Ivan Ivanji blickt auf ein Leben zurück, das es wahrlich verdient, aufgeschrieben zu werden: Aufgewachsen in der nordserbischen Woiwodina, brachte ihn seine jüdische Abstammung 1944 ins KZ. Im Jahr darauf floh er aus den Trümmern des Lagers, irrte durch die Brandruinen des Tausendjährigen Reiches – und fand schließlich ein Jugoslawien vor, das mit dem seiner Kindheit nichts mehr gemein hatte. Die Eltern waren ermordet, die Wohnung beschlagnahmt worden.
Viel später wurde er Titos Übersetzer, aber das ist eine andere Geschichte („Titos Dolmetscher“, Promedia Verlag). Heute lebt Ivanji in Wien, wo er vor wenigen Tagen seinen 80. Geburtstag gefeiert hat. Aus diesem Anlass wurde sein Buch „Schattenspringen“ von 1993, eine literarische Beschreibung seiner Jugend, nun neu aufgelegt.
Ivanji hat seine Erinnerungen Jahrzehnte nach Kriegsende niedergeschrieben – ohne Dokumente, die die Geschehnisse belegen, denn die hat er zusammen mit seiner Häftlingskleidung verbrannt. „Nichts verbindet mich mit diesem Knaben“, schreibt er. „Ich habe keinen Grund, diesen Bildern mehr zu glauben als Sternen einer Augustnacht, über die man heutzutage nichts mehr schreiben darf, weil sie so falsch, so kitschig klingen.“ Falsch und kitschig klingt heute bald einmal ein belletristisches Buch über Kriegs- und KZ-Opfer. Ivanji riskiert den Kitsch – und das Ofterzählte liest sich bei ihm wieder ganz neu. Ivanjis Erzählweise ist fast lakonisch, seine Erinnerungslücken gesteht er freimütig ein. Ein 16-jähriger Jugoslawe erlebt den Nachkriegswahn und wird Teil desselben. Der Autor beschreibt die Präpotenz der Sieger, die Wandlung der besiegten Deutschen von Schindern zu Hungerleidern, die zerbombten Häuser, in denen an Wandständern noch federbestückte Hüte hängen.
„Schattenspringen“ entfaltet sich zu einem Nachkriegspanorama, dessen Tragik gerade in seiner Zufälligkeit liegt – mit fast parabelhaftem Ende: Der Bub kehrt in seinen Heimatort Großbetschkerek, heute Zrenjanin, zurück – aber dort wartet niemand auf ihn. „Er war heimgekehrt, aber nicht zum Ausgangspunkt, der Weg schloss sich nicht zum Kreis, er war eine Spirale.“
Ivan Ivanji: Schattenspringen. Roman. Picus, 231 S., € 15,- Präsentation: 12.2., 19.30 Uhr im Palais Fürstenberg (1., Grünangergasse 4, 1. Stock)
Erschienen im Falter 7/09