Gestern noch waren wir so unschuldig, gutgläubig, naiv. Wir dachten: Im Jahr 2010 n. Chr., in unserem wohlorganisierten Städtchen, in einer Gesellschaft unseres stolzen Zivilisationsgrads, sollte eine 15-Kilometer-Zugfahrt mit den ÖBB in einen Wiener Vorort kein Problem sein. Bis gestern. Dann stand „Ausfall“ auf der Bahnhofsanzeigetafel. Der dazu befragte Infoangestellte nannte nur exakt die Abfahrtszeit, die auch auf der Tafel vermerkt war. Wir fragten unbefriedigt weiter, schließlich war da ja der „Ausfall“. Aber der Mann sagte nur, bitte weitere Angaben der Tafel zu entnehmen. Wir fuhren also zum nächsten Bahnhof in unserer Richtung. Motto: Terrain gewinnen. Dort trafen wir überpünktlich ein, ganz im Gegensatz zum Anschlusszug. Danach wollte uns die dortige Infofrau davon überzeugen, wir hätten besagten Zug bereits versäumt. Den mehrmaligen Einwand, das sei unmöglich, überging sie galant. Wir stellten uns also schließlich resigniert auf den Bahnsteig. Um später über Lautsprecher die leise Stimme zu vernehmen: „Die Zugfahrt findet nicht statt.“
Erschienen im Falter 11/2010