Ja, uns ist vollkommen bewusst, dass sie eine Landplage sind, eine pestilenzialische Rotte, ein stinkender Haufen Luftratten. Aber als sie kürzlich am Dachgesims gegenüber unserem Fenster ihr kleines Taubistan konstituierten und von da an tagtäglich ein Stückchen fetter und vielköpfiger wurden, waren wir doch erfreut. Denn sie kündeten vom Frühlingserwachen, von urbaner Fauna, flatterndem Leben. Allein der Hausbesitzer schien diese Botschaft nicht zu verstehen: Tags darauf stand plötzlich ein Plastikrabe mitten im verwaisten Taubistan. Regungslos, stoisch, mutterseelenallein – für ungefähr 48 Stunden. Danach hatte das Volk Taubistans die Harmlosigkeit ihres Trojanischen Vogels erkannt. Also schmückt der gefallene Rabe nun als eine Art Siegesstatue ihr Dorf. Er dient als Einstiegsluke ins Dachgeschoss, wird provokant umflattert und fallweise sogar zu begatten versucht, was jeweils oft auf grotesk schnelle Weise scheitert. Oft wackelt er dann bedenklich und es scheint, als würde er gleich abbrechen und auf die Straße stürzen. Lang lebe Taubistan!
Erschienen im Falter 14/2010