardegasse am Spittelberg in eine Fußgängerzone verwandeln will.

„Bei manchen Vorhaben werden sich die Grünen gegen die Interessen von Bauwirtschaft und politischem Apparat schwertun“, sagt der kritische Stadtplaner Reinhard Seiss. „Aber ich glaube an eine andere Kultur von Kommunikationsabläufen und Entscheidungsfindungen, als sie unter Schicker der Fall war. Ich denke, dass Beschlüsse für betroffene Bürger nicht mehr so plötzlich daherkommen und intransparent wirken werden wie zuvor.“ Dazu müssten die Grünen aber auch, so ein Partei-Insider, „sichtbare Ergebnisse in der Stadt“ liefern. „Aber das wird uns die SPÖ, die die Koalition ja auch will, schon allein aus Eigennutz nicht versagen.“

Nach sechs Wochen Rot-Grün ist es zu früh für Ergebnisse. Nicht aber, um an grüne Ideen zu erinnern und zu fragen, wie es nach dem unerwarteten Regierungsantritt mit ihnen weitergeht. Sechs grüne Projekte im Wirklichkeitstest (siehe unten).

Von Gratisrad bis autofrei: was
bisher zwischen Rot und Grün geschah

:: Hundert Prozent Opposition waren die Wiener Grünen auch vor dem Regierungsantritt vor sechs Wochen nicht. Schon seit einem Jahrzehnt arbeiteten sie mit der absolut regierenden SPÖ bei rund 40 verschiede-nen Vorhaben zusammen. Treiben-de Kräfte waren damals Parteichef Christoph Chorherr auf der grünen und der damalige SPÖ-Klubchef und heutige Bildungsstadtrat Christian
Oxonitsch auf roter Seite.

Eines der Projekte, das sogar international Lob einheimste und von anderen Städten kopiert wurde, war das Citybike – wenn auch nach großen Anlaufschwierigkeiten, weil sich die erste Tranche der Räder (jene ohne Bankomat-Karte) zuweilen im Donaukanal und auf rumänischen Lastwägen wiederfand. Ebenfalls erfolgreich ist seit 1999 Wiens autofreie Siedlung in Floridsdorf. In den Wohnblocks
sind Wohnzufriedenheit wie Geburtenrate gleichermaßen hoch.
Weitere Projekte waren etwa Europas größtes Biomassekraftwerk in
Simmering und der 2005 gegründete partizipative Fernsehsender Okto.

autofrei
Autofreie Siedlung in Floridsdorf (Foto: Heribert Corn)

Erst kurz vor der Wienwahl im Oktober wurde schließlich das letzte rot- grüne Projekt vollendet: der „Wiental-Highway“ für Radfahrer am Wienfluss. Nach demselben Konzept soll auch der geplante Radweg in der Brigittenau entstehen (siehe ganz unten).

Sechs Projekte

Umland
Niederösterreich, so nah: die Bim aufs Land hinaus

express
(alle Renderings: Grüne Wien)

Wiens täglicher Verkehrsinfarkt findet am Stadtrand statt, wo die Autobelastung in zehn Jahren teils im zweistelligen Prozentbereich gestiegen ist. Grund: Öffis enden meist an der Stadtgrenze, tatsächlich aber geht der Ballungsraum Wien mit 2,4 Millionen Einwohnern weit darüber hinaus. Die Grünen fordern deshalb seit Jahren vier schnelle Straßenbahnlinien nach Mödling, Großenzersdorf, Wolkersdorf und, zuerst, Schwechat. 20 Millionen Euro würde das je Linie kosten. Betreiber wäre, wie bei der Badner Bahn, die Wien-Holding.

Bei der SPÖ sei man in Sachen Super-Bim durchaus auf Gegenliebe gestoßen, berichtet Grün-Gemeinderat Rüdiger Maresch. Entsprechend steht das Projekt unter „Entwicklungsmöglichkeiten der Lokalbahnen“ im Koalitionsvertrag. 2011 werde eine Studie die Streckenführung und Finanzierung klären, sagt Maresch. Danach liegt der Ball bei St. Pölten, das zustimmen und zuzahlen muss.

Dort, im Büro des ÖVP-Planungslandesrats Johann Heuras, weigert man sich allerdings auf Falter-Nachfrage zuerst, überhaupt an die Existenz eines derartigen Projekts zu glauben. Später heißt es: „Wir schließen nichts aus, aber von uns gibt es keinen Plan und keine Forderung in diese Richtung.“

Laut Maresch geht die Schwechat-Linie 2015 in Betrieb – „wenn sich St. Pölten nicht querlegt“.

Josefstadt
Josefstädter Straße fußläufig: eine Bezirksmitte ohne Autos

Josefstaedterstrasse-Visualisierung

Auf bunten Grafiken ist die grüne Zukunft schon angebrochen: Da heißt die Drogeriekette Bipa „Bio“, und nur ein vergessener Richtungspfeil zu einer Parkgarage kündet von der schlechten alten Zeit (siehe oben).

Dabei haben die Grünen den achten Bezirk im Herbst wegen interner Streitigkeiten an die ÖVP verloren. Deren neue Vorsteherin Veronika Mickel, 32, fürchtet um Parkplätze und kann sich für die grüne Idee einer Fußgängerzone Josefstädter Straße „höchstens an Weihnachtsfeiertagen“ begeistern.

Daher werde aus dem Projekt in dieser Legislaturperiode wohl nichts mehr, meint der grüne Bezirksparteiobmann Alexander Spritzendorfer – auf der Grafik ist er übrigens der Mann im blauen Hemd. Auch das Koalitionsabkommen erwähnt das Vorhaben nicht, dessen Realisierung jedenfalls eine eindeutige Willensbekundung des Bezirks voraussetzen würde. „Aber wir sind ja im Achten immer noch ziemlich stark“, sagt Spritzendorfer, „und bilden zusammen mit der SPÖ die Mehrheit.“

Diese will der Obmann nun nutzen, um einige Vorab-Maßnahmen zur autofreien Josefstädter Straße zu treffen. So soll etwa eine Grätzelbefragung den Willen des Volkes betreffend Fußgängerzone erheben. Dennoch: Das Projekt scheint in weite Ferne gerückt.

Neubau
Bobovilles Energiewende: Der Siebte wird sauber

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Vor der Wienwahl präsentierten die Grünen sehr konkret pro Bezirk ein Öko-Projekt. Für Neubau forderte man die flächendeckende Einführung von Elektromobilität: Stromtankstellen mit Solarpaneelen und billige E-Leihräder sollten eine Mini-Energiewende in Wiens alternativ-schickem Siebten einläuten.

Diese ist grünes Heimatland, verfügt der Bezirk doch seit 2001 mit Thomas Blimlinger über einen grünen Bezirksvorsteher. Warum wurde das Projekt dann nicht längst durchgezogen? Dazu seien eine Finanzierung durch das Rathaus und möglicherweise eine Kooperation mit privaten Firmen Voraussetzung, antwortet Blimlinger.

Immerhin findet sich die Idee, wenn auch ziemlich verwaschen, im Koalitionspapier wieder, laut dem die „generellen Potenziale der E-Mobilität für Wien“ evaluiert werden sollen – ein Weg, den schon die vorherige SPÖ-Alleinregierung beschritten hat, etwa mittels Förderungen bei E-Bike-Käufen.

Was Neubau betrifft, hat der Bezirk im vergangenen Sommer zusammen mit einer Linzer Firma ein kleines Pilotprojekt am Siebensternplatz durchgeführt. Von dieser möglichen Partnerschaft abgesehen, ist aber kaum etwas fixiert. Trotzdem will Bezirkschef Blimlinger das Projekt in fünf Jahren realisiert haben.

Innenbezirke
Aus Bus mach Bim: 13A soll 13er werden

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Journalisten nennen sie die „meistgehasste Buslinie Wiens“. Und tatsächlich ist eine Fahrt im 13A zwischen Alser Straße und Südbahnhof meist unangenehm: Er ist brechend voll und zwängt sich durch haarsträubend enge Gassen – es sei denn, diese werden gerade wieder von Autos blockiert. Die Grünen wollen den infrastrukturellen Missstand seit Jahren mit einem Rückgriff auf alte Zeiten beheben: Aus dem 13A soll wieder eine Straßenbahn 13 werden, wie das bis 1961 der Fall war.

Der rote Partner habe sich aufgeschlossen gezeigt, berichtet Koalitionsverhandler Rüdiger Maresch. Und so steht der geplante 13er fast ausdrücklich im Koalitionsabkommen: „Bei besonders überlasteten Buslinien“ würden „schienengebundene Verkehrsmittel“ geprüft – „in Abstimmung mit den Bezirken“.

Dieser Zusatz jedoch hat es in sich: Der 13A führt durch die Bezirke 4 bis 8, also durch rotes, grünes und schwarzes Land. Hier schlummern Widerstandsnester. So fürchtet Josefstadts ÖVP-Bezirksvorsteherin Mickel „Parkplatzvernichtung“ – ohne die sich Schienen schwer verlegen lassen.

Nun wollen die Grünen als ersten Schritt bei den Wiener Linien eine Studie beauftragen. Trotz aller Widerstände stufen Insider und Verkehrsexperten die Realisierungschance der Linie 13 in dieser Legislaturperiode als hoch ein.

Neubau/Mariahilf
Geteilter Raum: Mariahilfer Straße für alle

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„Shared Space“ heißt die niederländische Erfindung, die progressive Städterherzen derzeit höher schlagen lässt: Ein Straßenraum ohne Niveauunterschiede und Markierungen soll gleichwertig allen Verkehrsteilnehmern dienen. Kommunikation statt Regeln vereint Autos, Fußgänger, Radler und Öffis in Frieden – so lautet der Anspruch. Seit September gibt es in der steirischen Kleinstadt Gleinstätten den ersten Shared Space Österreichs.

Neubaus Bezirkschef Blimlinger fordert einen für Abschnitte der inneren Mariahilfer Straße. Damit will er zweierlei erreichen: dass das Einkaufserlebnis angenehmer wird und Autos nicht in Blimlingers benachbarten Siebten abgedrängt werden.

Das Koalitionsabkommen nennt das Vorhaben dezidiert, allerdings als Fußgängerzone, nicht als Shared Space. Diese Variante wird von Mariahilfs SPÖ-Vorsteherin Renate Kaufmann ebenso wie von den Geschäftsleuten der Mahü bevorzugt. „Fleckerlteppich“ nennt deren Vorsitzender Adolf Brenner einen Shared Space, der Fußgängerzone stehe er „positiv abwartend“ gegenüber. Experten sehen Potenziale für Shared Spaces eher in Kleinstädten und ohnehin ruhigen Zonen als in vollen Innenstadtstraßen.

Wie auch immer: Verändern wird sich die Mariahilfer Straße in den kommenden Jahren auf jeden Fall.

Brigittenau
Mit dem Fahrrad oder zu Fuß: eine zweite Hauptallee

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Von der „Brigittenauer Hauptallee“ existiert noch keine Grafik. Die Darstellung oben zeigt das Vorbildprojekt in New York, den High Line Park auf der Trasse einer stillgelegten Bahnlinie aus den 30er-Jahren

Die Idee, erzählt der grüne Verkehrssprecher Christoph Chorherr, sei ihm 2008 auf einer Radtour gekommen: Durch die komplette Brigittenau ziehe sich eine sieben Meter breite Schienentrasse, die bald aufgegeben werde. An ihrer statt soll ein Weg Radfahrern und Fußgängern dienen. Er beginnt beim Donaukanal und führt über das Nordwestbahnhofgelände zum Praterstern, wo der „Highway“ in die Prater-Hauptallee einmünden soll. Von einer „Tangente“ spricht Chorherr, einer „Brigittenauer Hauptallee“, die die gesamte Gegend rundherum aufwerten soll.

Was wurde aus der Idee? Immerhin steht sie ausdrücklich im Koalitionsvertrag, sofern die „budgetären Rahmenbedingungen“ stimmen. Alles Weitere aber hängt an den ÖBB. Sie müssen den noch laufenden Nordwestbahnhof erst auflassen, damit dort ein geplanter neuer Stadtteil entstehen kann – samt Radweg. Dieser Schritt wird aufgrund klammer Finanzen regelmäßig nach hinten verschoben. Derzeit ist er für 2015 bis 2017 vorgesehen.

Momentan, erklärt Chorherr, sei man demnach damit beschäftigt, Voraussetzungen zu klären.

Erschienen im Falter 1-2/2011

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Eingeordnet unter Das Rote Wien, Stadtplanung, Verkehr

STADTRAND – Invasion der Sackmenschen

Alle paar Jahre fallen die Sackmenschen in der Stadt ein. Sie wanken durch U-Bahn-Stationen, bizarr, zombiegleich, vor Kälte bibbernd. Alte Damen, türkische Jugendliche, Familienväter, alle können sie Sackmenschen sein, solang das Haar wirr in die Luft ragt, solang den Frauen die Schminke in Schlieren über das Gesicht rinnt. Und solang – und das ist ihr konstitutives Merkmal – sie monströse Plastiksäcke tragen, menschenunwürdig, mit Ketchup- oder Gatschspritzern übersät, eingerissen, sodass hinter ihnen die Fetzen im Wind flattern. Die Sackmenschen könnten einer endzeitlichen Kommune entflohen sein. Oder der Feder eines opiumberauschten Schriftstellers entstammen, der in düsteren Bildern eine gleichgeschaltete Welt entwirft. Dabei war ja nur Donauinselfest. Es hat geregnet, also verteilten Medien wie Ö3 oder Kurier zu Tausenden Regenschutzüberwürfe mit Logos. So schlägt die Stunde der Sackmenschen. So tauchen sie auf, in Armeestärke, alle paar Jahre, bevor sie – dem Himmel sei Dank – schnell wieder verschwinden. Auf ihre Heimatplaneten.

Erschienen im Falter 27/09

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