In Rudolfsheim-Fünfhaus eröffnet die erste Buchhandlung. Ein Vorbote der Gentrifizierung?
Bericht: Joseph Gepp
Langsam kommen neue Leute. Studenten und Kreative schätzen die günstigen Preise und den Charme der heruntergekommenen Altbauten im Viertel. Sie bringen neue Lebensgewohnheiten. Und bald weicht der Grind dem Schick. Bald wird das Viertel zum Geheimtipp, und schließlich, wenn die jungen Künstler alt geworden sind, wird es gutbürgerlich.
Gentrifizierung heißt dieser Prozess, nach „gentry“, für den niederen britischen Adel. In New York oder Berlin krempelt sie ganze Stadtteile um, wie Soho oder Prenzlauer Berg. In Wien läuft sie langsamer. Aber auch hier sind etwa Karmeliterviertel oder Spittelberg im Vergleich zu vor 20 Jahren kaum wiederzuerkennen.
Die neuen Bewohner verändern das Bild des Grätzels. Zum Hofer wollen sie einen Bio-Greißler, und statt des Wettcafés eine Buchhandlung.
Ein Blick ins Branchenbuch zeigt, wie beispielsweise der Wohlstand eines Viertels und die Anzahl der Buchhandlungen korrelieren. In der gutbürgerlichen Josefstadt liegen mehr von ihnen als in der 20-mal größeren – und ärmeren – Leopoldstadt. Im kleinen Wiedener Freihausviertel gibt es mehr als in Meidling, Simmering und Favoriten zusammen. Und im 15. Bezirk, der ärmsten Gemeindeeinheit Österreichs, fand man seit einem Jahr gar keine Buchhandlung mehr.
Bis vor einer Woche. Denn nun eröffnete im Nibelungenviertel hinter der Stadthalle das Buchkontor. Darf man Rudolfsheim-Fünfhaus‘ einziges Buchgeschäft als Vorboten einer Gentrifizierung betrachten?
Stadtforscher würden die Besitzerin Ulla Harms, 36, einen „first mover“ nennen. So heißen die Schichten, die Gentrifizierung ins Rollen bringen. Wenn anderswo Preise hoch werden, suchen sie nach Freiräumen, um sich zu verwirklichen. Und die bietet etwa das Nibelungenviertel.
„Derart große und schöne Wohnungen wie hier kriegt man innerhalb des Gürtels zu akzeptablen Preisen gar nicht“, sagt Harms. „Dementsprechend kommen viele Familien her.“ Harms organisiert den Vertrieb für Verlage. Als sie im Viertel das leere Geschäftslokal eines Juwelenhändlers entdeckte, war sie begeistert. Das „völlig versiffte“ Lokal wurde ihr Büro und Geschäft. Kaum jemand kenne das verschlafene Grätzel, sagt sie. „Parkplätze findet man fast immer. Es ist ein verträumtes Eckchen.“
Das ändere sich nun: „Vis-à-vis hat ein Architekturbüro und unweit eine Modedesignerin ihr Atelier aufgemacht. In einen Gemeindebau kommt ein Kulturzentrum. Da tut sich was.“
Das Nibelungenviertel ist kein normales Grätzel. Vor 100 Jahren wurde es als Jugendstil-Gesamtkunstwerk einiger Otto-Wagner-Schüler errichtet. Hier, außerhalb des Zentrums, durften sie sich austoben. Die Straßen benannte man nach Protagonisten der Nibelungensage. Die Alberich-, die Hagen- und die Giselhergasse liegen hier. Oder der Kriemhildplatz, auf dem Ulla Harms‘ Laden eröffnet hat.
Die Besitzerin schwärmt von solchen historischen Feinheiten, wie sie von den Feinheiten ihres Geschäfts schwärmt. Die Regale seien aus Holz, wie bei alten Buchhandlungen. Das Sortiment sei exklusiv, Bibliophile finden Edelausgaben des deutschen Verlags Zweitausendeins, Eltern vom gegenüberliegenden Hort pädagogisch wertvolle Kinderbücher.
Hätte Ulla Harms kein zweites Standbein, könnte sie jedoch kein solches Geschäft in diesem Viertel betreiben. Nur dass das Lokal zugleich auch Büro ist, macht den Laden möglich. Jetzt soll dieses „Nahversorgungskonzept“ ihren Schreibtischalltag beleben, sagt sie. Ein Ort der Begegnung soll entstehen, „für die Verlagsbranche, für Familien, für Menschen mit Hirn, die Bücher wie Nahrungsmittel konsumieren“. Das klingt doch sehr nach Gentrifizierung.
Buchkontor,
15., Kriemhildplatz 1
Tel. 943 41 43
http://www.buchkontor.at
Erschienen im Falter21/09