Wenn ein arabischer Überwachungsstaat gegen den israelischen Geheimdienst ermittelt, kommt dabei eine österreichische Handynummer heraus. Warum?
Bericht: Martin Gantner, Joseph Gepp
Wäre das Leben nur so einfach wie im Agententhriller: Da findet anfänglich ein Mord statt. Dann folgt eine Phase der Verwirrung – die Handlung wird verwickelt, die Indizien sind widersprüchlich, die Interessen undurchschaubar. Und am Ende bringt ein Held die Wahrheit ans Licht.
Im echten Leben jedoch bleibt der Krimi oft in der Verwirrungsphase stecken. So wie dieser Tage, nach der rätselhaften Ermordung eines hohen Hamas-Funktionärs in Dubai. Und das kam so.
Dienstag, 19. Jänner, im Al-Bustan-Rostana-Hotel im Dubaier Glas-und-Stahl-Viertel Al Garhoud neben dem Flughafen: Mahmud Al Mabhuh, 49, Waffenschmuggler für die radikalislamische Hamas, betritt um 20.24 Uhr die Lobby, bucht Zimmer 230. Überwachungskameras zeigen ein Personengrüppchen hinter ihm, sie nehmen Zimmer 237 und folgen dem Funktionär unauffällig. Als er in den Lift steigt, stellen sich wie zufällig zwei Männer in Tenniskleidung zu ihm. Stunden später liegt Al Mabhuh ermordet in seinem Bett. Tennisspieler samt Kompagnons haben Dubai sofort in Richtung mehrerer Städte in Europa und Asien verlassen.
Es sollte nach Herzinfarkt aussehen, und vorerst schien es auch so. Aber vergangene Woche, einen Monat nach der Tat, präsentierte Dubais Polizei stolz das Ergebnis ihrer Recherchen: Al Mabhuh sei „mit 99-prozentiger Sicherheit“ vom israelischen Geheimdienst Mossad ermordet worden, erklärte Polizeichef Dahi Tamim. Die elf verantwortlichen Agenten seien mit britischen, irischen, französischen und deutschen Pässen gereist und hätten sich dazu Identitäten unbeteiligter Israelis mit anderen Staatsbürgerschaften bedient. Der Mord, so der Polizeichef, sei von Österreich aus orchestriert worden; die Täter hätten mit heimischen Wertkartenhandys kommuniziert.
Der Fall löste weltweit Aufregung aus: Frankreich, Deutschland, Irland und Großbritannien fordern vehement Aufklärung des Passmissbrauchs. Und in Österreich fühlt man sich in die 50er-Jahre zurückversetzt, als Amerikaner und Sowjets auf neutralem Boden einander rege ausspähten. Was hat es mit jenen ominösen T-Mobile-Nummern auf sich, die laut Dubaier Polizei auf eine Wiener Mossad-Zentrale hindeuten? Bekamen die Verdächtigen von Wien aus ihre Instruktionen?
Fest steht derzeit nur, dass insgesamt sieben T-Mobile-Wertkartennummern verwendet wurden, von denen das Nachrichtenmagazin profil zwei veröffentlichte. Alles andere ist unklar; denkbar sind mehrere Varianten.
So führt ein Mitarbeiter des Grazer Austrian Center für Intelligence, Propaganda and Security-Studies (ACIPPS) in einem Bericht aus, dass die Handys auf „Rufumleitung“ geschaltet gewesen sein könnten – Telefonate also über Österreich in ein anderes Land weitergeleitet wurden. Möglich ist aber auch, dass die Wertkarten zwar in Österreich gekauft, aber ausschließlich im Ausland verwendet wurden. Österreichische Ermittler sind nun gefordert: Waren die Rufnummern in Österreich eingebucht? Wenn ja, bevor oder nachdem Al Mabhuh sein Hotelzimmer zum letzten Mal betrat? In welchen Funkzellen befanden sich die Anrufer? Wann und wo wurden in Österreich die Wertkarten gekauft? Gibt es – wie im Fall des Saliera-Diebstahls 2003 – Videos, die Täter identifizieren könnten? Dass sich die Wiener Staatsanwaltschaft nun in den Fall eingeschaltet hat, bedeutet, dass Beamte bereits bei T-Mobile Rufdaten erheben.
Schon einmal tauchten österreichische Handynummern im Terrorzusammenhang auf: Jene Fundamentalisten, die Ende 2008 im indischen Mumbai mehr als 160 Menschen töteten, kommunizierten über heimische Nummern. Damit wahrten sie ihre Anonymität. Denn Österreich ist eines von wenigen Ländern, wo Wertkarten noch ohne Handyvertrag und Lichtbildausweis gekauft werden können – entsprechend schwierig ist die Ermittlungsarbeit. Nun wird eine Gesetzesänderung überlegt.
„Aus diesem Grund wäre eine Kommandozentrale in Österreich durchaus sinnvoll“, sagt Victor Ostrovsky. Er weiß, wovon er redet: Der ehemalige Mossad-Agent lebt in den USA, seit er 1990 in einem Weltbestseller die Methoden des Geheimdienstes beschrieb und dadurch in Israel zur Persona non grata wurde. Für den umstrittenen Autor besteht kein Zweifel: Der Anschlag in Dubai trägt die Handschrift des Mossad. Auch die Tatsache, dass die Täter Identitäten von Unbeteiligten „liehen“, wäre nicht neu: 1997 hatten zwei Mossad-Agenten in der jordanischen Hauptstadt Amman versucht, den Hamas-Funktionär Chaled Meschaal zu töten. Der Coup scheiterte, gefasst wurden jedoch zwei „Kanadier“. Israel entschuldigte sich später für den Identitätsklau. „Die Sache in Dubai war meiner Meinung nach eine mid-eighties operation“, sagt Ostrovsky, „allerdings ausgeführt im Jahr 2010.“
Einer der wichtigsten israelischen Journalisten, Haaretz-Kommentator Yossi Melman, glaubt, dass es für Geheimdienste angesichts der fortschreitenden Technologisierung und flächendeckender Kameraaufzeichnungen immer schwieriger wird, verdeckt zu operieren. „Gut möglich, dass die Welt Zeuge einer Operation wurde, die die letzte ihrer Art war“, sagt Melman. „Du kannst dir eine falsche Identität zulegen. Deine biometrischen Daten kannst du aber schwer verändern.“ Die Zeit arbeite gegen die Geheimdienste, sagt Melman. Obgleich Haaretz nicht offen von einer Geheimdienstbeteiligung spricht, fordert sie den Rücktritt von Mossad-Chef Meir Dagan.
Bei all dieser Kritik darf man sich den Dienst jedoch nicht als aufgeblähten Apparat à la KGB oder Stasi vorstellen. „Seine Struktur ist extrem schlank“, sagt der deutsche Ex-Bundesnachrichtendienst-Agent und Nachrichtenhändler Wilhelm Dietl, der sich in einem neuen Buch mit Geheimdiensten beschäftigt. Nur 30 bis 50 „Katsas“, operative Offiziere, arbeiten bei Außeneinsätzen. Unterstützt werden sie von Mitarbeitern am Schreibtisch, die laut Dietl circa 90 Prozent des Apparats ausmachen. Im Auslandseinsatz, sagt Dietl, greifen die Katsas meist auf „Sayanim“, Mitarbeiter vor Ort, zurück – freischaffende Geheimdienstler.
Das verschafft dem Mossad Vorteile gegenüber den behäbigeren arabischen Geheimdiensten, sagt der Buchautor und Experte Martin Haidinger, etwa betreffend Sprachkenntnis und Kulturverständnis. Das europäische Hauptquartier des Mossad befindet sich seit den 70er-Jahren in Paris – in Wien, so schätzen Experten gegenüber dem Falter, hält sich ein Katsa permanent auf.
Ob er jene ominöse Kommandostelle bildete, von der die Dubaier Polizei spricht, wird so schnell nicht zu klären sein. Es liegt nun an den Ermittlern des österreichischen Innenministeriums, wie lange die Phase der Verwirrung noch anhält.
Erschienen im Falter 8/2010