Monatsarchiv: Februar 2009

STADTRAND: So leicht kann man Gutes tun am Wiener Flughafen

Sie kennen das sicher. Wenn Sie am Flughafen Ihr Handgepäck einchecken, werden Ihnen rasiermesserscharfe Nagelfeilen und sonstige potenzielle Mordwaffen Probleme bereiten. Die darf man nämlich nicht mitnehmen: Sie müssen in teuren Paketen nachhause geschickt werden. Oder man trennt sich schweren Herzens von ihnen und überlässt sie den Beamten. Wobei Wien respektive die Flughafen Wien AG hier wieder mal etwas anders ist: Während man anderswo die Springermesser und Taser, die Leathermen und Pfeffersprays in polizeilichen Bunkern hortet, werden sie hier versteigert. Für „Licht ins Dunkel“. Als unfreiwillige Spende sozusagen. Damit auch die bösen Jungs dieser Welt noch Gutes tun können. Also denken Sie daran, wenn Sie das nächste Mal eine Flugreise antreten: Tragen Sie doch Ihr perlmuttbesetztes Nassrasierset oder Ihr mit Swarovskikristallen gestaltetes Taschenmesserchen bei sich im Handgepäck! Oder ersteigern Sie aus der konfiszierten Waffensammlung doch einen hübschen kleinen Schlagring! Die lieben Kleinen werden es Ihnen danken.

Erschienen im Falter 9/09

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Eingeordnet unter Stadtrand, Verkehr

Ein kleiner Streit mit großen Folgen

Ein Disput soll dazu geführt haben, dass Aeryn Gillern nackt durch Wien rannte und möglicherweise Selbstmord beging

Bericht: Joseph Gepp

So klingt das also auf Amtsdeutsch: „Herr Gillern geriet (…) mit einem anderen Saunagast in Streit. Grund war die Frage des Gastes nach dem Befinden des Herrn Gillern.“

Die fatale Folge: Am 29. Oktober 2007, gegen 19 Uhr rannte Aeryn Gillern nackt aus der Wiener Schwulensauna Kaiserbründl in der Weihburggasse. Beim Stubentor sah ihn zum letzten Mal ein Passant.

Dann verschwand der US-Amerikaner, der in der Uno-City arbeitete, spurlos. Laut Polizei hat er durch einen Sprung in den Donaukanal Selbstmord begangen. Seine Mutter, Kathy Gilleran aus dem amerikanischen Cortland, will daran allerdings ganz und gar nicht glauben.

Auf einen Selbstmord ihres Sohnes habe rein gar nichts hingedeutet, berichten sie und andere, die Gillern kannten. Und die Polizei habe sich bei den Ermittlungen grob homophob und unwillig verhalten. „Ich habe niemals zuvor so viel Rohheit, Grobheit und Unprofessionalität erlebt“, schrieb die Mutter 2008 an die damalige US-Senatorin Hillary Clinton. „Das Verhalten der Polizei“ habe geradezu „an Sadismus gegrenzt“.

Der Falter berichtete vergangenen November ausführlich – und der Fall schlug Wellen: Peter Pilz und Ulrike Lunacek von den Grünen richteten daraufhin eine parlamentarische Anfrage an ÖVP-Innenministerin Maria Fekter. 39 detaillierte Fragen an die oberste Polizeichefin sollten alle Unregelmäßigkeiten klären.

Nun, vergangenen Mittwoch, lief die Frist zur Beantwortung aus. Und so stellt sich der Fall laut ministerieller Antwort dar: Ein Streit im Kaiserbründl führte zu Gillerns plötzlicher Flucht. Kurz darauf alarmierte ein Angler die Polizei: „Ein Mann treibt im Wasser des Donaukanals, Höhe Urania und Hermann’s Strandbar. Er schreit um Hilfe.“ Der Mann war glatzköpfig, „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ sei er Aeryn Gillern gewesen.

Vier Polizeiautos rückten danach zum Kanal vor. Sie suchten eine Stunde nach dem Vermissten – erfolglos. „Ein Taucheinsatz (…) erschien wegen der starken Strömung nicht sinnvoll.“

Seitdem laufen die Ermittlungen. Die Donaustaaten wurden kontaktiert, um nach einer möglichen Wasserleiche zu suchen. Zusätzlich hat man laut Anfrage „sieben Personen zur Sache niederschriftlich einvernommen; weitere zehn Personen (…) fernmündlich“. Zieht man von den sieben Einvernommenen Gillerns Mutter, seinen Freund, seinen Nachbarn und den Zeugen vom Stubentor ab, dann bleiben noch drei Menschen – im Kaiserbründl, wo offenbar die Ursachen für den Fall liegen, scheint man sich also nicht eben eifrig umgehört zu haben.

Es bleiben Fragen offen: So sagt der Betreiber der Sauna, dass es an jenem Abend keinen Streit im Lokal gegeben habe, Gillern sei aus heiterem Himmel verschwunden. Außerdem habe die Polizei gar nicht mit Saunagästen sprechen können, weil das Management sich weigerte, Kontakte der Gäste dieses Abends herauszugeben.

Und: Die Polizei erklärte dem Falter im November, dass der Donaukanal von 20.23 Uhr bis 20.50 durchsucht worden sei – 27 Minuten lang. In den Antworten der Ministerin hat sich die Suchzeit mehr als verdoppelt: von 20.21 bis 21.21 Uhr, eine Stunde. Immerhin scheinen die Beamten schnell am Tatort gewesen zu sein: Um 20.21 verständigte laut Anfrage der erschrockene Angler die Polizei. Um 20.23 Uhr, zwei Minuten später, waren die Ermittler schon da.

Erschienen im Falter 8/09

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Rückkehr ins Leopoldschtetl

Immer mehr orthodoxe Juden leben wieder in Wien. Im zweiten Bezirk finden sie ihre neue alte Heimat

Reportage: Joseph Gepp

Einmal, erzählt Sender Garber, sei er im Dianabad gewesen und drei Wiener hätten sich neben ihn gesetzt, „die sind ganz sicher von hier gewesen“.

Wenn Garber „hier“ sagt, dann meint er nicht Wien und nicht Österreich, er meint das kleine Leopoldstädter Karmeliterviertel, drei Handvoll Gassen rund um eine barocke Kirche und einen Marktplatz.

Die Wiener seien also von hier gewesen und hätten sich über Juden in Wien unterhalten, wie viele von ihnen denn in der Stadt leben würden. 50.000, schätzte einer. Und ein Zweiter entgegnete: „Blödsinn. Sicher 100.000 oder mehr. Und 80.000 davon in der Leopoldstadt“.

Garber lacht. In Wiens kleiner jüdischer Gemeinde rangiert seine Beobachtung jetzt unter den gerne erzählten Anekdoten.

2007 lebten laut Zählungen 7014 Juden in Wien. Rund 3000 davon sind Orthodoxe. Aus ihren schwarzen Mänteln und Hüten müssen die drei Wiener geschlossen haben, dass es nicht weniger als 100.000 Juden in der Stadt geben müsste.

7014 Personen, das ist viel im Vergleich etwa zu 1999, da waren es gerade 5000, eine Steigerung um rund ein Drittel. Und es ist fast nichts im Vergleich zu vor 1938. Da lebten rund 150.000 Juden in Wien.

Das jüdische Leben kehrt zurück in die Stadt, langsam, nur als blasser Schatten alter Zeiten. Aber stetig. Wer in die Leopoldstadt kommt, kann das sehen.

Dort formen orthodoxe Juden einen Mikrokosmos, ein Dörfchen mit 3000 Seelen. Religion ist ihr Full-Time-Job. Koschere Ernährung bedingt eigene Geschäfte, religiöses Leben bedingt Versammlungsorte und Synagogen. Weil ihnen der Glaube Autos und öffentliche Verkehrsmittelnam samstäglichen Sabbat untersagt, siedeln die Orthodoxen beieinander, unter ihresgleichen, nahe ihren Bethäusern, ihren Geschäften. Sie kennen einander. „Die beiden da“, sagt Garber und zeigt aus seinem Van auf ein orthodoxes Paar auf der Straße, „das sind Gäste aus Amerika.“

New Age aus dem Autoradio

Sender Garber – er ist 36, aus seinem Autoradio klingen New-Age-Panflötenklänge, er trägt eine schwarze Jacke und eine Sportkappe, die er nur an Feiertagen durch den traditionellen orthodoxen Hut ersetzt – führt heute durch Wien, das Dörfchen des orthodoxen Judentums.

Er öffnet die Türen zu Geschäften, er plaudert mit koscheren Fleischhauerinnen, Bäckern und Restaurantbesitzern. Er führt durch Synagogen, in denen Orthodoxe in kakophonem Singsang Gebete rezitieren, auf Hebräisch mit persischem oder zentralasiatischem oder ungarischem Akzent.

Allein im zweiten Bezirk liegen acht solcher Bethäuser. Es sind kleine Säle hinter Gründerzeitfassaden, ausstaffiert mit vielen Laufmetern Büchern. Jede orthodoxe Gruppe – sie heißen etwa Chassidim oder Chabadniks, Grusinen oder Bucharen – betreibt ein solches Bethaus. Dort feiern sie nicht nur den Gottesdienst, dort treffen sie sich, zum Plaudern oder Studieren.

Filterkaffee in der Synagoge

Sender Garber betritt eine chassidische Synagoge in der Großen Schiffgasse. Breitkrempige Hüte liegen auf Regalen, in einer Küchenecke dampft Filterkaffee. Zwischen den Betstunden steht das hölzerne Pult des Vorlesers verwaist da. Im Keller gibt es ein Tauchbad, einen Swimmingpool, in dem Frauen nach der Menstruation und Männer vor dem Gebet rituell baden.

Dort plantscht gerade ein Orthodoxer im Wasser und trällert dabei ein Lied. Oben sitzen Junge vor den Büchern und studieren den Talmud, die Auslegung der jüdischen Bibel. Dabei bewegen sie gedankenverloren die Lippen und wiegen den Kopf.

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Foto von Heribert Corn

Das Leben von Sender Garber ist typisch für einen Wiener Orthodoxen. Er kam 2002 her, ist Russe, aus Moskau. Garber stammt aus einer nichtreligiösen Familie, mit 13 entdeckte er den Glauben für sich. Nach dem Fall des Kommunismus ging er nach Israel, ließ sich bei Tel Aviv zum Rabbi ausbilden. Dann spülte es ihn nach Wien, fast zufällig, denn hier war gerade ein Job als Lehrer in einem Kulturzentrum frei.

Nach 1945 lebten nur etwa 1000 Juden in Wien. Wer zuzog, kam oft zufällig und blieb nur, weil er nicht anders konnte. Einige verirrten sich zu Kriegsende 1945 aus Flüchtlings- und Konzentrationslagern nach Wien. Andere flohen vor den Sowjets aus Ungarn. Wieder andere erhielten im Kalten Krieg eine der raren Ausreisebewilligungen aus der Sowjetunion und warteten in Wien so lange auf die Green Card für die USA, bis das Wartezimmer zum Aufenthaltsort geworden war. „Das Wiener Judentum ist vielfältig“, sagt Paul Eisenberg, Oberrabbiner von Wien. „Das liegt daran, dass die Menschen nach dem Krieg aus allen Himmelsrichtungen hierher kamen.“

Ein Dörfchen wacht wieder auf

So erstand die jüdische Leopoldstadt wieder. Sie erstreckt sich entlang des Donaukanals und hinter dem Karmeliterviertel bis etwa zu Augarten und Volkertmarkt. Es gibt hier Menschen, die einander unterstützen oder nicht leiden können. Es gibt Holocaustopfer und solche, die Hitler nur aus Lehrbüchern kennen, weil sie etwa aus Zentralasien gekommen sind. Es gibt respektierte Rabbis und Außenseiter wie den jüdischen Antisemiten Mosche Friedmann. Es gibt divergierende Grüppchen und Weltanschauungen.

Das kommt nicht nur daher, dass Juden nach 1945 derart zufällig in Wien strandeten. Das hat auch Ursachen, die im Wesen des Judentums selbst liegen: Im Gegensatz zum Katholizismus kennt es keine oberste Instanz wie den Papst. Wer Jude ist, bestimmt die Abstammung. Und wer sich als orthodoxer Jude definiert, befolgt die Halacha, das jüdische Religionsgesetz, in Wien wie überall sonst auf der Welt. In Sachen Bekleidung etwa schreibt die Halacha dem gläubigen Juden nur vier Dinge vor: Er muss Bart, Schläfenlöckchen, Kopfbedeckung und Zizit tragen, jene weißen Bändchen am Hosenbund, die an die Vielzahl der jüdischen Gesetze gemahnen sollen.

Innerhalb dieses Halacha-Bogens ist ein orthodoxer Jude relativ frei. Die Mäntel oder pelzumrandeten Hüte etwa schreibt nicht der Glaube vor, sie sind lediglich Tradition und Hinweis auf die Herkunft des Gläubigen. Würde er stattdessen ein rosa Hemd tragen, er wäre trotzdem orthodox.

Weil Judentum mangels oberster Instanz also verschieden interpretiert werden kann, haben viele charismatische Rabbis ihrer Religion breite Stempel aufgedrückt: Ihre Weisheiten und Erzählungen haben sich unter ihren Jüngern zu Weltsichten verdichtet, die lange nach dem Tod des Vorbilds noch propagiert und gelebt werden. So entstanden Strömungen, die mehr oder weniger vom jüdischen Mainstream abweichten.

Das ist der wichtigste Grund für die Vielfalt der jüdischen Gemeinde. Um sie voll zu sehen, ist das jüdische Wien allerdings zu klein. Dafür muss man nach Israel.

Dort bezeichnen sich rund 20 Prozent der Einwohner als orthodox. Unter ihnen findet man etwa welche, die die Existenz ihres Staates nicht anerkennen wollen, solange der Messias nicht wiedergekehrt ist. Andere huldigen ihrem Gott in spontaner Innerlichkeit – und wieder andere befolgen jedes religiöse Gesetz auf Punkt und Beistrich. Es gibt eine Gruppe, die vorrangig das Ziel verfolgt, das Judentum mit Errungenschaften moderner Technik von Glühbirne bis zu künstlicher Befruchtung zu versöhnen. Es gibt Juden, die ihren Messias durch Ekstase herbeibeschwören wollen. Sie tanzen mit E-Gitarren und fahren mit dröhnenden Disco-Trucks durch die Straßen Jerusalems. Manch säkularer Israeli witzelt dann, unter ihren Mänteln würden sie Ecstasy-Pillen verkaufen.

In Wien finden sich all diese Bewegungen nur in Ansätzen. Von der ekstatischen Gruppe – die Bratslaver Juden – lebt in Wien exakt ein Repräsentant. Jene, die Freude und Innerlichkeit propagieren – die Chassidim – stellen in Wien rund 300 Vertreter. Ebenso viele gelten als betont technikgläubig, und nochmals rund 300 definieren sich als betont zionistisch.

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Foto von Heribert Corn

„Die Interessen der Gruppen gehen auseinander“, sagt Oberrabbiner Eisenberg. „Bei uns geht jeder Jude seinen Weg.“ Seine Eltern flohen 1956 aus Ungarn. Der Rabbi, 58, sitzt am Rabbinat in der Seitenstettengasse und erklärt voller Hingabe, mit ausladenden Gesten, die Grundlagen seiner Religion.

Als Oberrabbiner sei er für den Zusammenhalt seiner Gemeinde verantwortlich, sagt er. „Ein Oberrabbiner muss mit allen können. Er darf kein Fundi sein. Aber auch die Orthodoxen müssen ihn anerkennen.“

Einmal für Milch, einmal für Fleisch

Dabei funktioniert der Zusammenhalt in Wien noch vergleichsweise problemlos. Im New Yorker Brooklyn etwa, wo fast so viele Juden wie in Jerusalem leben, prallen die Gegensätze weitaus heftiger aufeinander. Wien dagegen, erklärt Levi Sternglanz von der Chabad-Bewegung, sei eine kleine Gemeinde. „Es gibt keine großen Polemiken und wenige polarisierende Personen – im Gegenteil, wir arbeiten zusammen. Zwischen den Strömungen entstehen Synergien. Ideologische Spannungen finden auf anderen Bühnen als in Wien statt.“

Ein paar hundert Chabadniks, wie Levi Sternglanz, leben in Wien. Sie berufen sich auf einen weißrussischen Rabbi des 18. Jahrhunderts. Ihre Bräuche unterscheiden sich etwas von jenen anderer Orthodoxer. Ihr Schwerpunkt ist die Bildungsarbeit – und mancher Nicht-Chabadnik klagt gerne, dass sie allzu viel Mühe in die Bekehrung säkularer Juden zur Orthodoxie stecken würden.

Wie Sender Garber lebt und arbeitet Levi Sternglanz in der Leopoldstadt. Er gibt eine orthodoxe Zeitung heraus und wohnt mit Frau und fünf Kindern in der Großen Schiffgasse. Am Türschild steht sein Name auf Hebräisch, an den Türstöcken der Zimmer kleben Mesusot, Pergamentröllchen mit Thorazitaten. In der Küche zeigt Sternglanz, 32, auf zwei Kochzeilen, zwei Herdplatten und Abwaschbecken, einmal für Milch, einmal für Fleisch. In der Speisekammer stehen Humus und Orangensaft, vieles aus Israel, alles koscher. „Wenn ich als Jude in Wien lebe, bietet die Leopoldstadt das ideale Umfeld, um die orthodoxen Regeln zu befolgen“, sagt er.

Im Hof des Hauses, in dem weitere jüdische Familien leben, stehen zwei bambusgedeckte Hütten aus Spanplatten. Dort feiern die Orthodoxen das Laubhüttenfest im Herbst, um des biblischen Auszugs aus Ägypten zu gedenken.

Die Juden der Leopoldstadt arbeiten weitgehend in Einrichtungen, die sie sich für ihre Zwecke geschaffen haben, als Verkäufer oder Betreuer in Kulturzentren. Ihre Lebensweise und ihre Erfahrungen haben zu Abschottungstendenzen geführt.

„Nur wenige Juden überlebten in Wien den Krieg“, sagt Tirza Lemberger vom Institut für Judaistik der Universität Wien. „Und noch weniger kamen zurück.“ Lemberger, selbst Jüdin, zog in den 80er-Jahren nach Wien. „Die Stadt war nach dem Krieg zu einer Durchgangsstation für Überlebende aus Osteuropa geworden. Aber wie immer bei Fluchtwellen sind einige geblieben. Die Leute brachten aus Osteuropa ihre Bräuche mit – und damit Vielfalt in die Gemeinde.“

Später kamen Iraner, Georgier, Zentralasiaten. Alle zusammen schufen das Dörfchen Leopoldstadt. Erst in den 90ern war es groß genug, dass die jüdische Infrastruktur entstand, die das Viertel heute prägt. Die Orthodoxen brachten aus ihren Ländern Traditionen mit. Sender Garber zum Beispiel ist chassidisch. Er spricht mit den Eltern russisch, mit seiner Frau und den vier Kindern jiddisch, in der Synagoge hebräisch und auf der Straße deutsch.

„Der Kern des Judentums?“, wiederholt er, während er seinen Van über die Heinestraße in Richtung seiner Wohnung lenkt. „Der Mensch hat zwei Naturen. Einerseits isst, trinkt und lacht er. Andererseits will er den Sinn von Dingen ergründen, er zweifelt und denkt nach.“ Und: „Wir Juden, wir machen einfach beides: Wir essen, trinken, lachen. Aber wir unterlegen das alles mit einem geistigen Grund.“

„Das Judentum trennt nicht zwischen profan und heilig“, sagt Levi Sternglanz etwas abstrakter. „Jede profane Tätigkeit kann heilig werden, wenn sie mit spiritueller Absicht ausgeführt wird.“

Darin sind die beiden sich jedenfalls einig.

Erschienen im Falter 7/09

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Eingeordnet unter Minderheiten, Religion, Wien

Kühe ohne Kaiserschnitt

Über „Maschgiach“ und „Heschscharim“: Warum eine Molkerei im Wienerwald zweimal wöchentlich koscher produziert

Bericht: Joseph Gepp

Wäre nicht das Knattern der Maschinen am Hof der Aschauers, Laab im Walde wäre an diesem Wintervormittag völlig still und menschenleer. Nebelverhangene Hausreihen, ein Gemeindeamt, ein Post-Partner, „Überholverbot gilt nicht für Traktoren“. Laab im Walde liegt keine fünf Kilometer von Wiens Stadtgrenze entfernt, und trotzdem: Hier ist schon allertiefstes Niederösterreich.

Martin Aschauer, 43, ist früh aufgestanden, heute ist Koscher-Tag, wie jeden Montag und Donnerstag. Viertel vor fünf klopft Boris Samechov, der Maschgiach, an die Tür. Maschgiach bedeutet Koscher-Aufseher, und als solcher überwacht Samechov, 31, eigentlich Lehrer, die Produktion. Der Zentralasiate schaut den Bauern beim Melken über die Schultern, er begleitet den Tankwagen zur Verarbeitungshalle, er prüft, ob Pasteurisierungsanlage und Joghurtwanne ordentlich ausgekocht wurden, bevor Koscheres in ihnen produziert wird. Samechov öffnet eine Schublade und zieht einen Bogen mit dem Ziel all dieser Mühen heraus: Heschscharim, kleine runde Pickerln mit hebräischen Buchstaben. Das sind Koscher-Gütesiegel. Am Ende des Tages kommen sie auf die Milchpackungen. Und erst dann kann ein orthodoxer Jude sicher sein, dass seine Milch nach den Gesetzen der jüdischen Ernährung hergestellt wurde.

Und davon gibt es viele. Für gläubige Juden sind etwa Schweinefleisch und Wassertiere ohne Flossen und Schuppen – etwa Meeresfrüchte – tabu. Von Nichtjuden gekelterter Wein gilt ebenfalls als trefe, als unrein. Tiere müssen geschächtet, also mit dem Kopf nach unten aufgehängt und ausgeblutet werden. Fleisch und Milch müssen penibel voneinander getrennt sein.

Aschauer und seine zwei Brüder in Laab haben die Koscher-Produktion vor einigen Jahren übernommen, von einer staatlichen Molkerei im niederösterreichischen Wolfpassing, die zusperrte. Seitdem kommt Samechov regelmäßig mit seinem LKW. Am Ende nimmt er die Waren gleich in die Stadt mit und verteilt sie dort an jüdische Geschäfte. Am Produktionsprozess ändert sich während seiner Anwesenheit allerdings nur wenig: Operierte Kühe etwa – zum Beispiel solche, an denen ein Kaiserschnitt vorgenommen wurde – würden für die Produktion von Koschermilch nicht herangezogen, sagt Aschauer. Und die Geräte müssen vor dem Wechsel zu koscher nach genauen Regeln ausgekocht werden.

Keinen Kilometer von der Halle entfernt, zwischen bewaldeten Hügeln, liegt der Stall der Familie Aschauer, 170 Kühe, der zweitgrößte Betrieb in Österreich. Es ist schwarz-weiß geflecktes Vieh, das dort ruhig Heu mampft. Wie Dampf steigt Atem aus ihren Nüstern. Bestens geeignet für Milchproduktion seien diese Tiere, sagt Aschauer. Ihr Fleisch allerdings eigne sich nicht besonders für ein saftiges Steak, „man kann ja nicht alles haben“. Am Ende ihres Lebens, sagt er, würden die Kühe stattdessen faschiert und als Fleischlaberln zwischen zwei McDonald’s-Semmelhälften landen.

Auch die mit Kaiserschnitt.

Erschienen im Falter 7/09

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Eingeordnet unter Minderheiten, Religion

Politisches Buch – Henriette Riegler „Un/Sicherheit und In/Stabilität des ‚westlichen Balkan'“


Europäische Tragödie im Südosten

Langsam verschwindet der Balkan vom Radar der internationalen Aufmerksamkeit, stattdessen wendet man sich etwa dem islamischen Raum oder Russland samt seiner Einflusssphären zu. Kein Wunder, liegt doch der letzte Krieg – im Kosovo – zehn Jahre zurück. Dennoch: Nichts widerlegt die These vom „Ende der Geschichte“ und vom sterbenden Nationalstaat so sehr wie Jugoslawien, das nach mehreren blutigen Kriegen in sieben Staaten zerfiel. Zehn Jahre später liefert Balkanexpertin Henriette Riegler vom Österreichischen Institut für Internationale Politik in ihrem Arbeitspapier einen konzisen Blick über den Zustand der exjugoslawischen Staaten und Albaniens: die Annäherung an EU und Nato, der mehr oder weniger steinige Weg in den (politischen) Westen, die Probleme multiethnischer Gemeinschaften, die Mafiamilieus und zentralen Ereignisse von 2008 – wie die Verhaftung Ratko Mladics. Ein lesenswerter Überblick. Joseph Gepp

Henriette Riegler: Un/Sicherheit und In/Stabilität des „westlichen Balkan“. Arbeitspapier des Österreichischen Instituts für Internationale Politik (OIIP), 46 S., € 5,-

Erschienen im Falter 7/09

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Eingeordnet unter Balkan, Bücher, Europa, Osteuropa

Buch der Stunde: Ivan Ivanji „Schattenspringen“

Ivan Ivanji blickt auf ein Leben zurück, das es wahrlich verdient, aufgeschrieben zu werden: Aufgewachsen in der nordserbischen Woiwodina, brachte ihn seine jüdische Abstammung 1944 ins KZ. Im Jahr darauf floh er aus den Trümmern des Lagers, irrte durch die Brandruinen des Tausendjährigen Reiches – und fand schließlich ein Jugoslawien vor, das mit dem seiner Kindheit nichts mehr gemein hatte. Die Eltern waren ermordet, die Wohnung beschlagnahmt worden.

Viel später wurde er Titos Übersetzer, aber das ist eine andere Geschichte („Titos Dolmetscher“, Promedia Verlag). Heute lebt Ivanji in Wien, wo er vor wenigen Tagen seinen 80. Geburtstag gefeiert hat. Aus diesem Anlass wurde sein Buch „Schattenspringen“ von 1993, eine literarische Beschreibung seiner Jugend, nun neu aufgelegt.

Ivanji hat seine Erinnerungen Jahrzehnte nach Kriegsende niedergeschrieben – ohne Dokumente, die die Geschehnisse belegen, denn die hat er zusammen mit seiner Häftlingskleidung verbrannt. „Nichts verbindet mich mit diesem Knaben“, schreibt er. „Ich habe keinen Grund, diesen Bildern mehr zu glauben als Sternen einer Augustnacht, über die man heutzutage nichts mehr schreiben darf, weil sie so falsch, so kitschig klingen.“ Falsch und kitschig klingt heute bald einmal ein belletristisches Buch über Kriegs- und KZ-Opfer. Ivanji riskiert den Kitsch – und das Ofterzählte liest sich bei ihm wieder ganz neu. Ivanjis Erzählweise ist fast lakonisch, seine Erinnerungslücken gesteht er freimütig ein. Ein 16-jähriger Jugoslawe erlebt den Nachkriegswahn und wird Teil desselben. Der Autor beschreibt die Präpotenz der Sieger, die Wandlung der besiegten Deutschen von Schindern zu Hungerleidern, die zerbombten Häuser, in denen an Wandständern noch federbestückte Hüte hängen.

„Schattenspringen“ entfaltet sich zu einem Nachkriegspanorama, dessen Tragik gerade in seiner Zufälligkeit liegt – mit fast parabelhaftem Ende: Der Bub kehrt in seinen Heimatort Großbetschkerek, heute Zrenjanin, zurück – aber dort wartet niemand auf ihn. „Er war heimgekehrt, aber nicht zum Ausgangspunkt, der Weg schloss sich nicht zum Kreis, er war eine Spirale.“

Ivan Ivanji: Schattenspringen. Roman. Picus, 231 S., € 15,- Präsentation: 12.2., 19.30 Uhr im Palais Fürstenberg (1., Grünangergasse 4, 1. Stock)

Erschienen im Falter 7/09

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Eingeordnet unter Balkan, Bücher, Die vielschichtigen Verbindungen zwischen Osteuropa und Wien, Migranten, Minderheiten, Osteuropa

STADTRAND: Unter Krähen – Mitten in der Vorstadt

Auf einer Verkehrsinsel in der Leopoldstadt lebt eine Krähe. Nein, kein plastikgefertigter Taubenschreck, sondern eine richtige Krähe, mit schwarzen Federn und gestutzten Flügeln. Die Krähe heißt Maggie (ausgespr. „Mekkie“), aber das weiß kaum jemand. Die umzäunte Insel ist Maggies Refugium, ihre Heimat. Dort hopst sie herum, nimmt freudig Keksbrocken von Passanten entgegen und zieht sich bei Schlechtwetter in eine Art Vogelhaus zurück. Die wohlmeinende Person, die das dort hingestellt hat, ist die Kellnerin eines winzigen Beisls daneben. Maggie ist ihr Haustierchen, ihr Fang, seit sie sie einmal verletzt aufgelesen hat. Und wird das Wetter draußen wirklich schlimm, dann darf Maggie sogar ins Lokal, um zwischen den vier Tischen zu hopsen. Die wenigen Gäste freut das dann. Nur Angie („Enschie“), ein borstiger grauer Hund, ebenfalls Beislhaustier, mag die Krähe nicht. Ständig streiten die Tiere. Angie schnappt, Maggie peckt. Und immer danach ergeht sich das Kollegium der Gäste in langen Diskussionen darüber, wer jetzt schon wieder der Aggressor war.

Erschienen im Falter 04/09

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Eingeordnet unter Kurioses, Stadtleben, Stadtrand, Wien

Roma verstehen

Roma-Reportagen sind ja inzwischen fast ein eigenständiges journalistisches Genre, das vom mitleidsheischenden Gewäsch bis zu einigen der großartigsten Schilderungen deutschsprachiger Schreiber reicht. Jetzt hat Andreas Tröscher, Redakteur der bekanntlich sehr nüchternen APA, diesem Genre ein gar nicht seinem Arbeitgeber entsprechendes Stück hinzugefügt: „Zigeunerleben“ ist bunt, vielschichtig, stellenweise fast reisetagebuchhaft. Es vereint 13 große Reportagen aus Osteuropa, und praktischerweise hatte Tröscher auch die Kamera dabei. Es ist ein Dokument der Leidenschaft, des glühenden Interesses und auch einer gewissen ratlosen Faszination, was das zeitlose Leben (und Elend) osteuropäischer Roma betrifft. Und wenn Tröscher auf klapprigen Stahlbrücken über sumpfige Flüsse in Bulgarien wankt, dann schwingt auch ein bisschen Osteuropa-Romantik mit.
Joseph Gepp

Andreas Tröscher: Zigeunerleben. Roma-Reportagen aus Osteuropa. Verlag Turia + Kant, 200 S., € 22,-

Erschienen im Falter 04/09

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Eingeordnet unter Bücher, Die vielschichtigen Verbindungen zwischen Osteuropa und Wien, Osteuropa, Roma

Der Fall Aeryn Gillern: Die Grünen bringen eine parlamentarische Anfrage ein

Bericht: Joseph Gepp

Im Fall Aeryn Gillern haben Peter Pilz und Ulrike Lunacek von den Grünen ein parlamentarische Anfrage an Innenministerin Maria Fekter (ÖVP) eingebracht.

Der Falter berichtete ausführlich über die Causa: Der in Wien lebende US-Amerikaner verschwand im Oktober 2007 spurlos, nachdem er nackt aus einer Wiener Schwulensauna gerannt war. Die Polizei spricht von Selbstmord durch Sprung in den Donaukanal. Die Mutter allerdings, die nicht an einen Selbstmord ihres Sohnes glauben will, wirft den Ermittlern Homophobie und schwere Schlampereien bei der Suche nach dem Vermissten vor. Kathy Gilleran, selbst pensionierte Polizistin, berichtete über widersprüchliche Aussagen der Ermittler und Verhöhnungen von Gillerns Homosexualität. „Ich habe niemals zuvor so viel Rohheit, Grobheit und Unprofessionalität erlebt“, schrieb sie in einem Dossier an US-Senatorin Hillary Clinton. „Wenn ich sage, dass das Verhalten der Polizei an Sadismus grenzt, dann übertreibe ich nicht“ (siehe Falter 47/08).

„In diesem Fall passt so vieles nicht zusammen“, sagt Lunacek. „Wir wollen eine Untersuchung, die all diese Unklarheiten und Widersprüche zufriedenstellend aufklärt.“

39 Fragen umfasst die Anfrage, die knapp vor Weihnachten eingebracht wurde. Sie beschäftigt sich mit Details der Suche nach dem Verschwundenen ebenso wie mit der angeblichen Schwulenfeindlichkeit der Beamten. So wollen die Grünen etwa wissen, ob der Donaukanal von Tauchern durchsucht wurde und ob andere Donaustaaten bezüglich eines eventuellen Leichenfunds kontaktiert worden seien. Andere Fragen betreffen die Angemessenheit des polizeilichen Verhaltens, den Wahrheitsgehalt der Vorwürfe und interne Disziplinarmaßnahmen. Und auch das „Bild Österreichs in der Welt“ in diesem Fall wird angesprochen.

Bis 11. Februar hat Innenministerin Fekter nun Zeit, den Abgeordneten ihre Antworten vorzulegen. „Und falls uns die zu allgemein ausfallen“, sagt Lunacek, „dann werden wir in der parlamentsinternen Anfragebesprechung konkretere Antworten einfordern.“

Erschienen im Falter 04/09

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Bevor der Nebel kam

Verursachten Nebelgranaten des Heeres eine tödliche Massenkarambolage? Es wäre nicht das erste Mal

Bericht: S. Apfl,M. Gantner, J. Gepp

Ein „Nebel des Grauens“ habe sich über die Fahrbahn gelegt, so schnell und dicht, der konnte „nicht auf natürliche Weise“ entstanden sein. Das berichtete die NÖN im Dezember 2003. „Die Sicht war gleich null. Die Nebelwand einfach plötzlich da“, schilderte das Blatt damals eine Massenkarambolage nahe Matzendorf, Niederösterreich, bei der drei Menschen starben.

Die angebliche Ursache des rätselhaften Schlechtwettereinbruchs: Nebelwerfer des Heeres. Auf einem nahen Truppenplatz sei damals Rauch „aus einem Nebeltopf des Bundesheers entwichen“. Die Übung sollte einen „Brandfall“ simulieren. Wegen fahrlässiger Gemeingefährdung landeten zwei Offiziere vor dem Wiener Neustädter Landesgericht, 2004 allerdings wurde das Verfahren eingestellt.

Donnerstag, 22. Jänner 2009, auf der Donauuferautobahn nahe Korneuburg: eine ähnliche Situation wie fünf Jahre zuvor. „Der Nebel kam ganz plötzlich“, erzählt ein anonymer Augenzeuge dem Falter. Er stand zum Unfallzeitpunkt auf einer Tankstelle, nur wenige Meter vom Ort des Geschehens entfernt. „Der Rauch war grau-weiß und wurde immer dichter. Nach ein paar Minuten sah ich die eigene Hand vor den Augen nicht mehr“, erzählt er. Dann wieder das Krachen von Autos. Sieben Menschen wurden verletzt, eine Tschechin konnte nur mehr tot aus ihrem ausgebrannten Wagen geborgen werden. „Kurz bevor der Nebel kam“, berichtet der Augenzeuge aus Korneuburg, „hörte ich zwei Explosionen in unmittelbarer Nähe.“

Wieder die Augenzeugenberichte über die rätselhafte Nebelwand, die plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht und sich über die Fahrspuren gesenkt haben soll. Wieder trainierte das Bundesheer in unmittelbarer Nähe, in einem kleinen Auwäldchen neben der Autobahn. Und diesmal waren sogar Detonationen zu hören. Könnte auch diesmal eine Heeresübung die Massenkarambolage verursacht haben?

„Was den Auslöser für den Unfall betrifft, tappen Polizisten und Sachverständige im Dunkeln“, schrieb der Kurier am Tag nach der Karambolage. Zusatz: „Eine Rauchgranate könnte den Todescrash ausgelöst haben.“ Die Korneuburger Staatsanwaltschaft untersucht derzeit einen Zusammenhang zwischen der Bundesheerübung und dem Unfall. Das Militärkommando Niederösterreich hat einen Offizier, einen Militärjuristen und einen Waffenexperten abgestellt, die die Vorwürfe überprüfen. Das Verteidigungsministerium will nicht einmal über die Type der mobilen Nebelmaschine Auskunft geben, solange die beauftragte Kommission keine Ergebnisse vorgelegt hat. Ihr Sprecher ist für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

Stattdessen gibt ein Experte aus Justizkreisen dem Falter Auskunft: Mehrere Leuchtraketen und vier Nebelgranaten vom Typ HC-NbHG 74 habe man an diesem Abend abgeschossen, sagt der renommierte Fachmann. Bei Bundesheerübungen gehören die Granaten zum Standardrepertoire: Fotos auf Heereswebseiten zeigen hohe Säulen von blickdichtem weißem Rauch, die sich von einer ansonsten sonnenklaren Berglandschaft abheben. „Heute allerdings werden nur noch Restbestände dieses Waffentyps aufgebraucht“, sagt der Experte. Ein Grund: Vor zwanzig Jahren sei in Oberösterreich ein Rekrut ums Leben gekommen, nachdem der Rauch einer Granate durch den Kontakt mit hoher Luftfeuchtigkeit Salzsäure gebildet habe.

Ob für den Unfall die Granate oder herkömmlicher Nebel ausschlaggend war, wird derzeit ausgewertet: Der Fachmann glaubt an „multiple Ursachen“. Anwesende dagegen beschreiben den „plötzlich auftretenden Nebel“. Die Polizei sagt, dass „vermutlich durch die Zündung pyrotechnischer Gegenstände“ starker Rauch aufgetreten sei. Mehrere Grundwehrdiener geben den Nebelwerfern die Schuld am Unfall. „Wir waren keine hundert Meter von der Autobahn entfernt“, erzählte einer von ihnen der Tageszeitung Österreich. „Der Rauch der Übungsgranaten zog über die Fahrbahn, dann hörten wir es krachen.“

Korneuburg ist ein zusammengedrängtes Städtchen. Das Hofau-Wäldchen liegt eingezwängt zwischen dem Donauufer, Einfamilienhäusern und der Uferautobahn. An seiner breitesten Stelle ist der Wald keinen Kilometer breit. Die ABC-Abwehrschule des Heeres liegt nicht weit entfernt, Schilder in der Hofau warnen vor sporadischen Truppenübungen.

Am Unfallabend wehte laut Meteorologen ein mäßiger Wind aus dem Osten. Auf die Autobahn, die östlich der Hofau verläuft, hätte er den Rauch eigentlich nicht tragen dürfen. Gelangte er trotzdem zwischen die Autos?

Fest steht jedenfalls, dass Donnerstagsabend in der Hofau eine „Nacht-Lehrvorführung“ stattfand. Gegenstand von Ermittlungen ist dabei nicht nur der Granateneinsatz: Die Rekruten berichten auch, dass ihre Vorgesetzten sie an Hilfeleistungen gehindert hätten. Manche der Wehrdiener studieren Medizin, andere hatten gerade einen Erste-Hilfe-Kurs absolviert: „Wir wollten zur Unfallstelle laufen, aber die Ausbildner haben es verboten. Wir mussten tatenlos zuschauen“, erzählte ein Rekrut Österreich. Später habe der „Oberstabswachtmeister mit Strafen gedroht, falls wir an die Öffentlichkeit gehen“.

Sollten diese Vorwürfe stimmen, dann wäre nicht nur das Zünden der Nebelgranaten ein Tatbestand, den die Ausbildner begangen haben. Paragraph 95 im Strafgesetzbuch verpflichtet nämlich alle Anwesenden im Katastrophenfall zur Hilfeleistung, sofern sie sich dadurch nicht selbst in Gefahr bringen. Das zu unterlassen, wird mit bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft.

Ob sofortige Hilfe der Soldaten den Feuertod der Autofahrerin verhindern hätte können, ist noch unklar. Die am Einsatz beteiligten Rettungskräfte von Feuerwehr und Rotem Kreuz haben Sprechverbot und verweisen offiziell an die Staatsanwaltschaft. „Wenn die Soldaten schuld sind, dann war das grob fahrlässig“, sagt ein ranghoher Sanitäter im Hintergrund. „Die werden dann tief in die Tasche greifen müssen wegen dem bisschen Nebel.“

Erschienen im Falter 5/09

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