Das verflixte neunte Jahr

Die Ruine der Sofiensäle verfällt zusehends. Jetzt melden sich engagierte Bürger mit Vorschlägen zu Wort

Bericht: Joseph Gepp

Der Lokalaugenschein anlässlich des neunten Jahrestags des Brands der Sofiensäle zeigt, dass sich gegenüber dem achten Jahrestag kaum etwas verändert hat. Nach wie vor bröckeln Ziegelornamente, hängen Zuleitungen schlaff aus Maueröffnungen. Nur das Gestrüpp auf den Mauerkronen scheint etwas weniger geworden. Eine Lücke klafft im Bauzaun, drinnen jedoch werkeln nicht etwa Bauarbeiter. Stattdessen sitzt ein Liebespaar am Boden und raucht selbstgedrehte Zigaretten mit Blick auf die gründerzeitlichen Logen.

Einst war dieser Ort in der Landstraßer Marxergasse ein bau- und musikhistorisches Juwel – heute wundern sich die Touristen, wenn sie auf ihrem Weg zum Hundertwasserhaus auf die Reste der Sofiensäle stoßen. Vor einem Jahrhundert geigte hier Johann Strauß auf; vor einem halben spielten die Wiener Philharmoniker wegen der hervorragenden Akustik hier ihre Schallplatten ein; zuletzt gab es noch Club-Veranstaltungen, und die Wiener Festwochen nutzten den Ort als Spielstätte. Am 16. August 2001 fielen die Säle nach Flämmarbeiten einem mysteriösen Feuer zum Opfer. Und harren seitdem, mittlerweile in den Besitz des rathausnahen Bauträgers Arwag gelangt, ihrem Wiederaufbau.

Die Revitalisierung terminisierte SPÖ-Planungsstadtrat Rudolf Schicker einst auf Anfang 2006. Ein Werbeheft der städtischen Betriebe datierte ihn etwas später auf 2007, Fertigstellung Mitte 2010. Im Falter-Interview vor genau einem Jahr sagte der mittlerweile verstorbene Arwag-Chef Franz Hauberl: „baldigst“ (Ausgabe 33/09). Und in einem Gespräch mit Österreich versprach kürzlich Hauberls Nachfolger, der derzeit urlaubsbedingt nicht zu erreichen ist: „noch heuer“.

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Die Sofiensäle von außen und innen
(Fotos: Heribert Corn)

„Wir glauben inzwischen an eine Verzögerungstaktik“, meint Viktor Zdrachal von der Bürgerinitiative „Rettet die Sofiensäle“. Und weiter: „Wenn das Mauerwerk endgültig zerbröselt ist, wird man die Säle für unrettbar erklären und zugunsten eines Wohnblocks abreißen.“

Zdrachal organisierte schon 2006 den Widerstand, nachdem der Vorbesitzer, Bauunternehmer Julius Eberhardt, mit der Schleifung des Großen Saals von 1845 gedroht hatte. In der Folge kaufte die gemeindenahe Arwag die Säle und versprach den Wiederaufbau. „Wir dachten damals, wir haben unser Ziel erreicht“, sagt Zdrachal, „aber es ist nichts und nichts passiert.“

Jetzt präsentiert seine Bürgerinitiative gemeinsam mit dem in Wien lebenden Hamburger Kulturmanager Frank Stahmer eine Idee zur Rettung und Neunutzung der Säle. Der Kernsatz des „Rettungskonzepts Sofiensäle“ lautet: sukzessive erneuern.

„Man könnte“, sagt Stahmer, „mit Baustellenpartys beginnen und auf diese Art Öffentlichkeit schaffen. Die Kosten für bauliche Grundstandards und Sicherheitsmaßnahmen, um die Ruine zumindest wieder als Gebäude nutzen zu können, betragen etwa sieben Millionen Euro. Alles weitere ließe sich nach und nach ausbauen.“

Stahmer und Zdrachal schwebt ein multikulturelles Veranstaltungszentrum mit musikalischem Schwerpunkt vor. „Es gibt ohnehin einen Mangel an mittelgroßen Bühnen in Wien“, so Zdrachal. „Zudem muss man die ausgezeichnete Lage und Frequenz des Ortes bedenken – vor allem, wenn ab 2012 Wien-Mitte fertig ist. Außerdem waren die Säle immer ein kultureller Ort. Es wäre eine vergebene Chance, jetzt ein Hotel oder Wohnhaus draus zu machen, wie die Arwag das plant.“

Als Vorbilder des Bürgerkonzepts dienen selbstverwaltete Kulturprojekte in Deutschland. Etwa das Hamburger Gängeviertel: ein dichtverbautes Gründerzeitgrätzel, das seit einem verhinderten Abriss 2009 immer mehr zum Künstlerquartier wird. Oder das Berliner Radialsystem V, ein Kulturzentrum in einem alten Pumpwerk an der Spree. Das finanziert sich durch die Vermietung der Räumlichkeiten an Kulturschaffende mittlerweile selbst und hat sich als Veranstaltungsort über Berlin hinaus einen Namen gemacht.

Nun will die Bürgerinitiative Stadtpolitiker, Behörden, Architekten und Sponsoren für das Projekt Sofiensäle begeistern. „Sicher, wir werden bescheiden beginnen müssen. Es ist ein Plan der kleinen Schritte“, sagt Viktor Zdrachal. „Aber überlegen Sie doch kurz einmal, was jetzt dort ist.“

Erschienen im Falter 32/10

Vor einem Jahr: Rettet die Säle!

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Eingeordnet unter Das Rote Wien, Stadtplanung

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