Monatsarchiv: März 2008

Stadtränder

Insel der Seligen

In den verschlungenen Straßen der Leopoldstadt hat ein neues Lokal
eröffnet: Café Vicktoria, Czerningasse. Ein Haus weiter hinten steht
ein Puff (Kontakt-Café), etwas weiter vorne ein Sexshop. Das weckt
den Verdacht, dass es sich beim neuen Lokal ebenso um ein
einschlägiges Etablissement handeln könnte. Aber nein – nicht das
Café Vicktoria: Jenes ist nämlich – das verkündet die Tafel vor der
Tür, gleich unter dem Wort „Neueröffnung“ – „österreichisch geführt“.
Das wirft natürlich die Frage auf, was „österreichisch geführt“
impliziert. Keine alten Männer, die ihren sexuellen Gelüsten
nachgehen? Keine jungen, die – mit Pitbull an der Leine und
neonbuntem Käppi am Kopf – ihre dubiosen Geschäfte betreiben? Das
Café Vicktoria als Insel der Harmonie im Bezirk des Bösen? Frei von
alledem, was die Stadt schon viel zu lange unsicher macht? Irgendwas
wird sich der neue Besitzer schon gedacht haben. Vergangenen Sonntag
jedenfalls wurde das „österreichisch geführt“ gelöscht und durch eine
Aufzählung angebotener Biermarken ersetzt. Ausschließlich
österreichische natürlich. Ist ja fast dasselbe. (Falter 11/08)


Tote Palme

Ein belangloser Film erklärt uns derzeit, dass so manch
überschätzter Austrostar erst nach seinem Tod richtig berühmt wird.
Die Leidenschaft fürs Posthume gilt ja gemeinhin als österreichisches
Charakteristikum, und man könnte fast sagen, dass alleine das Sterben
hierzulande schon eine gewisse Berühmtheit rechtfertigt. Wer das
nicht glaubt, der möge ins Palmenhaus des Schlosses Schönbrunn
schauen: Dort ist eine nach Österreichs vorletzter Kaiserin benannte
Palme zu groß geworden. Bisher völlig unbekannt, erfreut sie sich
jetzt, nach ihrer Abholzung, plötzlich irrsinniger und medial massiv
geförderter Berühmtheit. „Die Stunden der Sisi-Palme sind gezählt“,
berichtet der ORF pathetisch, die „Krone“ schreibt von trauernden
Kondolenzgästen – „schweren Herzens“. Gipfel der Bizarrerie: Die
Trümmer des Baums sollen laut Bundesgärten versteigert werden. In so
manchem Haushalt muss also der Stein von der Berliner Mauer bald dem
Stück Holz von der Sisi-Palme weichen. Und wie reagiert das zum
Trauern angehaltene Volk? „Man sollte die Gstaude häckseln“, schrieb
ein ORF-On-Poster. Ein anderer: „Am besten verheizen.“ Auch so können
Worte der Vernunft klingen. (Falter 8/08)

Weltstadt am Brett

Nun soll also die „World Edition“ des Brettspiels Monopoly
erscheinen. Der Name sagt schon, was sie vom Vorgänger respektive
dessen österreichischem Pendant DKT unterscheidet: Monopoly lässt
zeitgeistgemäß die nationalen Schranken fallen. In aller Welt soll
künftig gekauft und vermietet werden. Vielleicht sogar in Wien. Denn
unter 68 Bewerbern sollen jene zwanzig Städte, die es ins Spiel
schaffen, per Onlinevoting ermittelt werden. Das fordert die hohe
Stadtpolitik: „Wien darf am Monopoly-Spielbrett einfach nicht
fehlen“, sagt Vizebürgermeisterin Brauner und fordert Wien-Freunde
zur Beteiligung auf. Schließlich geht’s darum, den Weltstadt-Status
quasi in offiziöse Sphären zu heben. Fragt sich nur, ob sich Wien
gegen mächtige Konkurrenz wie London, New York oder Tokio durchsetzen
wird können. Böse Zungen könnten sogar behaupten, dass es zwanzig
Städte auf der Welt gibt, die dem Ausdruck „Weltstadt“ eher gerecht
werden als Wien. Daher die „Falter“-Wahlempfehlung: Lassen wir
London, New York oder Tokio galant den Vortritt! Mariahilfer Straße,
Kärntner Straße und Cobenzlgasse tun’s schließlich auch. (Falter 5/08)


Den lieben Kunden

Die Feiertage sind ja Gott sei Dank bereits vorüber, ein kleiner
Nachtrag sei angesichts eines besonders frechen Falls von
Weihnachtsgüte dennoch gestattet: Wer zu den Feiertagen dem Coffee
Day auf der Ringstraße gegenüber der Universität einen Besuch
abstattete, wurde mit einer großzügigen Aufmerksamkeit bedacht. Ein
Sackerl mit Kaffee und Tee gab’s für jeden Kunden gratis dazu. Ein
Blick aufs Ablaufdatum rückt allerdings die unerwartete Großzügigkeit
in ein anderes Licht. Beim Tee ist es heruntergekratzt worden, beim
Kaffee gerade noch auszumachen: Juli 2006! Kein Einzelfall, wie ein
Blick auf die anderen Packungen zeigt, die – zum Verschenken bereit –
auf dem Tresen stehen. Allesamt sind sie seit bald eineinhalb Jahren
abgelaufen. Einzig am Verkaufstisch nebenan finden sich dieselben
Produkte mit gültigem Ablaufdatum. Auf Nachfrage erklärt der
Geschäftsführer, die Ware sei frisch, man habe sie nur in alte
Packungen eingefüllt. Na, dann ist ja alles wunderbar. Er scheint
nicht bedacht zu haben, dass jemand auf die bizarre Idee kommen
könnte, einen Blick aufs Ablaufdatum zu werfen. (Falter 1-2/08)

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Eingeordnet unter Stadtleben, Stadtrand, Wien

Letzte Worte

NATIONALSOZIALMUS Wieso auf einem Gemeindebau am Alsergrund noch
immer ein Zitat von Adolf Hitler prangt.
JOSEPH GEPP

Es gab Zeiten, da waren Gemeindebauten Ausdruck eines
Standesbewusstseins. Der Thuryhof am Alsergrund ist so einer: lange
Reihen uniformer Torbögen, ein Kinosaal und Balkonumfassungen, die
ein wenig wie Schießscharten wirken. „Erbaut aus Mitteln der
Wohnbausteuer“ in den Jahren 1925/26. Wehrhaft und egalitär, so
sollte es sein, das Rote Wien. Doch später kamen Christlichsoziale
und Nationalsozialisten, und der Traum war vorerst vorbei.

Am Thuryhof hat jedoch nicht nur die Sozialdemokratie ihre Spuren
hinterlassen: Über einem Torbogen blickt ein überlebensgroßer Krieger
stramm und finster in die Weite. Das Standbild stammt vermutlich aus
nationalsozialistischer Zeit. Auf einer darunter angebrachten Tafel
prangt – in Kurrentschrift – ein Zitat: „Wir bitten Dich Herrgott,
lass uns niemals wankend werden und feige sein, lass uns niemals die
Pflicht vergessen, die wir übernommen haben.“ Urheber des rührenden
Vierzeilers: Adolf Hitler. Sein Name wurde weggeschliffen, unter den
Worten verweisen helle Stellen noch immer auf den Platz, wo die
Buchstaben standen. Der Spruch ist Teil einer Rede, die der
Reichskanzler am 4. März 1933, am Tag vor der Reichstagswahl, in
Kaliningrad, damals Königsberg, hielt. Der Völkische Beobachter
druckte sie am nächsten Tag im Volltext, das Zitat kommt darin vor,
„stürmischer Applaus“ steht dahinter in Klammern.

hitlerzitat
Foto von Heribert Corn

„So etwas kann man nicht einfach unkommentiert stehen lassen“,
sagt Stefan Freytag, stellvertretender Bezirksobmann und Obmann der
Grünen am Alsergrund. Schon vor knapp vier Jahren hätten die
Bezirksgrünen einen Antrag auf „zeithistorisch-künstlerische
Neugestaltung der Tafel“ gestellt. „Man sollte den Spruch mit einer
zweiten Tafel ergänzen“, sagt Freytag. „Das wäre besser, als sie ganz
zu entfernen. Was mich stört, ist das Unkommentierte.“ Die
Bezirksversammlung nahm den Antrag damals an, der Fall ging an die
Alsergrunder Kulturkommission – und wurde ad acta gelegt, nachdem SPÖ
und FPÖ die Herkunft des Zitats angezweifelt hatten. „Die
Urheberschaft der Worte ist einwandfrei bewiesen. Sie stehen ja im
Völkischen Beobachter“, sagt Erich Eder, grüner Bezirksrat und
Initiator des Antrags. Dass sich die Umrisse des Namens noch immer
auf der Metalltafel abzeichnen, bezieht er in diese Beweisführung gar
nicht ein.

Siegi Lindenmayr, mit der Causa befasster SPÖ-Gemeinderat,
zweifelt den Ursprung des Zitats trotzdem an: Zwar verlangt auch die
SPÖ inzwischen eine „aufklärende Informationstafel“. Aber, so
Lindenmayr: Das Zitat stamme aus dem Radiohörspiel eines
unpolitischen Schriftstellers von 1932, das später von
„nationalsozialistischen Propagandaschreibern inhaltlich manipuliert“
wurde. Es handelt sich also um ein Denkmal, dessen historischer
Kontext verloren gegangen ist – nur die verblichenen Umrisse des
Namens unter dem Zitat sprechen Bände: „Ein schöneres Sinnbild für
den Umgang mit der Geschichte in der Zweiten Republik kann es gar
nicht geben“, sagt Erich Eder, „der Name wurde diskret entfernt, der
Inhalt blieb oft derselbe.“ Jetzt prangt ein neuer Satz über dem
Hitlerspruch: „Es kann nicht sein, dass 2008 noch immer ein Zitat von
Adolf Hitler unkommentiert auf einem Gemeindebau steht!“ Mit
Nylonschnur, dicken Buchstaben und Plastikfolie haben die
Bezirksgrünen ein kleines Plakat gebastelt und es über die metallenen
Buchstaben gespannt. Ganz so dauerhaft wie die dahinterstehenden
Hitlerworte dürfte das Transparent allerdings nicht sein.

Erschienen im Falter 11/08

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Eingeordnet unter Stadtgeschichte, Wien

Ottakring Polje

MIGRANTEN Nicht immer geht es auf der „Balkanstraße“ im 16. Bezirk
friedlich zu. Eine Einführung in kleine Codes und große Gesten.
JOSEPH GEPP

Wes Geistes Kind die Serbendemonstration gegen die Unabhängigkeit
des Kosovo am vergangenen Sonntag am Heldenplatz war, blieb
unübersehbar: Die drei Finger, die viele der Serben in die Höhe
reckten, waren schon im Zweiten Weltkrieg geläufig – als Gruß der
Tschetniks. Dass ein orthodoxer Pope das Vaterunser betete, erinnerte
ebenfalls an so manche Militärweihe der vergangenen Balkankriege. Als
zwei Kondensstreifen von Flugzeugen am Himmel über dem Heldenplatz
ein kreuzförmiges Muster bildeten, deutete der Geistliche nach oben:
„Seht hinauf, da ist das Kreuz!“ Dass religiöse Überhöhung und
Politik eine ungesunde Mischung bilden, scheinen nur wenige der
serbischen Demonstranten verinnerlicht zu haben.

Anschließend zog man zur Ottakringer Straße zwischen den 16. und
17. Wiener Gemeindebezirk. Dort schlugen die Randalierer die Fenster
eines albanischen Lokals namens Espresso Alba ein. Die Albaner
schworen Rache. Derartige Gewaltausbrüche bleiben jedoch sonst
Einzelfälle auf der „Balkanstraße“, wie die Exjugoslawen die
Ottakringer Straße nennen. Die ungeliebten Albaner lassen sich dort
ebenso wenig blicken wie Türken, Araber und andere Nationalitäten.
Dafür besuchen Vertreter sämtlicher jugoslawischer
Nachfolgenationalitäten die Bars und Discos im 16. Bezirk. Die
Ottakringer Straße gilt als Amüsiermeile der Wiener Exjugoslawen
schlechthin (siehe „Balkan nach Maß“, Seite 68). Die
Neonationalitäten sind untereinander befreundet, manchmal sogar
verschwägert. „Ich kenne andere Serben, Bosnier und Kroaten“, sagt
Gloria, eine serbische Besucherin im Palazzo. „Nur Albaner mag ich
nicht.“ Im Palazzo oder Café Chic wird man von den Kellnern in
serbokroatischer Sprache angesprochen; die jeweilige Nationalität von
Lokalbesitzern und Gästen deutet sich lediglich in kleinen Symbolen
an: Ein Rosenkranz hinter dem BMW-Mittelspiegel weist beispielsweise
einen kroatischen Fahrer aus, ein Kreuz über dem Türstock einen
ebensolchen Lokalbesitzer. Serben tragen bevorzugt einen fünfzackigen
Stern um den Hals, das Symbol ihres geliebten hauptstädtischen
Fußballklubs Roter Stern Belgrad.

Es ist freilich eine Kultur, die vom Milieu und der Exil-Situation
der Exjugoslawen in Wien entscheidend mitgeprägt wurde. „Es ist eine
ländlich geprägte und oft sehr konservative Alltagskultur, die von
Exjugoslawien nach Wien gekommen ist“, erklärt Dino SÇosÇe,
Herausgeber der Zeitung Bum. Viele der Migranten sind
Kriegsflüchtlinge und – häufiger – Gastarbeiter und deren Kinder. Sie
kommen mehrheitlich aus ländlichen Regionen und sind oft
nationalistischer orientiert als der Bevölkerungsschnitt ihrer
Heimatländer. Der Turbo Folk, schnell gespielte und elektronisch
adaptierte Schlagermusik, gilt als Ausdruck dieses Milieus. „Die
Alltagskultur der exjugoslawischen Städte ist ganz anders, viel
avancierter. Aber sie hat es kaum nach Wien geschafft“, sagt SÇosÇe.
Gibt es kein Beispiel für das städtische Selbstverständnis
Exjugoslawiens in Wien? „Mir fällt nur ein einziges Lokal ein, das
vom Ambiente und der Musik her diese Kultur repräsentiert: das
MarsÇal im 16. Bezirk.“ Das Pub befindet sich in der Herbststraße und
spielt bekannten jugoslawischen Rock à la Bijelo Dugme, zu Deutsch
„Weißer Knopf“, ehemals Band des bosnischen Sängers Goran Bregovic´.
Dass die ideologische Ausrichtung eine andere ist als jene des Turbo
Folk, zeigt schon der Name des Lokals: MarsÇal bezieht sich auf den
militärischen Rang des ersten jugoslawischen Staatschefs, Jossip Broz
Tito.

Erschienen im Falter 9/08

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Eingeordnet unter Balkan, Die vielschichtigen Verbindungen zwischen Osteuropa und Wien, Migranten

Balkan nach Maß

UNTERHALTUNG Die Amüsiermeile der Wiener Exjugoslawen liegt an der
Ottakringer Straße. Ein paar hundert Meter weiter, in der Ottakringer
Brauerei, feiern die Österreicher beim Ost-Festival das, was sie für
Osteuropa halten.
JOSEPH GEPP und FLORIAN OBKIRCHER

Metternich meinte, der Balkan würde am Rennweg beginnen. Aber das
ist mehr als 150 Jahre her. In dieser milden Samstagnacht beginnt er
auf der Ottakringer Straße – und er ist unübersehbar: Schwarze BMWs
halten im Konvoi vor grellbeleuchteten Lokalen mit Namen wie Flash,
Labyrinth oder Palazzo. Der Beat lässt die Spiegelfenster der Discos
vibrieren. Er hämmert aus Autos und Lokalfoyers, in denen
tiefdekolletierte junge Frauen in weißen Hot Pants sitzen. Das Spiel
der Kontaktanbahnung arbeitet hier mit betontem Desinteresse. Die
Frauen schauen gelangweilt, die Männer finster. Sie tragen ihre engen
weißen Hemden bis unter die Brust aufgeknöpft; sie wirken dabei, als
würden sie allesamt Millionenverträge abschließen, wenn sie nicht
gerade samstagabends ausspannen. Man mischt Red Bull mit Wodka.
Aufgegelte dunkle Stehfrisuren und wasserstoffblondierte Mähnen,
polierte Lackschuhe und blitzende Gürtel mit Edelsteinimitat: Hier
gibt sich das junge – und betont schicke – Südosteuropa ein
Stelldichein. Und nichts scheint uninteressanter als die
Neonationalität des Einzelnen. Bei House und Turbo-Folk werden Zagreb
und Belgrad zu Tanzpartnern, Dubrovnik und Banja Luka zu
Trinkfreunden, Christentum und Islam zu Verbündeten im Kampf für den
gemeinsamen Hedonismus. Sieht man einmal vom Kosovo ab, dann ist die
samstägliche Ottakringer Straße die Miniaturversion von dem, was
Jugoslawien einmal hätte sein sollen.

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Im Palazzo. Foto von Julia Fuchs

„Früher hatte jede Nationalität ihre eigenen Lokale. Die Serben
zum Beispiel gingen hauptsächlich ins Labyrinth, die bosnischen
Muslime bevorzugt ins Flash. Das war kurz nach dem Balkankrieg“,
erklärt Marija, eine junge kroatische Besucherin im Palazzo,
samstäglicher Hot Spot der ausgehfreudigen Südosteuropäer. „Im Lauf
der Zeit hat sich das aber aufgeweicht. Dieser Prozess begann
ungefähr Ende der Neunzigerjahre. Heute gehen viele Serben in
bosnische oder kroatische Lokale – oder umgekehrt. Andere Clubs
werden von Türken oder Albanern frequentiert.“ Nur eine Nationalität
fehlt auf der samstäglichen Amüsiermeile in Wien-Ottakring fast
vollständig: Österreicher ohne Migrationshintergrund. „95 Prozent
meiner Gäste sind Exjugoslawen“, sagt Dalibor Toco, Chef des Palazzo.
Autochthones Partyvolk dagegen zeigt sich im 16. Bezirk höchstens
einige hundert Meter weiter, in der Ottakringer Brauerei, einem
beliebten städtischen Veranstaltungsort. Das Publikum hier ist
allerdings älter, dezenter gekleidet – es ist eine Lebensphase, in
der man von Unterhaltung oft mehr will, als bei hämmerndem Beat
tapsige Flirtaktionen zu wagen.

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Im Ost-Klub. Foto von Julia Fuchs

Die Veranstalter wissen, welche Zielgruppe sie erwartet. Am
kommenden Wochenende feiert beispielsweise der Ost-Klub sein erstes
großes Festival in den Sälen der Brauerei. Für das bevorstehende
„Balkan-Fest des Jahres“, wie es die Betreiber stolz anpreisen, ist
das Stammlokal am Schwarzenbergplatz zu klein. Angeboten wird – der
musikalischen Ausrichtung des Clubs gemäß – Musik aus Osteuropa: Der
„Gypsy-Balkan-Russen-Wahnsinn“ lautet der Untertitel des Festes.
„Russische Klänge und Balkangrooves feiern unaufhaltsam ihren
Siegeszug durch die Clubs und Festivals in aller Welt“, begründet die
Club-Homepage die Musikauswahl. Neun Bands, ein DJ-Floor und
osteuropäische Delikatessen werde es geben, verspricht
Ost-Klub-Manager Marcus Westenberger. Hauptacts sind Oi Va Voi aus
der Ukraine und Fatima Spar aus Österreich. „Diese Musik drückt eine
galgenhumorige Lebensfreude aus. Das hat mir schon immer gefallen“,
sagt Westenberger. Heulende Huzulenstimmen und Tuba- und
Kontrabassklänge ostslowakischer Romagruppen werden sich dann mit
elektronischen Beats vermischen. Regelmäßig von der Bühne skandierte
„Wodka!“-Rufe werden die richtige Stimmung schaffen. „Die Leute
reagieren euphorisch, wenn sie Balkansound hören. Dagegen sind
normale Elektronikpartys eher langweilig“, sagt Ulf Lindemann alias
DJ Dunkelbunt, der neben vielen anderen beim Ost-Festival die
Plattenspieler bedienen wird.

Es begann im Jahr 2003, als Stefan Hantel, genannt Shantel,
deutscher Produzent und DJ mit ukrainischen Wurzeln, in Frankfurt
eine Platte veröffentlichte, auf der er Elektrobeats mit
traditionellen osteuropäischen Klängen mischte. Viele hielten
„Bucovina Club“ damals für ein singuläres Ereignis. Doch das Album
wurde zum Erfolg und die Musikrichtung zum Genre. „So eine
Trenddynamik ist neu, das hat es – von Kontinentaleuropa ausgehend –
noch nicht gegeben“, erklärte Hantel vier Jahre nach der
Veröffentlichung seines Albums der Zeit-Online. Die Welle erreichte
bald auch Österreich: Was früher etwa Balaton Combo oder
Tschuschenkapelle als eher augenzwinkernde Variante des Austropop
betrieben, füllt heute Clubs und wird vom jungen kulturinteressierten
Stadtmenschen bereitwillig konsumiert. Lokale wie Wirr, Szene und Aux
Gazelles bieten regelmäßig Balkanabende, der Ost-Klub neben dem
Russendenkmal hat das Genre vor vier Jahren gar zum Programm erhoben.
Neben DJ Dunkelbunt repräsentieren in Wien vor allem Bands wie
Russkaja und Dela Dap die Szene. Selbst in den USA feiern inzwischen
Bands Erfolge, deren Mitglieder den Osten Europas oft nur vom
Hörensagen oder von sporadischen Rucksackreisen kennen – etwa A Hawk
And A Hacksaw aus New Mexico oder Gogol Bordello aus New York. Auch
wenn Eugene Hütz, Leadsänger von Gogol Bordello, die „westliche
Sehnsucht nach dem angeblich Wahrhaftigen und Ursprünglichen“ im
Standard-Interview als „widerlichen fucking Yuppie-Shit“ bezeichnete
– der „Gypsypunk“ hat den gebürtigen Ukrainer reich und berühmt
gemacht.

Mit dem wahren Osteuropa hat die Musik von Gogol Bordello freilich
kaum noch zu tun. „Das Osteuropäische wird in zeitgenössische Formen
gegossen. Man kann schließlich keinen Volksbarden in einen Club
stellen“, sagt Roman Horak, Kulturwissenschaftler an der Universität
für angewandte Kunst. „Es gab in der Popkultur schon immer ein tiefes
Verlangen nach Authentizität. Das ist ein Anspruch, der beim
Balkanpop allerdings nicht eingelöst werden kann.“ Das vermeintlich
Authentische erreicht den westlichen Hörer nur in einer stark
adaptierten Fassung: „Bei der echten Balkanmusik läuft vieles im
11/8-Takt ab. Shantel hat begonnen, sie zu sampeln und gnadenlos zu
verviervierteln. Auf diese Art wurde sie Dancefloor-tauglich“, sagt
Daniel Hantigk, Chef des auf Balkanmusik spezialisierten Wiener
Labels Chat Chapeau. Es ist aber nicht die Tanzbarkeit alleine, die
dazu führt, dass selbst Bands aus dem amerikanischen Mittelwesten
plötzlich Balkanpop machen: Osteuropäische Musik verbreitet eine
Aura, ein Lebensgefühl. Es stellt sich beispielsweise ein, wenn Emir
Kusturica in seinen Filmen die wilden Hochzeiten der Roma am
serbischen Donauufer nachzeichnet. Oder wenn der
Bolschoi-Kosaken-Chor mit Schwermut und Leidenschaft „Kalinka“
intoniert. Der slawische Besiedelungsraum ist fast so heterogen wie
jener des restlichen Europas, er reicht von der Halbinsel Kamtschatka
bis an die Oder und vom Franz-Joseph-Land bis Mazedonien – aber beim
Balkansound spielt das nur eine untergeordnete Rolle. Der Osten: Das
ist Wodka, Sliwowitz und unbändige Lebensfülle. „Die Musik lebt und
kreist um sich selbst. Wer da mit dem Authentischen anfängt, den
finde ich immer etwas arm“, sagt DJ Dunkelbunt.

In Österreich haben Russkaja das Spiel mit den Klischees
perfektioniert. Einem breiten Publikum wurde die Band als
Stimmungsmacher für die donnerstägliche TV-Show von Stermann und
Grissemann bekannt, wo sie zwischen Gags und Gästen kleine Happen
intoniert, die nach Wodkagelage und Eismeerbad klingen sollen.
„Russische Power“ nennt die Gruppe ihre „Philosophie“. Titus Vadon,
Schlagzeuger und Sänger der Band, hat sich einen russischen Akzent
zurechtgelegt, obwohl er kein Russe ist. Früher war er Teil des
Balaton Combo und trug einen ungarischen Schnauzer, obwohl er seit
seiner Kindheit in Wien lebt. „Der Schnauzbart ist genauso
Showelement wie der russische Akzent. Von Russkaja erwarten die Leute
das einfach“, sagt er. Wem das zu viel der Inszenierung ist, der kann
immer noch auf Interpreten zurückgreifen, die tatsächlich aus
Osteuropa kommen: Die zwölfköpfige Roma-Blaskapelle Fanfare
CiocaÇrlia aus Ostrumänien geht ebenso regelmäßig auf Tournee durch
westeuropäische Konzerthallen wie der Bosnier Goran Bregovic´ – und
selbst Emir Kusturica höchstselbst tritt mit seiner Band Zabranjeno
PusÇenje, hierzulande besser bekannt als No Smoking Orchestra, auf
dem ganzen Kontinent auf. Wenn Kusturica in Wien gastiert, ist die
große Halle des Wuk mehrere Abende hintereinander ausverkauft. Diese
Musiker singen und spielen für Völkerverständigung, manchmal
melancholisch und getragen, manchmal schnell und aufpeitschend.

In Westeuropa kennt man sie oftmals besser als in ihren
Heimatländern. „Bregovic´ macht seine Ethnomusik ausschließlich für
den Westen. In Bosnien hört man das kaum“, sagt der Bosnier Dino
SÇosÇe, 32, Herausgeber der serbokroatischsprachigen Wiener Zeitung
Bum und Moderator der gleichnamigen Okto-Sendung. „Das, was sich die
Österreicher hier zusammengezimmert haben, hat mit dem Balkan wenig
zu tun. Keiner meiner bosnischen Freunde kennt beispielsweise
Shantel.“ Der authentische Osten – er findet auf der Ottakringer
Straße statt. Beispielsweise im Palazzo: „Jeden Abend kommt der
schwarze Benz und bringt dich in die Disco“, dröhnt es dort auf
Serbokroatisch aus den Boxen. Die Musikrichtung nennt sich
Turbo-Folk. In schnell gespielten Schlagern werden die gute Welt und
das schnelle Geld besungen. In den dazugehörigen Videos tanzen junge
und plastisch perfektionierte Frauen zu Technobeats auf den Flügeln
von Abfangjägern. „Wie die Zillertaler Schürzenjäger, nur etwas
primitiver“, beschreibt Dino SÇosÇe diese Musik. Die Stars des Genres
tragen Namen wie Seka Aleksic´, Dragana Mirkovic´ oder Ceca
RazÇnatovic´. Ihre Musik gilt oft als Ausdruck von Nationalismus,
ihnen selbst werden mitunter Verbindungen zur Balkanmafia nachgesagt.
Turbo-Folk-Stern Ceca RazÇnatovic´ beispielsweise, eine der reichsten
und bekanntesten Frauen Serbiens, ist Witwe des ermordeten
mutmaßlichen Kriegsverbrechers ZÇeljko Arkan, genannt der „Tiger“ und
Kommandant der gleichnamigen Milizeinheit im Balkankrieg. Die
Sängerin weilte bis vor kurzem auf Zypern, weil man ihr in Serbien
Steuerhinterziehung vorwarf.

Aber Zypern ist weit weg. An diesem Abend gastiert in Ottakring
die Band Playboy im Café Chic, unweit des Palazzo. Playboy covert
ausschließlich Turbo-Folk-Hits. Arbeitsvisa für sechs Monate in
Österreich ermöglichen das Gastspiel der dreiköpfigen Gruppe. Die
Zuhörerschaft ist älter und gesetzter als im Palazzo; Muskelpakete
und Modeschmuck prägen trotzdem die Szenerie. Die Band spielt vor
einem riesigen Transparent, auf dem das Playboy-Häschen prangt. „Ich
habe Kopfschmerzen vom Wein, kein Aspirin in Sicht, gestern Abend war
ich mit dir betrunken, die Bettwäsche liegt am Boden des verrauchten
Zimmers.“ Ein Keyboard neben der Sängerin imitiert den Klang eines
Dudelsacks aus Ziegenhaut, mit dem sich die balkanischen Hirten einst
die Zeit vertrieben. Die Stimmung ist ausgelassen. Die Sehnsucht nach
Wahrhaftigem und Ursprünglichem scheint hier niemand zu spüren. Das
Café Chic könnte ebenso gut in Zagreb und Belgrad, Dubrovnik und
Banja Luka stehen. Das Lebensgefühl scheint sich desto schneller
einzustellen, je weniger man über etwaige Zuschreibungen nachdenkt:
Von Russkaja, Gogol Bordello oder DJ Dunkelbunt hat man hier noch nie
etwas gehört. Genauso wenig wie von der Ottakringer Brauerei, wo die
Österreicher nächste Woche jenes Gefühl feiern werden, das sie für
osteuropäisch halten.

Erschienen im Falter 9/08

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Eingeordnet unter Balkan, Die vielschichtigen Verbindungen zwischen Osteuropa und Wien, Migranten

Zuhause wartet der Tod

AFFÄRE Der Serbe Jovan Mirilo half, das Massaker von Srebrenica
aufzudecken. Österreich ehrte ihn dafür. Und schiebt ihn nun ab.
JOSEPH GEPP

Drei Tage. Drei Tage, sagt Jovan Mirilo, hätte er noch zu leben,
würde er nach Sid zurückkehren. In jenes Städtchen in der
nordserbischen Provinz Vojvodina, aus dem er vor einem Jahr fliehen
musste, weil sein Leben akut gefährdet war. Jovan Mirilo fühlt sich
jetzt sicher. Er sitzt am Esstisch einer kleinen Wohnung in
Rudolfsheim-Fünfhaus und trinkt Kaffee, seine sechsjährige Tochter
Marija kritzelt in ein Malbuch und spricht schon ein paar Brocken
Deutsch. Österreich war das Land, das Mirilo und seine Familie
aufnahm, ihn wegen seines Engagements hofierte und ihm den
Bruno-Kreisky-Preis verlieh, den wichtigsten Menschenrechtspreis des
Landes, in einer Reihe mit Kofi Annan oder Benazir Bhutto. Aber jetzt
will man ihn hier offenbar nicht mehr. Mirilo soll abgeschoben werden
nach Serbien. In ein Land, wo ihm, wie er sagt, der Tod droht.

Mirilo, 43, ehemals Besitzer einer kleinen Boutique, redet gerne
allgemein. Er beklagt die mafiösen Strukturen in Serbien und die Art
und Weise, wie sich die Politik damit arrangiert. Aber wenn er von
diesen abstrakten Ausführungen auf die Ebene der konkreten
Erfahrungen hinunter soll, dann stockt er. Dann erahnt man kurz die
Härten seiner Vergangenheit. Und bekommt Einblick in eine
Gesellschaft, die mancherorts noch immer von einer nationalistischen
Clique einstiger Kriegstreiber beherrscht wird. Zum Beispiel in Sid,
an jenem Frühlingstag vor zwei Jahren, als Mirilo mit einem Bekannten
im Kaffeehaus saß. Plötzlich trat ein Fremder an den Tisch. „Wenn
dich sonst keiner umbringt, dann werde ich es tun“, sagte er zu
Mirilo und verschwand. Das ganze Lokal hatte es gesehen. Doch als der
Bedrohte den Fall bei der Polizei anzeigen wollte, fanden sich keine
Zeugen. Selbst sein Bekannter mochte sich nicht an den Vorfall
erinnern. Später erklärte er, die Polizisten hätten ihn aufgefordert,
sich aus der Sache rauszuhalten.

Jovan Mirilo hatte keine ruhige Minute mehr. Man weigerte sich,
ihm eine Zeitung zu verkaufen. Auf der Straße wurde er beschimpft.
Von einem wohlmeinenden Freund erfuhr er, dass einige ehemalige
Militärs ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt hatten – angeblich 50.000
Euro. Er bangte um sich und seine Familie. „Ich hatte mir
vorgenommen, diese Drohungen einfach zu ignorieren. Aber irgendwann
geht das nicht mehr.“ Mirilo hatte die Macht seiner Feinde falsch
eingesetzt, den Hass einer ganzen Stadt auf sich gezogen. Er hatte
etwas getan, was jeder nationalistische Serbe als schweren Verrat am
eigenen Volk klassifizieren würde.

Seine Tat begann ein Jahr zuvor, an einem Jännertag 2005. Mirilo
sah einen Fernsehbeitrag. Er handelte vom städtischen
Karpfenfischverband. Dessen Vorsitzender erklärte darin, wie
wohltuend das Fischen sei. Dass es die Balance zwischen Körper und
Geist fördere und gewissermaßen auch einen sehr humanen Aspekt habe,
es gehe ja nur um den Sport, der Karpfen werde nach dem Fang ins
Wasser zurückgeworfen. Jovan Mirilo – und die meisten anderen in Sid
– wussten, dass der Mann, der das sagte, beim Massaker von Srebrenica
aus nächster Nähe Menschen erschossen hatte. „Alle wussten es. Und
diese Person stellt sich allen Ernstes hin und redet vom
Karpfenfischen.“ Jovan Mirilo schüttelt den Kopf. „Ich dachte mir,
ich muss etwas tun. Irgendetwas läuft falsch in diesem Land.“ In der
städtischen Videothek gab es ein Video zum Verleih – unter dem
Ladentisch. Es waren die Morde von Srebrenica, mitgefilmt von den
triumphierenden Tätern. Jeder wusste es, kaum jemand sprach darüber.
Mirilo lieh das Video aus, kopierte es und übergab es dem
Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag.

Etwa 8000 Muslime hat die serbische Kampfeinheit „Skorpione“ im
Juli 1995 bei Srebrenica in Bosnien-Herzegowina erschossen. Es war
das schlimmste Massaker der europäischen Nachkriegsgeschichte. Nach
dem Krieg zogen viele der Skorpione nach Sid. Etwa die Hälfte der
Bewohner der Kleinstadt waren vor dem Krieg Kroaten gewesen – sie
wurden vertrieben, und an ihrer Stelle siedelten sich Serben aus
Bosnien und Kroatien an, die ihrerseits aus ihren Dörfern geflohen
waren. Sie hatten Krieg und Vertreibung erlebt und die falschen
Schlüsse daraus gezogen. Sid ist selbst für serbische Verhältnisse
eine nationalistische Stadt. „Nationalistische und gewaltbereite
Netzwerke sind in Serbien bis heute mächtig geblieben“, sagt
Balkanexperte Gerald Knaus von der European Stability Initiative in
Berlin. Das Video diente den Haager Anklägern als Beweismaterial. Auf
seiner Grundlage wurden Schuldsprüche gefällt. Das machte Jovan
Mirilo in Sid zum Paria.

Heute kann er nur aus sicherer Entfernung verfolgen, was in seiner
500 Kilometer entfernten Heimatstadt geschieht. „Vor kurzem hat mir
ein Freund erzählt, dass ein ExMilitär sein Auto in meiner Garage
geparkt hat. Es würde mich auch nicht wundern, wenn bald ein Fremder
in meiner Wohnung lebt.“ Sollte er nach Sid zurückkehren, gäbe es
aber ohnehin größere Probleme als seine Wohnung: Das österreichische
Bundesasylamt hat im Oktober Mirilos Antrag auf Asyl abgelehnt.
Begründung: Er sei serbisch-kroatischer Doppelstaatsbürger – und in
Kroatien, so die Lesart der Behörde, vor den Skorpionen sicher.
Mirilo hatte sich 1998 für den Fall seiner Flucht einen gefälschten
kroatischen Pass besorgt. Im Gegensatz zum serbischen erfordert jener
kein Visum, um ins westliche Ausland zu gelangen – eine Möglichkeit,
von der viele Serben in den Wirren der Kriegszeit und danach Gebrauch
machten. „Das war damals die Regel. Viele hatten zusätzliche Pässe“,
sagt Manfred Nowak, UN-Menschenrechtsberichterstatter, Jurymitglied
beim Bruno-Kreisky-Preis und selbst viele Jahre in Bosnien tätig.
Allerdings: „In Wahrheit habe ich mit Kroatien gar nichts zu tun“,
sagt Jovan Mirilo. Name und Geburtsdatum im gefälschten Pass stimmen
nicht. Die kroatische Botschaft in Wien bestätigte kürzlich, dass
Jovan Mirilo „in den Datenbanken des Melderegisters, den Datenbanken
des Registers für einen ununterbrochenen und zeitweiligen Aufenthalt
und den Datenbanken des Registers für ausgestellte Personalausweise
nicht aufscheint“. Während des Verfahrens war die Botschaft nicht vom
Asylamt kontaktiert worden. Ebenso musste Mirilo, dessen Video in
ganz Europa Aufsehen erregte hatte, erst aus dem zugestellten
Bescheid erfahren, dass er für einen Kroaten gehalten wurde.
Amnesty-International-Chef Heinz Patzelt nennt dieses Vorgehen „eine
Schlamperei“ und „völlig absurd“: „Die Behörde kannte das Video und
die Bedeutung des Falls. Außerdem wusste sie um die Gefahr, in der
Herr Mirilo schwebte. Es ist mir völlig schleierhaft, warum sogar bei
einem solchen Asylfall so schlampig vorgegangen wird.“ Nun will Nadja
Lorenz, Mirilos Anwältin, in die Berufung gehen, um das Verfahren neu
aufzurollen. Wann und mit welchem Ausgang es enden wird, sei noch
nicht abzusehen, sagt sie. Das Innenministerium, dem das
Bundesasylamt untersteht, war mit Verweis auf die
Amtsverschwiegenheit zu keiner Stellungnahme bereit.

Jovan Mirilo kramt den Bescheid des Asylamts und das Schreiben der
Botschaft aus einer Lade. Er spricht über die bürokratischen Hürden
und wirkt dabei ruhig und enttäuscht: von Serbien, das ihm die
dringend benötigte Hilfe verweigerte, von Österreich, das aus
offenbar falschen und schlampig ermittelten Gründen seine Ausreise
verlangt. Er kommt kurz auf die Bruno-Kreisky-Preisverleihung im Juni
2007 zu sprechen. Das sei eine schöne Sache gewesen, sagt er. Auch
wenn es ihm nicht viel geholfen hat.

Erschienen im Falter 7/08

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Das letzte Angebot

MÄRKTE Ihre große Zeit ist schon lange vorbei. Wegen des Umbaus
von Wien Mitte schließt die Landstraßer Markthalle jetzt endgültig.
Nur vier Standler weigern sich zu gehen. Ein Schlussverkauf.
JOSEPH GEPP
Fotos von Heribert Corn

Damals, 1927, war die Welt noch in Ordnung, sagt der Blick von
Frau Schultes. Sie selbst war da zwar noch nicht einmal geboren, aber
das Foto, das sie in der Hand hält, spricht Bände. Sie hat es immer
bei sich, in einem abgegriffenen Kuvert, hinter der Theke ihres
Blumenstands. In zittriger Schrift hat sie die Jahreszahl an den
oberen Bildrand gekritzelt. Das Foto zeigt einen Mann mit Gamaschen
an den Beinen und einer Melone auf dem Kopf. Voller Stolz präsentiert
er seinen Marktstand, inmitten des gewerblichen Treibens. Dieser Mann
sei ihr Vater gewesen, erzählt Christina Schultes. 1927 habe er
seinen Marktstand eröffnet. Vierzig Jahre später, 1967, habe sie ihn
dann übernommen. Seitdem stehe sie hier. Wann, wenn nicht heute, soll
die Erinnerung an all diese Jahrzehnte in ihr hochkommen. Frau
Schultes verkauft am 31. Jänner 2008 zum letzten Mal ihre
Blumensträuße. Vor langer Zeit schon habe ihre Tochter den Marktstand
übernommen, aber sie sei immer noch da, aushilfsweise eben. Bis heute
Abend. Dann geht sie endgültig in Pension. Und mit ihr die
Landstraßer Markthalle.

markthalleschultes
Frau Schultes

Märkte erfüllen verschiedene Funktionen. Manche dienen der
Parallelgesellschaft als kulinarisches und soziales Refugium, andere
der jungen Stadtelite zur kulturellen Selbstvergewisserung. Die
Landstraßer Markthalle konnte keine der beiden Funktionen richtig
erfüllen. Dazu war der Betonblock, in den man sie in den
Siebzigerjahren verbannte, zu gesichtslos und abweisend. Dass das
Angebot an Fleisch und Grünzeug eines der reichhaltigsten und
hochwertigsten der Stadt war, konnte auf diese Art im Bewusstsein der
Wiener nicht Fuß fassen. Der Naschmarkt ist schick, der
Karmelitermarkt speziell, der Brunnenmarkt multikulti. Die
Landstraßer Markthalle ist einfach nur da. Hauptsächlich für jene
alten Damen, denen das Supermarkt-Fleisch zwischen Styroporschale und
Frischhaltefolie bis heute unheimlich geblieben ist. Einen wertvollen
Standort wie jenen neben dem Bahnhof Wien-Mitte für etwas so
Anachronistisches wie diese Markthalle zu verschwenden, ist – aus
betriebswirtschaftlicher Perspektive – ziemlich unvernünftig.

markthallestil
Die Reste

Aus diesem Grund sperrt die Halle zu. Die Mietverträge der
Standler wurden von der Gemeinde mit Wirkung ab 31. Jänner 2008
gekündigt. Nur vier von ihnen – drei Fleischhauer und ein Imbissstand
– widersetzten sich und klagten gegen die Kündigung der Verträge. Sie
bleiben vorerst in dem Waschbetonbau. Wenn er schließlich leer ist,
wird die BAI, die Investment-Gesellschaft der Bank Austria, dem Bau
eine moderne Glasverschalung verpassen und ihn in den neu zu
errichtenden Bahnhof integrieren. Medien und Lokalpolitiker
spekulieren derzeit vage über einen „Fleisch-Corner“ als Teil des
neuen Wien-Mitte-Einkaufszentrums, der den Marktverkäufern einen
ersatzweisen Platz geben soll. Ob das nach jahrelanger Bauzeit
wirklich der Fall sein wird, ist derzeit nicht abzusehen. „Selbst,
wenn es diesen Fleisch-Corner gibt: In der alten Halle haben wir
Kühl- und Zerlegeräume, im neuen Einkaufszentrum wird es das nicht
geben. Was soll das denn werden außer eine bessere
Feinkostabteilung?“, sagt Maria Barski, 51. Vor mehr als dreißig
Jahren kam sie aus „Nidaschlääsien“, wie sie mit polnischem Akzent
sagt, nach Wien, studierte hier Politikwissenschaft, schrieb eine
Diplomarbeit über die österreichisch-polnischen Beziehungen der
Zwischenkriegszeit – um danach das Metier zu wechseln und ihren
Fleischstand zu eröffnen. „Ich kann ja jetzt nicht noch einmal ganz
von vorne anfangen.“ Sie gehört zu jenen Standlern, die geklagt
haben. Vor ihrer Theke hängt ein Zettel, auf den sie vorsorglich
„Geöffnet bis 30. April“ geschrieben hat. Als Ablöse habe man ihr
zwar den Wert eines „guten, neuen Mercedes“ angeboten – aber für eine
größere Investition reiche diese Summe nicht. Und so suchen sich die
Standler andere Auswege, sagt Maria Barski: Manche, wie Frau
Schultes, gehen in Pension. Andere sind ohnehin bankrott. Und sie
versuche eben, zu bleiben.

markthalleabverkauf
Schlussverkauf

Von jenen, die gehen, haben die meisten den letzten Tag gar nicht
mehr abgewartet. Nur wenige der Nischen sind noch besetzt. Die
traditionelle Aufteilung des Marktes – im oberen Stockwerk Fleisch,
unten alles andere – lässt sich nur mehr erahnen. Bei jenen
Standlern, die noch da sind, leeren sich die Vitrinen, schaffen Platz
für kleine Flohmärkte voll abgenutzter Gebrauchsgegenstände. Ein
eingerolltes Plakat, auf dem groß „Eier, Geflügel, Wild“ steht, liegt
auf einem Ständer. Preis: drei Euro. Frau Schultes hat ihren
Aschenbecher auf einen Tisch vor ihren Stand gestellt, versehen mit
einem Preis: ein Euro. „Wir müssen noch viel verkaufen“, sagt Adnan,
ein türkischer Standler, und lächelt. Er verkauft nur das, was er
schon seit 15 Jahren verkauft: Fleisch. Die Vitrine, hinter der er
steht, wirkt allerdings zu voll, als dass sie innerhalb eines Tages
leergekauft werden könnte. Morgen übersiedelt er in ein
Geschäftslokal in die Invalidenstraße, bis dahin sollte die Ware weg
sein, sagt er.

Die leeren Marktnischen, die abgetretenen Fliesenränder, die
funktionslos gewordenen Kühlräume erzählen von jahrelanger
Betriebsamkeit. Wo vorher ein türkischer Standler war, kleben noch
zwei Poster an der Wand, eines von der Hagia Sophia in Istanbul,
eines von Pilgern in Mekka. Darüber hängt der Schädel eines
Ziegenbocks. Einige Meter weiter ist noch ein Stand offen: Bobbi
Stankovic hat ebenfalls geklagt. Noch „mindestens ein Jahr“ werde er
hier sein, erklärt er trotzig und beschwert sich, dass die Medien
berichten, die Markthalle würde zusperren. „Erst haben sie uns mit
den Medien umgebracht, dann haben sie uns die Verträge gekündigt“,
sagt er.

markthallestankovic
Herr Stankovic

Dann beklagt er die Politik. Dass Michael Häupl den
Wien-Mitte-Komplex als „Ratzenstadl“ bezeichnet hat, ist ihm sauer
aufgestoßen. Bobbi Stankovic, vor dreißig Jahren aus einem Belgrader
Vorort nach Wien gekommen, wird weiterverkaufen. Er hat ja seine
Stammkunden, meint er. Die würden schon kommen. Trotz leerer Nischen
und ausgeräumter Kühltruhen.

Erschienen im Falter 6/08

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Die Brücke nach Babylon

ENERGIE Wie ein Dörfchen im Marchfeld, ein folgenschwerer
Opernbesuch und Russlands mächtiger Gazprom-Konzern zusammenhängen.
Und warum das Energiegeschäft kein leichtes ist. Die Geschichte der
Gaspipeline Nabucco. JOSEPH GEPP

Wenn alle Orte im Marchfeld gleich aussehen, dann ist Baumgarten
an der March der gleicheste. 192 Einwohner und kein einziger auf der
Straße. Zwei Häuserzeilen, eine kleine Kirche, eine freiwillige
Feuerwehr. Wer es nicht weiß, würde nicht ahnen, dass der Name
Baumgarten regelmäßig auf den Konferenzagenden der
EU-Kommissionssitzungen in Brüssel steht. Oder in den
Strategiepapieren des Gazprom-Konzerns in Moskau. Er würde nicht
glauben, dass Baumgarten in den Fachpublikationen der Berliner
Stiftung Wissenschaft und Politik eine Rolle spielt. Oder in den
Notfallplänen des Wiener Innenministeriums.

Die Ursache für das Interesse liegt einen knappen Kilometer
außerhalb des Ortes – und macht optisch nicht viel her. Es sind
einige Industrieanlagen auf einem umzäunten Gelände, mitten in den
gefrorenen Feldern. Ein paar silbrige Tanks, einige weiße Rohre, die
aus der Erde kommen und wieder in ihr verschwinden. Ein dezentes
Hinweisschild am Straßenrand mit dem Logo der OMV. „Understatement“
nennt das ein Mitarbeiter des Konzerns und lächelt.

„Understatement“ trifft es: In Baumgarten steht eine der größten
Erdgasverteilungsanlagen Europas. In Sibirien wird das Gas aus der
Erde gepumpt und bewegt sich dann mit der
Durchschnittsgeschwindigkeit eines Radfahrers mehr als 4000 Kilometer
gen Westen. In Baumgarten, das nur zwei Kilometer von der
slowakischen Grenze entfernt liegt, erreicht es, wenn man so will,
die westliche Hemisphäre. Hier wird es in Empfang genommen, gemessen,
über halb Europa weiterverteilt. Was hier durchkommt, dient der
Energieversorgung großer Teile Österreichs, Italiens, Frankreichs,
Sloweniens und Kroatiens. Ohne Baumgarten blieben ihre
Wasserleitungen und Gaskraftwerke kalt. 42 Milliarden Kubikmeter
Erdgas treffen jährlich ein. Zum Vergleich: Alle Österreicher
gemeinsam brauchen etwa acht Milliarden Kubikmeter pro Jahr. Ein
Familienhaushalt benötigt im Schnitt 3000 Kubikmeter jährlich. Das
Baumgartner Gas reicht demnach für etwa 14 Millionen Haushalte.

nabucco
Baumgarten, Mittelpunkt der Welt
Foto von Heribert Corn

Dementsprechend streng sind die Sicherheitsvorkehrungen. Walter
Scholda, 40, Betriebsleiter, führt durch die Anlage. Ein
rotmarkierter Besucherweg, vom dem nicht abgewichen werden darf,
windet sich an Tanks und Rohren vorbei. Scholdas Finger wandert den
Weg entlang: Dort werde das Gas entnommen, dort gezählt, dort
komprimiert, dort gekühlt, dort weitergeleitet, erklärt er. Dann ein
Moment des feierlichen Innehaltens. „Das ist die erste Leitung aus
Russland“, sagt er und deutet auf ein weißes Rohr von eineinhalb
Metern Durchmesser am Rand des Geländes. Im Jahr 1968 war die OMV die
erste westeuropäische Firma, die Gaslieferverträge mit der
Sowjetunion abschloss. Damals hätte man die Firma noch dafür
belächelt, sagt Scholda. Doch die Rechnung ging auf. Das Gas traf
ein. Mehr und mehr Leitungen wurden nach Baumgarten verlegt. Heute
deckt Russland mehr als zwei Drittel des österreichischen und etwa
ein Drittel des Erdgasverbrauchs der gesamten EU ab. Eine Tatsache,
mit der nicht alle im Gasgeschäft und in der Energiepolitik glücklich
sind.

Dass Rohstoffe Macht bedeuten, hatte man in den Neunzigerjahren,
als sie billig zur Verfügung standen, fast vergessen. Doch jetzt, vor
dem Hintergrund von Klimawandel und weltpolitischer Instabilität,
steigt ihr Wert. Das zeigt sich beispielsweise in Russland, wo der
staatlich dirigierte Energiekonzern Gazprom dem Land zu neuem
Wohlstand und neuer Geltung verholfen hat. Oder in Zentralasien, wo
sich Autokraten mit Gaseinnahmen goldene Statuen und funkelnde
Hauptstädte errichten lassen. Das zeigt sich auch in der EU, wo man
angesichts dieser Herausforderungen um einen gemeinsamen
energiepolitischen Weg ringt. Und in Österreich, dessen
Energiekonzern OMV im internationalen Gasgeschäft eine weit größere
Rolle spielt, als man es von einem Achtmillionenland annehmen würde.

Wer diese Rolle kennen lernen will, muss nach Wien-Floridsdorf, in
das 21. Stockwerk des Florido-Towers am Donauufer. Dort, weit
entfernt von den Niederungen des Gasgeschäfts, sitzt Reinhard
Mitschek in einem stillen, kostspielig eingerichteten
Konferenzzimmer. Der Blick schweift über die Dächer Transdanubiens.
Mitschek, 49, Niederösterreicher, ist Geschäftsführer eines Projekts,
das sich zum Ziel gesetzt hat, die Abhängigkeit von russischem Gas zu
reduzieren. Dazu sollen mehrere europäische Staaten eine neue
Großpipeline errichten. Nabucco, so der Name des Rohres, wird 3000
Kilometer lang und 1,42 Meter breit werden, gebaut aus zwei Millionen
Tonnen Stahl für fünf Milliarden Euro von einem
österreichisch-ungarisch-rumänisch-bulgarisch-türkischen und seit
Dienstagabend auch deutschen Energiekonsortium unter Schirmherrschaft
der OMV. Der Name der Pipeline sei ihm und der internationalen
Kollegenschaft eines Abends nach einem Opernbesuch gekommen, erzählt
Mitschek. Damit nicht alles mit Erdgas immer so trocken klinge. Doch
wenn Mitschek die Notwendigkeit von Nabucco erklärt, verfällt er in
den Geschäftsjargon: Jetzt gehe es darum, die „Versorgungssicherheit“
zu erhöhen, sagt er. Der europäische Erdgasverbrauch werde innerhalb
der nächsten zwanzig Jahre um etwa ein Drittel steigen. Das mache
eine „Diversifizierung“ der Gaslieferländer notwendig: „Europa
braucht neue Quellen, neue Leitungen, neue Gasfelder, um diesem
Bedarf zu begegnen“, meint Reinhard Mitschek. Und: „Nabucco ist ein
großer Schritt in diese Richtung.“

Wenn er das Problem illustrieren will, dann deutet er auf eine
große Europakarte mit etlichen schwarzen Linien, die hinter ihm an
der Wand lehnt. Die Linien bezeichnen Pipelines. Sie kommen durchwegs
aus Russland, führen dann über Weißrussland und die Ukraine in den
Westen, treffen in Ostdeutschland oder Baumgarten ein. Weiter
südlich, im Mittelmeerraum, verläuft bisher nur eine einzige
unauffällige Linie in Richtung Europa. Sie reicht von der Küste des
Kaspischen Meeres über die Türkei und den Balkan bis nach Baumgarten.
Das soll Nabucco werden. Doch noch ist die Linie strichliert. Der
definitive Entschluss wird Mitte dieses Jahres fallen, 2009 soll der
Baubeginn erfolgen, 2012 voraussichtlich wird die Pipeline in Betrieb
gehen.

Nabucco, das südostmitteleuropäische Gemeinschaftsprojekt, hat aus
diesen Gründen zwei Komponenten: eine geschäftliche und eine
politische. Die OMV ist vor allem an der Entstehung einer rentablen
Pipeline mit ausreichend Gas interessiert. „Die politische und
geostrategische Komponente spielt zwar eine Rolle, aber man sollte
sie nicht überbewerten“, sagt Mitschek. Für die EU-Kommission in
Brüssel hingegen ist Nabucco eher ein strategisches Projekt, das die
Abhängigkeit von russischen Rohstoffen verringern soll. Ein eigener
EU-Nabucco-Koordinator, der ehemalige niederländische Außenminister
Jozias van Aartsen, soll dieses Ziel vorantreiben. Die
Machbarkeitsstudie für Nabucco wurde von der Europäischen Kommission
mitfinanziert. „Für die EU ist Nabucco eine außerordentlich wichtige
Pipeline. Das Gas kommt dadurch aus anderen Regionen und über andere
Routen, als das sonst in Europa üblich ist. Auf diese Art schafft die
Pipeline Versorgungssicherheit und Wettbewerb in der Branche“,
erklärt der Energiekommissar Andris Piebalgs dem Falter. Als Lette
weiß er, was es bedeutet, von Moskau abhängig zu sein.

Dass die Versorgung mit russischem Erdgas keine
Selbstverständlichkeit sein muss, hatten Piebalgs und seine Beamten
im Jänner 2006 erfahren. Damals konnten sich Russland und die Ukraine
nicht auf den Preis des russischen Erdgases einigen. Die orange
Revolution, die dem Gasstreit vorangegangen war, war der russischen
Kompromissbereitschaft nicht eben förderlich. In Moskau beschloss
man, dem zahlungsunwilligen Kunden das Gas kurzerhand abzudrehen. Da
die Leitungen in den Westen allerdings über die Ukraine verlaufen,
wurde der Rohstoff weiterhin in die Pipelines eingespeist – nur eben
jener Teil, der für Westeuropa bestimmt war. Die Ukraine hingegen
sollte durch ausbleibende Lieferungen in die Knie gezwungen werden.
Mit der Reaktion des Landes auf den Boykott hatten die
Gazprom-Strategen allerdings nicht gerechnet: Die Ukraine begann, das
Gas in den Transitpipelines einfach anzuzapfen und abzuzweigen. In
Baumgarten sank der Druck. Es folgten hektische Verhandlungen, und
nach einigen Tagen konnte ein Kompromiss ausgehandelt werden, ohne
dass im Westen der Rohstoff knapp geworden war. Das Gas floss wieder.
Seitdem ist „Diversifizierung“ das neue Modewort der europäischen
Energiebranche. Die Abhängigkeit von instabilen und unzuverlässigen
Liefer- und Transitländern war den Europäern erstmals vor Augen
getreten.

Seit diesem Zeitpunkt suchen Brüsseler Politik und nationale
Energiekonzerne nach Alternativen. Aber woher, wenn nicht aus
Russland, soll das Erdgas für Nabucco kommen? Reinhard Mitschek ist
diese Frage schon oft gestellt worden. Zuallererst, beginnt er, würde
man Aserbaidschan ins Visier nehmen, natürlich, dort werde Nabucco ja
enden. Dann hebt er nacheinander die Finger und zählt auf: erst
Zentralasien, mittels einer Verlängerung der Pipeline über das
Kaspische Meer. Dann Ägypten, mittels einer weiteren durch den Nahen
Osten. Und schließlich nennt er den Irak und den Iran. Die Pipelines
dorthin existieren zwar bereits, politisch sind die beiden Länder,
vor allem der Iran, dafür umso fragwürdiger. „Das sind derzeit
geopolitisch sensible Staaten, in denen auch der Erdgassektor noch
ausgebaut werden muss. Aber langfristig kann man auch diese
Perspektive nicht ausschließen.“

Mit dieser Option steht die OMV momentan ziemlich alleine da. „Die
Gasreserven im Iran zu erschließen, wäre zwar energiewirtschaftlich
sinnvoll, ist aber aus politischen Gründen derzeit kaum möglich“,
sagt Gerhard Mangott, Russlandexperte und Professor an der
Universität Innsbruck. „Das iranische Regime tötet und verfolgt seine
Bürger. Es droht Israel mit der Vernichtung. Österreich und die OMV
sollten sich wirklich fragen, ob sie mit so einem Land Geschäfte
machen wollen“, sagt Simone Dinah-Hartmann, die mit ihrer
Protestinitiative „Stop the Bomb“ Unterschriften gegen die
OMV-Geschäfte im Iran sammelt. Das denken auch die Amerikaner: Medien
spekulierten gar über eine Intervention des US-amerikanischen State
Departement im Wiener Außenministerium (eine offizielle Protestnote
blieb laut Außenministerium allerdings aus), nachdem der Konzern im
April 2007 angekündigt hatte, in die Erschließung eines iranischen
Erdgasfelds investieren zu wollen. Angela Merkel nannte den Handel in
der israelischen Zeitung Ha’aretz einen „gefährlichen Präzedenzfall“
eines Geschäfts zwischen einem westlichen Konzern und dem Iran.
OMV-Chef Wolfgang Ruttenstorfer dagegen rechtfertigte das Engagement
im Falter-Interview vor etwa einem Jahr mit dem Verweis auf andere
rohstofffördernde Staaten: „Faktum ist, Öl und Gas finden sich in
großen Mengen eben hauptsächlich in Ländern, an denen man auch die
eine oder andere politische Kritik anbringen kann.“ Diese Aussage,
obwohl harmlos formuliert, trifft einen wunden Punkt des
Energiegeschäfts: Rohstoffreichtum wirkt nicht unbedingt
demokratiebefördernd. Was man dem Iran vorwirft, kann man in
abgeschwächter Form ebenso Russland, Venezuela, Saudi-Arabien oder
den Staaten Zentralasiens vorhalten.

Und die anderen potentiellen Lieferländer? Das aserbaidschanische
Gas, erklärt Mangott, reiche „für den finanziell rentablen
Vollbetrieb der Pipeline nicht aus“. Vollbetrieb, das sind in diesem
Fall bis zu dreißig Milliarden Kubikmeter Erdgas, die pro Jahr
mittels Nabucco vom Nahen Osten nach Österreich gepumpt werden sollen
– zwei Drittel der jährlichen Frequenz von Baumgarten. Die
Gasvorkommen am kaspischen Meeresgrund vor der aserbaidschanischen
Hauptstadt Baku füllen dieses Volumen nicht. Dasselbe gelte auch für
die ägyptischen Gasreserven, meint Mangott. Und Zentralasien? Unter
dem Boden der Steppen Kasachstans und Turkmenistans lagern riesige
Erdgasvorkommen. Die abgelegenen Diktaturen machte der Rohstoff reich
– kann Europa nicht daran partizipieren? „Alte Verträge aus
Sowjetzeiten definieren das Kaspische Meer als See und nicht als
Meer“, antwortet Mangott. Das bedeutet: Um nach Zentralasien zu
gelangen, müsste Nabucco das Kaspische Meer durchqueren. Da jenes
allerdings hoheitsrechtlich als See und nicht als Meer definiert ist,
haben alle Anrainerstaaten ein Mitspracherecht – auch der angrenzende
Iran. Und jener wird, so Mangott, nicht zustimmen. „Teheran wird
vorher darauf bestehen, die eigenen Gasvorkommen zu entwickeln und zu
exportieren.“ Und selbst wenn dieses Problem gelöst würde: Die
zentralasiatischen Staaten hätten erst im vergangenen Mai umfassende
Lieferverträge abgeschlossen – mit Russland. So sehr man die
Möglichkeiten also auslotet: Am Ende kommt wieder Russland ins Spiel.

Nabucco-Geschäftsführer Reinhard Mitschek kennt diese Probleme –
und hat eine Lösung parat, die zwar auf der Hand liegt, aber der
politischen Idee der Pipeline zu widersprechen scheint: Russland soll
Gas in Nabucco einspeisen. „Das Projekt würde auch Gas aus russischen
Quellen begrüßen“, sagt er. Nahe der türkischen Hauptstadt Ankara
soll es ins mitteleuropäische Rohr hineingeleitet werden.

Ein Anruf in Moskau bestätigt diese Aussage. Begreift sich der
Gazprom-Konzern als Gegner von Nabucco? Der Konzernsprecher
beantwortet die Frage mit einem Lächeln: „Warum? Wir könnten sogar
Teil des Projekts sein.“ Nabucco, sagte auch Gazprom-Finanzchef
Alexander Medwedew, ein Namensvetter des Präsidentschaftskandidaten,
im Dezember der Presse, stelle für Gazprom keine Konkurrenz dar. Ohne
russische Hilfe ist das Projekt aussichtslos – das weiß Medwedew
ebenso gut wie Mangott und sogar Reinhard Mitschek. Aber was bleibt
dann vom Ziel der Diversifizierung? „Nabucco verläuft über eine
andere Route und durchquert andere Transitländer als die bisherigen
Pipelines. Damit schaffen wir eine Diversifizierung der Quellen und
Routen und die Versorgungssicherheit wird erhöht“, sagt Mitschek.
Trotz Russland also. Gerhard Mangott spricht „immerhin von einer
partiellen Diversifizierung“: „Die Gefahr eines Lieferengpasses durch
einen neuen Gasstreit mit der Ukraine oder Weißrussland
beispielsweise könnte man durch Nabucco auffangen.“

Freilich: Dass Russland im mitteleuropäischen Gemeinschaftsprojekt
plötzlich unentbehrlich geworden ist, ist nicht ganz von alleine
passiert. Gazprom hat mit vielen Mitteln darauf hingearbeitet.
„Russland will die europäische Strategie der Diversifikation
untergraben. Und dieser Plan lässt sich am besten verfolgen, indem es
sich möglichst überall beteiligt“, sagt Claudia Kemfert,
Energieexpertin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in
Berlin. Und so kauft sich Gazprom besonders gerne dort ein, wo
Nabucco bereits ist oder gerne wäre – beispielsweise in Zentralasien.
Nach einem ausgedehnten Staatsbesuch unterschrieben Wladimir Putin
und die Staatschefs Kasachstans und Turkmenistans im Mai 2007 ein
Abkommen über den Bau einer Pipeline von Turkmenistan nach Russland.
Der Plan Europas, zentralasiatisches Gas ohne russische Beteiligung
in den Westen zu befördern, war damit durchkreuzt. Ähnliches war im
Monat davor auch in Ungarn geschehen: Im März scherte das Land
plötzlich aus dem Nabucco-Konsortium aus. Premierminister Ferenc
Gyurcsány sagte in der International Herald Tribune, dass der
dringende Energiebedarf Ungarns eine Zusammenarbeit mit Russland
erfordere. Ungarn bezieht mehr als achtzig Prozent seines Erdgases
aus Russland. Die Tatsache, dass Gazprom bald über Umwege Teile der
ungarischen MOL übernehmen wird, war der Entscheidung Gyurcsánys wohl
nicht abträglich. „Gazprom versucht ganz offensichtlich, das
Nabucco-Projekt zu stören“, urteilte Roland Götz von der Berliner
Stiftung Wissenschaft und Politik in diesen Tagen. Der Druck der EU
konnte Ungarn jedoch ins Konsortium zurückholen. „Jetzt steht die
MOL-Zusage. Das ist das Einzige, was für mich als Geschäftsführer
gilt“, sagt Reinhard Mitschek heute.

Der bisher letzte Schritt dieser russischen Taktik ist der Plan,
in den nächsten Jahren eine neue Pipeline nach Europa zu verlegen –
parallel zu Nabucco. Statt in Aserbaidschan soll South Stream, so der
Name des geplanten Rohres, in Russland beginnen. Die Pipeline soll
durch das Schwarze Meer verlaufen, Endpunkt wäre Italien oder gar
Österreich. „Der Bau von South Stream würde Nabucco unrentabel
machen“, beschrieb der Economist lapidar einen Konkurrenzkampf,
dessen Ausgang den Todesstoß für Nabucco bedeuten könnte. Aber:
„Eigentlich ist South Stream finanziell unrentabel. Ich vermute, das
Projekt dient Gazprom nur dazu, die Beteiligung an Nabucco zu
erzwingen“, sagt Mangott.

Sollte das tatsächlich der Plan gewesen sein, dann kann Gazprom
einen Erfolg für sich verbuchen: Am Abend des 23. Mai 2007 –
Präsident Putin, auf Besuch in Wien, weilte gerade im Redoutensaal
der Wiener Hofburg beim Festbankett – verkündeten OMV und Gazprom
einen Schritt zur intensiveren Zusammenarbeit: Gazprom, Russlands
mächtiges Energieunternehmen, soll sich künftig am Gasknotenpunkt
Baumgarten beteiligen.

Erschienen im Falter 6/08

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Blogger vom Hocker

INTERNET Immer mehr Journalisten inszenieren sich in Videoblogs.
Will man den Schreibern wirklich beim Sprechen zusehen?
JOSEPH GEPP

Einen Gedanken im falschen Moment auszusprechen, kann zum Skandal
werden. „Ich würde gerne mal die Frage stellen, ob es nicht zu viele
besserwisserische deutsche Rentner gibt, die den Ausländern hier das
Leben zur Hölle machen – und vielen anderen Deutschen auch.“ Das
sagte Jens Jessen, Feuilletonchef der Zeit, kurz nachdem ein junger
Türke und ein Grieche in der Münchner U-Bahn-Station Arabellapark
einen 76-jährigen deutschen Pensionisten krankenhausreif geprügelt
hatten. Der ehemalige Schuldirektor hatte die Jugendlichen dazu
aufgefordert, das Rauchen im Zug zu unterlassen. Er wurde mit einem
Schädelbruch ins Spital gebracht.

Freilich: Im Nachhinein wurde der Fall von Politikern auf übliche
Weise instrumentalisiert. Und es ist legitim zu fragen, ob viele
Pensionisten nicht mehr Toleranz an den Tag legen sollten. Aber in
dieser Situation und in dieser Form wurde Jessens Aussage zum
Skandal. „Unüberlegt“, „eine Schande“ und „auf Stürmer-Niveau“ sei
sie gewesen, ein „Linksfaschist“, ein „verstockter
Altachtundsechziger“ oder gar ein „charakterloser Wurm“ sei Jessen
selbst. Das ist nur ein kleiner Auszug der Reaktionen, die auf der
Homepage der Zeit veröffentlicht wurden.

Wer Jessens Artikel kennt, wundert sich über derart hingeworfene
Aussagen. Aber, wie es der kanadische Kommunikationswissenschaftler
Marshall McLuhan ausdrückte, das Medium ist die Botschaft: Jessens
Botschaft erschien nicht in der Zeit, sondern war Teil seines
Videoblogs auf der Homepage der Zeitung. Sie ging nicht den üblichen
redaktionellen Instanzenweg, wurde weder redigiert noch von Kollegen
auf Ausgewogenheit und Angebrachtheit überprüft. Jens Jessen sitzt in
seiner Bürokoje, dreht sich zur Webcam, spricht ein wenig über
Migranten, Rassismus, Spießer und Rentner, und setzt dann seine
Arbeit fort. Ganz locker und spontan, gleichsam zwischendurch. Dieses
Zwischendurch ist Jessen jetzt zum Verhängnis geworden. Und er ist
beileibe nicht der Einzige, dem das passieren könnte.

Videoblogs, kurz Vlogs genannt, werden unter Journalisten
zunehmend populär. Zeit-Onlinechef Gero von Randow hat ebenso eines
wie Spiegel-Schreiber Henryk M. Broder und sein Exkollege Matthias
Matussek. Tagesspiegel-Redakteur Harald Martenstein parodiert in
seinem audiovisuellen Tagebuch Matussek und schwadroniert über das
Phänomen Videoblog. In Österreich räsoniert der bekannte Falter- und
Profil-Schreiber Robert Misik über Allah und die Welt,
Standard-Redakteur Thomas Rottenberg hat sein Vlog inzwischen wegen
technischer Unausgereiftheiten wieder eingestellt. Die Bilder der
Journalisten sind durchgängig unscharf, die Schwenks ungeschickt, die
Worte manchmal unbeholfen. In geschriebener Form haben sich Weblogs –
das „log“ steht für Logbuch – in den vergangenen Jahren rasend
ausgebreitet. Doch seit einiger Zeit lässt das Interesse an ihnen
nach. „Das ist ein rein mathematisches Phänomen. Es gibt so viele
Blogs, dass man sich nicht mehr so sehr mit ihnen beschäftigt.
Videoblogs hingegen sind neu und werden viel stärker beachtet“, sagt
Norbert Bolz, Medienwissenschaftler an der TU Berlin. Die Vlogs
vermehren sich also und zeigen inzwischen Anzeichen einer
Professionalisierung: Wer Jessen sehen will, sieht zuerst einen
Werbespot. Robert Misik liefert gar selbstgebastelte Kleinbeiträge,
in denen aktuelle Bilder und Archivfotos das Gesagte illustrieren.
Eine Signation mit Bildern der Darsteller in Denkerpose und passender
Musik im Hintergrund gehört inzwischen zur Grundausstattung der
kleinen, elitären Vloggerszene.

Einen „Verlust intellektueller Selbstkontrolle“ nannte die NZZ
Jens Jessens audiovisuellen Ausfall zum Thema Jugendkriminalität, vom
„erbrochenen Wort“ sprach der Spiegel-Online. Beim Vlog wagen sich
Printjournalisten auf ein Terrain mit Gesetzen, die sie nicht kennen.
Das gesprochene Wort ist schwerer im Zaum zu halten als das
geschriebene. Dazu kommt, wie es Vlogger Misik ausdrückt, das
„radikalisierte Quotendenken“ des audiovisuellen Mediums: „Kein
Zeitungsschreiber weiß, wie viele Menschen genau seinen Artikel
lesen. Man kennt nur die Verbreitung der ganzen Zeitung. Im Internet
dagegen sieht man jederzeit die exakte Klickzahl. Das stärkt den
Wettbewerb und kann aus diesem Grund auch zu inhaltlicher
Überzogenheit führen.“ Mit anderen Worten: Wer vor der Kamera vor
sich hin räsoniert, kann schnell Gefahr laufen, den Faden zu
verlieren oder zu übertreiben – vor allem, wenn die TV-Erfahrung
fehlt. Oft entstehen Vlogs am Schreibtisch oder im privaten
Wohnzimmer der Journalisten. Sie sind für eine kleine Öffentlichkeit
geschaffen, kein TV-Coach zwingt den Interneträsonierern seine Regeln
auf. Das Resultat wirkt, je nach Sichtweise, dilettantisch oder
authentisch. In seinen eigenen Beiträgen versucht Misik den Mangel an
Professionalität auszugleichen, indem er auch beim Vloggen eine Art
redaktionellen Instanzenweg einführt: „Ich schreibe meine Texte
vorab. Meistens bekommen sie dann Freunde zum Gegenlesen.“ Rainer
Schüller, Chef vom Dienst bei standard.at, kontrolliert den Beitrag
dann nochmals, bevor er im Internet auf Sendung geht.

Dort breiten sich TV-Elemente aus. Knapp zwei Drittel der
Österreicher haben mittlerweile einen Internetzugang zuhause, die
Hälfte davon ist Breitband. Das schafft die Möglichkeit, das Internet
zum Fernsehen zu nutzen. Neben standard.at sind etwa ORF und Kronen
Zeitung dem Trend gefolgt und bieten TV-Spots auf ihren Websites an.

Norbert Bolz nennt das Weblog, sei es geschrieben oder gesprochen,
das „Medium der Laien“: Es ist gemeinhin subjektiv, authentisch und
fühlt sich journalistischen Kriterien wie Objektivität und
Ausgewogenheit nicht verpflichtet. Dieser Form wollen journalistische
Profis gerecht werden, wenn sie sich aufs Feld der Videoblogs wagen.
Das zeigt sich beispielsweise darin, dass sich Martenstein für seine
kaputte Dusche entschuldigt, bevor er einen Vortrag über Migranten
beginnt – und in den Sprechpausen genüsslich an seinem Kaffee nippt.
„Die Profis versuchen sich an einer Form, die von Laien für Laien
geschaffen wurde. Sie trauen ihren eigenen gedruckten Medien nicht
ausreichend Deutungsmacht zu“, sagt Bolz. „Authentizität ist dabei
der Spitzenwert, nicht Objektivität.“

Bei Jens Jessen ging der Versuch nach hinten los. Sonst bekannt
für seine akkuraten Beobachtungen und seine messerscharfe Deduktion,
wollte er plötzlich mit einem schnellen Wort, einer kurzen Pointe,
einer leicht onkelhaften Überzogenheit reüssieren. Es ist ihm nicht
gelungen. „Die Lust ist mir gründlich vergangen“, erklärte er später.
Diesmal schriftlich.

Erschienen im Falter 5/08

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