Wien fragt, wir antworten: die City-Maut

„Soll in Wien eine Citymaut eingeführt werden?“ Kaum etwas eignet sich schlechter für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema Stadtmaut als diese oberflächliche (Volks-)Frage.

Denn es gäbe Varianten der Maut, die sich so negativ auf die Stadt auswirken würden, dass man sie erst gar nicht einführen sollte. Und andere, die verkehrspolitisch einen großen Wurf für Wien bedeuten könnten.

Da wäre einerseits die Frage nach einer sozialen und ökologischen Staffelung: Soll der Reiche mehr zahlen als der Arme, der Pendler mehr als der Anrainer, der Jeep mehr als das Elektroauto? Andererseits der Aspekt der Grenzziehung: Soll die Citymaut nur die Innenstadt betreffen, wie die Wiener SPÖ sich das vorstellt? Oder bis zum Gürtel reichen (VCÖ)? Oder gar bis an die Stadtgrenze (Grüne)?

All diese Fragen sollten eigentlich vor der Befragung geklärt werden. In Stockholm etwa, wo man das Thema ernsthafter anging als hier, lief 2006 sechs Monate ein Pilotprojekt. Danach stimmten 51 Prozent für eine Beibehaltung der Maut.

In Wien hingegen lässt das Rathaus alle Details offen. Nur die (grüne) Gesamtmaut schließt SPÖ-Planungsstadtrat Rudolf Schicker definitiv aus. Die mangelnde Vorbereitung führt dazu, dass man nicht weiß, worüber genau man abstimmt: Ein Verzicht auf die Staffelung etwa würde die Falschen zur Kassa bitten. Die Innenstadt als alleinige Mautzone wiederum würde ein Grätzel beruhigen, das dank Fußgängerzonen (in den 70ern ebenso umstritten) ohnehin ruhig ist und um das der Stadtverkehr wie ein Taifun um sein Auge kreist.

Für gesicherte Fakten zur Stadtmaut muss man Wien verlassen und sich Untersuchungen europäischer Mautstädte – London, Stockholm, Trondheim, Oslo und Bergen – zuwenden. Hier zeigt sich etwa: Die Akzeptanz der Maßnahme nahm überall stark zu. Laut Umfragen befürworteten sie vor ihrer Einführung nur rund zehn Prozent der Bürger; zwei Jahre später waren es die Hälfte oder mehr. Weiters zeigt sich: Der Grund für die hohe Akzeptanz ist der geringere Autoverkehr. In London ging er um 22 Prozent zurück, in Stockholm um 16.

Diese Zahlen widerlegen – um nach Wien zurückzukehren – das Rathausargument, wonach mit dem Parkpickerl ohnehin eine Art „Standmaut“ eingeführt sei: Zwar ist der Autoverkehr – auch dank Öffi-Ausbau und hoher Ölpreise – rückläufig. Aber die Zahl bewegt sich unterhalb von fünf Prozent; die Parkraumbewirtschaftung hat laut VCÖ nur 1,5 Prozent dazu beigetragen. Die Hälfte der Pendler etwa parkt am kostenlosen Firmenparkplatz. Fazit: Das Pickerl funktioniert höchstens zusätzlich. Andere Mautstädte nutzen es auch – allerdings weniger zur großen Verkehrseindämmung als zur innerstädtischen Feinjustierung.

Insgesamt fußt die Citymaut auf der Theorie, dass Stadtraum zum knappen Gut geworden ist. Daher sollen jene für seine Benützung zahlen, die seinen Großteil in Beschlag nehmen: die Autofahrer.

In Wien jedoch wird mit dem Verweis auf dieses knappe Gut seit Jahren jede große verkehrspolitische Neuerung – vom Prestigeprojekt U-Bahn abgesehen – abgeschmettert. Soll die Ringstraße, einer der prunkvollsten Boulevards Europas, zur Fußgängerzone werden? Undenkbar, dann würde die Zweierlinie im Verkehr ersticken. Oder die Mariahilfer Straße, auf der sich die Einkaufenden auf breiten Gehsteigen drängen? Unvorstellbar, dann würden die Parallelstraßen von Autos überrollt.

Will Wien also radfahrer- und fußgängerfreundlicher werden, braucht es eine Reduktion des Autoverkehrs. Ein großer Schritt dorthin wäre die Citymaut; kleine und langwierige sind die Parkraumbewirtschaftung.

Zwar bestünde – um das Gegenargument des Verkehrsexperten Hermann Knoflacher aufzugreifen – durchaus die Gefahr, dass Kaufkraft an die mautfreie Peripherie, etwa die SCS, abfließt. Aber was hier verlorenginge, ließe sich durch die Attraktivierung des Zentrums abfangen; nun gäbe es ja Platz für Radwege und Schanigärten. Davon abgesehen: Nur acht Prozent der Kunden erreichen etwa die Mariahilfer Straße mit dem Auto.

Das Fazit: Die Citymaut ist prinzipiell zu befürworten. Allein schon deshalb, um nicht jede verkehrspolitische Vision und Diskussion des kommenden Jahrzehnts abzuwürgen. Allerdings muss sie gestaffelt sein. Und sie darf nicht nur das Auge des Taifuns umfassen.

Empfehlung: JA

Joseph Gepp

Weitere Falter-Empfehlungen und Hintergrundinformationen gibts hier


24-Stunden-Bahn am Wochenende:
Ja
Hausbesorger neu: Ja
Ganztagsschule: Ja
Kampfhundeführerschein: Nein

Erschienen im Falter 4/10

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Eingeordnet unter Das Rote Wien, Verkehr

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