:: Im Jahr 1932 schrieb die Wiener Zeitschrift Kuckuck: „Paris hat die Rue de la Paix, London die Regent-Street, Neuyork hat den Broadway, Rudolfsheim hat – die Reindorfgasse.“
Es gibt einen Aspekt in der Geschichte des 15. Wiener Gemeindebezirks, der wohl schon völlig in Vergessenheit geraten wäre, würde eine kleine Bürogemeinschaft in der Herklotzgasse 21 nicht konsequent an seiner Erinnerung arbeiten: das jüdische Leben im Viertel. „Bis heute“, erzählt Michael Kofler, 43, Regionalentwickler und Grätzlhistoriker, „treffen sich in Tel Aviv regelmäßig ein paar alte Damen zum Kaffee, die gemeinsam den jüdischen Kindergarten in der Herklotzgasse besucht haben.“
Zwischen Äußerer Mariahilferstraße und Sechshauser Straße liegt ein Viertel mit fast vergessener Geschichte
Vor fünf Jahren zog Kofler mit der Ökonomin Judith Pühringer, 34, in ein lichtdurchflutetes und preisgünstiges Gründerzeitbüro in der Herklotzgasse 21 unweit des Gürtels. Kurz danach bekam Pühringer zufällig die Kindheitserinnerungen einer alten Rudolfsheimerin über das „Zentrum jüdischen Lebens“ in die Hände. Kofler und Pühringer wurden neugierig. Und der Ort Herklotzgasse 21 zunehmend zum Programm.
Vor dem Ersten Weltkrieg war in der Gegend um Herklotz- und Reindorfgasse ein vitales jüdisches Viertel entstanden. Dem Broadway glich es zwar nicht unbedingt. Aber mit Kaffeehäusern, Schulen, Sportvereinen und zwei großen Synagogen brachte es sicher einiges Treiben in den Bezirk. Und im Unterschied zur großbürgerlichen Innenstadt und zur orthodoxen Leopoldstadt hatten sich hier vorwiegend Kleinbürger angesiedelt.
1938 – hauptsächlich in der verhängnisvollen Nacht vom 9. auf den 10. November – wurde das Gefüge zerstört. Die Überlebenden verstreuten sich in alle Welt – bis Michael Kofler und Judith Pühringer sie zum Erinnerungstreffen nach Wien einluden.
Zeitzeugengespräche, Grätzlführungen für Schulklassen, eine Privatausstellung mit alten Fotos und Erinnerungsstücken – seit nunmehr vier Jahren wollen die Grätzelhistoriker „die Geschichte nachhaltig erlebbar machen“, wie Kofler sagt. Bewusstsein soll geschaffen werden, was im 15. einmal war. Die neueste Maßnahme dazu ist eine Art Audioguideführung per eigenem Handy: Wählt man nun an einem von zehn Punkten im Bezirk eine Festnetznummer zum Ortstarif, klärt eine Bandstimme über die jüdische Geschichte des jeweiligen Ortes auf – auf Deutsch, Englisch, Serbokroatisch, Türkisch oder Hebräisch.
Als nächster Schritt, erklärt Kofler, wolle man sich für die Errichtung eines Denkmals unweit der Herklotzgasse einsetzten. Dort, wo sich heute eine triste Verkehrsinsel befindet, stand bis 1938 der alte Turnertempel.
JOSEPH GEPP
15., Herklotzgasse 21 (U6 Gumpendorfer Straße)
Besichtigung und Führungen nach Vereinbarung,
www.herklotzgasse21.at
Hautpgeschichte dazu: Gerendert aus der Asche
Mehr dazu: Stadt mit Juden
Erschienen im Falter 17/2010