Aus Angst um Wähler macht die SPÖ-Stadtregierung radikal kehrt. Die Opfer leben in einer Wohnwagensiedlung in Simmering
Bericht: Joseph Gepp
Am Ostrand von Simmering, fast schon in Niederösterreich, wo die letzten Gemeindebauten in Dorf- und Bauernhäuserübergehen, liegt der kleine Wagenplatz, laut Selbstdefinition „der leider einzige in Österreich“.
„Wir führen eigentlich ein ruhiges Leben“, sagt Jacob Schäfer. 30 Wohnwägen und Lkw stehen hier seit 2006 auf einem privat gepachteten Acker, mit improvisierten Auf- und Zubauten und festgetretenen Pfaden dazwischen. Nebenan knattert ein Traktor. „Wir sind keine klassischen Aussteiger. Aber wir wollen halt Mobilität und Improvisiertheit statt einer normalen Wohnung.“
Wenn Schäfer nicht an seinem Lkw werkt, schweißt er in der Josefstadt Requisiten für Fernsehserien zusammen, momentan einen wasserdichten Sarg für „Soko Donau“. Jetzt hat er aber andere Sorgen. Denn die Wagenburg muss Ende August verschwinden. Der Ort ist landwirtschaftlich gewidmet, Siedlungstätigkeit darf hier nicht sein, eine Räumung droht.
Wien ist gemeinhin eine Stadt, die alternativen Lebensformen offen gegenübersteht. Als die Widmungsprobleme ins Rathaus vorgedrungen waren, wollte man bei der Suche nach einer neuen Bleibe helfen. Denn negativ aufgefallen sind die Bewohner bislang kaum, Sozialarbeiter loben ihre sparsame und umweltbewusste Lebensart, unter ihnen leben technische Physiker und studierte Psychologen, eine Umfrage im Bezirksblatt bescheinigte ihnen 74 Prozent Wohlwollen der Simmeringer Bevölkerung.
So fanden die Beamten von SPÖ-Wohnbaustadtrat Michael Ludwig nach eineinhalb Jahren ein Stück Gemeindeland als Ausweichvariante. Es liegt in der Donaustädter Freudenau, nahe dem Kraftwerk, ohne Anschlüsse zwar und kleiner als das vorherige, dafür aber: spottbillig. „Das Leben bietet eben eine Bandbreite von Möglichkeiten“, sagt dazu der Donaustädter SPÖ-Bezirksvorsteher Norbert Scheed. „Das sind für mich genauso Wohnungssuchende wie Leute aus Einfamilienhäusern.“
500 Euro „Prekarium“ jährlich wurden vereinbart, „während der letzten drei Treffen zwischen der Gemeinde und uns war das fix“, sagt Schäfer. Prekarium heißt Bittleihe, oft nach Hausbesetzungen angewandt, der Mietpreis ist symbolisch, dafür haben die Bewohner keinerlei Rechte, können jederzeit delogiert werden.
Die Wagenplatzleute freute es. Die Verhandlungen gingen nach langer Zeit dem Ende zu. Bis vor drei Wochen das letzte Mail der Gemeinde kam.
„Der Mietpreis (…) beträgt 21.146,40 Euro zuzüglich Grundsteuer.“ Plötzlich war keine Rede mehr von einem 500-Euro-Prekarium. Das Kollektiv glaubte erst an ein Missverständnis, reagierte dann empört, plötzlich den 42-fachen Preis zahlen zu müssen. „Wir fühlen uns veräppelt“, sagt Schäfer. „Jetzt können wir wieder von vorn anfangen. Wir haben unseren Mietvertrag in Simmering gekündigt, weil die Sache fix schien. Andernfalls hätten wir trotz Landwirtschaftswidmung sicher noch zwei oder drei Jahre bleiben können.“
Foto von Christian Wind
Im Rathaus will man von einer Kehrtwende nichts hören. Er wisse nichts über mögliche Meinungen oder Missverständnisse, meint ein Sprecher von Michael Ludwig. Jedenfalls habe es nur ein Angebot gegeben: die marktübliche Pacht von rund 21.000 Euro.
Dem widersprechen sogar die eigenen Beamten. Namentlich wollen sie nicht in der Zeitung stehen. Aber wie die Wagenplatzbewohner sagen sie, dass das Prekarium über lange Zeit Gesprächsbasis gewesen sei. Und fühlen sich ihrerseits ein wenig übergangen.
Woher kommt die plötzliche Wendung? Vielleicht sollte man Anton Mahdalik fragen, den umtriebigen Obmann der FPÖ Donaustadt. Auf die Wirkungsmacht von Symbolen versteht er sich wie die Großen seiner Partei: Beim Protest gegen eine Ché-Guevara-Büste im Donaupark hielt er kameratauglich eine Liste mit Revolutionsopfern in die Linsen. Als bekannt wurde, dass der Wagenplatz in die Donaustadt übersiedeln soll, stand Mahdalik sofort bereit.
„Wer aussteigen will, soll das in Sibirien oder der Mongolei“, heißt es auf einer von ihm lancierten Website. „Asoziale, arbeitsscheue Punks“ würden zu „Lärm, Müll, Gestank und hygienischen Zuständen wie in der Dritten Welt“ führen. Und darunter klein: „Der Autor übernimmt keinerlei Gewähr für die Korrektheit oder Qualität der bereitgestellten Informationen.“
Jetzt darf Mahdalik in einer Aussendung triumphieren: „FPÖ verhindert Ansiedelung des Wagenplatzes!“
Die Situation der Wiener SPÖ ist schwierig. Die – schon bundesweit desaströse – EU-Wahl Anfang Juni brachte in Wiener Arbeitervierteln die größten Verluste. 2010 stehen Gemeinderatswahlen an, schon hat die FPÖ den „Kampf um Wien“ ausgerufen und verleiht ihm durch Kampagnen wie jene gegen die Wagenplatz lautstark – und erfolgreich – Ausdruck.
Man richte seine Politik nicht an Aktionen der FPÖ aus, heißt es dazu aus dem Büro des Wohnbaustadtrats. Man habe von Anfang an den marktüblichen Preis verlangt. Alles andere seien Gerüchte.
Erschienen im Falter 26/09