Hochzeit, Firmung, Erstkommunion: Wer geht heutzutage eigentlich noch in ein klassisches Wiener Fotostudio?

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Michael Weinwurm, 47, führt seit 20 Jahren ein Fotostudio in der Neubaugasse. Im Falter spricht er über seinen Beruf im Wandel der Zeit.

Falter: Herr Weinwurm, heutzutage kann jeder, der über einen mittelguten Computer verfügt, mit wenig Aufwand ein schönes Porträt von sich basteln. Wer braucht in diesen Zeiten eigentlich noch klassische Fotostudios?

Michael Weinwurm: Ein Foto lebt ja nicht nur von der Ablichtung, sondern auch von der Aussage. Bei Werbung und PR zum Beispiel ist jede Nuance wichtig, von Körpersprache über Haltung bis Lichtführung. Da geht es um viel mehr, als bloß ein einigermaßen schönes Bild zu basteln.

Ist in Ihrer Arbeit der Anteil privater Porträts im Vergleich zu anderen Geschäftszweigen zurückgegangen?

Weinwurm: Ja, der klassische Privatanwendungsbereich ist sicher weniger geworden. Es gibt zum Beispiel – gerade in Wien – viel weniger kirchliche Trauungen als früher. Die waren immer ein Hauptgeschäft.

Also Hochzeit, Erstkommunion, Firmung, Geburt …

Weinwurm: … spielen nicht mehr so eine große Rolle. Außerdem hat man vor 20 Jahren viel öfter im Studio arrangiert. Heute greift man natürlich auch noch ein. Aber eine volle Stunde Herumstehen, die Hand feierlich auf ein Buch gelegt – das gibt es heute nicht mehr.

Stellen sich Leute überhaupt noch gerahmte Fotos ins Wohnzimmer, wenn sie schon 10.000 auf der Festplatte liegen haben?

Weinwurm: Absolut. Das Für-sich-selbst-ein-Denkmal-Setzen gibt es genauso wie früher. Damen- und Herrenserien sind heute unser Schwerpunktgeschäft, manchmal nur der Selbstdarstellung halber, manchmal mit erotischer Note.

Würden Sie sagen, dass Ihre klassischen Fotos unverfälschter sind als Amateurfotos, die möglicherweise mit Photoshop nachbearbeitet sind? Legen Ihre Kunden auf solche Unverfälschtheit wert? Oder wollen sie nur schön und proper dargestellt sein?

Weinwurm: Ich glaube, Bildkorrekturen gibt es schon seit den Pharaonen. Das Studio Simonis war ja seinerzeit auch ein Meister der Negativretusche. Diese Retusche ist heute einfacher geworden – der Wunsch nach Selbstdarstellung ist aber immer derselbe. Die Umsetzung dieses Wunsches ist unser Job. Wobei der Fotograf meist mehr spüren und wissen muss, als sein Kunde sagt, weil dieser sich mancher Dinge selbst nicht ganz bewusst ist. Das ist dann mehr Psychologie als Fototechnik.

Simonis hat 2005 zugesperrt. Hat sich die Zahl an Fotostudios in Wien stark reduziert?

Weinwurm: Der Markt hat sich verändert. Es gibt wahrscheinlich nicht weniger Fotografen als früher, aber wesentlich weniger mit offenem Gassengeschäft. In einem Atelier in einer Wohnung kann ich mir Termine machen, andernfalls muss ich zu den Öffnungszeiten hier sein. Heute gibt es nicht einmal mehr in jedem Bezirk ein Studio.

Erschienen im Falter 24/2010

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Ein Kommentar

Eingeordnet unter Arbeitswelten, Konsum, Stadtleben, Wien

Eine Antwort zu “Hochzeit, Firmung, Erstkommunion: Wer geht heutzutage eigentlich noch in ein klassisches Wiener Fotostudio?

  1. fotografen werden immer in anspruch genommen werden, es verschieben sich nur die arbeitsbereiche

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