11. März 2009 · 13:31
Firmengeflechte ohne Transparenz, Grenzwerte ohne Konsequenz, Bürger ohne Mitsprache. Die Gemeinde Wien und ihre Handymasten. Ein Sittenbild
Bericht: Joseph Gepp
Wer auf sie achtet, dem fallen sie auf, die Masten auf den Hausdächern. An ihren Enden prangen längliche weiße Kästen. Sie stehen in der ganzen Stadt, damit wir rauschfrei telefonieren können, jederzeit und überall.
Etwa in den Straßen der Brigittenau. Dort blicken die Antennen vor allem von Gemeindebaudächern. So viele von ihnen, dass Ruth Dögl, Obfrau der Bezirksgrünen, einmal nachfragen wollte, wie das eigentlich so sei mit den ganzen Masten.
Ende 2008 stellte sie im Bezirksparlament eine Anfrage. Es war keine große Sache. Dögl wollte wissen, wem die Einnahmen der Antennen zustehen und wer die Masten überhaupt aufstellt. „Die Antwort aus dem Büro von Wohnbaustadtrat Ludwig hat vor Satzgirlanden nur so gestrotzt“, sagt sie. „Ich konnte sie einfach nicht entschlüsseln.“ 40 Mobilfunkstandorte befänden sich auf Brigittenauer Gemeindebaudächern, konnte Dögl gerade noch herauslesen. Und die Errichter? „Das Rathaus hat stattdessen die Betreiber aufgezählt: Mobilkom Austria, One, Hutchinson. Das habe ich aber gar nicht wissen wollen.“
Wer sich auf die Suche nach den Bauherren der Masten begibt, stößt in ein Feld vor, wo sich Rathauspolitik und Privatwirtschaft mischen. Hier stehen Interessengruppen gegeneinander, und nicht immer durchschaut man ihre Winkelzüge: Handybetreiber, die ein ruinöser Preiskampf zu immer größeren Investitionen und besseren Angeboten treibt. Bürger, die sich vor Strahlen fürchten. Und die Gemeinde, die beides will: ein lückenloses Handynetz bei gleichzeitiger Rücksicht auf etwaige Wählerängste – eine schwierige Aufgabe, die sie noch dazu an Private auslagert.
Es ist ein Gemisch, bei dem Transparenz unter die Räder komme, sagen Kritiker. So wie eine Gruppe Gemeindebaubewohner, ebenfalls aus der Brigittenau. Das war im Jahr 2003. Aber die Geschichte beginnt noch früher.
In den 90er-Jahren breitete sich das Handy massiv aus. Mit den Masten kam die Angst vor den gesundheitlichen Folgen, vor Elektromagnetismus und Datensmog. Von „Wildwuchs“ war die Rede, von der unkontrollierten Vermehrung der Antennen, von rücksichtslosen Geschäftsinteressen, die die Gesundheit der Bürger gefährden.
Das Spektrum der Kritiker reichte von Esoterikern, die in den Alpen nach strahlenfreien Höhlen suchten, bis zu ernsthaften Medizinern und Forschern, die vor noch nicht absehbaren Folgen des Elektrosmogs warnten. In ganz Wien kämpften besorgte Aktivisten gegen den Masten, der ausgerechnet ihr Dach schmücken sollte.
Damals entschied eine Kommission aus Umweltexperten und Stadtbeamten über die Aufstellung von Handymasten auf Gemeindebauten. Doch der Widerstand wuchs. Also gab Werner Faymann, damals SPÖ-Wohnbaustadtrat, Ende 2000 einen Strahlengrenzwert für stadteigene Gebäude bekannt. Es handelte sich um eine Selbstverpflichtung der Stadt Wien, eine Vorsorgemaßnahme, ein Zugeständnis an Kritiker, falls Strahlen tatsächlich gefährlich sind. Mit zehn Milliwatt sogenannter Leistungsflussdichte pro Quadratmeter lag der Wert weit unter internationalen Standards – die Weltgesundheitsorganisation WHO etwa rät erst bei einer 1000-mal höheren Belastung zur Sorge. Mobilfunkfirmen, verkündete Faymann, hätten sich von nun an vertraglich an diesen Wert zu binden.
Es folgte der nächste Schritt: Wiener Wohnen, gerade von der Gemeinde ausgegliedert, gründete eine Firma, die ausschließlich den Mastenwuchs auf städtischen Dächern bewilligen und regulieren sollte: die Telereal GmbH, Sitz in Favoriten, Wienerbergstraße 25. Bürgernäher und transparenter wollte man die Angelegenheit damit machen, in einer Hand sollten alle ihre Aspekte und Ansprechpartner versammelt sein.
Die Proteste hörten trotzdem nicht auf. Weiter kämpften Aktivisten gegen Antennen. Und 2003 kamen die Brigittenauer ins Spiel.
Damals, kurz vor Weihnachten, sollte auf einem Gemeindebau am Brigittaplatz ein vierter Mast errichtet werden. Die Bewohner protestierten. Sie nahmen eigene Messungen vor und stellten mancherorts eine Grenzwertüberschreitung fest. Die Stadt schaltete sich ein, der TÜV prüfte, ein Streit um Messmethoden und technische Details entbrannte. Am Ende wandten sich die Bürger an die Volksanwaltschaft. Die bestätigte in einem Brief, dass der Grenzwert „an einem Messpunkt deutlich überschritten wurde“, um knapp das Vierfache.
Allerdings: „Auf Einhaltung des Vorsorgewerts der Stadt Wien besteht kein Rechtsanspruch“, schrieb Volksanwältin Rosemarie Bauer (ÖVP).

Streitobjekt Handymast
Zwei Jahre zuvor hatte Wohnbaustadtrat Faymann etwas anderes behauptet: Bei Überschreitung des Werts kann „in letzter Konsequenz eine Stilllegung bzw. Demontage der Anlage durchgesetzt werden“. Und auch heute sagt der Pressesprecher von Faymann-Nachfolger Michael Ludwig auf Falter-Anfrage: „Der Grenzwert ist rechtsbindend und wird in Verträgen der Mobilfunkbetreiber mit der Gemeinde festgeschrieben. Bei Überschreitung kann eine Demontage folgen.“ Man könne das sogar auf der Telereal-Homepage nachlesen, sagt der PR-Mitarbeiter.
Nicht nur die Volksanwältin widerspricht dieser Aussage. Auch Johann Killian, Zuständiger für elektromagnetische Verträglichkeit beim Handyanbieter Orange, sagt: „Es gibt keinen Vertrag mit der Gemeinde, in dem ein Grenzwert von zehn Milliwatt festgeschrieben ist.“ Killian hat schon 2003 in einem Brief an die Brigittenauer Initiative dasselbe gesagt: „In keinem Vertrag mit der Stadt Wien ist ein Grenz- oder auch nur ein Richtwert festgelegt.“ Das war drei Jahre nachdem Faymann die vertragliche 10-Milliwatt-Verpflichtung feierlich der Öffentlichkeit präsentiert hatte.
Bei der Gemeinde sagt man, dass man sich diese Widersprüche nicht erklären könne. Telereal beruft sich auf das Vertragsprocedere (siehe Interview).
„Hier werden die Bürger verschaukelt“, sagt einer der damaligen Brigittenauer Aktivisten, der aus beruflichen Gründen ungenannt bleiben möchte. „Irgendwann fragt man sich, ob es diesen ominösen Wert überhaupt gibt.“
Ob Handystrahlen tatsächlich gesundheitsgefährdend sind, ist umstritten. 2004 kam eine EU-finanzierte Studie zu dem Schluss, dass zu viel Mobilfunk zu Schädigungen des Erbguts führen kann. Die Ärztekammer empfahl darauf, Jugendliche unter 16 von Handys fernzuhalten. „Würden Medikamente dieselben Prüfergebnisse wie Handystrahlen liefern“, sagte damals Ärztekammer-Umweltreferent Erik Huber dem ORF, „man müsste sie sofort vom Markt nehmen“.
Namhafte Mediziner widersprachen ebenso wie Mobilfunkfirmen. Man konterte mit Gegenstudien und „Panikmache“. Der Streit blieb ergebnislos. Vielleicht wird man Strahlenangst einmal als Spleen alter Zeiten belächeln. Vielleicht aber zieren in 50 Jahren auch Warnhinweise Telefone wie heute Zigarettenpackungen.
Das ist der medizinische Aspekt der Sache. Der politische und wirtschaftliche Aspekt zeigt sich in widersprüchlichen Aussagen von Gemeinde und Mobilfunkfirmen. Er zeigt sich an den Erfahrungen der Brigittenauer, die schließlich den vierten Mast auf ihrem Dach nicht verhindern konnten. Er zeigt sich darin, dass man die Verantwortung für das heikle Thema einem privat-öffentlichen Mischkonstrukt aufgebürdet hat.
Die Firma Telereal kontrolliert laut Homepage „den Mobilfunkausbau nach den Vorgaben der Stadt Wien“. Ein Viertel von ihr gehört den Stadtwerken, ein weiteres dem Rathaus.
Die zweite Hälfte von Telereal besitzt ein Betrieb, der am Ausbau von Mobilfunknetzen per definitionem nicht ganz uninteressiert sein kann: die Elektromontagefirma Fleck in Favoriten. „Im Bereich des Betriebsfunks und des Mobilfunks“, schreibt Fleck auf seiner Homepage, „kann unser Unternehmen viele erfolgreich realisierte Projekte vorweisen.“
Die Montagefirma Fleck und die Kontrollfirma Telereal sitzen im selben Gebäude, Wienerbergstraße 25. Fleck hat 151 Mitarbeiter, Telereal drei. Fleck ist vielerorts tätig, hat Dependancen in Osteuropa und Südafrika. Telereal verfügte laut Firmen-Datenbank bis Jänner 2007 nicht einmal über eine Gewerbeberechtigung.
Im Aufsichtsrat von Telereal treffen sich Politik und Wirtschaft, dort sitzt etwa Finanzmagistratsabteilungschef Josef Kramhöller neben Wilhelm Fleck, Geschäftsführer seines Familienbetriebs. Wenn eine Mobilfunkmontagefirma eine Firma besitzt, die den Ausbau von Mobilfunk kontrolliert, dann würden Kritiker wohl von einem Interessenkonflikt sprechen. „Das ist ungefähr so“, sagt der Brigittenauer Aktivist, „als würde die Gemeinde einen Masterplan für sinnvollen Nichtraucherschutz erstellen – und von einer Marlboro-Tochter umsetzen lassen.“
„Es gibt keine Unvereinbarkeit“, hält Geschäftsführer Wilhelm Fleck dagegen. „Wir stellen nämlich gar keine Masten auf.“ Stattdessen verlege Fleck etwa Funknetze. „Vor Jahren hätten wir eine Firma übernehmen können, die dezidiert Masten aufstellt. Aber gerade wegen dieser Unvereinbarkeit wollten wir das nicht.“
Die Gemeinde sagt, man habe einen kompetenten Partner gesucht, Fleck verfüge über Erfahrung; umfangreiche Kooperationen zwischen dem Rathaus und Fleck würden vom Know-how der Firma zeugen.
Tatsächlich sind das Rathaus und Fleck eng miteinander verflochten: Die Firma übernahm etwa die Verlegung von Funknetzen in der Wiener U-Bahn. „Ein Schwerpunkt unserer Tätigkeit lag im Bereich der öffentlichen Hand“, steht im Fleck-Jahresbericht 2006. „Wesentliche Auftraggeber dabei waren die Wiener Holding sowie die Verkehrsbetriebeholding.“
Rund 760 Handyantennen stehen auf Wiener Gemeindebaudächern. Die Mobilfunkfirmen zahlen dafür laut Gemeinde jährlich etwa vier Millionen Euro Nettomiete. Das ergibt eine Pacht von ungefähr 5300 Euro pro Mast und Jahr. Von diesem Betrag kommt den Bewohnern, die bei Aufstellungen von Masten nicht mitbestimmen dürfen, ein Viertel direkt zugute: Es scheint in den Betriebskosten auf und wird verwendet, wenn etwa eine Renovierung fällig ist.
Die restlichen 75 Prozent gehen ins Wiener-Wohnen-Zentralbudget. Von da kommen sie – unter Umständen und über Umwege – zu jenem mastbestückten Bau zurück, der das Geld ursprünglich eingebracht hat.
Dass Mobilfunkverwaltung an Private ausgelagert wird, scheint ein Wiener Sonderweg zu sein: In Graz etwa wird der Mobilfunkausbau direkt von einem städtischen Amt koordiniert, der Bau- und Anlagenbehörde.
In Wien darf nicht einmal das Kontrollamt, die gemeindeeigene Prüfstelle, das Geflecht rund um die Antennen durchleuchten: Die Prüfer sind nur zuständig, wenn Firmen zumindest mehrheitlich im Eigentum der Gemeinde oder ihrer Töchter stehen. An Telereal jedoch hält der Privatbetrieb Fleck exakt die Hälfte.
Nur einmal stieß das Kontrollamt auf Fleck. Das war 1999. Die Prüfer hatten sich die Untersuchung von Auftragsvergaben beim Wiener U-Bahn-Bau vorgenommen. Dabei taucht – anonymisiert als „Firma F.“ – auch Fleck auf. Das Kontrollamt empfahl damals, „Komponenten in ihrer Gesamtheit und nicht in Teilen auszuschreiben“. Durch den Modus der Auftragsvergabe hatten die Verkehrsbetriebe offenbar Fleck bevorzugt.
Ein Jahr später ging man mit der gemeinsamen Gründung von Telereal erneut eine Partnerschaft ein.
Erschienen im Falter 11/09
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