SICHERHEIT Das Freundschaftsspiel Österreich gegen England galt
als Generalprobe für die Euro 08. Ein Erfahrungsbericht aus der
Perspektive einer Sicherheitskraft. JOSEPH GEPP
Eine Securitykarriere beginnt mit einem sorgsam auszufüllenden
Fragebogen: chronische Krankheiten? Vorstrafen? Waffenschein? Wenn
ja, woher? „Wir weisen darauf hin, dass falsche Angaben die sofortige
Entlassung nach sich ziehen“, steht kleingedruckt darunter. Die
journalistische Arbeit wird bei der Frage nach Schulbildung und
Berufserfahrung sorgfältig ausgespart. Später kommt der Personalchef,
setzt sich breitbeinig hin, und der mündliche Teil des
Bewerbungsverfahrens beginnt: Ja, sagt er, es gäbe einen
Einführungskurs für die Sicherheitsleute bei der Fußball-EM. Er
dauere zwei Tage, der Termin stehe noch nicht fest, irgendwann im
Jänner. Aber am besten lerne man ohnehin in der Praxis. „Vorläufig
kann ich Ihnen nur unseren Super-Eignungstest ans Herz legen.“ Das
Freundschaftsspiel Österreich gegen England am 16. November. „Da
können Sie gleich mal dabei sein.“
Der Super-Eignungstest: 45.500 Menschen im ausverkauften
Ernst-Happel-Stadion, davon 41.500 Österreicher und 4000 Engländer.
600 Polizisten und 650 private Ordner sollen für den reibungslosen
Ablauf sorgen. Die Radionachrichten am Morgen verkünden vierzig
Zentimeter Neuschnee in Niederösterreich und minus zwei Grad in Wien.
Auf der Wiener Außenringautobahn werden Notquartiere für
steckengebliebene Autofahrer errichtet. Wenn dieses Spiel problemlos
ablaufe, dann bestehe für die Fußball-EM im Juni des kommenden Jahres
kaum noch Grund zur Sorge, berichten Medien. Treffpunkt:
Ernst-Happel-Stadion, Sektor A, 15.30 Uhr.
Eine Menschentraube hat sich dort versammelt. Der erste Eindruck:
Private Sicherheitskräfte müssen offenbar nicht ausschließlich
breitschultrige junge Männer sein. Denn die Menge gibt ein unerwartet
durchmischtes Bild ab. Händchenhaltende ältere Ehepaare stehen da,
Pensionisten, junge Mädchen mit breiten Hosen, die ihre
Pferdeschwänze unter Sportkappen verstecken. Eine ältere Dame mit
breiten Sonnenbrillen richtet sich ihr goldenes Handtäschchen, ein
Mann trägt Lodenjanker und einen Filzhut mit den Aufsteckern
verschiedener Wanderrouten. Alle warten auf Einlass. Sie drängen vor
ein Stahlgitter, das ein höherrangiger Ordner fallweise öffnet. Er
deutet dann mit den Fingern, wie viele Leute er einzulassen gedenkt,
die jeweils Vordersten huschen eilig hinein, werden auf einer Liste
ausgestrichen und einer Gruppe zugeteilt. „Nummer fünf.“ Bei Nummer
fünf wartet Heinzi, der Supervisor.
Heinzi, etwa fünfzig, bierbauchig, trägt Oberlippenbart und
spricht breitestes Wienerisch. Er ist jovial, man hat aber trotzdem
Respekt vor ihm. 15 Leute sind ihm unterstellt. Jeder bekommt eine
neonorange Jacke mit zwei reflektierenden Streifen und dem Aufdruck
„Securitas“ auf der Rückseite. Irgendwann – inzwischen sind alle
angekommen und eingekleidet – empfängt Heinzi eine knappe Anweisung.
„Sektor B, Einlasskontrolle.“ Das Grüppchen setzt sich in Bewegung.
Noch vier Stunden bis zum Anpfiff. Weit und breit ist kein Fußballfan
zu sehen, selbst die Polizei ist noch nicht aufmarschiert.
Sektor B, Einlassbereich. Es dämmert, und abgesehen von den 15
Ordnern ist das Areal menschenleer. Auch Heinzi ist verschwunden.
Erste zaghafte Gespräche beginnen. Manche Leute scheinen einander zu
kennen, andere sind zum ersten Mal hier. Ja, er sei schon lange
Ordner, sagt ein solariumgebräunter junger Mann. Er trägt
Kunstpelzkragen und reflektierende Sportschuhe. Was genau man hier
tun müsse? „Nichts. Nur vorsichtig sein halt.“ Er lächelt ob so viel
Unerfahrenheit. Drei Männer unterhalten sich auf Türkisch, eine etwa
fünfzigjährige rundliche Frau steht stumm da. Sie scheint die Sache
nur hinter sich bringen zu wollen. Die Leute zählen ihre Zigaretten
und beschweren sich über zugesperrte Klos und die Kälte.
Schnell lernt man die Hierarchie im Sicherheitsgeschäft kennen.
„Orange heißt kurzfristig“, erklärt ein türkischstämmiger Ordner mit
Flinserl und gegelten Haaren. Die Supervisors und die fixen
Securitas-Angestellten sind die Langfristigen. Sie tragen gelbe
Jacken. Das zeigt sich auch bei der Aufstellung der Ordner: Die
orangen Ordner stehen bei den Eingängen, die gelben am Spielfeldrand.
Oder sie koordinieren die Hundertschaft der Ordner. „Wenn du lang
dabei bist, steigst du auf“, sagt der Türke, „dann verdienst du mehr
und bekommst die guten Jobs.“ Der Höhepunkt solch einer
Sicherheitskarriere sei die EM: Langgediente Ordner hätten größere
Chancen, an ihr teilzunehmen als kurzfristige, erklärt er. Dort
verdiene man deutlich mehr Geld, 17 bis 24 Euro in der Stunde statt
fünf wie bei den Freundschaftsspielen.
Eineinhalb Stunden vergehen. Es wird spürbar kälter. Der Anpfiff
scheint eher in die Ferne als in die Nähe zu rücken. Zwei Mädchen
spielen sich von ihren Handys gegenseitig House-Musik vor. Ein paar
Verwegene betreten einen beheizten Veranstaltungsraum neben dem
Eingang, um sich aufzuwärmen. Sie werden von einem Kollegen in Gelb
hinauskomplimentiert. „Orange Jacken haben hier nichts verloren.“
Später kommt Heinzi und bringt dreißig Wurstsemmeln und 15
Halbliterflaschen Mineralwasser. „Aber gegessen wird später“, sagt
er, „jetzt stellen wir erst einmal die Gitter auf. Und dann machen
wir die Einteilung.“ Heinzi liest 15 Nachnamen vor. Ihre Träger
melden sich mit einem müden „Hier“ und bekommen einen Ort zugewiesen.
„Dritter Rang, Vorsperre.“
Die Vorsperre ist ein etwa 15 Meter langer Bereich vor jenem
Drehkreuz, das den Weg ins Stadion freigibt. Hier werden die
Fußballfans durchsucht. Oder, wie man hier in amtlicher Manier sagt,
„perlustriert“. Alles, was zum Wurfgeschoss oder zur Hieb- und
Stichwaffe umfunktioniert werden könnte – hauptsächlich Bierdosen,
Regenschirme und Taschenmesser -, muss abgegeben werden. Den
reibungslosen Ablauf der Perlustrierung soll eine Gitterreihe
ermöglichen, die sich, ausgehend von den Drehkreuzen, nach vorne
verengt: Einige stehen vorne und regulieren den Strom der zu
durchsuchenden Gäste, weitere stehen hinten und nehmen die
Perlustrierung vor. Eine Frau muss dabei sein, um die
Stadionbesucherinnen zu durchsuchen. Die Ordner beziehen ihre
Stellungen, merken aber bald, dass das sinnlos ist, weil der Anpfiff
erst in zweieinhalb Stunden erfolgt. Nicht einmal der Einlass hat
begonnen. Sie gehen wieder zurück, um gleich darauf von Heinzi
zurechtgewiesen zu werden. „Alle auf ihre Plätze! Gleich ist
Behördenrundgang!“ Die Behörde, honorige Vertreter von
Österreichischem Fußballbund, Polizei und Securitas, dreht eine Runde
und stellt sicher, dass jeder Eingang ausreichend mit
Sicherheitskräften bestückt ist.
Nach dem Behördenrundgang kommt die Polizei. Hunderte Beamte mit
Knieschützern und gepanzerter Oberbekleidung beziehen ihre Posten vor
dem Stadion. Punkt 19 Uhr beginnt der Einlass, und Heinzi erklärt
noch schnell die Grundregeln der Perlustrierung: „Nie selbst in die
Taschen greifen. Die sollen die Leute selbst aufmachen und
herzeigen“, sagt er und zeigt danach auf Nachfrage, wie das
Durchsuchen exakt abzulaufen hat: „Erst über den Rücken, dann die
beiden Oberarme, dann den Bauch und die Schenkel. Bauchtaschen und
die rot-weiß-roten Zylinder der Fans müssen auch kontrolliert werden.
Da könnten die Leute was drunter versteckt haben.“ Die ersten
Zuschauer passieren die Drehkreuze – aber Sektor B, dritter Rang,
bleibt leer. „So ist das immer. Nur herumstehen. Nie können wir etwas
machen“, sagt einer der vier Perlustrierer. Thomas, 23, erzählt, dass
er ausgelernter Installateur sei. Jetzt mache er die Matura in der
Abendschule nach. „Damit ich solche Jobs in Zukunft nicht mehr machen
muss.“
Ein anderer, etwa 45, ist Schulwart in einer Sonderschule im 22.
Bezirk, wenn er nicht gerade Fußballstadien bewacht. „Aber da habe
ich nicht viel zu tun“, murmelt er. Und beißt in seine gesponserte
Wurstsemmel. „Ich mache das wegen der EM. Die ist halt verlockend.“
Dann sagt er, dass viele Hausfrauen und Pensionisten diesen Job
machen würden, um sich ihr Haushaltsgeld aufzubessern. Er schaut kurz
auf, als der englische Mannschaftsbus den Sektor passiert. „Schau!“,
ruft er, „da ist David Beckham! Der mit den Ohrenstöpseln!“ David
Beckham trägt silberne Kopfhörer. Er sitzt in der Mitte des Busses,
hat den Kopf in die Hand gestützt und schaut teilnahmslos auf die
Menschenmasse, durch die sich der Bus einen Weg bahnt.
Später kommt die österreichische Mannschaft, und auch der
Bundespräsident entsteigt einer Limousine, aber das scheint den
Schulwart weniger zu begeistern. Überhaupt hält sich das Interesse
der Ordner am Fußball in Grenzen: Höhnisches Gelächter erschallt, als
einer der Ordner ein volkstümliches Lied, das aus einem Lautsprecher
erklingt, mit der Nationalhymne verwechselt. Die Stimmung ist
friedlich. Familienväter und Kinder mit rot-weiß-roter Farbe im
Gesicht passieren die Drehkreuze. Ein paar heimische Fußballpatrioten
haben sich in Nationalflaggen eingewickelt und grölen: „Immer wieder
Österreich“. Doch auch sie jubeln, als der Bus mit der englischen
Mannschaft vorbeifährt. Der Glamourfaktor der Briten zählt mehr als
die nationale Zugehörigkeit.
Noch 18 Minuten bis zum Anpfiff. Überall drängen sich jetzt
Hunderte Fußballfans, warten ungeduldig auf den Gang durch das
Drehkreuz. Nur vor Sektor B, dritter Rang, hat sich noch immer kein
Besucher gezeigt. „Ich verstehe das nicht. Gar keiner. Dabei ist das
Stadion ausverkauft“, sagt Thomas. „Wenn jetzt ein paar Reisebusse
voller Fans kommen – so schnell können wir die Leute gar nicht
perlustrieren, damit alle bis zum Anpfiff reinkommen.“ Schließlich
zieht Heinzi die Konsequenzen und schickt drei der Perlustrierer zu
einem anderen Eingang, wo Hunderte wartende Fans schon fürchten,
nicht rechtzeitig bei Spielbeginn auf ihrem Platz zu sein. Hektisches
Durchsuchen beginnt. Tasche – Rücken – Oberarme – Bauch – Schenkel.
Abgesehen von abzugebenden Bierdosen trägt niemand etwas Verbotenes
bei sich. Was der Schulwart vorher gesagt hat – „wenn du eine Stunde
lang perlustrierst, bist du völlig hin“ – kommt einem wieder in den
Sinn: Bücken und sich aufrichten, immer wieder, im schnellstmöglichen
Tempo. Eine anstrengende Arbeit.
Einige Zeit vergeht, bis die Fans allesamt perlustriert sind und
die Helfer in den dritten Rang von Sektor B zurückgeschickt werden.
Dort hat sich immer noch kein Besucher gezeigt. Sieben Minuten
bleiben bis zum Anpfiff. Überall sonst drängen sich die
Menschenmassen. Die Ordner, vorher vollends ratlos, haben
mittlerweile eine Theorie zur Leere des dritten Rangs entwickelt. Als
im Stadion gerade die Nationalhymne erklingt, wird sie von Heinzi
bestätigt: Den dritten Rang zu bewachen war ein Irrtum. Es handelt
sich um die Pressetribüne. Die Journalisten, für die der Rang
vorgesehen ist, passieren das Stadion allerdings durch den
VIP-Eingang. „Das ist wieder einmal typisch“, sagt der Türke, „immer
werden wir fürs Nichtstun bezahlt.“ Als drinnen das Spiel anfängt,
beginnt sich draußen der Platz zu leeren. Heinzi verfügt den Abbau
der Gittersperren. Alle Zuschauer, die jetzt noch kommen, werden nur
formlos überprüft und ins Stadion gelassen. Der Anpfiff erfolgt. Von
den Triumphen und Tragödien, die sich drinnen abspielen, kündet
draußen nur der an- und abschwellende Jubel.
Der Super-Eignungstest neigt sich dem Ende zu. Als die Gitter
hereingeräumt sind, packt Heinzi wieder die Namensliste aus. 15 Namen
fallen, 15 Träger melden sich. „Nächste Woche Österreich gegen
Tunesien. Selbe Zeit, selber Ort?“, fragt er. Diesmal nicht. Er
überreicht ein Kuvert, in dem einige Münzen klimpern. 34,20 Euro in
bar. Das ist der Lohn neben den beiden Wurstsemmeln. So endet die
Securitykarriere.
„Gerade die Einlasskontrolle ist ein besonders sensibler Bereich,
der erfahrene Ordner erfordert“, erklärte Securitas-Chef Martin
Wiesinger dem „Falter“. Dem werde in seiner Firma Rechnung getragen,
und das beweise das Gütesiegel der Österreichischen
Zertifizierungsstelle Sicherheitstechnik (ÖZS), das Securitas
verliehen wurde. Das Zertifikat erhalten laut ÖZS allerdings nur jene
Firmen, die ihren Fußballordnern eine dreitägige Ausbildung
angedeihen lassen. Der Praxistest zeigt, dass man derartige Auflagen
bei Securitas offenbar nicht allzu ernst nimmt. Das Spiel ist
trotzdem friedlich verlaufen, laut Polizei gab es keine einzige
Festnahme.
Erschienen im Falter 49/07