Kletterrouten rund um Wien tragen rechtsextreme Bezeichnungen
Bericht: Joseph Gepp
Jedes warme Wochenende packen tausende junge Wiener ihre Siebensachen und fahren ins Umland klettern. Die Hohe Wand, das Rax-Schneeberg-Gebiet und manche Stellen im Wienerwald sind die Hot Spots in Tagesausflugsnähe zur Stadt. Die Kletterer reiben die Hände mit Kreide ein und ziehen sich Hänge hinauf. Dicke Kletterführer verzeichnen die Routen samt all ihren Tücken. In der Szene ist es Usus, dass eine Route vom jeweiligen Erstbesteiger kartografiert, mit Haken und Ösen ausgestattet und einem Namen versehen wird.
Die Frage ist nur: Wie lauten diese Namen?
Mitte August sorgte in Schweden ein Fall für Aufregung: Nahe Stockholm trugen Routen Nazi-Bezeichnungen wie „Zyklon B“, „Kristallnacht“ oder „Kleiner Hitler“. Der Herausgeber jenes Kletterführers, in dem diese Namen verzeichnet waren, sprach laut APA von „internen Scherzen“ der Kletterszene. Er selbst war der Namensgeber einiger der Routen.
Nun gibt es einen ähnlichen Fall in Österreich.
Die Routen um Wien sind nicht ganz so direkt benannt wie jene um Stockholm. Sie heißen etwa „Kristalltag“, „Swastikaar“, „Besatzerfraß“, „Heimaterde“, „Totenburg“, „Ewiges Reich“, „Riefenstahl“, „Antreten zum Verrecken“, „Nordreich“ oder „Heil der Eiche“. Manche dieser Ausdrücke versteht man nur im Kontext einer pseudonordischen Mythologie oder der Codes der Rechtsrock-Szene.
„Ich mach heute den Kristalltag“: Kletter-Hot-Spot Höllental zwischen Rax und Schneeberg (Wikipedia)
So ist etwa „Totenburg“ eine Band aus Thüringen. Der dortige Verfassungsschutz rechnet sie der „NSBM-Musik“ („National Socialist Black Metal“) zu; der Leadsänger nennt sich Jens „Asemit“ Fröhlich. Ähnlich gelagert der Ausdruck „Besatzerfraß“: Dabei handelt es sich um einen Songtitel von „Gigi und die braunen Stadtmusikanten“; der Liedtext kritisiert Fast Food mittels ständiger Wiederholung der Wortkreationen „McScheiße“ und „McZion“. „Nordreich“ ist wiederum ein Onlinespiel, bei dem unter dem Banner eines reichsadlerähnlichen Geschöpfes ein europäisches Imperium aufgebaut werden soll. Ähnliche Kontexte finden sich auch bei den anderen Routennamen.
Diese tauchen in offiziellen Führern auf, die meist von Kletterfans in Kleinverlagen publiziert werden und etwa in Bergsteigerläden oder Reisebuchhandlungen wie Freytag & Berndt am Kohlmarkt erhältlich sind. Die Namen finden sich auch in Internetforen, wo Kletterer – total apolitisch – über die Vorzüge heimischer Routen sprechen. „Wenn die Route neu ist, kennt noch niemand ihren Namen“, beschreibt ein Insider der Wiener Kletterszene die Problematik. „Aber nach und nach tröpfeln sie ins Bewusstsein der Kletterer. Sie tauschen Erfahrungen aus. Und irgendwann ist der Name der Route ebenso gebräuchlich wie irgendein Orts- oder Straßenname. Dann sagen die Kletterer halt: ‚Ich mach heute den Kristalltag.‘“ Neben Route und Routennamen verzeichnen die Kletterführer auch den Erstbesteiger – also Namensgeber. Im Fall der einschlägigen Routen handelt es sich dabei um den Niederösterreicher Thomas Behm, einen alten Hasen der Szene. Behm gilt als Pionier des ostösterreichischen Klettersports und ist Autor einiger Kletterführer. Kenner loben die liebevolle Machart der Bücher und wundern sich gleichzeitig über die Routennamen.
Knapp vor Redaktionsschluss ließ Behm dem Falter eine schriftliche Stellungnahme zukommen: „Die Namensgebung weist verschiedene Einflüsse auf“, heißt es darin, „nicht zuletzt Namen von Musikgruppen und Liedtiteln.“ Weiters: „Beschäftigung mit Mythologie, Heidentum, Heimatliebe (…) sowie Musik haben für mich jedenfalls nichts mit Nationalsozialismus zu tun – ich lehne diese Ideologie ab“, schreibt Behm. „Andere Interpretationen meiner Routennamen sind natürlich zulässig, aber nicht in meinem Sinne.“
Erschienen im Falter 30/2010