Monatsarchiv: Juni 2009

Tausche Stimmvieh gegen Wagenstall

Aus Angst um Wähler macht die SPÖ-Stadtregierung radikal kehrt. Die Opfer leben in einer Wohnwagensiedlung in Simmering

Bericht: Joseph Gepp

Am Ostrand von Simmering, fast schon in Niederösterreich, wo die letzten Gemeindebauten in Dorf- und Bauernhäuserübergehen, liegt der kleine Wagenplatz, laut Selbstdefinition „der leider einzige in Österreich“.

„Wir führen eigentlich ein ruhiges Leben“, sagt Jacob Schäfer. 30 Wohnwägen und Lkw stehen hier seit 2006 auf einem privat gepachteten Acker, mit improvisierten Auf- und Zubauten und festgetretenen Pfaden dazwischen. Nebenan knattert ein Traktor. „Wir sind keine klassischen Aussteiger. Aber wir wollen halt Mobilität und Improvisiertheit statt einer normalen Wohnung.“

Wenn Schäfer nicht an seinem Lkw werkt, schweißt er in der Josefstadt Requisiten für Fernsehserien zusammen, momentan einen wasserdichten Sarg für „Soko Donau“. Jetzt hat er aber andere Sorgen. Denn die Wagenburg muss Ende August verschwinden. Der Ort ist landwirtschaftlich gewidmet, Siedlungstätigkeit darf hier nicht sein, eine Räumung droht.

Wien ist gemeinhin eine Stadt, die alternativen Lebensformen offen gegenübersteht. Als die Widmungsprobleme ins Rathaus vorgedrungen waren, wollte man bei der Suche nach einer neuen Bleibe helfen. Denn negativ aufgefallen sind die Bewohner bislang kaum, Sozialarbeiter loben ihre sparsame und umweltbewusste Lebensart, unter ihnen leben technische Physiker und studierte Psychologen, eine Umfrage im Bezirksblatt bescheinigte ihnen 74 Prozent Wohlwollen der Simmeringer Bevölkerung.

So fanden die Beamten von SPÖ-Wohnbaustadtrat Michael Ludwig nach eineinhalb Jahren ein Stück Gemeindeland als Ausweichvariante. Es liegt in der Donaustädter Freudenau, nahe dem Kraftwerk, ohne Anschlüsse zwar und kleiner als das vorherige, dafür aber: spottbillig. „Das Leben bietet eben eine Bandbreite von Möglichkeiten“, sagt dazu der Donaustädter SPÖ-Bezirksvorsteher Norbert Scheed. „Das sind für mich genauso Wohnungssuchende wie Leute aus Einfamilienhäusern.“

500 Euro „Prekarium“ jährlich wurden vereinbart, „während der letzten drei Treffen zwischen der Gemeinde und uns war das fix“, sagt Schäfer. Prekarium heißt Bittleihe, oft nach Hausbesetzungen angewandt, der Mietpreis ist symbolisch, dafür haben die Bewohner keinerlei Rechte, können jederzeit delogiert werden.

Die Wagenplatzleute freute es. Die Verhandlungen gingen nach langer Zeit dem Ende zu. Bis vor drei Wochen das letzte Mail der Gemeinde kam.

„Der Mietpreis (…) beträgt 21.146,40 Euro zuzüglich Grundsteuer.“ Plötzlich war keine Rede mehr von einem 500-Euro-Prekarium. Das Kollektiv glaubte erst an ein Missverständnis, reagierte dann empört, plötzlich den 42-fachen Preis zahlen zu müssen. „Wir fühlen uns veräppelt“, sagt Schäfer. „Jetzt können wir wieder von vorn anfangen. Wir haben unseren Mietvertrag in Simmering gekündigt, weil die Sache fix schien. Andernfalls hätten wir trotz Landwirtschaftswidmung sicher noch zwei oder drei Jahre bleiben können.“

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Foto von Christian Wind

Im Rathaus will man von einer Kehrtwende nichts hören. Er wisse nichts über mögliche Meinungen oder Missverständnisse, meint ein Sprecher von Michael Ludwig. Jedenfalls habe es nur ein Angebot gegeben: die marktübliche Pacht von rund 21.000 Euro.

Dem widersprechen sogar die eigenen Beamten. Namentlich wollen sie nicht in der Zeitung stehen. Aber wie die Wagenplatzbewohner sagen sie, dass das Prekarium über lange Zeit Gesprächsbasis gewesen sei. Und fühlen sich ihrerseits ein wenig übergangen.

Woher kommt die plötzliche Wendung? Vielleicht sollte man Anton Mahdalik fragen, den umtriebigen Obmann der FPÖ Donaustadt. Auf die Wirkungsmacht von Symbolen versteht er sich wie die Großen seiner Partei: Beim Protest gegen eine Ché-Guevara-Büste im Donaupark hielt er kameratauglich eine Liste mit Revolutionsopfern in die Linsen. Als bekannt wurde, dass der Wagenplatz in die Donaustadt übersiedeln soll, stand Mahdalik sofort bereit.

„Wer aussteigen will, soll das in Sibirien oder der Mongolei“, heißt es auf einer von ihm lancierten Website. „Asoziale, arbeitsscheue Punks“ würden zu „Lärm, Müll, Gestank und hygienischen Zuständen wie in der Dritten Welt“ führen. Und darunter klein: „Der Autor übernimmt keinerlei Gewähr für die Korrektheit oder Qualität der bereitgestellten Informationen.“

Jetzt darf Mahdalik in einer Aussendung triumphieren: „FPÖ verhindert Ansiedelung des Wagenplatzes!“

Die Situation der Wiener SPÖ ist schwierig. Die – schon bundesweit desaströse – EU-Wahl Anfang Juni brachte in Wiener Arbeitervierteln die größten Verluste. 2010 stehen Gemeinderatswahlen an, schon hat die FPÖ den „Kampf um Wien“ ausgerufen und verleiht ihm durch Kampagnen wie jene gegen die Wagenplatz lautstark – und erfolgreich – Ausdruck.

Man richte seine Politik nicht an Aktionen der FPÖ aus, heißt es dazu aus dem Büro des Wohnbaustadtrats. Man habe von Anfang an den marktüblichen Preis verlangt. Alles andere seien Gerüchte.

Erschienen im Falter 26/09

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Eingeordnet unter Das Rote Wien, Soziales

STADTRAND – Über Zecken und (viele) andere Todesdrohungen

Jetzt ist es amtlich: Eine Studie rügt den Umgang der Österreicher mit Zecken und der von ihnen ausgehenden Gefahr. „Unwissend und nachlässig“ sei der Pöbel, wie die Autoren angemessen vorwurfsvoll meinen. War ja klar, dass dieses notorisch desinteressierte Volk auch diese Gefahr unterschätzt. So wie den lungenzerfressenden Feinstaub. Die verhängnisvollen Transfette. Das todbringende Passivrauchen. Den herzinfarktfördernden Amateursport (und: die fettleibigkeitsfördernde Absenz an Amateursport). Die Giftpartikel am Filet, das verlogen knusprig vom Grillrost winkt. Das unfallwahrscheinlichkeitserhöhende Telefonieren am Fahrrad und im Auto. Das komatöse Trinken. Die sich rasend ausbreitende Schweinegrippe. Die Brandgefahr beim Gebrauch von Wunschlaternen auf Sommer- und Hochzeitsfesten. Das waren jetzt nur Meldungen der letzten Tage. Sie sind noch nicht daran gestorben? Dann essen sie schnell eine möglichst schwarze Grillwurst, inhalieren Sie den Duft der Südostangente, und rauchen Sie in Ruhe eine. Es könnte die letzte sein.

Erschienen im Falter 25/09

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Eingeordnet unter Kurioses, Stadtrand

Eurovision-Wahlcontest? Aber ja, warum nicht!

Kommentar

Alte Hüte: Die SPÖ stürzt ab, die ÖVP verliert und jubelt. Die FPÖ gewinnt, die Grünen wollen ihre Fehler korrigieren. Man kennt das, und angesichts der als unbedeutend wahrgenommenen EU-Wahl kam es diesmal noch banaler daher als sonst.

Dabei durften in den vergangenen Tagen 375 Millionen Menschen wählen, annähernd so viele, wie USA und Japan zusammen Einwohner haben. Dabei geht es um einen ganzen vielschichtigen Kontinent, der sich eine Währung gab (und so streckenweise der Krise trotzt), der seine östliche Hälfte in 20 Jahren auf fundamentale Art umkrempelte (weitgehend zum Besseren), der gesellschaftlich wie wirtschaftlich maßgeblich agiert.

Hier darf man wohl Interesse erwarten, hier darf man auch ein wenig pathetisch sein. Beides bleibt aber aus. Denn anhand von Swoboda et al lässt sich eine derart große Umschichtung wie die Entwicklung der EU eben nicht darstellen.

Nur: Wie könnte man sie darstellen? Warum nicht etwa eine wahrhaft europäische Wahlberichterstattung im meinungsführenden ORF? Minütlich Hochrechnungen aus ganz Europa statt dem ewigen Österreich-Fokus samt Alibieinlagen aus Brüssel. Das würde der Dimension dieser Wahl gerecht. Eine Art Eurovision-Wahlcontest? Warum nicht?

Oder, apropos Eurovision: Warum gibt es keine Elefantenrunde europäischer Spitzenkandidaten, synchron übersetzt von nationalen Sendern?

Man könnte natürlich auch die vorgeblich proeuropäischen Parteien auffordern, ihrem Anspruch gerecht zu werden und den europäischen Spitzenkandidaten neben den nationalen auf die Wahlplakate zu heben.

Aber das betrifft die Politik. Das wäre wohl vollends utopisch.

Erschienen im Falter 24/09

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Eingeordnet unter Europa, Medien

STADTRAND – Eine Stadt wählt (und liest Zeitung)

Es ist immer wieder schön zu sehen, wie die österreichische Demokratie lebt und vibriert, wie sie sich tagtäglich spritzig weiterentwickelt. Zum Beispiel bei der EU-Wahl letzten Sonntag, in einer Volksschule im zweiten Bezirk: Seelenruhig, hingebungsvoll und unübersehbar vor aller Wahlwelt studiert ein Wahlhelfer die „Europafalle“-Kolumne von Hans-Peter Martin in der Krone (praktischerweise ist der auch in der Wahlkabine vertreten). Immerhin, denkt man, der Helfer hätte auch gleich das dazugehörige Buch mithaben können, vielleicht mit Unterstreichungen und kleinen Lesezeichen übersät, um seine Präferenz jedermann zweifelsfrei darzulegen. Einem Kollegen nebenan obliegt es, ihm zugerufene Nummern mit der Evidenzliste abzugleichen. Unglücklicherweise ist der geschätzt 80-Jährige fast taub, und so schreien seine Kollegen die Nummern ohrenbetäubend laut durchs Zimmer. Er versteht sie trotzdem nicht und lächelt dann regelmäßig entschuldigend, als handle es sich hier um kleine Missgeschicke und nicht um altersbedingte Taubheit. Ach, Europa!

Erschienen im Falter 24/09

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Eingeordnet unter Behörden, Europa, Stadtrand

STADTRAND – Fanta-Seen: Sind die Wiener Verschwender?

Vielleicht verraten gerade die uniformsten Dinge das meiste über die Gesellschaft. Zum Beispiel Fastfood-Lokale: Das Grundkonzept ist weltweit dasselbe, also sollte eigentlich jede kleine Abweichung auf eine Eigenheit der regionalen Kundschaft schließen lassen. Zum Beispiel Free-Refill-Stationen. In den USA sind die Selbstbedienungszapfanlagen ganz alltäglich. In Wien scheint man Probleme damit zu haben. Denn regelmäßig – aktuell in einer McDonald’s-Filiale am Praterstern – werden die Hähne wieder demontiert. Ist uns so viel Eigenverantwortung nicht zuzutrauen? Planscht der Wiener im Fanta? Zapft er sich das Cola direkt in den Mund? Wir schätzen völlig unqualifiziert, dass man hierzulande mit großen und frei verfügbaren Mengen nicht umzugehen gelernt hat. Denn wenn man, wie in den USA, sowieso um drei Extracent die Jumboportion bekommt, verlockt der Hahn niemanden zur Verschwendung. In Wien dagegen ist er eine mittlere Sensation. Also drückt man noch schnell einen mittleren Fanta-See raus. Bevor die Quelle wieder versiegt.

Erschienen im Falter 23/09

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Eingeordnet unter Konsum, Stadtleben, Stadtrand

Kurier: Ein sportliches Leitmedium mit Interessen?

Leser meinen, sie habe die Nase vorn. „ZiB“-Sprecher Armin Wolf sagt, sie ermittle intensiver als die Behörden. Ihre Exklusiv-Storys – etwa über Lisa Hütthaler – erregen Aufsehen.

Viel Lob für den Sport im Kurier: In investigativen Bereichen gilt er als Instanz, die kritisch auf Machtkonstellationen blickt, als Leitmedium sauberen Sportjournalismus in Österreich.

Wer im Archiv stöbert, stellt jedoch fest, dass der Kurier innerhalb eines Jahres seine Meinung um 180 Grad gedreht hat. Und zwar in einer Causa, die zwei mächtige und verfeindete Institutionen betrifft: das Österreichische Olympische Comité ÖOC und den Skiverband ÖSV, persönlich vertreten von zwei Männern, ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel und ÖOC-Generalsekretär Heinz Jungwirth.

Der Streit tobt seit 2006, als man bei Österreichs Langläufern und Biathleten in Turin Dopingzubehör findet. Das ÖOC sperrt in der Folge 13 ÖSV-Trainer und -Sportler, ein Ausschluss aus aus der olympischen Familie durch das IOC steht im Raum, eine Million Dollar Strafe folgen. Die Folge: Schröcksnadel schäumt. Und setzt einen Detektiv auf den – mittlerweile zurückgetretenen – Generalsekretär Jungwirth an. Dieser liefert Material über ein angebliches Luxusanwesen Jungwirths und ein „Leben auf großem Fuß“.

Der Kurier erfährt davon – und thematisiert Anfang 2008 die zweifelhaften Methoden des ÖSV. Von der „echten Belastung Schröcksnadel“ ist die Rede, vom „Vorbild DDR“, einer „grauen Welt, die mit Sport nichts zu tun hat“. Jungwirth darf sich ausführlich über derlei Praktiken empören.

So weit, so klar und richtig. Am 18. Jänner 2009 jedoch, ein Jahr später, bringt der Kurier neuerlich einen Artikel zur Causa – unter völlig anderen Vorzeichen: Heinz Jungwirth ist nunmehr „Reizfigur“ mit „feudalem Lebensstil“. Große Bilder zeigen sein „Herrschaftshaus samt Fuhrpark“.

Die Informationen stammen offenbar aus besagtem Detektivbericht. Genau darüber hat sich der Kurier im Jahr zuvor empört. 2009 ist allerdings von einem Detektiv keine Rede mehr. Stattdessen dient sein Material – ohne Quelle – zur Kritik an Jungwirth.

Was sind die Gründe für den plötzlichen Schwenk? Damit konfroniert, sagt Kurier-Sportchef Rainer Fleckl: „Die Faktenlage zu Jungwirth hat sich dramatisch geändert.“ Aufklärungswürdige Zahlungsflüsse und Aussagen hätten sie erweitert. Und jetzt stehe der einstige Saubermann Jungwirth eben in neuem Licht da.

Das ist teilweise richtig – tatsächlich berichtete der Kurier über Geldflüsse im Zusammenhang mit Salzburgs Olympiabewerbung 2014 und Jungwirth. Aber im Zentrum der Berichte stehen nicht die Zahlungen – sondern das Detektivpapier, das man 2008 kritisierte und 2009 unter dem Tisch verschwinden ließ. „Das geschäftliche und private Umfeld Jungwirths“, sagt dazu Fleckl, „recherchierten wir erst, nachdem aufgrund der uns vorliegenden Urkunden seine Glaubwürdigkeit und Rolle als Saubermann massiv erschüttert waren.“

Falter 23/09

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Eingeordnet unter Medien