Text Joseph Gepp
Irgendwo in den Tiefen der U1, zwischen Südtiroler Platz und Keplerplatz, passiert man die Wiener Stadtgrenze.
Formell unterquert die U-Bahn ab hier Favoriten, Wiens zehnten Gemeindebezirk. Informell hat sie eine Art Nebenstadt erreicht. Denn Favoriten – mit 170.000 Einwohnern theoretisch viertgrößte Stadt Österreichs – hat einen eigenen lokalen Charakter, ein eigenes Straßenbild, eine eigene Prägung. Vom breiten Südbahnhofareal seit jeher vom Rest der Stadt abgetrennt, spielt es unter Wiens Bezirken eine Sonderrolle. Und wie sich die anfühlt, erfährt man, wenn man schließlich die U-Bahn verlässt. Am Reumannplatz, der U1-Endstation und dem Hauptplatz von Favoriten.
Menschenmassen schieben sich an diesem Knotenpunkt hin und her, von U-Bahn zu Buslinie zu Straßenbahn. Die Architektur ist schlicht und funktional, die Geschäfte migrantischer als im Rest der Stadt. Die Gestaltung ist eher 70er-Jahre-sozialistisch denn altwienerisch-gründerzeitlich. Kugellaternen werfen mattes Licht; unter efeuumrankten Zierbögen aus Beton vertreiben sich Jugendliche die Zeit.
Bevölkerungsumfragen und Kundenfrequenzmessungen zeigen, dass Favoritner ihren Bezirk vergleichsweise selten verlassen. Warum auch? Wie es sich für eine Nebenstadt gehört, findet sich alles Notwendige hier. Die Favoritenstraße, die gleich an den Reumannplatz anschließt, bildet samt Viktor-Adler-Markt eines der größten Einkaufsareale der Stadt. Zwischendrin liegen ausgedehnte Wohnviertel mit Schulen und Freizeiteinrichtungen.
Am Reumannplatz selbst stammt das prunkvollste Gebäude – wie passend! – nicht aus der Donaumonarchie, sondern dem Roten Wien: das turmbekrönte Amalienbad von 1926, das vielleicht schönste Hallenbad Europas. Gleich gegenüber liegt ein Wiener Unikat aus den 50ern: der – in Einrichtungsstil wie Speisekarte – einzigartige Eissalon Tichy, der auch viele Rest-Wiener nach Favoriten lockt (Sonst kommen sie gemeinhin ebensowenig hierher wie die Favoritner nach Rest-Wien).
In diesem Sinn: Auf zum Reumannplatz! Man fährt ja nicht alle Tage in eine andere Stadt.
EIS ESSEN
Tichy
1952 von Kurt Tichy eröffnet und heute wohl der beste Eissalon der Stadt. Allein die arbeiterkammerbarocke Innengestaltung lohnt schon den Besuch. Legendäre Spezialität: Eismarillenknödel.
Reumannplatz 13, 1100
01 604 44 46
TÜRKISCH ESSEN
Kümmeltürk
Unweit des Reumannplatzes liegt eins der besten türkischen Restaurants Wiens – neben klassischen Gerichten gibt es eine große Auswahl türkischer Pizzen.
Rotenhofgasse 11, 1100
01 60 22 038
KAFFEE TRINKEN
Viktor-Adler-Markt
Jeden ersten Samstag im Monat gibt’s von 6 bis 17 Uhr einen Bauernmarkt mit rund 60 Ständen. Oder man besucht dem Viktor-Adler-Markt einfach so, trinkt türkischen Kaffee mit Lokum und genießt die Favoritner Parallelatmosphäre. Empfohlen, solange man draußen sitzen kann.
Viktor-Adler-Platz, 1100
Mo–Fr 6–19.30 Uhr (Gastronomie 6–22 Uhr)
ALTES KAUFEN
RES ANTIQUA
Favoriten meets Harry Potter: Ein idyllisch-vollgestopftes Antiquitätengeschäft in einem idyllisch-versteckten Innenhof. Ein Geheimtipp, wie er sich auch sonstwo in Wien nicht leicht findet.
Erlachgasse 85, 1100
Mo–Fr 10–18 Uhr
T-SHIRTS TRAGEN
REUMANNPLATZ
Der Designer Thomas Kreuz gestaltet T-Shirts mit der Aufschrift „Reumannplatz“ – neben dem Riesenrad! Für Mann, Frau und Kind, mehrere Größen und Farben, zu bestellen im Internet.
Westbahnstraße 7, 1070
reumannplatz.com
BAUSTELLE SCHAUEN
BAHNORAMA
Favoritens jüngste Sehenswürdigkeit: Von Europas höchstem Holzturm lässt sich seit kurzem die gewaltige Baustelle Wien-Hauptbahnhof überblicken. Inklusive Ausstellung und Kaffeehaus.
Favoritenstraße 51, 1100
Erschienen im Best Of Vienna 2/2010